Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 III 53



90 III 53

12. Entscheid vom 24. Juli 1964 i.S. Schlatter. Regeste

    Sicherstellung eines streitigen Miet- oder Pachtzinses
durch Hinterlegung eines Barbetrages. Verzeichnung dieser
Hinterlage in der Retentionsurkunde an Stelle von Einrichtungs- und
Gebrauchsgegenständen. Art. 272-274 und Art. 286 Abs. 3 OR, Art. 898
Abs. 1 ZGB, Art. 282 ff. SchKG.

    Eine gerichtliche Hinterlegung ist nur dann in diesem Sinne zu
berucksichtigen, wenn sie als gültig anerkannt ist. Fehlt es noch an der
(nach § 392 der ZPO des Kantons Zürich erforderlichen) richterlichen
Bewilligung, so steht es dem Betreibungsamte nicht zu, gegen den Willen
des Schuldners den bei der Gerichtskasse liegenden Barbetrag auch für den
Fall, dass der Richter die Hinterlegung nicht zulässt, der Retention zu
unterstellen und im Hinblick darauf zu sperren.

Sachverhalt

    A.- Frau E. Schlatter wurde im Jahre 1963 mehrmals für Mietzins
betrieben, und zwar mit Androhung der Vertragsauflösung gemäss Art.
265 OR. Sie hinterlegte bei der Bezirksgerichtskasse Zürich die
Mietbetreffnisse der Monate Mai bis September 1963 mit gerichtlicher
Bewilligung gemäss § 392 der zürcherischen Zivilprozessordnung. Ebenso
überwies sie der Gerichtskasse die Mietzinsbeträge pro Oktober 1963 bis und
mit Januar 1964, die der Richter jedoch nur vorläufig entgegennahm. Am 10.
Januar 1964 lehnte er die Hinterlegung dieser Beträge ab und ordnete deren
Rückerstattung an die Hinterlegerin bei Rechtskraft seiner Verfügung
an. Die Schuldnerin legte gegen diese Verfügung Rekurs ein, der immer
noch hängig ist.

    B.- Am 16. Januar 1964 leitete der Vermieter für die fälligen Mietzinse
pro Oktober 1963 bis und mit Januar 1964 ein Retentionsverfahren ein und
verlangte, dass an Stelle von Einrichtungs- und Gebrauchsgegenständen der
von der Mieterin bei der Bezirksgerichtskasse als Barhinterlage abgegebene
Geldbetrag retiniert werde. Das Betreibungsamt Zürich 6 entsprach diesem
Begehren. Es vermerkte in der Retentionsurkunde, dass dem Gläubiger an
dieser Barhinterlage ein Pfandrecht zustehe, und sperrte den Betrag bei
der Bezirksgerichtskasse, die es anwies, das Geld im Falle rechtskräftiger
Ablehnung der Hinterlegung durch das oberinstanzliche Gericht nicht der
Schuldnerin zurückzuerstatten, sondern dem Betreibungsamt als Gegenstand
der Retention zu überweisen. In gleicher Weise ging das Betreibungsamt
vor, als es die Retentionsurkunde am 12. Februar 1964 hinsichtlich des
hinterlegten Barbetrages berichtigte und durch zusätzliche Retention
von Einrichtungsgegenständen für die Verzugszinsen und Betreibungskosten
ergänzte. Und in entsprechender Weise nahm das Betreibungsamt ebenfalls
am 12. Februar 1964 eine neue Retentionsurkunde für den Mietzins des
Februars auf. Diesen Betrag hatte die Schuldnerin ebenfalls bei der
Bezirksgerichtskasse hinterlegt, wobei der Richter die Verfügung aussetzte.
Auch hier erging eine betreibungsamtliche Sperranzeige, und anderseits
wurden auch in diesem Falle einige Gegenstände zusätzlich retiniert, weil
sich die Schuldnerin weigerte, für die Mehrforderung eine Barhinterlage
zu leisten.

    C.- Mit drei jeweilen binnen gesetzlicher Frist eingereichten
Beschwerden focht die Schuldnerin diese Art der Retentionsnahme an. Sie
wollte die beim Richter gemachten Barhinterlagen nur für den Fall dem
Retentionsbeschlag unterstellt wissen, dass der Richter diese Hinterlegung
rechtskräftig bewillige. Daher sei es unzulässig, dem Gläubiger zum
vornherein an diesen Hinterlagen ein Pfandrecht zuzuerkennen und die
Beträge zu sperren. Sollte der Richter die Hinterlegung rechtskräftig
ablehnen, so stehe ihr die freie Verfügung über diese ihr alsdann
zurückzuerstattenden Beträge zu.

    D.- Die untere Aufsichtsbehörde schützte diese Rügen, indem sie
anordnete, die hinterlegten Geldsummen seien in den Retentionsurkunden
ohne Anmerkung eines Pfandrechts zu verzeichnen, und die Sperre der
Beträge bei der Bezirkskasse aufhob.

    E.- Mit Entscheid vom 26. Juni 1964 hat die obere kantonale
Aufsichtsbehörde dagegen auf Begehren des Gläubigers die Massnahmen
des Betreibungsamtes geschützt. Der Begründung dieses Entscheides
ist zu entnehmen: "Durch die blosse Verzeichnung der Hinterlage in
den Retentionsurkunden ohne eine Retinierung der in der Hinterlage
verkörperten Forderung und durch die sich daraus ergebende Aufhebung der
Sperre hat die untere Aufsichtsbehörde die mit der Retention der Hinterlage
beabsichtigte Sicherung des Vermieters für den Fall der Nichtbewilligung
der gerichtlichen Hinterlegung vereitelt... Der Rekurrent (Gläubiger)
hat denn auch sein Retentionsbegehren hier eben für den Fall gestellt,
dass die Hinterlegung im schwebenden Rekursverfahren abgelehnt werden
sollte... Nachdem das Bundesgericht die Retention sicherheitshalber
hinterlegter Beträge an Stelle der Retinierung von Einrichtungsgegenständen
zugelassen hat, muss dieses Pfandrecht auch für den Fall wirksam bleiben,
dass die Hinterlegung dahinfallen sollte. Das kann nicht mit der Begründung
abgelehnt werden, es führe zu einer Arrestnahme ohne Vorliegen von
Arrestgründen. Denn es handelte sich hier nicht um eine gegen den Willen
des Schuldners vorgenommene Beschlagnahme wie beim Arrest, sondern um
die Fortsetzung der Sicherstellung eines vom Schuldner freiwillig und im
eigenen Interesse sicherheitshalber zur Verführung gestellten Betrages."

    F.- Gegen diesen Entscheid rekurriert die Schuldnerin an das
Bundesgericht mit dem Antrag, das Betreibungsamt Zürich 6 sei anzuweisen.

    a)  an die Retinierung der Hinterlagen der Schuldnerin bei der
Bezirksgerichtskasse Zürich für die Mietzinse ab Oktober 1963 den Vorbehalt
zu knupfen, dass die Hinterlegung dieser Mietzinse beim Einzelrichter
des Bezirksgerichtes Zürich definitiv bewilligt werde.

    b)  bis zum Entscheid über die definitive Erteilung oder
Verweigerung der oben erwähnten Bewilligung diejenigen Gegenstände in die
Retentionsurkunde aufzunehmen, welche nach Art. 272 OR dem Retentionsrecht
des Vermieters unterliegen, jedoch gleichzeitig zu erklären, dass diese
Gegenstände aus der Retention entlassen werden, sobald die Schuldnerin die
rechtskräftige Bewilligung der gerichtlichen Hinterlegung gemäss lit. a)
hievor nachweist.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Entscheid stützt sich auf die Rechtsprechung,
wonach der Schuldner die Verwertung der dem Retentionsrecht des Vermieters
oder Verpächters unterliegenden Sachen (Art. 272-274 und Art. 286 Abs.

    3 OR) durch hinreichende Sicherstellung abwenden kann, wie dies für das
Retentionsrecht der Art. 895 ff. ZGB in Art. 898 Abs. 1 daselbst vorgesehen
ist. Er beruft sich namentlich auf das dem Mieter oder Pächter zustehende
Recht, an die Stelle der dem Retentionsrecht unterliegenden Einrichtungs-
und Gebrauchsgegenstände eine Barhinterlage treten zu lassen, die, wie
mehrmals entschieden worden ist, sowohl beim Betreibungsamt wie auch beim
Richter geleistet werden kann. Insbesondere kann der Schuldner bei der
Retentionsaufnahme auf eine bereits beim Richter geleistete Hinterlage zur
Sicherstellung des betreffenden Miet- oder Pachtzinses verweisen, und es
ist alsdann diese Hinterlage an Stelle der eigentlich dem Retentionsrecht
unterliegenden Sachen in die Retentionsurkunde aufzunehmen. Kraft
dieser Retention erwirbt der Gläubiger an der hinterlegten Geldsumme
bezw. an dem ihr entsprechenden Guthaben ein Pfandrecht, das den gleichen
Bedingungen und Untergangsgründen wie sein Retentionsrecht untersteht. Der
Betrag der Hinterlage muss die ganzen in Betreibung stehenden Miet- oder
Pachtzinsforderungen nebst Nebenforderungen umfassen. Deshalb hat denn auch
das Betreibungsamt Zürich 6 hier ergänzende Sachretentionen vorgenommen.
(Vgl. BGE 59 III 128, 61 III 76, 66 III 80, 73 III 130, 83 III 135).

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall hat indessen die Schuldnerin die von ihr
versuchte und durch Geldeinzahlung ins Werk gesetzte, aber noch der
richterlichen Bewilligung nach § 392 der zürcherischen ZPO bedürftige
Barhinterlage keineswegs ohne weiteres der Retention an Stelle von
Einrichtungs- und Gebrauchssachen unterstellt. Sie will vielmehr eine
solche Ersatzretention nur zulassen, wenn die gerichtliche Hinterlegung,
wie sie sie nachgesucht hat, in oberer Instanz bewilligt wird. Unter
diesen Umständen kann diese Barhinterlage einstweilen nicht vorbehaltlos
an Stelle von Sachen in der Retentionsurkunde verzeichnet werden. Wenn
die erwähnte Rechtsprechung (vgl. namentlich BGE 61 III Erw. 1) eine
gerichtliche ebenso wie eine beim Betreibungsamt vorgenommene Hinterlegung
als Retentionssurrogat berücksichtigt, so ist dabei stillschweigend
vorausgesetzt, dass die Hinterlegung in ihrer Gültigkeit unumstritten
ist. Das trifft hier nicht zu, solange nicht die (der Schuldnerin in
erster Instanz verweigerte) gerichtliche Bewilligung der Hinterlegung
rechtskräftig erteilt ist.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz sieht denn auch ein, dass das von der Schuldnerin
bei der Gerichtskasse zum Zwecke der Hinterlegung einbezahlte Geld
nur dann ein taugliches Ersatz-Retentionsobjekt darstellt, wenn
die Hinterlegung diesem Zwecke dienstbar gemacht und durch geeignete
Massnahmen gesichert wird. Aus diesem Grunde will sie dem Gläubiger in
der Retentionsurkunde ausdrücklich das Pfandrecht zuerkennen, wie es
mit der Retention einer Barhinterlage verbunden sein soll, und ebenso
hält sie an der Sperre der Hinterlage fest, was namentlich in dem der
Gerichtskasse erteilten Befehl zum Ausdrucke kommt, das Geld, falls die
gerichtliche Hinterlegung rechtskräftig abgelehnt werden sollte, nicht
der Schuldnerin zurückzuerstatten, sondern dem Betreibungsamte - eben
als Retentionssurrogat - zu überweisen. Diese Massnahmen greifen jedoch
in unzulässiger Weise in die Entschliessungsfreiheit der Schuldnerin ein.

    Gewiss hat man es bei der versuchten gerichtlichen Hinterlegung
nicht mit einem Erfüllungssurrogat im Sinne der Artikel 92 ff. OR zu
tun. Die Schuldnerin wollte nicht erfüllen, sondern bloss sicherstellen,
da sie den Mietzinsforderungen des Gläubigers Herabsetzungs- und
Schadenersatzansprüche entgegenhielt. Allein die Sicherstellung
sollte nach ihrer Absicht, jedenfalls zunächst, dazu dienen, die ihr
insbesondere in den Zahlungsbefehlen vom August und Oktober 1963 angedrohte
Vertragsauflösung mit nachfolgender Ausweisung zu vermeiden. Kommt diese
Sicherstellung (kraft der dafür erforderlichen richterlichen Bewilligung)
zustande, so liegt es freilich nahe, sie in dem inzwischen vom Gläubiger
angehobenen Retentionsverfahren zugleich als Retentionssurrogat gelten zu
lassen, womit die Schuldnerin denn auch von Anfang an einverstanden war. Es
liegt aber kein Widerspruch darin, dass die Schuldnerin - ebenfalls von
Anfang an, in den gegen die Art der Retentionsnahme geführten Beschwerden
- dieses Retentionssurrogat nicht auch für den Fall zur Verfügung
stellen wollte, dass die von ihr beim Richter nachgesuchte Hinterlegung
endgültig abgelehnt werden sollte. Daraus, dass eine zum Zweck, eine
Vertragsauflösung wegen Verzuges nach Art. 265 OR zu vermeiden, zustande
kommende (d.h. richterlich bewilligte) Hinterlegung daneben auch als
Retentionssurrogat dienen soll, folgt keineswegs, dass dann, wenn die
Hinterlegung vom Richter zurückgewiesen wird und das betreffende Geld
daher nicht dem ihm von der Schuldnerin zugedachten Zwecke dienen kann,
es nun zwangsweise, gegen ihren Willen, ausschliesslich einem andern
Sicherstellungszwecke, nämlich demjenigen einer Ersatzretention, zugeführt
werden dürfe. Auf einen solchen von der Schuldnerin nicht angebotenen
Zugriff hat der Gläubiger keinen Anspruch. Sollte er etwa geltend
machen wollen, aus dem beim Richter gestellten Hinterlegungsangebot der
Schuldnerin seien ihm als begünstigtem Dritten bereits Ansprüche erwachsen,
die eine richterliche Ablehnung der Hinterlegung wie auch einen allfälligen
Widerruf des Hinterlegungsgesuches der Schuldnerin nicht mehr zuliessen,
so mag er dies in dem noch immer hängigen gerichtlichen Verfahren geltend
machen. Sollte er mit diesem Standpunkte durchdringen, so stünde ja dann
dem retentionsweisen Zugriff auf die Hinterlage auch nach den Anträgen
der Schuldnerin nichts mehr im Wege. Andernfalls - und davon ist bei
der heutigen Sachlage auszugehen - kann die Retention der Hinterlage nur
unter den von der Schuldnerin angebrachten Vorbehalten erfolgen. Wie sie
mit Recht geltend macht, läuft die von der Vorinstanz angeordnete Sperre
gewissermassen auf eine der Rechtsgrundlage entbehrende Arrestierung
hinaus, ja der Gläubiger würde darüber hinaus ein dem Arrest nach Art. 281
SchKG nicht zukommendes Vorrecht erhalten. Bei endgültiger Ablehnung
der beim Richter beantragten Hinterlegung muss das betreffende Geld,
sofern die Schuldnerin nicht nachträglich bereit ist, es der Retention zu
unterstellen, zu ihrer freien Verfügung stehen, es wäre denn, dass dem
Gläubiger in der Zwischenzeit ein Recht auf Arrestierung oder Pfändung
desselben erwächst. Dass vorderhand, eben wegen der Unsicherheit des
Zugriffes auf die bei der Gerichtskasse liegende Geldsumme, alle nach Art.
272 OR dem Retentionsrecht unterliegenden Sachen in den Retentionsurkunden
verzeichnet werden dürfen, gibt die Schuldnerin zu. Die dahingehenden
Rekursanträge vor Bundesgericht entsprechen (genauer formuliert) ihrem
von jeher eingenommenen Standpunkt. Der Antrag b), wonach im gegebenen
Falle die retinierten Sachen aus der Retention zu entlassen sind, bezieht
sich offenkundig nicht etwa auch auf diejenigen Sachen, die zusätzlich
zu retinieren waren, weil die Höhe der Barhinterlage zur Sicherstellung
nicht ausreicht.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr. u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben
und das Betreibungsamt Zürich 6 angewiesen,

    a)  an die Retinierung der Hinterlagen der Schuldnerin bei der
Bezirksgerichtskasse Zürich für die Mietzinse ab Oktober 1963 den Vorbehalt
zu knüpfen, dass die Hinterlegung dieser Mietzinse beim Einzelrichter
des Bezirksgerichtes Zürich definitiv bewilligt werde.

    b)  bis zum Entscheid über die definitive Erteilung oder
Verweigerung der oben erwähnten Bewilligung diejenigen Gegenstände in die
Retentionsurkunde aufzunehmen, welche nach Art. 272 OR dem Retentionsrecht
des Vermieters unterliegen, jedoch gleichzeitig zu erklären, dass diese
Gegenstände aus der Retention entlassen werden, sobald die Schuldnerin
die rechtskräftige Bewilligung der gerichtlichen Hinterlegung gemäss
lit. a hievor nachweist.