Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 IV 4



90 IV 4

2. Urteil des Kassationshofes vom 28. Februar 1964 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich gegen X. Regeste

    Art. 74 StGB. Die Verjährung einer Freiheitsstrafe, deren Vollzug
gemäss Art. 43 StGB aufgeschoben wurde, beginnt mit der Rechtskraft des
Urteils und steht während der Erziehung Liederlicher und Arbeitsscheuer
nicht still.

Sachverhalt

    A.- Der 1937 geborene X. wurde am 18. Oktober 1957 wegen Zuhälterei zu
acht Monaten Gefängnis, abzüglich 63 Tage Untersuchungshaft, verurteilt
und für zwei Jahre in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit eingestellt.
Das Obergericht des Kantons Zürich schob den Strafvollzug auf und wies
den Verurteilten in eine Arbeitserziehungsanstalt nach Art. 43 StGB
ein. Am 2. April 1959 verurteilte ihn der Gerichtspräsident 7 von Bern
wegen gewerbsmässiger widernatürlicher Unzucht zu drei Monaten Gefängnis
und wies ihn - wiederum unter Aufschub des Strafvollzuges - in eine
Arbeitserziehungsanstalt ein. Am 24. September/9. Oktober 1961 wurde
X. aus dem Vollzug bedingt entlassen; die Justizdirektion des Kantons
Zürich setzte ihm eine Probezeit von zwei Jahren und schob demgemäss
den Entscheid darüber, ob eine Überweisung an den Richter im Sinne von
Art. 43 Ziff. 4 und 5 StGB zu erfolgen habe, auf.

    In der Probezeit wurde X. rückfällig. Das Obergericht des
Kantons Zürich verurteilte ihn am 9. Juli 1963 wegen Entwendung
eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch, Führens eines Motorfahrzeuges
in angetrunkenem Zustand, ferner wegen Fahrens ohne Führerausweis und
ohne Kontrollschilder sowie wegen Veruntreuung zu 42 Tagen Gefängnis und
Fr. 40.- Busse. Ferner bestrafte ihn der Einzelrichter in Strafsachen des
Bezirkes Zürich am 16. Oktober 1963 wegen wiederholter Sachbeschädigung mit
einem Monat Gefängnis (unter Abzug eines Tages Untersuchungshaft). Nach
diesen Rückfällen ersuchte die Justizdirektion des Kantons Zürich das
Obergericht, über den Vollzug der mit Urteil vom 18. Oktober 1957 gefällten
Strafe zu entscheiden.

    B.- Das Obergericht des Kantons Zürich beschloss am 20.  Dezember
1963, dass die mit Urteil vom 18. Oktober 1957 aufgeschobene Strafe von
acht Monaten Gefängnis zufolge Vollstreckungsverjährung nicht mehr zu
vollziehen sei.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt
Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt, der Beschluss des Obergerichtes
sei aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, gemäss Art. 43 Ziff. 5
Abs. 2 und 3 StGB zu entscheiden, inwieweit die Strafe von acht Monaten
zu vollziehen sei; denn entgegen der Annahme des Obergerichts sei die
Vollstreckungsverjährung nicht eingetreten.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gefängnisstrafen von weniger als einem Jahr verjähren gemäss
Art. 73 Ziff. 1 StGB in fünf Jahren. Die Verjährung beginnt nach Art. 74
StGB mit der Rechtskraft des Urteils, bzw. mit dessen Vollstreckbarkeit
(BGE 72 IV 106; 78 IV 225). Von dieser Regelung ist der bedingte
Strafaufschub ausgenommen, sofern er nachträglich widerrufen und die
Vollstreckung der Strafe angeordnet wird; dann soll die Verjährung nach
der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 74 StGB mit dem Tage beginnen,
an dem der Richter die Vollstreckung angeordnet hat.

    Eine weitere Ausnahme sieht das Gesetz nicht vor. Es enthält keine
Bestimmung, wonach auch dann, wenn die Strafe in anderer Weise als gemäss
Art. 41 Ziff. 1 StGB aufgeschoben worden ist, die Vollstreckungsverjährung
nicht schon mit der Rechtskraft des Urteils, sondern erst mit der
Anordnung des Strafvollzuges zu laufen beginnt. Dass das Gesetz eine
Lücke enthielte, hat der Kassationshof bereits im Falle Ch. verneint,
als er die Vollstreckungsverjährung bei Massnahmen nach Art. 14 und 15
StGB zu prüfen hatte (SJZ 1959 S. 129).

Erwägung 2

    2.- Nicht anders verhält es sich mit der Vollstreckungsverjährung
bei der Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt nach Art. 43
StGB. Zwar führt die Staatsanwaltschaft richtig aus, dass beim vermindert
Zurechnungsfähigen die Dauer der Massnahme seinem Willen weitgehend
entzogen ist. Es trifft auch zu, dass er nur beschränkt mitbestimmen
kann, ob nach Aufhebung der Massnahme die Strafe noch zu vollziehen sei;
ebenso kann sich die Massnahme bei erfolgloser Pflege zeitlich unbestimmt
ausdehnen. Aber auch der in die Arbeitserziehungsanstalt Eingewiesene
kann die Dauer seines Aufenthaltes nur beschränkt beeinflussen. Er wird
ebenfalls auf unbestimmte Zeit - wenn auch höchstens auf drei Jahre -
in die Anstalt eingewiesen. Selbst wenn der Zögling "zur Arbeit tüchtig
und willig" geworden ist, kann er erst, nachdem er zwei Drittel der
Strafe verbüsst und sich mindestens ein Jahr wohlverhalten hat, bedingt
entlassen werden (Art. 43 Ziff. 5 StGB). Er verliert unterdessen die
Freiheit und ist weiteren Einschränkungen unterworfen. Er kann nur bei
deren Hinnahme den Strafvollzug verhindern. Dass unter diesen Umständen
die Vollstreckungsverjährung nicht laufen soll, ist nicht einzusehen.

    Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft würde eine Vollstreckungsverjährung
den Vollzug der Massnahme zusätzlich belasten; denn es würde meistens
verunmöglicht, dem aus der Arbeitserziehungsanstalt bedingt Entlassenen
anzudrohen, er habe bei Versagen die Strafe zu verbüssen. Das ist
nicht belegt. Die Staatsanwaltschaft übersieht zudem, dass nach dem
Willen des Gesetzgebers die Nacherziehung nicht beliebig fortzusetzen
ist. Ergibt sich, dass der Zweck nicht erreicht, der Eingewiesene nicht
zur Arbeit erzogen werden kann, ist die Strafe zu vollziehen (Art. 43
Ziff. 4 StGB). Der Aufenthalt in der Anstalt, der sogar die Dauer der
Gefängnisstrafe (von weniger als einem Jahr) überschreiten kann, dürfte
dies meistens schon zeigen. Dazu kommt, dass der Zögling sich während 1-3
Jahren nach der bedingten Entlassung zu bewähren hat und, wenn er sich
nicht hält, in die Anstalt zurückversetzt wird. Ein Bedürfnis, überdies -
entgegen der allgemeinen Regel - den Beginn der Verjährung auf das Ende
des Vollzuges der Massnahmen hinauszuschieben, ist nicht ersichtlich.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.