Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 IV 254



90 IV 254

53. Aususzug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. Dezember 1964
i.S. H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 397 StGB. Wiederaufnahme des Verfahrens. Beurteilung der
Erheblichkeit neuer Beweismittel im Falle, dass dem frühern Urteil
(Schwurgerichtsurteil) nicht zu entnehmen ist, auf welchen Sachverhalt
es im fraglichen Punkte abstellte. Feststellung dieses Sachverhalts im
Wiederaufnahmeverfahren. Entsprechende Anwendung von Art. 277 BStP?

Sachverhalt

    Das Schwurgericht des Kantons Zürich verurteilte H. am 5. Juli
1949 u.a. wegen vollendeten Mordversuchs und Raubs gegenüber K. zu
20 Jahren Zuchthaus. Am 12. September 1962 stellte H. (der mit seinen
Messerstichen einen nächtlichen homosexuellen Angriff seines Zimmergenossen
K. abgewehrt haben will) beim Obergericht des Kantons Zürich das Gesuch
um Wiederaufnahme des Strafverfahrens, weil er nachweisen könne, dass
K. falsches Zeugnis abgelegt habe, indem er bestritt, homosexuell veranlagt
zu sein und je homosexuelle Beziehungen unterhalten zu haben. Nach einer
Aktenergänzung hat das Obergericht das Wiederaufnahmegesuch am 8. Juli 1964
abgewiesen; dies in erster Linie mit der Begründung, die Aktenergänzung
habe zwar den Verdacht einer homosexuellen Annäherung K.s an H. verstärkt,
doch habe sich dieser Verdacht schon im frühern Verfahren aufgedrängt.

    Der Kassationshof weist die Nichtigkeitsbeschwerde H.s gegen das
obergerichtliche Urteil ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Wie das Schwurgericht die Frage beurteilte, ob K. homosexuell
veranlagt sei und sich dem Beschwerdeführer in unzüchtiger Weise genähert
habe, lässt sich seinem Urteil nicht entnehmen. Wollte die Vorinstanz
prüfen, ob die aus den ergänzten Akten zu ziehenden Schlüsse in diesem
Punkte wesentlich vom Beweisergebnis des frühern Verfahrens abweichen,
so blieb ihr also nichts anderes übrig, als dieses Beweisergebnis anhand
der Akten, die dem Schwurgericht vorlagen, selbst zu ermitteln. Indem
sie dies tat, hat sie nicht gegen Bundesrecht verstossen.

    Der Beschwerdeführer macht freilich geltend, dieses Vorgehen verletze
Art. 397 StGB, weil es an die Stelle der fehlenden tatsächlichen
Feststellungen des Schwurgerichts "fragwürdige Hypothesen" setze und
weil die Verweigerung der Wiederaufnahme auf Grund solcher Vermutungen
dem Zweck der genannten Bestimmung (Beseitigung von Justizirrtümern)
zuwiderlaufe. Die Vorinstanz hat sich jedoch nicht auf Vermutungen
darüber beschränkt, was die Geschworenen semerzeit gedacht haben dürften,
sondern auf Grund ihrer eigenen Würdigung der Akten festgestellt,
welche tatsächlichen Schlüsse sich im frühern Verfahren objektiv
rechtfertigten. Ihr Urteil stützt sich also nicht auf blosse Hypothesen.

    Dem Beschwerdeführer ist auch nicht zuzugeben, dass im
Wiederaufnahmeverfahren Art. 277 BStP entsprechend anzuwenden sei,
wenn das frühere Urteil nicht hinlänglich erkennen lässt, welche
Tatsachen damals als feststehend und welche Anbringen des Anklägers
oder Einwendungen des Angeklagten als nicht bewiesen oder rechtlich
unerheblich betrachtet wurden, und daher Mängel aufweist, die eine
Nachprüfung der Gesetzesanwendung verunmöglichen (vgl. BGE 78 IV 134
ff.). Im Wiederaufnahmeverfahren ist nicht die Gesetzesanwendung zu
überprüfen, die dem - rechtskräftig gewordenen - frühern Urteil zugrunde
liegt. Daher können Mängel dieses Urteils im Wiederaufnahmeverfahren
nicht geltend gemacht werden. Sie bilden keinen Wiederaufnahmegrund und
entbinden die mit dem Wiederaufnahmegesuch befasste Behörde nicht von der
Prüfung der Frage, ob die neu beigebrachten Tatsachen oder Beweismittel
im Sinne von Art. 397 StGB erheblich seien. Wenn es für die Beurteilung
dieser Frage darauf ankommt, auf welchem Sachverhalt das frühere Urteil
beruht, ist das, soweit dieses Urteil hierüber keinen Aufschluss gibt,
im Wiederaufnahmeverfahren festzustellen, wie es im vorliegenden Falle
geschehen ist.

    Gegen die Feststellung der Vorinstanz, der Verdacht einer homosexuellen
Annäherung habe sich schon im frühern Verfahren aufgedrängt, ist demnach
vom Standpunkte des Bundesrechts aus nichts einzuwenden. Stellt man auf
diese Feststellung ab, so ist aber auch nicht als bundesrechtswidrig
zu beanstanden, dass die Vorinstanz fand, die Abnahme der neuen Beweise
(die sich nicht auf den Hergang der Tat, sondern nur auf die Frage der
homosexuellen Veranlagung K.s bezogen) habe am Beweisergebnis des frühern
Verfahrens nichts Wesentliches geändert und die neuen Beweismittel seien
deshalb unerheblich.