Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 II 62



90 II 62

8. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Januar 1964 i.S. Reinmann gegen
Reimnann. Regeste

    Bäuerliches Vorkaufsrecht nach EGG und Nationalstrassenbau.

    Der Erwerb von Land durch den Staat zum Zwecke der Leistung
von Realersatz (unmittelbar oder im Landumlegungsverfahren) an vom
Nationalstrassenbau betroffene Landwirte geschieht in Erfüllung einer
(bestimmten) öffentlichen, gemeinnützigen Aufgabe im Sinne von Art.
10 lit. b EGG; daher entfällt das Vorkaufsrecht. (Art. 10 und 21 EGG;
Art. 30 ff. Bundesgesetz über Nationalstrassen).

Sachverhalt

    A.- Der Staat Bern kaufte mit Vertrag vom 17. Februar 1961
von Ernst Reinmann zum Preise von Fr. 315'000.-- einen Teil seines
Heimwesens in Wiedlisbach (GB Nr. 403) sowie die dazu gehörenden
Grundstücke GB Nr. 404-407, mit dem Zweck, diese landwirtschaftlich
genützten Grundstücke andern Landwirten, deren Liegenschaften durch die
Nationalstrasse Nr. 1 durchschnitten werden, unmittelbar oder mittelbar
(im Landumlegungsverfahren) als Realersatz anbieten zu können. Dieser
Zweck wurde in Art. 10 des Vertrags ausdrücklich festgehalten:

    "Der Staat Bern erwirbt die Vertragssachen zur Leistung von Realersatz
im Zusammenhang mit der zu erstellenden Autobahn durch die Gemeinde
Wiedlisbach. Soweit die Grundstücke von der Autobahn berührt werden,
könnte der Staat Bern vom Enteignungsrecht Gebrauch machen."

    In Ziffer 12 wurde vereinbart, dass, falls der Staat das erworbene
Teilstück vom GB Nr. 403 A nicht mit dem Bauernbetrieb als Realersatz
verwenden würde, der Verkäufer oder seine Nachkommen es binnen 10 Jahren
zu Fr. 3. - per m2 zurückkaufen können.

    In der Folge machte ein Sohn des Verkäufers, Wilhelm Reinmann-Kurt,
Pächter der verkauften Liegenschaften, das Vorkaufsrecht nach Art. 6 EGG
geltend. Da der Vater das Vorliegen eines Vorkaufsfalles bestritt, reichte
W. Reinmann-Kurt am 30. Oktober 1961 beim Amtsgericht Wangen a.A. gegen
ihn Klage ein mit den Rechtsbegehren auf Anerkennung des Vorkaufsrechts und
Zuspruch des Eigentums zum Schätzungswert gemäss Entschuldungsgesetz. An
die Stelle des im Verlaufe des Prozesses verstorbenen Vaters traten als
gesetzliche Erben die Witwe und 3 Nachkommen; an ihre Seite trat der
Staat Bern als Intervenient.

    B.- Während das Amtsgericht Wangen a.A. die Klage grundsätzlich
guthiess und die Grundstücke dem Kläger zusprach, hat der Appellationshof
des Kantons Bern auf Appellation von 3 Beklagten (1 Bruder unterzog sich
dem Entscheid) mit Urteil vom 6. Mai 1963 die Klage abgewiesen unter
hälftiger Teilung der Kosten.

    C.- Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung
des Klägers mit dem Antrag auf Aufhebung desselben und Anerkennung des
Vorkaufsrechts an den verkauften Liegenschaften, soweit sie nicht direkt
zum Strassenbau verwendet werden.

    Die noch am Rechte stehenden Beklagten (Witwe, 2 Kinder, Staat Bern)
tragen auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen
Urteils an.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Für denjenigen Teil des Grundstückes Nr. 406 (Wiedlisbachmoos),
auf das die Nationalstrasse Nr. 1 direkt zu liegen kommt, haben beide
Vorinstanzen ein Vorkaufsrecht des Klägers deshalb verneint, weil für
diesen Boden dem Käufer Staat Bern das Enteignungsrecht zusteht, sodass
bezüglich dieses Bodens der Ausnahmefall 1 gemäss Art. 10 lit. b EGG
gegeben ist. Dieses Stück nimmt der Kläger denn auch von der Berufung aus
(womit dann freilich die Aufzählung der von der Berufung betroffenen
Grundstücke auf S. 2 der Berufungsschrift nicht übereinstimmt, indem
hier die Nr. 406 mit dem ganzen Flächeninhalt von 465,92 a aufgeführt,
dafür Nr. 403 nicht genannt wird). Dieser unmittelbar beanspruchte Teil
von Nr. 406 ist somit nicht mehr streitig.

Erwägung 2

    2.- Bezüglich der von der Autobahn nicht direkt berührten
Kaufgrundstücke greift das Vorkaufsrecht des Klägers dann nicht Platz,
wenn auf sie die Ausnahmefälle 2 oder 3 des Art. 10 lit. b EGG zutreffen:
wenn der Staat sie "zur Erfüllung öffentlicher, gemeinnütziger oder
kultureller Aufgaben" oder zum Ersatz von zu solchen Zwecken verkauften
Liegenschaften erworben hat.

    Gestützt auf Art. 30, 31, 32 und 36 des Bundesgesetzes
über die Nationalstrassen (vom 8. März 1960) und § 11 der
bern. Vollziehungsverordnung vom 3. März 1961 hiezu sowie auf die
bundesgerichtlichen Urteile BGE 80 I 413 und 83 I 71 hat die Vorinstanz
den Ausnahmefall 2 bejaht, da der Staat die Grundstücke zum Zwecke des
Einwerfens in die durch den Autobahnbau bedingte Landumlegung erwerbe,
worin die Erfüllung einer öffentlichen, vom Bundesgesetzgeber ausdrücklich
vorgesehenen Aufgabe liege. Der Landerwerb diene mithin einem unmittelbar
bestimmten Zweck im Sinne der zitierten bundesgerichtlichen Urteile;
es solle nach Vorschrift des Gesetzes über die Nationalstrassen und
der kantonalen VVO die Durchführung eines Landumlegungsunternehmens
ermöglicht werden, in das der Staat Bern Land einwerfe, um den im
Perimeter des Strassenprojektes zusammengefassten Grundeigentümern
einen allgemeinen prozentualen Landabzug zu ersparen. Die öffentliche
Aufgabe des Landerwerbes für die Erstellung der Nationalstrassen könne
auf diese Weise in der für die betroffenen Grundeigentümer gelindesten
Form bewerkstelligt werden. Der Ankauf von Grundstücken durch den Staat zu
diesem Zwecke erfolge somit zweifellos "zur Erfüllung einer öffentlichen,
gemeinnützigen Aufgabe".

    Diesen grundsätzlichen Ausführungen der Vorinstanz ist ohne
weiteres beizupflichten. Das Bundesgericht hat die Frage kürzlich in
einem gleichartigen Fall betreffend den Nationalstrassenbau im Kanton
Luzern gleich beurteilt (Urteil vom 20. Juni 1963 i.S. Müller-Helfenstein
c. Müller und Staat Luzern, nicht publiziert).

    Was der Berufungskläger gegen diese Auslegung des Art. 10 EGG im
vorliegenden Fall ins Feld führt, ist nicht stichhaltig. Es handelt sich
um folgende Einwendungen:

    a) Der Staat Bern habe ursprünglich nur die Absicht gehabt, die
erworbenen Grundstücke einer Familie Kiener, deren Heimwesen durch die
Nationalstrasse zerstückelt wird, als Realersatz anzubieten. Erst im
Verlaufe des Prozesses sei dann das Landumlegungsverfahren eingeleitet
worden, in welches die erworbenen Grundstücke eingeworfen werden sollten.

    Der Zweck des Liegenschaftserwerbs bleibt jedoch im einen und andern
Fall derselbe. Ob nun die gekauften Grundstücke unmittelbar einem vom
Nationalstrassenbau betroffenen Landwirt als Realersatz zugehalten werden
oder ob dies mittelbar durch das im Bundesgesetz ausdrücklich vorgesehene
sog. Landumlegungsverfahren zu Gunsten eines grösseren Kreises von
Betroffenen geschieht, ändert nichts an der Zweckbestimmung des Erwerbes.

    b) Art. 10 lit. b EGG dürfe nur angewendet werden, wenn die öffentliche
Hand für sich selber Realersatz beschaffen müsse, nämlich wenn sie selber
Land für öffentliche Zwecke verkauft habe und dieses ersetzen müsse.

    Weder Wortlaut noch Sinn der erwähnten Bestimmung bieten jedoch einen
Anhaltspunkt für eine solche enge Auslegung. Übrigens stützt sich die
Vorinstanz für den Ausschluss des Vorkaufsrechts auf Art. 10 lit. b Fall 2
(öffentliche Aufgabe), nicht Fall 3 (Ersatzbeschaffung für verkauftes Land;
vgl. BGE 84 II 125 und 85 II 423 ff.).

    c) Entgegen den Ausführungen S. 13 oben des angefochtenen Urteils
schränke das Bundesgesetz über die Nationalstrassen den Geltungsbereich
des EGG nicht ein.

    Selbstverständlich kann von einer solchen Einschränkung im formellen,
gesetzestechnischen Sinne nicht die Rede sein. Es verhält sich einfach
so, dass das EGG in Art. 10 lit. b das Vorkaufsrecht unter anderem
dann ausgeschlossen hat, wenn das betreffende Liegenschaftsgeschäft zur
Erfüllung öffentlicher usw. Aufgaben abgeschlossen wird. Was unter diese
Zwecke fällt, ist im EGG selber nicht umschrieben, sondern hängt von den
Aufgaben ab, die der öffentlichen Hand jeweilen obliegen. Dass sich diese
Fälle notwendigen Landerwerbs und daherigen Ausschlusses des Vorkaufsrechts
seit dem Erlass des EGG zufolge des Baus der Autobahnen stark vermehrt
haben, liegt auf der Hand. Von einer Einschränkung oder gar "Aufhebung"
des bäuerlichen Vorkaufsrechts kann aber keine Rede sein.

    d) Der Kauf sei nicht zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe,
sondern im Interesse von Privaten erfolgt, weil das erworbene Land dazu
bestimmt sei, den vom Nationalstrassenbau direkt betroffenen Landwirten
Realersatz zu verschaffen.

    Gerade das ist aber die öffentliche Aufgabe, die dem Staat nach
dem Nationalstrassengesetz gestellt ist. Wenn die Ansicht zuträfe,
dass eine öffentliche Aufgabe nur dann vorliege, wenn der Staat für sich
Land erwerbe, also z.B. den Boden für den Strassenkörper, so hätte sich
Art. 10 lit. b EGG auf den Ausnahmefall 1 beschränken können, nämlich
das Vorkaufsrecht für Rechtsgeschäfte auszuschliessen, für die das
Enteignungsrecht gegeben ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist denn auch
sogar der Verkauf an einen Privaten zu berücksichtigen (vgl. Art. 10
lit. b Satz 2 EGG; BGE 85 II 429; zit. Urteil i.S. Müller c. Müller und
Staat Luzern; A. JOST, Handkommentar zum EGG, N. 2 zu Art. 10; A. COMMENT,
Le droit de préemption agricole vu sous l'angle du conservateur du registre
foncier, ZBGR 39/1958 S. 24 Ziff. 3).

    e) Fehl geht endlich der Einwand, der vorliegende Kauf diene
nicht unmittelbar einem bestimmten öffentlichen Zwecke, und allgemeine
öffentliche Interessen ohne gezielte Zweckbestimmung genügten nicht. Der
Staat Bern hat die streitigen Liegenschaften nicht etwa zum voraus ins
Blaue hinein als allgemeine Landreserve für einstweilen noch unbestimmte
zukünftige Aufgaben erworben, was allerdings den Ausnahmefall 2 des
Art. 10 lit. b EGG nicht zu begründen vermöchte, sowenig wie die
Ablehnung eines Einspruches nach dem gleichlautenden Art. 21 Abs. 1
lit. b EGG (wozu vgl. BGE 80 I 413, 83 I 70 ff., 84 II 125). Vielmehr
erwarb der Staat diese Landstücke im Hinblick auf die definitiv geplante,
im Bau befindliche Nationalstrasse Nr. 1, um sie teils bei Landumlegungen
einwerfen, teils Grundeigentümern, deren Grundstücke vom Strassentrassee
durchschnitten werden, als Realersatz anbieten zu können. Es handelt
sich somit offensichtlich um eine mit dem konkreten, lokal fixierten,
in Ausführung begriffenen Autostrassenbau unmittelbar zusammenhängende
Massnahme.

Erwägung 3

    3.- Erweist sich mithin die Berufung ohne jeden Zweifel als
unbegründet, ist sie gemäss Art. 60 Abs. 2 OG ohne öffentliche Beratung
zu erledigen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des
Kantons Bern, III. Zivilkammer, vom 6. Mai 1963, soweit es angefochten
wird, bestätigt.