Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 II 149



90 II 149

18. Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. Juni 1964 i.S. Lamatrice gegen
Heim Regeste

    Vaterschaftsklage; Blutgruppenuntersuchung.

    Der Beklagte hat von Bundesrechts wegen auf Durchführung der
Blutgruppenuntersuchung zur Zerstörung der Vermutung seiner Vaterschaft
Anspruch, ohne dass er vorerst bestimmte Anhaltspunkte für Mehrverkehr
der Kindsmutter dartun müsste.

    Diesen Anspruch kann der Richter auch nicht mit der Begründung
verneinen, es sei der Kindsmutter zu glauben, dass sie in der kritischen
Zeit mit keinem andern Manne geschlechtlich verkehrt habe.

    Auch ein im Ausland wohnender Beklagter kann die Durchführung der
Blutuntersuchung verlangen. (Art. 314 Abs. 2 ZGB).

Sachverhalt

    A.- Die in Badisch-Rheinfelden wohnhafte Deutsche Doris Charlotte Heim
gebar am 8. Dezember 1960 ausserehelich das Kind Dieter Manfred. Dieses,
verbeiständet durch das Kreisjugendamt Säckingen, erhob Vaterschaftsklage
gegen den damals in Möhlin-Riburg (AG) wohnenden Italiener Benvenuto
Lamatrice. Das Bezirksgericht Rheinfelden und, in Abweisung der Appellation
des Beklagten, das Obergericht des Kantons Aargau haben die Klage
gutgeheissen und den - inzwischen fremdenpolizeilich aus der Schweiz
ausgewiesenen und in Mülhausen (Elsass) domizilierten - Beklagten zu
Unterhaltsbeiträgen von Fr. 75.- und den Verfahrenskosten verurteilt. Auf
Grund der Aussagen der als Zeugin einvernommenen Kindsmutter sowie
mehrerer weiterer Zeugen stellte das Obergericht fest, dass zwischen der
Kindsmutter und dem Beklagten um den 8. März 1960 und nochmals ca. 14
Tage später, also in der kritischen Zeit (12. Februar bis 11. Juni 1960),
Geschlechtsverkehr stattgefunden habe und dass die vom Beklagten erhobenen
Einreden des Mehrverkehrs und des unzüchtigen Lebenswandels tatbeständlich
nicht bewiesen worden seien. "Im Gegenteil - folgert die Vorinstanz - ist
festzuhalten, dass die Behauptung der Kindsmutter, sie habe bisher ausser
mit dem Beklagten noch mit keinem andern Mann intim verkehrt, glaubwürdig
ist und daher als wahr zu gelten hat". Der Beklagte habe nun allerdings vor
erster Instanz zur Entkräftung der Vaterschaftsvermutung die Durchführung
einer Blutuntersuchung beantragt und diesen Antrag vor Obergericht
wiederholt. Es stelle sich daher die Frage, ob die Blutuntersuchung in
zweiter Instanz noch anzuordnen sei. Das Obergericht verneinte dies,
weil erstens nach dem Ergebnis des Beweis- und Untersuchungsverfahrens
gar nichts vorliege, das auf irgendwelche Beziehungen der Kindsmutter
zu andern Männern schliessen liesse oder solche Beziehungen auch nur in
den Bereich des Möglichen rücken würde, im Gegenteil "der Kindsmutter zu
glauben ist, dass sie nur mit dem Beklagten intime Beziehungen hatte,
und weil zweitens, nachdem der Beklagte fremdenpolizeilich aus der
Schweiz ausgewiesen worden ist und nun in Frankreich wohnt, die gehörige
Durchführbarkeit der Blutuntersuchung doch wohl sehr fraglich, wenn nicht
gar unmöglich geworden ist". Es bleibe daher bei der gesetzlichen Vermutung
der Vaterschaft des Beklagten gemäss Art. 314 Abs. 1 ZGB.

    B.- Mit der vorliegenden Berufung beantragt der Beklagte Aufhebung
dieses Urteils und Abweisung der Klage, ev. Rückweisung der Sache an
die Vorinstanz zur Vornahme einer Blutuntersuchung nach allen derzeit
bekannten und beweistauglichen Methoden.

    Das berufungsbeklagte Kind trägt auf Abweisung der Berufung an.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Hauptantrag der Berufung auf direkte Abweisung der Klage
durch das Bundesgericht wird im Text nicht begründet - und kann auch
nicht begründet werden, da auf Grund der tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz, an die das Bundesgericht gebunden ist, weder die Einrede des
Mehrverkehrs noch des unzüchtigen Lebenswandels erstellt ist.

Erwägung 2

    2.- Dagegen ist der Eventualantrag begründet. Wie die Vorinstanz
feststellt, hat der Beklagte sowo.hl vor dem Bezirks- als dem Obergericht
die Durchführung der Blutuntersuchung mit dem Ziel des Ausschlusses seiner
Vaterschaft verlangt.

    Die Rechtsprechung des Bundesgerichts hat seit Jahren die
Blutgruppenuntersuchung als (gegebenenfalls) schlüssiges Beweismittel
zur Zerstörung der Vermutung der Vaterschaft des Beklagten und einen
daherigen Anspruch des letztern auf Durchführung derselben anerkannt (BGE
60 II 84, 61 II 76, 64 II 253), und zwar hat der beweisbelastete Beklagte
diesen Anspruch "ohne weiteres", d.h. ohne dass er vorerst bestimmte
Anhaltspunkte für Mehrverkehr der Kindsmutter dartun müsste. Ein solches
Präliminarerfordernis hat die Rechtsprechung des Bundesgerichts für den
Vaterschaftsprozess nicht aufgestellt - im Gegensatz zu den Prozessen
auf Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes, wo aus den in BGE 87 II
15 und in den dort zit. früheren Entscheiden dargelegten Gründen die
Blutprobe nur verlangt werden kann, wenn bereits durch andere Beweismittel
Tatsachen erstellt sind, die eine aussereheliche Erzeugung des Kindes als
möglich erscheinen lassen (BGE 87 II 288 f.). Von dieser letzteren Praxis
über die Anfechtung der Ehelichkeit hat sich offenbar die Vorinstanz
leiten lassen, wenn sie dem Beklagten mangels sonstiger Indizien für
die Wahrscheinlichkeit oder auch nur Möglichkeit von Drittbeziehungen
der Kindsmutter ein Anrecht auf Durchführung der Blutprobe abgesprochen
hat. Besteht mithin nach konstanter Rechtsprechung ein solcher auf
Bundesrecht beruhender Anspruch, so könnte eine Verweigerung der
Blutuntersuchung nur aus prozessualen Gründen in Frage kommen, etwa weil
der Beklagte den Antrag nicht nach dem kantonalen Prozessrecht form- und
fristgerecht gestellt hat. In casu stellt die Vorinstanz vorbehaltlos fest,
dass der Beklagte vor beiden kantonalen Instanzen den Antrag gestellt -
also prozessual rechtsgültig gestellt - hat.

    Der dem Beklagten zustehende Anspruch auf Führung des Gegenbeweises,
dass der Kläger nicht von ihm abstamme, kann auch nicht mit der Begründung
verneint werden, nach den glaubwürdigen Aussagen der Kindsmutter
stehe fest, dass sie während der kritischen Zeit mit keinem andern Mann
geschlechtlich verkehrt habe, womit der Beweis erbracht sei, dass nur der
Beklagte der Vater des Klägers sein könne. Darin liegt eine antizipierte
Beweiswürdigung; denn es wird dadurch dem Ergebnis der Blutuntersuchung
gegenüber den Aussagen der Kindsmutter zum vornherein die Tauglichkeit als
Beweismittel abgesprochen. Eine solche antizipierte Beweiswürdigung ist
indessen nur zulässig, wenn feststeht, dass die beantragte Beweisführung
keinen Einfluss auf das schon feststehende Beweisergebnis haben könnte,
wie immer sie auch ausfallen würde (vgl. KUMMER N. 79 zu Art. 8 ZGB).
Gerade das lässt sich vom Ergebnis der Blutuntersuchung nicht sagen.

    Schliesslich kommt auch der Erwägung keine Bedeutung zu, der
Beklagte wohne heute in Frankreich, die Durchführung der Blutuntersuchung
erscheine daher schwierig. In einem Vaterschaftsfalle hat freilich das
Bundesgericht die Nichtabnahme der Blutprobe vor der Vorinstanz als nicht
rechtswidrig gelten lassen, weil am ausländischen Aufenthaltsort des Kindes
(Italien) die Blutprobe in der Gerichtsmedizin nicht eingebürgert sei,
die Vorinstanz daher eine dortige Blutentnahme als unzuverlässig ablehne,
gegen welche antizipierte Beweiswürdigung von Bundesrechts wegen nichts
einzuwenden sei (BGE 61 II 147 i.f.). In casu wohnt jedoch der Beklagte im
Ausland. Es handelt sich um ein von ihm angerufenes Beweismittel. Stellt
er sich nicht in der Schweiz zur Blutuntersuchung, so vergibt er den ihm
zustehenden letzten Entlastungsbeweis wider Treu und Glauben, was für ihn
den Prozessverlust bedeutet. Es ist deshalb, wie sein Anwalt ausführt,
ohne weiteres anzunehmen, dass er sich zur Blutprobe nach den Anordnungen
des Gerichts einfinden wird. Dem steht auch nicht entgegen, dass er aus
der Schweiz ausgewiesen ist; es ist anzunehmen, dass er die kurzfristige
Einreisebewilligung zum besonderen Zweck einer prozessualen Vorkehr wie
der Blutuntersuchung ohne Schwierigkeit erhalten wird.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das angefochtene Urteil
aufgehoben und die Sache zur Durchführung der Blutprobe und zu neuer
Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.