Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 IV 196



90 IV 196

40. Urteil des Kassationshofes vom 17. September 1964 i.S. Schweizerische
Kreditanstalt gegen Fluri und Mitbeteiligte. Regeste

    Art. 147 StGB. Als Pfand hinterlegte Inhaberaktien können auch ohne
körperliche Einwirkung entwertet werden. Begriff der Entwertung.

Sachverhalt

    A.- Am 13. Juli 1951 verpfändete die Parca AG in Glarus zugunsten
der Firma Ad. Allemann Fils AG., Welschenrohr, bei der Schweizerischen
Kreditanstalt 100 Inhaberaktien der Firma Roseba AG. Das Aktienkapital
der Roseba AG betrug damals Fr. 150'000.-- und war in 150 Inhaberaktien
eingeteilt. Im Zusammenhang mit einer Sanierung der Firma Roseba AG wurde
das Aktienkapital im November 1963 auf Fr. 300'000.-- erhöht. Die 150
neuen Inhaberaktien wurden von Adolf Allemann-Hitz, Beatrice Fluri-Wyler
und Kuno Fluri übernommen.

    Die Schweizerische Kreditanstalt reichte am 12. Februar 1964 gegen Kuno
Fluri, Präsident des Verwaltungsrates der Roseba AG, Beatrice Fluri-Wyler,
Adolf Allemann-Hitz, Adolf Allemann-Knüsel und Martha Hennemann-Allemann
beim Richteramt Balsthal eine Strafklage wegen Veruntreuung und Entzug
von Pfandsachen und Retentionsgegenständen im Sinne von Art. 147 StGB
ein. Sie machte hauptsächlich geltend, dass bei der Kapitalerhöhung ihre
Bezugsrechte missachtet worden seien. Durch dieses Vorgehen sei ihr
Pfand entwertet worden, weil die 100 verpfändeten Inhaberaktien heute
nur noch 1/3 des Aktienpaketes ausmachten und seither schwieriger zu
verkaufen seien.

    B.- Der Gerichtspräsident von Balsthal verfügte am 14.  Februar
1964, dass der Strafanzeige keine Folge gegeben werde. Die Schweiz.
Kreditanstalt beschwerte sich gegen diese Verfügung beim Obergericht des
Kantons Solothurn. Dieses wies die Beschwerde am 8. April 1964 ab.

    C.- Die Schweiz. Kreditanstalt führt Nichtigkeitsbeschwerde. Sie
beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Kuno Fluri, Beatrice Fluri-Wyler und Martha Hennemann-Allemann
beantragen, die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 147 StGB wird der Schuldner bestraft, der in der
Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, seine Sache, die der Gläubiger
als Faustpfand oder als Retentionsgegenstand besitzt, diesem entzieht, sie
beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht (Absatz 2). Bestraft
wird auch der Dritte, der in dieser Weise zugunsten des Schuldners handelt
(Absatz 4).

    Das Obergericht hat Art. 147 StGB deswegen nicht angewendet, weil
die Entwertung nur in einer körperlichen, mechanischen Einwirkung auf die
Pfandsache bestehen könne; gerade daran fehle es jedoch im vorliegenden
Falle.

Erwägung 2

    2.- Wenn die in Art. 147 Abs. 2 und 4 StGB unter Strafe gestellten
Handlungennotwendigerweise eine mechanische, äusserliche Einwirkung
erforderten, so müsste der Täter den Pfandgegenstand, um ihn zu entwerten,
entweder beschädigen oder zerstören oder unbrauchbar machen. Eine andere
körperliche Einwirkung ist nicht denkbar. Dies würde wiederum bedeuten,
dass der Hinweis auf die Entwertung überflüssig wäre. Davon kann keine
Rede sein.

    Entwerten heisst nach dem Sprachgebrauch etwas wertmässig herabsetzen,
auf einen niedrigeren Stand bringen, in der ursprünglichen Stellung
schmälern. Nichts deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber diesem
Tätigkeitswort im Rahmen von Art. 147 StGB einen andern Sinn beimessen
wollte. Wertmässig herabgesetzt und in der ursprünglichen Stellung
geschmälert ist das vertragliche oder gesetzliche Pfandrecht für den
Gläubiger nicht nur, wenn der wirtschaftliche Wert des hinterlegten
Gegenstandes körperlich beeinträchtigt ist, sondern schon dann, wenn
die vorher gewährte Sicherheit in irgendeiner Weise beschnitten und
die Befriedigung des zu sichernden Anspruches gefährdet wird. Dies ist
auch durch die Änderung der Rechtslage möglich. So kann eine Einbusse
bei verpfändeten Inhaberaktien darin bestehen, dass das Aktienkapital
erhöht und aus der hinterlegten Aktienmehrheit nachträglich eine
Minderheitsbeteiligung wird. Aus dem Gesagten folgt, dass es nicht
notwendigerweise einer körperlichen Einwirkung auf das Pfandobjekt bedarf,
um ein Pfandrecht zu entwerten, und dass Art. 147 StGB durch den Zusatz des
Tätigkeitswortes "entwerten" den strafrechtlichen Schutz erweitern wollte.

    Die Entwertung muss zu einer fühlbaren Verminderung der Sicherheit
in wirtschaftlicher oder rechtlicher Beziehung führen. Nicht jede
geringfügige Verschiebung soll Anlass zum Einschreiten des Strafrichters
bieten. Die Zuweisung eines Anteiles des bereits erzielten Reingewinnes
an eine Personalfürsorgestiftung oder an den Verwaltungsrat in Form von
Tantiemen genügt an sich - entgegen der Ansicht der Beschwerdegegner -
diesen Anforderungen nicht; denn aus einer solchen Zuweisung allein folgt
in der Regel noch nicht, dass der innere Wert der Aktie sinkt.

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht vertritt die Ansicht, eine körperliche Einwirkung
auf den Pfandgegenstand sei unerlässlich, weil es sich bei Art. 147 StGB um
einen sachbeschädigungsähnlichen Tatbestand handle, weil Art. 147 StGB nur
den körperlichen, nicht aber den rechtlichen Besitz der Pfandsache sichere
und weil Art. 147 StGB das bewegliche und unbewegliche Pfand, nicht aber
das Forderungspfand schütze. Diese Gründe sind nicht stichhaltig.

    a) Richtig ist, dass auch HAFTER (Schweiz. Strafrecht, Bes. Teil I,
S. 226) auf dem Standpunkt steht, es handle sich bei der Rechtsvereitelung
gemäss Art. 147 StGB um einen sachbeschädigungsähnlichen Tatbestand. Diese
Verwandtschaft könnte jedoch nur angenommen werden, wenn der im
bundesrätlichen Entwurf vom 23. Juli 1918 umschriebene Sachverhalt des
Entzuges von Pfandsachen (Art. 128) Gesetzeskraft erlangt hätte. Indessen
unterscheiden sich Art. 147 StGB und Art. 128 des Entwurfes gerade dadurch,
dass Absatz 1,2 und 4 des ersteren das Tätigkeitswort entwerten enthalten,
wogegen es im Wortlaut des letzteren - wie bei Art. 145 StGB - fehlt.

    b) Wie aus dem Randtitel zu Art. 147 StGB und aus der
Entstehungsgeschichte hervorgeht, sind beschränkte dingliche Rechte
des Gläubigers durch diese Bestimmung geschützt, nämlich die Pfand- und
Retentionsrechte. Daraus folgt, dass schon begrifflich der Besitz von
dieser Schutznorm ausgeschlossen ist (vgl. LOGOZ, Commentaire, Partie
spéc. I, N. 1 und 2 zu Art. 147). Die von der Vorinstanz getroffene
Unterscheidung zwischen rechtlichem und körperlichem Besitz ist daher
belanglos.

    c) Aus dem französischen Wortlaut des Art. 147 StGB und der Überschrift
des Dreiundzwanzigsten Titels des Zivilgesetzbuches geht hervor - beide
verwenden den Begriff "gage mobilier" -, dass unter dem beweglichen Pfand,
wie im deutschen und italienischen Text des Art. 147 StGB bezeichnet,
das Fahrnispfand im Sinne von Art. 884 ff. ZGB zu verstehen ist. Dieses
umfasst auch das Pfand an Forderungen und insbesondere an Wertpapieren
(vgl. Art. 899-906 ZGB). Es war daher nicht notwendig, das Forderungspfand
in Art. 147 StGB besonders zu erwähnen, zumal der Randtitel allgemein von
Pfandsachen spricht und die Botschaft des Bundesrates vom 23. Juli 1918
(BBl 1918/IV S. 34) ausführt, Art. 128 des Entwurfes, der diesbezüglich
mit Art. 147 StGB übereinstimmt, wolle das vertragliche Pfandrecht
(schlechthin) schützen. Es ist daher nicht zweifelhaft, dass Inhaberaktien,
die gemäss Art. 899 ff. ZGB als Sicherheit hinterlegt worden sind,
den Schutz des Art. 147 StGB geniessen.

Erwägung 4

    4.- Ist nach dem Gesagten eine Entwertung im Sinne von Art. 147
StGB ohne körperliche Einwirkung möglich, so ist die vorliegende Sache
zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie hat nunmehr
zu prüfen, ob die 100 verpfändeten Inhaberaktien der Roseba AG durch
die Erhöhung des Aktienkapitals von Fr. 150'000.-- auf 300'000.--
tatsächlich entwertet worden sind, ob die Beschwerdeführerin gehindert
worden ist, die Bezugsrechte auszuüben, und ob die Beschwerdegegner in der
Absicht, die Schweiz. Kreditanstalt zu schädigen, gehandelt haben. Erst
diese Abklärungen werden einen Schluss über den - vorzeitig erhobenen -
Einwand erlauben, die Beschuldigten könnten sich auf Art. 32 StGB berufen,
weil die Erhöhung des Aktienkapitals von dem nach Art. 725 Abs. 4 OR
bestellten Sachwalter empfohlen worden sei.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Obergerichtes des Kantons Solothurn vom 8. April 1964 aufgehoben und die
Sache zu neuer Entscheidung zurückgewiesen.