Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 IV 79



90 IV 79

17. Urteil des Kassationshofes vom 25. Juni 1964 i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 292 StGB. Ob die missachtete Verwaltungsverfügung während der
Dauer ihrer Anfechtbarkeit verbindlich sei, hängt davon ab, ob das gegen
die Verfügung erhobene Rechtsmittel aufschiebende Wirkung hat.

Sachverhalt

    A.- Der verheiratete X. unterhielt seit einiger Zeit ein ehewidriges
Verhältnis mit einer Berufskollegin. Am 9. Dezember 1962 verliess er die
eheliche Wohnung in Y., ohne dass er nach Art. 170 ZGB zur Aufhebung des
gemeinsamen Haushaltes berechtigt gewesen wäre, und zog nach Aarau. Er
beabsichtigte, vom 29. Dezember 1962 bis 2. Januar 1963 mit seiner
Geliebten und seinem 1948 geborenen Sohn, der weiterhin bei seiner Mutter
in Y. wohnte, gemeinsam Skiferien zu verbringen. Als der Gemeinderat
von Y. davon Kenntnis erhielt, sah er sich als Vormundschaftsbehörde
veranlasst, zum Schutze des Knaben, der unter dem ehelichen Zerwürfnis
seiner Eltern litt, gestützt auf Art. 283 ZGB gegen das geplante Vorhaben
einzuschreiten. Er verbot X. unter Hinweis auf die Strafdrohung des
Art. 292 StGB, gleichzeitig seinen Sohn und seine Geliebte in die Ferien
mitzunehmen.

    X. begab sich trotz des Verbots, das ihm am 26. Dezember 1962 mündlich
und zwei Tage später schriftlich eröffnet worden war, zusammen mit seinem
Sohn und der Geliebten in die Ferien. Nach seiner Rückkehr focht er es
durch Beschwerde an. Diese wurde vom Bezirksamt Aarau und am 8. März 1963
vom Regierungsrat des Kantons Aargau abgewiesen.

    B.- Am 28. Februar 1964 verurteilte das Obergericht des Kantons
Aargau X. wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung (Art. 292 StGB)
zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 100. -.

    C.- X. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei
freizusprechen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Es ist unbestritten, dass der Gemeinderat von Y. als
Vormundschaftsbehörde an sich örtlich und sachlich zuständig war, eine
Verfügung im Sinne des Art. 283 ZGB zum Schutze eines in Y. wohnhaften
Kindes zu erlassen.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer bestreitet dagegen, dass die
Vormundschaftsbehörde zum Erlass der in Frage stehenden Verfügung
berechtigt gewesen sei, weil das Verbot, den Sohn zusammen mit seiner
Freundin in die Ferien mitzunehmen, einen unzulässigen Eingriff in
Persönlichkeitsrechte darstelle.

    Wie der Kassationshof wiederholt entschieden hat, ist eine von der
zuständigen Behörde formgerecht ergangene Verfügung, deren Nichtbefolgung
im Sinne des Art. 292 StGB mit Strafe bedroht wurde, vom Strafrichter auf
ihre materielle Richtigkeit nicht zu überprüfen (BGE 71 IV 219, 73 IV 256,
78 IV 118 und weitere nicht veröffentlichte Entscheidungen). Selbst wenn
aber der Strafrichter entgegen dieser Rechtsprechung über die Zulässigkeit
der amtlichen Verfügung frei zu entscheiden hätte, so könnte der Auffassung
des Beschwerdeführers nicht gefolgt werden. Er handelte nicht nur seinen
ehelichen Pflichten zuwider, wenn er mit einer andern Frau, die seine
Geliebte war, gemeinsam die Ferien verbrachte, sondern er verletzte
auch seine Pflichten als Vater, wenn er seinen noch nicht 15 Jahre
alten Sohn mitnahm und somit in dessen Gegenwart ehewidrige Beziehungen
unterhielt. Der Beschwerdeführer stellt denn auch mit Recht nicht in
Abrede, dass sein rechtswidriges Verhalten, das er vorhatte, geeignet
war, die sittliche Entwicklung seines Kindes, das zudem ohnehin unter
dem ehelichen Zerwürfnis seiner Eltern litt, erheblich zu gefährden. Die
von der Vormundschaftsbehörde getroffene Schutzmassnahme war unter diesen
Umständen sachlich gerechtfertigt und dem verfolgten Zweck angemessen. Die
Verfügung untersagte nur, dass der Beschwerdeführer seinen Sohn und die
Geliebte gleichzeitig in die Ferien mitnehme, verbot ihm aber nicht,
mit einem der beiden in die Ferien zu gehen. Von einem unzulässigen
Eingriff in Persönlichkeitsrechte kann daher keine Rede sein.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, eine Bestrafung
nach Art. 292 StGB sei auch deshalb unstatthaft, weil die Verfügung in
der Zeit vom 29. Dezember 1962 bis 2. Januar 1963, während der er ihr
zuwiderhandelte, noch nicht rechtskräftig und damit auch nicht verbindlich
gewesen sei. Denn er habe gegen den Beschluss der Vormundschaftsbehörde
vom 26. Dezember 1962 innert der zehntägigen Frist, nämlich am 4. Januar
1963, Beschwerde nach Art. 420 ZGB geführt, so dass das gegen ihn
erlassene Verbot erst nach dem 8. März 1963, d.h. mit der Zustellung des
Regierungsratsentscheides, in Rechtskraftt erwachsen sei.

    Dieser Einwand hält nicht stand. Im Kanton Aargau werden
vormundschaftliche Massnahmen zum Schutze der Kinder, wie sie Art. 283
ZGB vorsieht, von den Verwaltungsbehörden getroffen. Die von ihnen
erlassenen Verfügungen sind demnach Verwaltungsakte, die ihm allgemeinen
mit ihrer Eröffnung rechtswirksam, d.h. materiell verbindlich werden
und für den Empfänger wie für die Behörden rechtsgültig bleiben, bis
sie aufgehoben werden oder von Rechts wegen ihr Ende nehmen. Das gilt
grundsätzlich auch für Verwaltungsakte, die mit Rechtsmängeln behaftet
sind. Nicht rechtswirksam ist ein Verwaltungsakt nur beim Vorliegen eines
Nichtigkeitsgrundes und im Falle blosser Anfechtbarkeit dann, wenn von
der Anfechtung Gebrauch gemacht wird und das Rechtsmittel Suspensiveffekt
hat. Wo das Rechtsmittel diese Wirkung nicht hat, bleibt auch die noch
nicht formell rechtskräftige Verwalrungsverfügung solange verbindlich,
als sie von der Rechtsmittelinstanz nicht aufgehoben wird (GIACOMETTI,
Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, Bd. I, S. 393,
424 ff., 431, 433).

    Das Verfahren, in dem über die Beschwerde nach Art. 420 ZGB von den
kantonalen Aufsichtsbehörden entschieden wird, untersteht dem kantonalen
Recht. Dieses bestimmt insbesondere, ob der Beschwerde Suspensivwirkung
zukommt oder nicht (EGGER, N. 53 zu Art. 420 ZGB). Wie das Obergericht
feststellt, hat die Beschwerde nach aargauischem Prozessrecht nicht ohne
weiteres, sondern nur auf ausdrückliche Verfügung der Beschwerdeinstanz
aufschiebende Wirkung. Diese Feststellung kann vom Kassationshof nicht
überprüft und mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden
(Art. 269 Abs. 1, 273 Abs. 1 lit. b und 277 bis Abs. 1 BStP). Auf
die Ausführungen, mit denen der Beschwerdeführer die obergerichtliche
Auslegung des kantonalen Rechts zu widerlegen versucht, ist daher nicht
einzutreten. Da seiner Beschwerde, mit der er erfolglos die Verfügung
des Gemeinderates von Y. anfocht, keine aufschiebende Wirkung zuerkannt
worden ist, hat er daher eine verbindliche Verfügung missachtet. Er ist
infolgedessen zu Recht nach Art. 292 StGB bestraft worden.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten
werden kann.