Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 II 310



90 II 310

36. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Oktober 1964 i.S. Hurni gegen
Milchverwertungsgenossenschaft Neuenkirch. Regeste

    Genossenschaft. Machen die Statuten die Mitgliedschaft vom Eigentum
an einem Grundstück abhängig (Art. 850 Abs. 1 OR) und schreiben sie
vor, dass mit der Veräusserung des Grundstücks die Mitgliedschaft ohne
weiteres auf den Erwerber übergeht (Art. 850 Abs. 2 OR), so ist diese
Statutenbestimmung dem Erwerber gegenüber wirksam, wenn sie im Grundbuch
vorgemerkt ist (Art. 850 Abs. 3 OR) oder wenn der Erwerber sich ihr
unterzieht. Unterziehung durch schlüssiges Verhalten.

Sachverhalt

    A.- Josef Hurni kaufte am 1. März 1950 von seinem Vater, der seit 1941
Mitglied der Milchverwertungsgenossenschaft Neuenkirch war, den Bauernhof
Oberegg in Neuenkirch. Die Statuten der Genossenschaft sehen in § 6 vor,
Mitglied könne werden, wer ein Grundstück zu Eigentum besitze oder als
bäuerlichen Betrieb bewirtschafte, und bestimmen in § 7:

    "Die Mitgliedschaft wird erworben:

    a)  durch den Beitritt...

    b)  infolge Erbganges...

    c)  durch die Übertragung von Grundstücken oder landwirtchaftlichen
Betrieben.

    Mit der Veräusserung des Grundstückes geht die Mitgliedschaft ohne
weiteres auf den Erwerber über. Diese Bestimmung ist im Grundbuche
(Hypothekarprotokoll) vorzumerken.

    "

    Das Grundbuchblatt der Liegenschaft Oberegg enthielt keine Vormerkung
im Sinne dieser Statutenbestimmung, und Josef Hurni erklärte auch nicht
etwa den Beitritt zur Genossenschaft, lieferte aber die Milch seiner
Kühe jahrelang in die Käserei der Genossenschaft und nahm wie früher sein
Vater an ihren Generalversammlungen teil.

    B.- Am 19. Juli 1962 verhinderte Hurni, welcher den Aufsichtsorganen
der Genossenschaft schon 1960/1961 Schwierigkeiten gemacht hatte, die
Besichtigung seines Stalles. Am Abend des gleichen Tages wies deshalb der
Käsereiaufseher seine Milchlieferung zurück und erklärte ihm, Milch werde
ihm erst wieder abgenommen, wenn er die Stallbesichtigung zulasse. Seither
beliefert Hurni die Käserei der Genossenschaft nicht mehr und bestreitet,
dieser anzugehören.

    C.- Am 10. August 1963 leitete die Genossenschaft gegen Hurni Klage
auf Feststellung seiner Mitgliedschaft ein.

    In Übereinstimmung mit dem Amtsgericht Sursee hat das Obergericht
des Kantons Luzern die Klage mit Urteil vom 3. Juli 1964 gutgeheissen.

    D.- Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die Berufung an das
Bundesgericht erklärt. Er beantragt die Abweisung der Klage.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Mit den wiedergegebenen Statutenbestimmungen hat die Klägerin
von der durch Art. 850 Abs. 1 und 2 OR geschaffenen Möglichkeit Gebrauch
gemacht, die Mitgliedschaft bei einer Genossenschaft vom Eigentum an
einem Grundstück oder vom wirtschaftlichen Betrieb eines solchen abhängig
zu machen und für solche Fälle vorzusehen, dass mit der Veräusserung
des Grundstücks oder mit der Übernahme des wirtschaftlichen Betriebs die
Mitgliedschaft ohne weiteres auf den Erwerber oder Übernehmer übergeht. Die
in § 7 lit. c Abs. 2 der Statuten enthaltene Vorschrift über die Vormerkung
im Grundbuch knüpft an Art. 850 Abs. 3 OR an, wonach die (Statuten-)
Bestimmung betreffend den Übergang der Mitgliedschaft bei Veräusserung
des Grundstücks zu ihrer Gültigkeit gegenüber Dritten der Vormerkung im
Grundbuch bedarf.

    Art. 850 Abs. 3 OR bedeutet nicht, dass die Veräusserung des
Grundstücks den in den Statuten für diesen Fall vorgesehenen Übergang
der Mitgliedschaft auf den Erwerber nur dann zu bewirken vermöge, wenn
die betreffende Statutenbestimmung im Grundbuch vorgemerkt wurde. Die
Vormerkung stellt entgegen der Auffassung des Beklagten nicht ein
formelles Gültigkeitserfordernis dieses Übergangs dar. Sie dient hier
wie in andern Fällen (vgl. namentlich Art. 959 ZGB) lediglich dem
Zwecke, die Durchsetzung eines persönlichen Rechts gegenüber nicht
zustimmenden Dritten zu ermöglichen, und ist dementsprechend nur die
Voraussetzung dafür, dass der Erwerber sich auch dann, wenn er damit
nicht einverstanden ist, als Mitglied behandeln lassen muss. Kraft der
Vormerkung geht die Mitgliedschaft mit der Veräusserung des Grundstücks
ohne Rücksicht auf den Willen des Erwerbers auf diesen über. Ist der
Erwerber mit dem Übergang der Mitgliedschaft einverstanden, so ist
eine auf Art. 850 Abs. 2 OR gestützte Statutenbestimmung, wonach die
Veräusserung des Grundstücks die Mitgliedschaft "ohne weiteres" auf den
Erwerber übergehen lässt, im Sinne dieses klaren Wortlauts anwendbar, auch
wenn sie nicht vorgemerkt wurde. Eine solche Bestimmung begründet nicht
bloss die Verpflichtung des Veräusserers, dem Erwerber die Mitgliedschaft
zu überbinden (BGE 89 II 145), sondern die Genossenschaft ordnet damit
überdies auf Grund einer ausdrücklichen Ermächtigung des Gesetzgebers
an, dass mit der Übertragung des Eigentums am Grundstück der Erwerber
ohne weitere Förmlichkeit anstelle des Veräusserers ihr Mitglied werden
soll. Diese statutarische Anordnung ist dem Erwerber gegenüber wirksam,
wenn sie vorgemerkt ist oder wenn er sich ihr unterzieht. Tut er dies, so
liegt darin nicht etwa eine Beitrittserklärung, die nach Art. 840 Abs. 1 OR
der schriftlichen Form bedürfte. Vielmehr anerkennt er damit nur, gemäss
der in Frage stehenden Statutenbestimmung infolge des Grundstückserwerbs
Mitglied der Genossenschaft zu sein. Diese Anerkennung kann formlos,
auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen.

Erwägung 2

    2.- Nach dem angefochtenen Urteil hat sich der Beklagte mehr als 10
Jahre lang als Mitglied der Klägerin "gefühlt und betätigt". Er lieferte
ihr Milch und nahm an den Generalversammlungen teil, und zwar nicht etwa
bloss als Gastbauer im Sinne von § 31 der Statuten, d.h. mit einem auf die
Art der Milchverwertung, die Festsetzung des Milchpreises, den Verkauf der
Milch und die Anstellung des Lohnkäsers beschränkten Stimmrecht. Gastbauern
hatte die Klägerin überhaupt nicht. An den Generalversammlungen wurden
alle Teilnehmer gleich behandelt und hielten sich alle, namentlich auch
der Beklagte, für gleichberechtigt.

    Diese Feststellungen der Vorinstanz betreffen tatsächliche
Verhältnisse. Tatsächlicher Natur sind entgegen der Ansicht des Beklagten
nicht bloss die Feststellungen darüber, was die Zeugen aussagten, sondern
auch die Schlüsse, welche die Vorinstanz aus diesen Aussagen auf das
Verhalten und die Auffassungen des Beklagten und der Genossenschaftsorgane
gezogen hat. Diese Schlüsse sind das Ergebnis einer Beweiswürdigung,
die der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen ist. Dass die
wiedergegebenen Feststellungen unter Verletzung bundesrechtlicher
Beweisvorschriften zustande gekommen seien oder offensichtlich auf Versehen
beruhen, behauptet der Beklagte mit Recht nicht. Sie sind daher gemäss
Art. 63 Abs. 2 OG für das Bundesgericht verbindlich.

    Indem der Beklagte sich in der beschriebenen Weise vom Erwerb des
väterlichen Hofes an während vieler Jahre als Mitglied der Klägerin benahm,
hat er sich der statutarischen Anordnung, wonach die Mitgliedschaft
mit der Veräusserung des Grundstücks ohne weiteres auf den Erwerber
übergeht, durch schlüssiges Verhalten unterzogen. Er ist daher gemäss
Erwägung 1 hievor Mitglied der Klägerin geworden, obwohl die betreffende
Statutenbestimmung im Grundbuch nicht vorgemerkt war.

Erwägung 3

    3.- Ist im vorliegenden Falle aus den angeführten Gründen unerheblich,
dass eine Vormerkung im Grundbuch fehlte, so stellt sich die Frage nicht,
ob es, wie die Vorinstanz annahm, einen Rechtsmissbrauch bedeutete,
dass der Beklagte sich auf den Mangel einer solchen Vormerkung berief.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des
Kantons Luzern (I. Kammer) vom 3. Juli 1964 bestätigt.