Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 II 144



90 II 144

17. Verfügung des Präsidenten der II. Zivilabteilung vom 19. Mai 1964
i.S. Huber gegen Huber. Regeste

    Sicherstellung einer allfälligen Parteientschädigung wegen fehlenden
schweizerischen Wohnsitzes (Art. 150 Abs. 2 OG).

    Ein im Ausland wohnender Schweizerbürger untersteht dieser
Gesetzesnorm; er ist von der Sicherstellungspflicht nicht durch Art. 17
IUeZPR befreit. Jedoch ist Art. 150 Abs. 2 OG (im Unterschied zu
Art. 213 aoG) nach richterlichem Ermessen anzuwenden, und hiebei darf
die Rechtsstellung, die einem Ausländer nach Art. 17 IUeZPR zukäme,
unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit mitberücksichtigt werden.

Sachverhalt

    Gegen das Scheidungsurteil des Obergerichts des Kantons Aargau
vom 6. September 1963 haben beide Parteien Berufung an das Bundesgericht
eingelegt. Mit Gesuch vom 24. April 1964 stellt die Ehefrau das Begehren,
der in Waldshut (Deutschland) wohnende Ehemann sei zur Sicherstellung
einer ihr allenfalls zustehenden Parteientschädigung durch Barhinterlage
von Fr. 5000.-- bei der Bundesgerichtskasse zu verpflichten. Der Ehemann
beantragt Abweisung des Gesuches.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Es ist zu erwägen:

    Art. 150 Abs. 2 OG bestimmt: "Eine Partei kann auf Begehren der
Gegenpartei vom Präsidenten oder Instruktionsrichter zur Sicherstellung
für eine allfällige Parteientschädigung (Art. 159 und 160) angehalten
werden, wenn sie in der Schweiz keinen festen Wohnsitz hat oder
erweislich zahlungsunfähig ist." Die Gesuchstellerin beruft sich
nicht auf Zahlungsunfähigkeit des Prozessgegners (der anscheinend
in guten Vermögensverhältnissen lebt), sondern einzig auf dessen
ausländischen Wohnsitz. Wäre er deutscher Staatsangehöriger, so könnte
er nicht aus diesem Grunde zur Kostenversicherung verpflichtet werden
(Art. 17 IUeZPR, der als staatsvertragliche Norm dem Art. 150 Abs. 2
OG vorgeht). Da er Schweizerbürger ist, kommt ihm diese Befreiung von
der Sicherstellungspflicht nicht zugute; denn Art. 17 IUe schützt nur
die Angehörigen anderer Vertragsstaaten, nicht auch die Angehörigen
des Staates, in dem der Zivilprozess stattfindet (vgl. BGE 57 II 584,
80 II 94/95 zweitletzter Absatz der Erwägungen mit Bezugnahme auf
Art. 150 Abs. 2 OG). Eine Frage für sich ist, ob Schweizerbürger,
die vor schweizerischen Gerichten als Kläger oder Intervenienten
(oder als Berufungskläger, vgl. BGE 43 I 101, 45 I 381) auftreten, bei
Wohnsitz in einem der IUeZPR beigetretenen Staate wie insbesondere in
der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BGE 78 I 130 ff.) aus Gründen der
Rechtsgleichheit ebenfalls von der Kostenversicherungspflicht wegen
ausländischen Wohnsitzes zu befreien seien. Dieses Postulat ist für
das Verfahren vor kantonalen Gerichten teilweise verwirklicht worden
durch das Konkordat vom 5./20. November 1903 (BS 3 S. 652), dem die
meisten Kantone beigetreten sind. Danach dürfen Schweizerbürger, die in
einem Konkordatskanton als Parteien oder Intervenienten im Zivilprozess
auftreten, nicht deshalb zur Kostenversicherung angehalten werden, weil
sie ihren Wohnsitz in einem andern Konkordatskanton oder in einem der
IUeZPR beigretetenen Staate (damals derjenigen vom 14. November 1896)
haben. Nach Lehre und Rechtsprechung ist anzunehmen, ein diesem Konkordate
beigetretener Kanton wolle seine eigenen Angehörigen (auf die das Konkordat
nicht zu beziehen ist) nicht schlechter stellen; es komme ihnen daher
(nicht nach dem Konkordat, sondern nach einem ungeschriebenen Grundsatz des
heimatlichen Prozessrechtes) der gleiche Schutz zu (vgl. STAUFFER, ZbJV 62
S. 39, und ein Urteil des bernischen Appellationshofes, daselbst S. 182;
LEUCH, N. 4 zu Art. 70 ZPO). Der gleichen Überlegung gibt GULDENER (Das
internationale und interkantonale Prozessrecht der Schweiz, S. 15 N. 34)
auch ausserhalb des Geltungsbereiches jenes Konkordates Raum (also auch
für ein Verfahren vor Bundesgericht): Art. 17 IUeZPR gelte zwar nicht
für Personen, die vor den Gerichten ihres Heimatstaates auftreten; es
sei aber nicht anzunehmen, dass der eigene Staatsangehörige, der in einem
Vertragsstaate Wohnsitz hat und in der Schweiz Klage erhebt, zur Leistung
einer Ausländerkaution verpflichtet sei. Diese an sich einleuchtende
Betrachtungsweise findet indessen im klaren Wortlaut des Art. 150 Abs. 2 OG
keinen Anhaltspunkt. Es wäre mit dieser Vorschrift nicht vereinbar, solche
Schweizerbürger ohne weiteres allgemein von der Sicherstellungspflicht
zu befreien. Nun weicht aber Art. 150 Abs. 2 OG von den früher geltenden
Grundsätzen des Art. 213 aoG dadurch ab, dass an die Stelle einer starren
Gesetzesnorm ("Wenn eine Partei in der Schweiz keinen festen Wohnsitz
hat, so ist sie gehalten... Sicherheit zu leisten") eine Kann-Vorschrift
getreten ist ("... kann ... zur Sicherstellung ... angehalten werden"). Die
Auferlegung einer Kostenversicherung steht nach Art. 150 Abs. 2 OG im
richterlichen Ermessen. Es ist also über ein dahingehendes Gesuch der
andern Partei nach Recht und Billigkeit zu entscheiden (vgl. Art. 4 ZGB).
Unter diesem Gesichtspunkt hat das Postulat der Rechtsgleichheit eine
besondere Bedeutung, und es ist gerechtfertigt, einen Schweizerbürger
mit Wohnsitz in einem der IUeZPR beigetretenen Staate wenigstens dann
von der Sicherstellungspflicht zu befreien, wenn die Parteientschädigung,
welche die andere Partei gesichert sehen will, nicht als stärker gefährdet
erscheint als sie es gegenüber dem Angehörigen eines andern Vertragsstaates
(zumal gegenüber einem Angehörigen des Wohnsitzstaates des Gesuchsgegners)
wäre. Das trift hier zu: Abgesehen von der Möglichkeit des Zugriffs
auf das in der Schweiz befindliche Vermögen des Gesuchsgegners ist eine
diesem allenfalls für das bundesgerichtliche Verfahren aufzuerlegende
Parteientschädigung auch in Deutschland vollstreckbar, sei es auf Grund
von Art. 18 IUeZPR (vgl. STEIN/JONAS, 14. Auflage, Bem. III, 1 zu §
723 der deutschen ZPO), sei es nach dem Vollstreckungsabkommen zwischen
der Schweiz und dem Deutschen Reich vom 2. November 1929.

Entscheid:

                      Demnach wird verfügt:

Erwägung 1

    1.- Das Sicherstellungsbegehren wird abgewiesen.

Erwägung 2

    2.- Der Beklagten und Widerklägerin wird zur Einreichung einer kurz
gefassten Antwort auf die Berufung des Klägers und Widerbeklagten eine
neue Frist von 20 Tagen gemäss Art. 61 OG eingeräumt, laufend von der
Zustellung der vorliegenden Verfügung an.