Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 IV 246



90 IV 246

52. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 23. Dezember 1964
i.S. Bressan gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau. Regeste

    Art. 18 Abs. 3, 229 Abs. 2 StGB. Fahrlässige Gefährdung durch
Verletzung der Regeln der Baukunde.

    1.  Bauwerk im Sinne von Art. 229 StGB ist jede bauliche oder
technische Anlage, die mit Grund und Boden verbunden ist.

    2.  Dass die Gefährdung unmittelbar vom Bauwerk selber ausgehe,
ist nicht erforderlich (Erw. 1a).

    3.  Fahrlässiges Verhalten eines Baumeisters, der einen Hofplatz
ausbaggern lässt, ohne sich zuvor zu vergewissern, ob sich Leitungen
in der Erde befänden, und der den Arbeitern für den Fall, dass sie eine
Leitung beschädigten, auch keine Weisungen erteilt.

    4.  Art. 229 Abs. 2 StGB setzt nicht voraus, dass der Täter sich der
Gefährdung von Leib und Leben von Menschen bewusst sei (Erw. 1b).

    5.  Adäquater Kausalzusammenhang zwischen den Unterlassungen des
Baumeisters und den Folgen eines Gasleitungsbruches (Erw. 1c und 2 b).

    6.  Fahrlässige Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen
(Art. 239 Ziff. 2 StGB). Zum Betrieb eines Gaswerkes gehört das gesamte
Verteilungsnetz (Erw. 2 a).

Sachverhalt

    A.- Bressan ist Inhaber eines Baugeschäftes in Arbon. Im Frühjahr 1962
beauftragte ihn von Niederhäusern, der an der Bahnhofstrasse in Neukirch
die Wirtsstube und Metzgerei "Zum Rössli" betrieb, einen Teil seines
Hofplatzes zu teeren. Am 17. Juli 1962, als die Familie von Niederhäusern
und ihre Angestellten in den Ferien weilten, begann die Firma Bressan
mit den Erdarbeiten. Bressan wies Stadelmann an, den Hofplatz entlang der
Strasse 50-60 und im übrigen etwa 45-50 cm tief auszubaggern. Er ersuchte
ihn, dabei auf einen in der Erde befindlichen Oeltank und die dazugehörige
Leitung aufzupassen; von weitern Leitungen sagte er ihm nichts.

    Am folgenden Tag gegen 10.00 Uhr stiess Stadelmann mit dem
Baggerlöffel auf eine nur wenige Dezimeter unter der Erdoberfläche liegende
Gasleitung. Er liess sie freilegen und stellte fest, dass er die zum Hause
führende Leitung leicht verkrümmt hatte. Dass er sie zugleich innerhalb
der Kellermauer abgebrochen hatte und das Gas nun frei ins Haus einströmen
konnte, entging ihm. Als ihm etwas später ein Arbeiter zurief, es rieche
nach Gas, schaute er die Leitung nochmals an, ohne jedoch den Gasaustritt
zu bemerken. Hierauf beendigte er den Aushub und fuhr weg. In der Nähe der
Arbeitsstelle bat er einen Lastwagenführer der Firma Bressan, dem Meister
auszurichten, dass er beim "Rössli" auf eine Gasleitung gestossen sei und
sie mit dem Baggerlöffel leicht erwischt habe. Als Bressan davon hörte,
begab er sich nach Neukirch.

    Unterdessen hatte sich im Hause von Niederhäuserns bereits eine
gefährliche Menge Gas angesammelt. Kurz nach 11.00 Uhr kam es im Keller
zufolge Funkenwurfs eines automatischen Schalters zu einer heftigen
Explosion, durch die das Haus fast vollständig zerstört und 26 benachbarte
Häuser zum Teil erheblich beschädigt wurden. Eine Radfahrerin auf der
Bahnhofstrasse wurde von herabfallenden Trümmern getroffen und tötlich
verletzt. Zwei Arbeiter, die sich noch auf der Baustelle befanden, wurden
mehrere Meter weggeschleudert, kamen aber mit dem Schrecken davon.

    B.- Das Bezirksgericht Arbon erklärte Bressan unter anderem
der fahrlässigen Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde
(Art. 229 Abs. 2 StGB) sowie der fahrlässigen Störung von Betrieben, die
der Allgemeinheit dienen (Art. 239 Ziff. 2 StGB), schuldig und verurteilte
ihn zu einer Busse von Fr. 1000.-- Stadelmann sprach es frei.

    Bressan legte gegen seine Verurteilung Berufung ein, die das
Obergericht des Kantons Thurgau am 8. September 1964 abwies.

    C.- Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf
Freisprechung.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus der Erwägungen:

    1. - Gemäss Art. 229 Abs. 2 StGB wird mit Gefängnis oder mit
Busse bestraft, wer bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerkes die
anerkannten Regeln der Baukunde fahrlässig ausser acht lässt und dadurch
Leib und Leben von Menschen gefährdet. Der Beschwerdeführer bestreitet,
diesen Tatbestand erfüllt zu haben.

    a) Nach dem angefochtenen Urteil hat Bressan die Leitung der
Bauarbeiten selber übernommen. Das erhellt vor allem daraus, dass er dem
Baggerführer auf dem Platze auseinandersetzte, wie er vorzugehen habe, und
ihm Weisungen über die zunächst vorzunehmenden Erdarbeiten erteilte. Der
Beschwerdeführer stellt dies mit Recht nicht in Abrede. Er macht dagegen
geltend, dass von einem Bauwerk keine Rede sein könne.

    Der Beschwerdeführer verkennt, dass Art. 229 StGB den Ausdruck in
einem umfassenden Sinne verwendet. Die Gesetzesmaterialien lassen darüber
keinen Zweifel offen (Prot. 2 Exp. Kom. Bd. 4 S. 98). Bauwerk im Sinne des
Gesetzes ist demnach jede bauliche oder technische Anlage, die mit Grund
und Boden verbunden ist. Gemeint sind namentlich alle Arten von Hoch-
und Tiefbauten, wie Häuser, Bahnen, Strassen, Kanäle und dergleichen,
aber auch blosse Teile solcher Bauten, sofern sie mit diesen oder mit dem
Erdboden fest verbunden sind (z.B. Brücken, Tunnelle, Leitungen, Treppen,
Aufzüge usw.). Der von der Firma Bressan anzulegende Hofplatz stellte nach
Planung und Beschaffenheit eine solche bauliche Anlage dar. Die Leitung
des Beschwerdeführers bezog sich somit auf die Errichtung eines Bauwerkes
im Sinne von Art. 229 StGB. Für die Anwendung dieser Bestimmung genügt
sodann, dass der Täter bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerkes
eine Regel der Baukunde verletzt und dass zwischen seinem Fehler und der
heraufbeschworenen Gefahr ein Zusammenhang besteht. Dass die Gefährdung
unmittelbar vom Bauwerk selber ausgehe, ist entgegen der Annahme des
Beschwerdeführers nicht erforderlich (vgl. HAFTER, Bes. Teil II 518 ff.;
SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Auflage, S. 441).

    b) Der Beschwerdeführer hat die Aushubarbeiten auf dem Hofplatz
angeordnet, ohne sich zuvor zu vergewissern, ob ausser der Oelzufuhr
sich noch weitere Leitungen in der Erde befänden. Das war ein grober
Verstoss gegen eine elementare Regel der Baukunde. Der Beschwerdeführer
hat in seiner Einvernahme vor Bezirksamt denn auch anerkannt, dass es
ein Fehler war, sich nicht nach weitern Leitungen erkundigt zu haben,
und dass er für diese Unterlassung keine Entschuldigung angeben könne. Zu
rechtzeitigen Nachforschungen hätte er umsomehr Anlass gehabt, als er eine
schwere Baumaschine einsetzte und den Hofplatz in einer Breite von 8 m
und teils bis gegen 60 cm tief ausbaggern liess. Dass er die Gasleitung
in einem andern Teil des Hausplatzes vermutet und zudem angenommen
haben will, sie läge in mindestens 80 cm Tiefe, befreit ihn nicht.
Ein kurzer Augenschein im Keller hätte genügt, um sich über Verlaufund
Tiefenlage der Leitung ein Bild zu machen. Dazu kommt, dass es sich nach
den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz um eine bereits im Jahre
1914 erstellte Leitung handelte, die Richtlinien für die Verlegung von
Gasleitungen aber erst seit 1959 eine Erdüberdeckung von mindestens 80 cm
vorschreiben. Als Baumeister musste er auch mit ältern Leitungen rechnen,
die diesen Vorschriften nicht entsprachen.

    Ein Fehler war es auch, den Arbeitern für den Fall, dass sie eine
Leitung beschädigten, keinerlei Weisungen zu erteilen. Obschon es nach
den eigenen Angaben des Beschwerdeführers selbst dann, wenn der Verlauf
von Leitungen zum vorneherein feststeht, immer wieder zu Beschädigungen
kommt, überliess er es dem Gutfinden der Arbeiter, was gegebenenfalls
vorzukehren war. Das war pflichtwidrig unvorsichtig. Der Beschwerdeführer
glaubt zwar, dem Vorwurf mit dem Einwandentgehen zu können, das Ausbaggern
des Bodens'in dem sich Leitungen befänden,sei nicht verboten; die Gefahr,
mit Baumaschinen Leitungen zu beschädigen, werde sowohl vom Bauherrn wie
vom Unternehmer in Kauf genommen, weil dabei bloss Schäden an Leitungen,
nicht aber Gefahren für Leib und Leben von Menschen drohten. Der
vorliegende Fall beweist jedoch gerade das Gegenteil. Der Einwand
zeugt zudem von einem bedenklichen Mangel an Pflichtgefühl. Wer einen
gefährlichen Zustand schafft, ist nach ständiger Rechtsprechung (BGE
66 II 117, 71 II 113, 79 II 69) verpflichtet, die durch die Umstände
gebotenen Vorsichtsmassnahmen zu treffen. Als Baumeister hätte er dafür
sorgen sollen, dass die Arbeiter gehörig unterrichtet und im Falle eines
Leitungsschadens vorbereitet waren. Hätte Stadelmann die beschädigte
Gasleitung nicht nur im Freien, sondern auch innerhalb der Kellermauer
kontrolliert, oder zumindest den verdächtigen Gasgeruch sogleich gemeldet,
so hätte die Katastrophe sehr wohl vermieden werden können. Dass der
Beschwerdeführer über einen erfahrenen Baggerführer verfügte, ändert
nichts. Das Vertrauen in die Zuverlässigkeit dieses Arbeiters enthob ihn
nicht seiner eigenen Sorgfaltspflicht.

    Dem Beschwerdeführer hilft auch nicht, dass er sich der Gefährdung von
Leib und Leben von Menschen nicht bewusst gewesen sein will. Das Fehlen
dieses Bewusstseins steht der Anwendung des Art. 229 Abs. 2 StGB nicht
im Wege. Fahrlässigkeit, wie sie in Art. 18 Abs. 3 StGB umschrieben ist,
schliesst aus, dass der Täter andere wissentlich in Gefahr bringt. Warum
jener Bestimmung ein anderer Begriff der Fahrlässigkeit zugrunde liegen
sollte als dieser, ist nicht zu ersehen (vgl. nicht veröffentlichtes
Urteil des Kassationshofes vom 30. Mai 1952 i.S. Ferrini und BGE 76 IV
247). Nach Art. 18 Abs. 3 StGB aber genügt, dass der Beschwerdeführer
überhaupt die Möglichkeit der Gefährdung eines Menschens als Folge seines
pflichtwidrigen Verhaltens nach den Umständen und seinen persönlichen
Verhältnissen voraussehen konnte. Das ist zu bejahen. Bressan hätte
bedenken sollen, dass durch die Aushubarbeiten Menschenleben in Gefahr
gebracht werden könnten, wenn Leitungen vorhanden wären und er die Arbeiter
nicht darauf aufmerksam machte. Ob er hätte bedenken können und sollen,
dass die Ereignisse sich gerade so abspielen würden, wie sich sie dann
zugetragen haben, ist unerheblich (BGE 79 IV 170 f.).

    c) Nach dem angefochtenen Urteil war die Explosion samt ihren
Folgen auf die Verletzung von Regeln der Baukunde zurückzuführen. Der
natürliche Kausalzusammenhang ist damit für den Kassationshof verbindlich
festgestellt. Zu bejahen ist aber auch die Rechtserheblichkeit der
Ursachenfolge. Das grob pflichtwidrige Verhalten Bressans war nach den
Erfahrungen des Lebens und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet,
zum tatsächlich eingetretenen Erfolg zu führen. Dass die Gasleitung
nicht bloss äusserlich beschädigt, sondern zerrissen wurde, als sie
der schwere Baggerlöffel erfasste, war eine höchst natürliche Folge der
Gewalteinwirkung. Das gleiche gilt vom Umstand, dass die Leitung nicht
im Freien, sondern innerhalb der Kellermauer abbrach, wo sie abgewinkelt
war und zudem eine Muffe aufwies; denn dort leistete sie der Einwirkung
den grössten Widerstand. Ein Leitungsbruch lag unter den gegebenen
Umständen umso näher, als es sich um eine bereits im Jahre 1914 verlegte
Röhre handelte. Der übrige Verlauf der Dinge, nämlich das Ausströmen
des Gases, die Bildung eines zündfähigen Gemisches innerhalb des Hauses
und die Zündung durch einen automatischen Schalter, entsprach ebenfalls
physikalischen Gesetzen.

    Die Erfahrung zeigt, dass bei Gas die kleinste Unaufmerksamkeit
schwerwiegende Folgen zeitigen kann. Die Arbeiter waren offensichtlich
überrascht, als sie auf die Gasleitung stiessen. Sie sahen sich dadurch
unerwartet vor eine ungewohnte Lage gestellt, die nicht eingetreten
wäre, wenn der Beschwerdeführer sie pflichtgemäss darauf aufmerksam
gemacht oder wenigstens gehörig unterrichtet hätte, was gegebenenfalls
zu tun sei. Angesichts der eigenen Sorglosigkeit Bressans erscheint
das zögernde Verhalten der Arbeiter nicht als etwas Aussergewöhnliches,
womit schlechterdings nicht hätte gerechnet werden können, wie auch das
vorübergehende Hinnehmen eines leichten Gasgeruches durch den Baggerführer
nicht ausserhalb normalen Geschehens fällt. Ob vorauszusehen war, dass
sich die Ereignisse bis in alle Einzelheiten genau so abwickeln würden,
wie sie sich tatsächlich abgewickelt haben, ist für den rechtserheblichen
Kausalzusammenhang sowenig von Belang wie für das Verschulden (BGE 81 IV
255, 84 IV 64, 86 IV 155, 87 IV 159).

    Der Beschwerdeführer ist deshalb zu Recht wegen fahrlässiger Gefährdung
im Sinne von Art. 229 Abs. 2 StGB verurteilt worden.

    2. - a) Das gleiche gilt von seiner Verurteilung gemäss Art. 239
Ziff. 2 StGB. Hätte der Beschwerdeführer die Regeln der Baukunde beachtet,
so wäre der Betrieb des Gaswerkes nicht gestört worden. Die Störung ist
darin zu erblicken, dass die Gasleitung beschädigt wurde und dass deswegen
eine Menge Gas verloren ging. Sie erhellt zudem daraus, dass gemäss
den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts das Gas für ein ganzes
Quartier abgestellt werden musste, um die Leitung wieder instandstellen zu
können. Dass bloss die Zuleitung zum Hause von Niederhäuserns beschädigt
wurde, ändert nichts. Zum Betrieb eines Gaswerkes gehört nicht nur die
Hauptleitung, wie der Beschwerdeführer anzunehmen scheint, sondern das
gesamte Verteilungsnetz. Der vorliegende Fall zeigt denn auch, dass die
Gasversorgung einer Ortschaft schon durch den Bruch einer Nebenleitung
erheblich gestört werden kann.

    b) Dass die Leitung nicht vonihm selber, sondern von Stadelmann
beschädigt worden ist, hilft dem Beschwerdeführer nicht; die Störung in
der Gasversorgung ist gleichwohl dem Bressan als Leiter der Bauarbeiten
zuzurechnen. Der Beschwerdeführer verkennt auch hier, dass seine
Unterlassungen nicht die alleinige oder unmittelbare Ursache der Störung zu
sein brauchten. Für die Anwendung des Art. 239 Ziff. 2 StGB genügt, dass
das pflichtwidrige Verhalten des Beschwerdeführers jedenfalls Mitursache
der Beschädigung und damit der Betriebsstörung war. Nur wenn das Vorgehen
Stadelmanns ausserhalb normalen Geschehens gelegen hätte, so dass damit
unmöglich hätte gerechnet werden können, würde es am rechtserheblichen
Kausalzusammenhang zwischen den Fehlern des Beschwerdeführers einerseits
und den eingetretenen Folgen des Leitungsbruches anderseits fehlen (BGE 68
IV 19, 77 IV 181 Erw. 3). Davon aber kann, wie bereits ausgeführt worden
ist, keine Rede sein.