Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 II 476



90 II 476

54. Urteil der II. Zivilabteilung vom 4. Dezember 1964 i.S. Knie gegen
Meyer und Konsorten. Regeste

    1. Anforderungen an den Berufungsantrag gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. b OG
(Erw. 1).

    2. Unverjährbare erbrechtliche Feststellungsklage bei
Ungültigkeitsfällen, die nicht Art. 519 und 520 ZGB betreffen (Erw. 2).

    3. Auslegung eines Testamentes; Stellt der vom Erblasser in concreto
ausgedrückte "Wunsch" eine erbrechtlich erhebliche Verfügung oder nur
einen unverbindlichen Wunsch zu Händen der Erben dar? (Erw. 3 und 4).

Sachverhalt

    A.- Am 1. Juli 1940 starb Zirkusdirektor Charles Knie.  Unter seinen
gesetzlichen Erben, der Ehefrau Marie Antoinette Knie-Meyer und den
Brüdern Friedrich und Eugen wurde ein Erbteilungsvertrag abgeschlossen.
Mit Ausnahme von 28 Namensaktien der Aktiengesellschaft Gebrüder Knie,
Schweizer National-Circus gingen sämtliche Aktiven des Nachlasses in
das unbeschränkte Eigentum der Witwe Marie Antoinette Knie-Meyer über;
darunter befand sich das Haus Diana in Rapperswil.

    Marie Antoinette Knie-Meyer starb am 15. Juni 1961. Ein Teil ihres
Nachlasses ist umstritten. Und zwar erhob Eliane Knie, die Tochter des
in der Zwischenzeit verstor- benen Eugen Knie, Ansprüche gegen die
gesetzlichen Erben, die Geschwister Meyer, sowie gegen das Luzerner
Blindenheim, Horw, das von der Erblasserin mit einem Vermächtnis bedacht
wurde.

    B.- Der kinderlos verstorbene Charles Knie hatte am 11.  Mai 1938 eine
eigenhändige letztwillige Verfügung errichtet und in Ziffer 2 bestimmt:

    "Für meinen ganzen Nachlass setze ich meine liebe Frau Antoinette
Knie... als Universalerbin ein, der zum voraus ein Drittel meines
Vermögens aus Güterrecht zufallen soll. Am pflichtteilsgeschützten
Erbteil meiner Brüder soll ihr ferner die lebenslängliche Nutzniessung
ohne Sicherstellungspflicht zustehen."

    Folgende, für den Rechtsstreit wichtigen Bestimmungen der
ursprünglichen Verfügung wurden in einem Nachtrag vom 18. Februar 1939
abgeändert:>

    Ursprüngliche Fassung 3. Als Nacherben meiner Frau setze ich die beiden
Kinder Fredy und Rolf meines Bruders Friedrich Knie ein. Meine Frau als
Vorerbin soll zu ihren Lebzeiten aber frei und ohne Einschränkung über
meine Hinterlassenschaft verfügen und diese verwalten können. Sie ist
den Nacherben nicht zur Sicherstellung verpflichtet.

    Abänderung

    (Abänderung des Satzes: Als Nacherben... setze ich... ein) Als
Nacherben meiner Frau überlasse ich derselben, ihren Erbanteil nach
eigenem Ermessen meinen Brüdern und deren Kindern zu vermachen.

    5. An meine letztwillige Verfügung knüpfe ich den Wunsch, dass meine
Liegenschaft 'Zur Diana' in Rapperswil mit Einrichtung nicht veräussert
werden soll, um meiner lieben Frau, meinen lieben beiden Neffen Fredy
und Rolf Knie und deren Nachkommen ein Ruheplätzchen zu verbleiben.

    An meine letztwillige Verfügung knüpfe ich den Wunsch, dass meine
Liegenschaft' Zur Diana' in Rapperswil mit Einrichtung nicht veräussert
werden soll, um meiner lieben Frau und nach deren Ableben meinen Brüdern
Friedrich und Eugen Knie und deren Kindern ein Ruheplätzchen zu verbleiben.

    Am 14. Juli 1954 und 29. Mai 1958 verfügte die Erblasserin Marie
Antoinette Knie-Meyer durch letztwillige Verfügung, die Liegenschaft Diana
in Rapperswil samt Mobiliar solle dem luzernischen Blindenheim in Horw
(Waldegg) zufallen; zudem vermachte sie dieser Institution zur Bestreitung
der Unterhaltskosten der Liegenschaft den Betrag von Fr. 50 000.--.

    C.- Eliane Knie reichte gegen die gesetzlichen Erben der Marie
Antoinette Knie-Meyer, die Geschwister Meyer (Beklagte 1-3), sowie gegen
das luzernische Blindenheim in Horw (Beklagte 4) Klage ein mit folgenden
Begehren:

    "1. Es seien die letztwilligen Verfügungen der Erblasserin, Frau
Marie Antoinette Knie-Meyer, gestorben 15. 6. 1961, wohnhaft gewesen
in Rapperswil /SG, vom 28. Mai 1958 und vom 14. Juli 1954, ungültig
zu erklären, soweit die Erblasserin über die Liegenschaft "Diana",
Kat.-Nr. 520, Rapperswil /SG, und deren Einrichtung verfügt hat."

    "2. Es seien die Beklagten 1-4 zu verpflichten, der Klägerin die
Liegenschaft "Diana", Kat. - Nr. 520, Rapperswil /SG, mit Einrichtung,
sowie die Eigentümerschuldbriefe im Betrage von Fr. 24 000.--, auszuliefern
und es seien die Beklagten 1-4 zu verpflichten, die genannte Liegenschaft
im Grundbuch Rapperswil /SG auf die Klägerin zu übertragen, eventuell
sei das Grundbuchamt Rapperswil /SG anzuweisen, die genannte Liegenschaft
als Eigentum der Klägerin einzutragen."

    Das Bezirksgericht See und das Kantonsgericht St. Gallen wiesen die
Klage ab.

    D.- Die Klägerin hat Berufung an das Bundesgericht erklärt und
beantragt, es sei das Urteil des Kantonsgerichtes St. Gallen aufzuheben,
und es seien die Klagbegehren 1 und 2, eventuell nur das Klagbegehren 2
zu schützen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Berufungsschrift muss gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. b OG die
genaue Angabe enthalten, welche Punkte des vorinstanzlichen Entscheides
angefochten und welche Abänderungen beantragt werden. Der blosse Hinweis
auf im kantonalen Verfahren gestellte Anträge genügt nicht. Nach der
Rechtsprechung brauchen aber die begehrten Änderungen im Berufungsantrag
nicht vollständig um schrieben zu werden. Es genügt, wenn aus dem Antrag
in Verbindung mit der Berufungsbegründung oder mit dem vorinstanzlichen
Urteil ohne weiteres ersichtlich ist, welche Änderungen nach dem Willen
des Berufungsklägers erfolgen sollen (BGE 78 II 448 Erw. 1, 80 II 245
Erw. 1, 81 II 251 Erw. 1, 85 II 481 Erw. 1 und 531 Erw. 1 sowie 88 II 206
Erw. 2). Diese Mindestanforderungen sind hier erfüllt. Die Klagbegehren,
deren Schutz die Berufungsklägerin in vollem Umfang verlangt, sind
im Ingress des angefochtenen Urteils des Kantonsgerichtes wörtlich
wiedergegeben. Auf die Berufung ist deshalb einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Umstritten ist, ob der Nachlass der Marie Antoinette Knie-Meyer
durch das Testament ihres vorverstorbenen Ehegatten Charles Knie belastet
wird, in welchem dieser mit Nachtrag vom 18. Februar 1939 den Wunsch
ausgedrückt hat, die Liegenschaft zur Diana in Rapperswil solle nicht
veräussert, sondern als Ruheplätzchen für seine Frau, die Brüder Friedrich
und Eugen sowie deren Kinder erhalten bleiben. Die Klägerin, eine Tochter
des Eugen Knie, leitet aus dieser Testamentsstelle Rechte ab und verlangt,
das Testament der Marie Antoinette Knie-Meyer vom 14. Juli 1954 /29. Mai
1958, mit dem das Haus zur Diana dem luzernischen Blindenheim in Horw
vermacht worden ist, sei ungültig zu erklären und die Liegenschaft an
die Klägerin herauszugeben.

    Die Aktivlegitimation der Klägerin ist für beide Rechtsbegehren
zu bejahen; im Gegensatz zur Vorinstanz auch für den Antrag auf
Ungültigerklärung des Testamentes. Wohl fehlt es an den Voraussetzungen
für eine Ungültigkeitsklage gemäss Art. 519 und 520 ZGB. Das Begehren
der Klägerin auf Ungültigerklärung ist jedoch dahin zu verstehen,
das Testament der Marie Antoinette Knie sei insofern unwirksam, als
sie die Liegenschaft zur Diana trotz fehlender Verfügungsbefugnis
vermacht habe. Um dies gerichtlich feststellen zu lassen, steht ihr
eine unverjährbare Feststellungsklage zu (vgl. BGE 89 II 184, 81 II 27
Erw. 4; ferner Vorbemerkungen zu Art. 519 bis 521 ZGB, bei TUOR N. 8-12,
bei ESCHER N. 2).

Erwägung 3

    3.- Das Schicksal der Klage hängt davon ab, ob der "Wunsch", den
Charles Knie in sein berichtigtes Testament von 1939 betreffend die
Liegenschaft zur Diana aufgenommen hat, eine erbrechtlich erhebliche
Verfügung ist, oder nur ein unverbindlicher Wunsch zu Händen seiner
Erben. Die Vorinstanz hat das Testament in letzterem Sinne ausgelegt. An
diese Auslegung ist das Bundesgericht jedoch nicht gebunden. Seiner Prüfung
untersteht nach ständiger Praxis das, was der Erblasser wollte; verbindlich
sind für das Bundesgericht nur die tatsächlichen Feststellungen, aus denen
dieser Wille erschlossen wird (BGE 50 II 109, 228 Erw. 2; 52 II 431 Erw. 2;
56 II 354 oben; 79 II 39 Erw. 1; 82 II 518 Erw. 5; 84 II 510 in fine;
88 II 71; vgl. auch 69 II 319 f.; abweichend 69 II 75; ferner DESCHENAUX,
La distinction du fait et du droit dans les procédures de recours au
Tribunal fédéral, S. 87 f.).

Erwägung 4

    4.- Bei seiner Beurteilung der Tragweite der Testamentsnachträge
vom 19. Februar 1939 hat sich das Kantonsgericht an die richtigen
Auslegungsgrundsätze gehalten. Es hat auf Grund der Testamentsurkunden
zu ermitteln versucht, was der Erblasser unter der umstrittenen Wendung,
"an meine letztwillige Verfügung knüpfe ich den Wunsch,...", verstanden,
was er damit gewollt hat (BGE 47 II 29 Erw. 3, BGE 83 II 435 /436; TUOR,
Vorbemerkungen zu Art. 481-497 ZGB, N. 15; PICENONI, Die Auslegung von
Testament und Erbvertrag, S. 67).

    a) Es fällt auf, dass der Erblasser die juristischen Ausdrücke
des Erbrechtes genau kennt und in seinem Testament klare erbrechtliche
Verfügungen getroffen hat. So hat er schon in der Fassung des Testamentes
vom 11. Mai 1938 erklärt, er entziehe seinen gesamten Nachlass der
gesetzlichen Erbfolge, setze die pflichtteilsberechtigten Erben auf den
gesetzlichen Pflichtteil, bestimme seine Ehefrau als Universalerbin und
seine beiden Neffen Fredy und Rolf Knie als Nacherben; seine Ehefrau
dürfe als Vorerbin ohne Einschränkung über die Hinterlassenschaft
verfügen und sei den Nacherben nicht zur Sicherstellung verpflichtet. Im
Testamentsnachtrag hat er dann - worüber die Parteien einig sind -
sinngemäss die Nacherbeneinsetzung seiner Neffen aufgehoben und es seiner
Gattin überlassen, ihren Erbteil nach eigenem Ermessen an seine Brüder
und deren Kinder zu vermachen.

    b) Auf die klaren und eindeutigen Verfügungen in Ziffern 1-3 des
Testamentes folgt in Ziffer 4 die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers
und am Schluss, in Ziffer 5, die Erklärung: "An meine letztwillige
Verfügung knüpfe ich den Wunsch...". Mit dieser Wendung wird nach
dem ganzen Testamentstext keine erbrechtliche Anordnung getroffen. Der
Erblasser äussert nur den unverbindlichen Wunsch, das Haus zur Diana solle
seiner Ehefrau und den näher bezeichneten Verwandten als Ruheplätzchen
dienen und nicht verkauft werden. Hätte Charles Knie über die zukünftige
Verwendung des Hauses zur Diana letztwillige Anordnungen treffen wollen,
so wäre er den durch das Erbrecht vorgesehenen Verfügungsmöglichkeiten
nachgegangen und hätte beispielsweise, dem Zweck des geäusserten Wunsches
entsprechend, eine Stiftung gemäss Art. 493 ZGB verfügt.

    c) Entgegen der Auffassung der Klägerin kann in Ziffer 5 keine Ausnahme
von Ziffer 3, mit welcher der Ehefrau die unbeschränkte Verfügungsfreiheit
über den Nachlass eingeräumt worden ist, erblickt werden. Charles Knie
hat für die Liegenschaft zur Diana nicht etwas anderes als für den
übrigen Nachlass angeordnet und das Haus nicht unter allen Umständen den
"Zirkusleuten" erhalten wollen. Er hat lediglich zuhanden seiner Ehefrau
und übrigen Erben den Wunsch geäussert, die freie Verfügungsmöglichkeit
nicht zu benutzen. Ziffer 5 des Testamentes beinhaltet einen nicht
seltenen Zusatz, mit dem der Erblasser den Erben eine Anregung macht,
wie sie allenfalls später über die Erbschaftsaktiven verfügen könnten.

    d) Richtig ist, dass mit den Worten wünschen oder Wunsch in einem
Testament der letzte Wille eines Erblassers zum Ausdruck kommen kann. So
ist in BGE 88 II 67 f. der von einer Erblasserin an eine Bank gerichtete
Brief mit der Wendung "je désire que..." als letztwillige Verfügung
ausgelegt worden. Mit dieser Ausdrucksweise kann man im Verkehr mit einer
Bank auf den Todesfall hin bestimmte verbindliche Aufträge erteilen. Im
vorliegenden Fall jedoch hat der Erblasser scharf zwischen letztwilliger
Verfügung und blossem Wunsch unterschieden; es geht nicht an, seinen
Wunsch den erbrechtlichen Anordnungen gleichzustellen.

Erwägung 5

    5.- Die überlebende Marie Antoinette Knie-Meyer ist somit berechtigt
gewesen, die Liegenschaft dem luzernischen Blindenheim in Horw zu
vermachen. Ihr Testament ist im angefochtenen Punkt nicht unwirksam; auch
das Begehren auf Eigentumsübertragung des Hauses zur Diana an die Klägerin
ist unbegründet. Ob dem beklagten Blindenheim die Passivlegitimation
fehlt und ihm gegenüber schon aus diesem Grunde die Klage abzuweisen wäre,
kann offen bleiben.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das angefochtene Urteil des
Kantonsgerichtes St. Gallen, I. Zivilkammer, vom 18. Dezember 1963
bestätigt.