Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 IV 126



90 IV 126

26. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. Juli 1964 i.S. Eggler
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 43 Ziff. 1, 2, 4 und 5 Abs. 2 StGB; Einweisung in eine
Arbeitserziehungsanstalt und Strafvollzug.

    1.  Ob ein Verurteilter, der vom Richter in eine
Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen, dann aber von der Verwaltungsbehörde
in eine Strafanstalt versetzt wurde, hier seine Strafe verbüsste, hängt
von der Natur seines Aufenthaltes in dieser Anstalt ab (Erw. 1).

    2.  Befindet sich der Verurteilte während der ganzen Dauer der
Arbeitserziehungsmassnahme in der Strafanstalt, so kommt ein solcher
Aufenthalt einer Strafverbüssung gleich (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Das Bezirksgericht Zürich verurteilte Eggler am 11.  Februar 1954
wegen wiederholten Betruges, Hehlerei, Urkundenfälschung und weiterer
Straftaten zu einem Jahr Gefängnis. Es schob den Vollzug der Strafe
auf und wies den Verurteilten in Anwendung von Art. 43 Ziff. 1 StGB auf
unbestimmte Zeit in eine Arbeitserziehungsanstalt ein. Auf Anordnung der
Justizdirektion des Kantons Zürich kam Eggler am 20. April 1954 in die
Anstalt Uitikon. Da er hier passiven Widerstand leistete und sich einer
erzieherischen Beeinflussung als unzugänglich erwies, wurde er am 17. Juni
des gleichen Jahres in die Strafanstalt Regensdorf versetzt.

    Am 19. April 1955 bestrafte das Obergericht des Kantons Zürich
Eggler wegen zahlreicher Straftaten, die er nach dem 11. Februar 1954
begangen hatte, mit 15 Monaten Gefängnis. Auch es schob den Strafvollzug
auf und ordnete die Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt an. Die
Massnahme wurde zusammen mit der bereits vom Bezirksgericht verhängten
in der Strafanstalt Regensdorf vollzogen.

    Am 21. Juli 1956 wurde Eggler bedingt aus der Anstalt
entlassen. Während der Probezeit verübte er neue Verbrechen und
Vergehen. Das Schwurgericht des Kantons Zürich verurteilte ihn deswegen
am 1. Juni 1960 zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus und Fr. 100.-- Busse; zudem
stellte es ihn für fünf Jahre in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein.

    B.- Angesichts dieser Straftaten stellte sich die Frage, ob und
inwieweit die am 11. Februar 1954 und 19. April 1955 ausgefällten Strafen
zu vollziehen seien.

    Das Bezirksgericht verzichtete mit Beschluss vom 5. Dezember 1963
zufolge Vollstreckungsverjährung auf den Vollzug der Gefängnisstrafe von
einem Jahr.

    Das Obergericht seinerseits entschied am 13. Dezember 1963, dass
Eggler von den 15 Monaten Gefängnis, die es gegen ihn verhängt hatte,
noch fünf Monate zu verbüssen habe.

    C.- Eggler führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag, es aufzuheben.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde
abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Es ist unbestritten, dass Eggler während der Probezeit vorsätzliche
Verbrechen und Vergehen begangen hat. Das Obergericht hatte deshalb
gemäss Art. 43 Ziff. 5 Abs. 2 StGB darüber zu entscheiden, ob und in
welchem Masse die am 19. April 1955 ausgesprochene Gefängnisstrafe noch
zu vollziehen sei.

    Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er sich seit dem 17. Juni
1954 in der Strafanstalt Regensdorf aufgehalten habe, die keine
Arbeitserziehungsanstalt sei. In Wirklichkeit habe er dort nicht nur
die am 11. Februar 1954, sondern auch die am 19. April 1955 gegen ihn
ausgefällte Gefängnisstrafe verbüsst. Sei die Strafe aber schon getilgt,
so könne sie nicht mehr vollstreckt werden. Ob dieser Einwand zutrifft,
hängt von der Natur des Aufenthaltes in der Anstalt ab.

Erwägung 2

    2.- Dem angefochtenen Urteil ist zu entnehmen, dass die Strafanstalt
Regensdorf den Anforderungen des Art. 43 Ziff. 2 StGB nicht genügt,
weil sie keine Abteilung enthält, die einer Arbeitserziehungsanstalt
gleichgesetzt werden könnte. Das Obergericht ist nichtsdestoweniger
der Auffassung, Eggler habe sich dort nicht in Strafverhaft befunden,
denn dies hätte vorausgesetzt, dass der Richter den Vollzug der Strafe
anordnete (Art. 43 Ziff. 4 StGB). Es ist richtig, dass der Verurteilte
auf Veranlassung der Justizdirektion von Uitikon nach Regensdorf versetzt
worden ist. Es ging dieser Verwaltungsbehörde auch nicht darum, den
Versuch, Eggler zur Arbeit zu erziehen, aufzugeben. Wie das Obergericht
feststellt, hatte die Versetzung in die Strafanstalt bloss den Sinn einer
Disziplinarmassnahme, womit der Widerstand des Verurteilten, der sich
weigerte zu arbeiten, gebrochen werden sollte. So gesehen hat daher der
Beschwerdeführer in Regensdorf keine Gefängnisstrafe verbüsst.

    Fragen kann sich nur, wie es sich damit tatsächlich verhielt. Das
Obergericht führt aus, dass die von ihm angeordnete Massnahme
ausschliesslich in der Strafanstalt vollzogen worden sei. Auch habe
sich der Vollzug nicht oder jedenfalls nicht wesentlich von demjenigen
einer Strafe unterschieden. Diese Erwägungen können nur dahin verstanden
werden, dass der Verurteilte sich in Regensdorf tatsächlich eben doch in
Strafverhaft befand. Mag es auch an der hiefür notwendigen richterlichen
Verfügung im Sinne von Art. 43 Ziff. 4 StGB gefehlt haben, so bleibt
es nichtsdestoweniger dabei, dass sich die Dinge gleich abwickelten,
wie bei der Verbüssung einer Gefängnisstrafe.

    Zwar weist das Obergericht mit Recht darauf hin, dass die
Arbeitserziehungsmassnahme keineswegs sogleich abgebrochen und die
Strafe gestützt auf Art. 43 Ziff. 4 StGB vollzogen werden muss, wenn der
Verurteilte sich weigert zu arbeiten; denn damit würde dieser für den Fall,
dass er den Strafvollzug für vorteilhafter hält, von Anfang an in die
Lage versetzt, den Zweck der Massnahme zu vereiteln und die Anordnung des
Strafvollzuges zu erzwingen. Das kann nicht der Sinn des Gesetzes sein. Die
Vollzugsbehörde muss geeignete Vorkehren treffen können, um den Widerstand
eines arbeitsscheuen Verurteilten zu brechen. Im vorliegenden Falle ist
ihr dies misslungen, weshalb sie Eggler in die Strafanstalt versetzen
liess. Das Obergericht sieht darin eine blosse Disziplinarmassnahme, die
sich mit der Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt jedenfalls dann
vertrage, wenn sie nur vorübergehenden Charakter habe. Die Notwendigkeit
einer solchen Versetzung kann freilich auch der Beweis dafür sein,
dass der Verurteilte nicht mehr zur Arbeit erzogen werden kann. Das gilt
namentlich dann, wenn er sich selbst nach wiederholten oder empfindlichen
Ordnungsstrafen nicht zur Arbeit anhalten lässt oder dazu aufraffen
kann. Wie es sich damit im vorliegenden Fall verhielt, braucht indes
nicht untersucht zu werden; denn nach dem angefochtenen Urteil verblieb
Eggler nicht nur vorübergehend, sondern während der ganzen Dauer der
Arbeitserziehungsmassnahme in der Strafanstalt. Dass dies mit Art. 43
Ziff. 2 StGB nicht vereinbar war, anerkennt auch das Obergericht. Auch
aus diesem Grunde muss angenommen werden, dass der Beschwerdeführer in
Regensdorf in Wirklichkeit eine Freiheitsstrafe verbüsste.

    Vom 19. April 1955 bis zu seiner bedingten Entlassung vom 21. Juli 1956
verbrachte der Beschwerdeführer fünfzehn Monate und zwei Tage im Gefängnis.
Er hat somit die vom Obergericht ausgefällte Strafe verbüsst.

    Für die Anwendung des Art. 43 Ziff. 5 Abs. 2 StGB bleibt folglich
kein Raum mehr.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss der II.
Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 13. Dezember 1963
aufgehoben.