Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 IV 159



90 IV 159

35. Urteil des Kassationshofes vom 18. Juni 1964 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich gegen

    Riess.  Regeste

Art. 59 MFG; Art. 91 SVG. Angetrunkenheit ist unabhängig von weiteren
Beweisen und individuellen Unterschieden bei einem Blutalkoholgehalt von
0,8 und mehr Gewichtspromillen anzunehmen.

Sachverhalt

A.- Riess führte in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1961 um
24.00 Uhr seinen Personenwagen "BMW" vom Kreuzplatz in Zürich nach
Scheuren-Forch. Die um 00.40 Uhr erhobene Blutprobe wies einen
Alkoholgehalt von chemisch 1,31 und interferometrisch von 1,35
Gewichtspromillen auf, was, auf den Zeitpunkt der Fahrt zurückgerechnet
und eine durch krankhafte Veranlagung möglicherweise verspätete Resorption
einbezogen, einem Blutwert von 0,9 bis 0,95 Gewichtspromillen entsprach.
Riess war schon 1957 wegen Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem
Zustand gebüsst worden. B.- Riess wurde angeklagt, ein Motorfahrzeug
in angetrunkenem Zustand bei Rückfall geführt zu haben (Art. 59
Abs. 2 MFG). Das Obergericht des Kantons Zürich sprach ihn mit Urteil
vom 10. Januar 1963 frei mit der Begründung, die Alkoholkonzentration
habe zur Zeit der Tat die Grenze von 1 Promille nicht überschritten und
andere Indizien, die auf Angetrunkenheit schliessen liessen, seien nicht
festgestellt. C.- Die Staatsanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben und die Sache
zur Bestrafung des Angeklagten nach Art. 59 Abs. 2 MFG an das Obergericht
   zurückzuweisen.
D.- Riess beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung

1.- Nach Art. 59 MFG macht sich strafbar, wer ein Motorfahrzeug in
angetrunkenem Zustand führt. Die Bestimmung will nach der Rechtsprechung
nicht jede noch so geringfügige alkoholbedingte Enthemmung treffen, sondern
soll nur dann angewendet werden, wenn diese einen solchen Grad erreicht
hat, dass eine sichere, den Verkehrsvorschriften entsprechende Führung
des Motorfahrzeuges nicht mehr gewährleistet ist. Das ist unabhängig
von der individuellen Alkoholverträglichkeit und ohne Rücksicht darauf,
ob auch andere Umstände auf Angetrunkenheit hinweisen, im Prinzip immer
anzunehmen, wenn der Alkoholgehalt einen bestimmten Grenzwert erreicht. Der
Kassationshof ist in verschiedenen Urteilen davon ausgegangen, dass
diese Grenze bei 1 Promille liege (nicht veröffentlichte Entscheide
vom 4. April 1949 i.S. Flückiger, vom 9. Oktober 1954 i.S. Stähelin,
vom 5. Oktober 1956 i.S. Wenger). Daran, so erklärte er noch am
26. September 1958 i.S. Zeder, sei festzuhalten, jedenfalls bis
zuverlässige Untersuchungsergebnisse über den Grad der Enthemmung bei
Alkoholkonzentrationen von weniger als 1 Promille vorlägen. Das bedeute
aber nicht, dass bei einer geringeren Alkoholkonzentration die Bestrafung
nach Art. 59 MFG ausgeschlossen sei; in solchen Fällen dürfe indessen
nicht allein aus dem Alkoholgehalt, sondern nur zusammen mit andern
Anzeichen auf Angetrunkenheit geschlossen werden.

Erwägung

2.- Seither mehrten sich die Stimmen aus Fachkreisen, die für eine
Herabsetzung des Grenzwertes eintreten. Wie schon ALDER ("Blutproben zur
Alkoholbestimmung", 3. Vortragstagung des ACS 1957 S. 27), weist auch
das Gerichtlich-medizinische Institut der Universität Zürich darauf hin,
dass sich der Alkohol bereits bei einem Gehalt von etwa 0,5 Promille im
Blut auswirke und Enthemmungen in Erscheinung treten (vgl. Merkblatt,
veröffentlicht in SJZ 1958 S. 383 /84). Nach Prof. SCHWARZ, dem Leiter
dieses Instituts, sind alle, die sich täglich mit Alkoholvergehen
zu befassen haben, darüber einig, dass es an der Zeit wäre, die
Promillegrenze auf 0,8 herabzusetzen (vgl. Festschrift zum Zentenarium
des Schweiz. Juristenvereins 1961 S. 242). Ähnlich äusserte sich HARTMANN
im Aufsatz "Die Promillegrenze im Strassenverkehr" (Neue Zürcher Zeitung
Nr. 978 vom 13. März 1963). Er führte dort aus, im Laufe von bald 40
Jahren seien alle Ärzte des genannten Institutes zur Überzeugung gelangt,
dass ein Gehalt von 1 Promille selbst für trinkfeste Spitzenfahrer die
äusserste verantwortbare Grenze darstelle; die Frage stelle sich, ob
bei der heutigen Verkehrsdichte die starre Promillegrenze nicht in dem
Sinne gelockert werden sollte, dass auch Fahrzeugführer, die infolge
von Alkoholstörungen den Verkehr gefährden und einen Blutalkoholgehalt
von weniger als 1 Gewichtspromille aufweisen, vermehrt wegen Fahrens in
angetrunkenem Zustand bestraft werden sollten. Am 3. Internationalen
Kongress über Alkohol und Strassenverkehr, der im September 1962
in London stattfand, wurde allgemein die Auffassung vertreten, die
Unfallgefahr nehme spätestens bei 0,5 Promille eindeutig zu; von keiner
Seite wurde es für möglich angesehen, dass Werte über 0,8 Promille im
Strassenverkehr tragbar seien (vgl. SJZ 1962 S. 348 mit Zitat aus der Neuen
Juristischen Wochenschrift 1962 S. 1904). Österreich hat den bisher von der
Rechtsprechung einheitlich angenommenen Grenzwert von 1 Promille durch die
Strassenverkehrsordnung vom 6. Juli 1960 auf 0,8 Promille gesenkt. Nach
einer Verlautbarung des westdeutschen Bundesministeriums der Justiz wird
der Vorschlag, das Führen von Kraftfahrzeugen bei einem Blutalkoholwert
von mindestens 0,8 Promille allgemein zu verbieten, damit begründet, dass
bei diesem Wert nach der nahezu einstimmigen Meinung eines Ausschusses von
massgeblichen Wissenschaftern auf dem Gebiet der Blutalkoholforschung die
Kraftfahrer meistens verkehrsgefährdende Leistungsminderungen aufweisen
(vgl. Deutsche Richterzeitung 1962 S. 63). Andere Staaten wie Dänemark,
Schweden und Norwegen bemessen den Grenzwert noch niedriger (vgl. GRISEL,
L'Analyse du sang, in Journal des Tribunaux 1958 IV S. 144; GAISBAUER,
Fahrsicherheit und 0,8 Promillegrenze, in Juristische Blätter 1963 S. 364
/5). Auch in einzelnen Kantonen wurde schon bisher die Toleranzgrenze
bei 0,8 Gewichtspromillen, entsprechend dem früher angewandten Wert von
1 Volumenpromille angenommen (wie beispielsweise im Kanton Bern).

Erwägung

3.- Im Hinblick auf diese Entwicklung sah sich der Kassationshof
veranlasst, die Frage, welcher Blutalkoholgehalt als Grenzwert für die
Feststellung der Angetrunkenheit der Fahrzeugführer im Sinne des Gesetzes
(Art. 59 MFG; Art. 91 SVG) gelten könne, erneut zu prüfen. Im Bestreben,
die Rechtsprechung auf gesicherte medizinische und biologische Erkenntnisse
zu stützen, liess er sich, ohne Bezugnahme auf den vorliegenden Fall,
von Prof. Dr. med. Läuppi, Bern, Prof. Dr. med. Klelholz, Basel und
Prof. Dr. med. Bernheim, Genf über den jetzigen Stand der Forschung
berichten. Die Gutachter erstatteten ihren Bericht gestützt auf das
einschlägige Schrifttum, auf Unterlagen aus deutschen und österreichischen
Gutachten sowie auf ihre eigenen Erfahrungen. An die Spitze stellen sie
die Untersuchung der Alkoholwirkung auf die Gesamtpersönlichkeit. Im
Mittelpunkt der komplexen Schädigung, so führen sie aus, ständen
Besonnenheitsstörungen und Kritiklosigkeit im weitesten Sinne:
"Ein Mensch, der Alkohol getrunken hat, ist subjektiv - vor allem
im Stadium leichter Alkoholisierung - in der Regel davon überzeugt,
dass seine Fahrsicherheit nicht beeinträchtigt ist. Er glaubt, dass er
eine Ausnahme bilde. Ganz allgemein sinkt aber die Fahrweise selbst
bei einem geübten Motorfahrzeugführer sehr schnell auf die Stufe des
Anfängers herab. Das subjektive Leistungsgefühl ist im Gegensatz zur
objektiven Leistungsfähigkeit gesteigert. Die Fahrweise behält deshalb
unter Alkohol die gleiche "individuelle Tönung", ohne dass aber die
objektiven Voraussetzungen hierfür gegeben sind. Automatismen gehen unter
Alkohol verloren, ohne dass der Betroffene es merkt." Eine weitere
wesentliche Feststellung geht dahin, dass unter Alkoholeinwirkung vor
allem komplexere psychomotorische Leistungsteste Ausfälle zeigen. Die
Fähigkeit, die Aufmerksamkeit dauernd auf einen Gegenstand gerichtet
zu halten (Tenazität), sowie die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit neuen
Gegenständen zuzuwenden (Vigilität), werden herabgesetzt. Derartige
Ausfälle treten in der Regel schon bei Werten von 0,5 Gewichtspromillen
in Erscheinung. Bei gleichbleibender Fähigkeit, das Fahrzeug technisch
richtig zu bedienen, nimmt indessen die Fähigkeit zur Beurteilung
der Gesamtlage deutlich ab. Bei den feinsten Prüfungsmerkmalen in der
resorptiven Phase unter Alkohol finden sich bereits deutliche Störungen
zwischen 0,2 und 0,5 Gewichtspromillen Blutalkoholkonzentration, wobei
in der postresorptiven Phase diese Fälle allerdings bei Werten unter
0,8 Gewichtspromillen nicht mehr nachweisbar sind. Die Gutachter haben
sodann die Leistungsausfälle im einzelnen untersucht. Auch hier bestätigt
sich das Bild einer verlangsamten Auffassung und Aufmerksamkeit, einer
verschlechterten Koordination und Geschicklichkeit. Mit verfeinerten
Nachweismethoden konnte ermittelt werden, dass Gleichgewichtsstörungen
unter wesentlich geringfügigerer Alkoholwirkung auftreten, als früher
angenommen wurde. Schwanken beginnt bereits bei 0,6 Gewichtspromillen,
unter Umständen schon bei 0,4 Gewichtspromillen. SpontanNystagmus der
Augen ist bei Blutalkoholkonzentrationen von 0,5 Gewichtspromillen
in 50% der Fälle, bei solchen von 0,8 Gewichtspromillen in etwa 80%
der Fälle nachweisbar. Die Reaktionszeit ist, wie die Sachverständigen
darlegen, umso stärker beeinträchtigt, je schwieriger, differenzierter
und unerwarteter die verlangte Reizbeantwortung ist. Die unter Alkohol
gelegentlich zu beobachtende Reaktionsbeschleunigung gehe auf Kosten
der Sorgfalt und Zuverlässigkeit. Bezüglich des Sehvermögens ergibt
sich aus dem Gutachten, dass die Tiefeneinstellung schon bei 0,3
Gewichtspromillen verlangsamt, der indirekte Visus zwischen 0,3 und 1,2
Gewichtspromillen stets herabgesetzt, eine Verschlechterung der Konvergenz
schon ab 0,4 Gewichtspromillen zu beobachten ist. Eingehend prüften
die Sachverständigen die Frage des Grenzwertes. Nach einer besonders
sorgfältigen Auseinandersetzung mit der Literatur schlagen sie vor,
auf 0,8 Gewichtspromille zu gehen, vor allem, weil diese Zahl mit der
bisherigen Ordnung nicht vollständig bricht. Sie führen dazu aus:
"Seit in der Schweiz der kritische Grenzwert von 1,0 Gewichtspromillen
vor Jahrzehnten wenigstens de facto als Richtlinie in die Rechtssprechung
eingegangen ist, sind in der Alkoholforschung erhebliche Fortschritte
erzielt worden, speziell in bezug auf Auswirkungen relativ niedriger
Blutalkoholkonzentrationen unter 1,0 Gewichtspromille. Hier konnte das
Beobachtungsgut im Verlauf der Jahre erheblich erweitert werden. Neue
Untersuchungsmethoden und Testkombinationen sowie Fahrversuche an Modellen
oder auf Teststrecken brachten differenziertere Erkenntnisse und erlaubten
vielseitigere sowie präzisere Interpretationen... Der derzeitige Stand
des Wissens kann kurz etwa folgendermassen umschrieben werden: a)
Leistungsminderungen in bezug auf zahlreiche Einzelfunktionen, die im
Verkehr eine Bedeutung haben und exakteren Messmethoden zugänglich sind,
beginnen schon bei ausgesprochen niedrigeren Blutalkoholkonzentrationen,
teilweise unter 0,5 Gewichtspromillen. b) Das daraus resultierende Bild
ist jedoch immer noch zu günstig, bestehen doch bei der Prüfung von
Einzelleistungen optimale Bedingungen, indem sich die Versuchsperson
ausschliesslich auf den Test konzentrieren kann. Bei allen komplexen
Testen waren hingegen die Schädigungen vervielfacht. Da der heutige
Verkehr noch höhere Anforderungen stellen dürfte als dies selbst in
komplexen psychotechnischen Prüfungen der Fall ist, kommt diesem Moment
besondere Bedeutung zu. c) In Fahrversuchen unter genauer Kontrolle
an Modellen und auf Teststrecken (Motorrad und Auto) haben sich
denn auch schon niedrige und niedrigste Blutalkoholkonzentrationen
(0,2 bis maximal 0,8 Gewichtspromillen) auf alle Probanden als
Beeinträchtigung ausgewirkt, wobei entweder die Fehlerzahlen oder der
Zeitbedarf anstiegen d) Die alkoholisch bedingten Verminderungen von
apperzeptiven, psychomotorischen und sinnesphysiologischen Leistungen
sind aber nur Teile einer viel komplexeren Schädigung und stellen in
diesem Sinne - abgesehen von ihrer eigenständigen Bedeutung für die
Verkehrstauglichkeit - Indikatoren für weitere, allerdings nicht in
Zahlenwerten ausdrückbare Alterationen dar, insbesondere solche der
Gesamtpersönlichkeit. Durch zahlreiche Beobachtungen verschiedener
Autoren ist erstellt, dass die Persönlichkeitsveränderungen durch
Alkohol (mangelnde Selbstkritik, Enthemmung, Sorglosigkeit, Minderung
des Verantwortungsbewusstseins, Bereitschaft zum Wagnis, Bewegungsdrang)
für das Verhalten im Verkehr von noch grösserer Bedeutung sind und in
der Regel schon bei noch niedrigeren Blutalkoholwerten auftreten, als
die psychotechnisch messbaren Leistungsminderungen. Verteilungsphänomene
des Alkohols im Gehirn, nämlich höhere Konzentrationen im Rindengrau
als in den übrigen Organabschnitten, stützen diese Erfahrungen über
Persönlichkeitsschädigungen bei niedrigen Blutalkoholwerten. Aus den
statistischen Berechnungen vom Gefährdungskoeffizienten durch Alkohol im
Verkehr (Freudenberg) wie auch aus experimentellen Forschungsergebnissen
am Menschen geht also übereinstimmend hervor, dass schon relativ niedrige
Blutalkoholkonzentrationen die Verkehrstauglichkeit zumindest einschränken.
Da im heutigen Verkehr schon der nüchterne Verkehrsteilnehmer häufig
überfordert ist, wird man jede Leistungsminderung durch Alkohol
ernst nehmen müssen. Sie stellt ein zusätzliches und überdies
unnötiges Risiko dar. In diesem Sinne wäre die Auffassung, dass
eine Blutalkoholkonzentration von 0,5-0,6 Gewichtspromillen in der
überwiegenden Mehrzahl der Fälle bereits einen kritischen Wert darstelle,
in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation
durchaus vertretbar. Allerdings kann gegen eine solche Lösung der Einwand
erhoben werden, dass in einem gewissen Prozentsatz möglicherweise doch
noch eine nicht nennenswert beeinträchtigte Verkehrstauglichkeit bestehen
oder der Nachweis der Untauglichkeit unter den günstigen Bedingungen einer
Nachuntersuchung jedenfalls schwierig sein könne. Als Kompromiss mag es
   deshalb
angezeigt sein, den kritischen Grenzwert etwas höher als 0,6
Gewichtspromille, in Anbetracht der gestiegenen Anforderungen im Verkehr
jedoch niedriger als nach überwiegender bisheriger Übung (meistens 1,0
Gewichtspromille) anzusetzen. Innerhalb dieser Gabel bietet sich eine
Blutalkoholkonzentration von 0,8 Gewichtspromillen als Richtwert an
und liegt in einem Bereich, der sowohl biologischen wie methodischen
Streuungen hinreichend Rechnung trägt." Die Frage, ob Automobilisten,
Motorradfahrer und Radfahrer bezüglich der Toleranzgrenze in Hinsicht auf
den kritischen Grenzwert gleich zu behandeln seien, wird vom Gutachten
vorbehaltlos bejaht. Auch zur umstrittenen Frage der von Mensch zu
Mensch verschiedenen Alkoholtoleranz hat das Gutachten eingehend Stellung
bezogen. Faktoren, welche die Alkoholverträglichkeit auf längere Sicht
oder vorübergehend vermindern können, werden aufgezählt. Sie sind
zum Teil allgemein bekannt. Steigende Bedeutung erhält in diesem
Zusammenhang der eventuell potenzierende Effekt nach Einnahme von
bestimmten Heilmitteln. Was die Toleranzsteigerung anbetrifft, so ist
zwar nicht zu verkennen, dass in gewissen Grenzen die Trinkgewöhnung zu
einer erhöhten Alkoholverträglichkeit führt. Doch wird diese Wirkung in
weiten Kreisen stark überwertet. Wesentlich erscheint, dass die Gutachter
bei ihren bisherigen Untersuchungen auf niemanden gestossen sind, der
bei Blutalkoholwerten von 0,6-0,8 Gewichtspromillen noch keine fassbaren
Leistungsverminderungen in psychotechnischen Versuchen aufgewiesen
   hätte.

Erwägung

4.- Dieses Gutachten, das allgemein gültige Erkenntnisse vermittelt,
überzeugt. Der Kassationshof folgt ihm auch darin, dass sich als Richtwert
für die Feststellung der Angetrunkenheit des Fahrzeugführers eine
Blutalkoholkonzentration von 0,8 Gewichtspromillen rechtfertige. Zwar
wäre nach den Ausführungen der Gutachter die Auffassung, dass ein
Blutalkoholgehalt von 0,5 bis 0,6 Gewichtspromillen in der Mehrzahl der
Fälle bereits einen kritischen Wert darstelle, durchaus vertretbar. Fragen
könnte sich daher, ob der zulässige Gehalt an Blutalkohol auf diesen Wert
herabzusetzen sei, zumal nicht ausser acht gelassen werden darf, dass an
die Fahrtüchtigkeit, die psycho-physische Eignung und Leistungsfähigkeit
des Fahrzeugführers im Vergleich zu den früheren Verhältnissen wesentlich
höhere Anforderungen gestellt werden. Um dem Einwand zu begegnen, dass in
einem gewissen Prozentsatz doch eine nicht nennenswert beeinträchtigte
Verkehrstauglichkeit bestehen oder der Nachweis der Untauglichkeit
unter den günstigen Bedingungen einer Nachuntersuchung schwierig sein
könne, mag es indessen angezeigt sein, die Grenze etwas höher als bei
0,6 Gewichtspromillen, in Anbetracht der gestiegenen Anforderungen im
Verkehr jedoch niedriger als bei 1,0 Gewichtspromille anzusetzen. Für
den Wert von 0,8 Gewichtspromillen spricht auch, dass dieser nach der
Darstellung der Gutachter in einem Bereich liegt, der sowohl biologische
wie methodische Streuungen hinreichend
   berücksichtigt.
Der als Grenzwert bezeichnete Blutalkoholgehalt von 0,8 Gewichtspromillen
stellt demgemäss eine allgemeingültige Grenze dar, der gegenüber der
Einwand höherer individueller Alkoholverträglichkeit - wie schon bei der
bisherigen Promillegrenze - grundsätzlich versagt. Indessen besteht bis
0,8 Gewichtspromille keine in jedem Fall zugesicherte Straffreiheit. Ein
Alkoholgehalt des Blutes von 0,5 bis 0,8 Gewichtspromillen kann, wie das
Gutachten mit Nachdruck hervorhebt, bei gleichzeitig wirksamen, weiteren
Umständen (z.B. Krankheit, Übermüdung) Folgen zeitigen, wie sie bei einem
ausgeruhten, gesunden Menschen erst bei Alkoholkonzentrationen von 0,8
und mehr Gewichtspromillen auftreten.

Erwägung

5.- Die Vorinstanz hat für den Kassationshof verbindlich festgestellt
(Art. 273 Abs. 1 lit. b und 277 bis Abs. 1 BStP), dass Riess mit einem
Blutalkoholgehalt von 0,9 bis 0,95 Gewichtspromillen seinen Wagen geführt
hat. Damit hat er den von weiteren Beweisen und individuellen Unterschieden
unabhängigen Grenzwert überschritten. Da er schon 1957 wegen Führens
eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand gebüsst worden ist, ist
er rückfällig und daher nach Art. 59 Abs. 2 MFG zu bestrafen.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof: Die Nichtigkeitsbeschwerde wird
gutgeheissen, das Urteil der I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons
Zürich vom 10. Januar 1963 aufgehoben und die Vorinstanz angewiesen,
den Beschwerdegegner wegen Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem
Zustand bei Rückfall zu bestrafen. zu bestrafen.