Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 III 49



90 III 49

11. Entscheid vom 12. Juni 1964 i.S. Holmes. Regeste

    Arrestvollzug.

    Das beauftragte Amt darf keine andern als die im Arrestbefehl
angeführten oder sich aus ihm ergebenden Gegenstände arrestieren. Geschieht
es dennoch, so ist der Arrest insoweit als nichtig zu erachten und, auch
wenn nicht binnen der Frist des Art. 17 SchKG Beschwerde geführt wurde,
aufzuheben. - Art. 13, 17, 271 ff. SchKG.

Sachverhalt

    A.- Frau Nancy Holmes, deren Wohnsitz sich angeblich in Kalifornien
befindet, hatte in Gstaad das Chalet "Bumerang" gemietet. Am 24. März 1964
erwirkte die Vermieterin gegen sie für Mietzins und Heizungsentschädigung
einen Arrestbefehl. Danach waren zu arrestieren:

    "Möbel, Wertschriften, Gold- und Silbersachen im Chalet Bumerang in
Gstaad sowie Schmuck an den Händen der Schuldnerin."

    B.- Der Arrestvollzug fand statt, während sich die Schuldnerin
auf einer Auslandreise befand. Vor dem Chalet "Haus am Bach", wo die
Schuldnerin eine neue Wohnung gemietet hatte, arrestierte der beauftragte
Betreibungsweibel am 26. März 1964 ein Personenautomobil Marke Volkswagen,
das nach Angabe des Ehemannes der Gläubigerin der Schuldnerin gehört.

    C.- Nachdem die Arresturkunde am 3. April 1964 im Chalet "Haus am
Bach" einem erwachsenen Hausgenossen der Schuldnerin übergeben worden
war, führte sie am 1. Mai 1964 Beschwerde mit dem Antrag, der Vollzug
des Arrestes sei aufzuheben und das arrestierte Automobil ihr freizugeben.

    D.- Mit Entscheid vom 21. Mai 1964 hat die kantonale Aufsichtsbehörde
nach Abklärung des Tatsachenablaufes die Beschwerde als verspätet von
der Hand gewiesen.

    E.- Mit vorliegendem Rekurs hält die Schuldnerin an der Beschwerde
fest.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Rekurrentin ist darin beizustimmen, dass es dem Betreibungsamte
nicht zusteht, die zu arrestierenden Gegenstände zu bezeichnen
oder den Kreis dieser Gegenstände über den durch den Arrestbefehl
gezogenen Rahmen hinaus zu erweitern. Vielmehr beschränkt sich die
Aufgabe des Betreibungsamtes auf den Vollzug des von der zuständigen
Behörde erlassenen Arrestbefehls. Dieser hat nach ausdrücklicher
Gesetzesnorm (Art. 274 Ziff. 4 SchKG) die zu arrestierendenGegenstände -
abschliessend und in einer für das vollziehende Amt verbindlichen Weise
- zu bezeichnen (sei es einzeln, sei es der Gattung nach, vgl. BGE 75
III 107/8, 80 III 86 ff.). Andere als die im Arrestbefehl angeführten
oder sich aus ihm ergebenden Gegenstände darf das Betreibungsamt nicht
arrestieren (vgl. JAEGER, N. 1 zu Art. 275 SchKG; FRITZSCHE, SchK Band
II S. 211). Geschieht es aber, so liegt nicht bloss eine gesetzwidrige
Verfügung vor, die binnen der Frist des Art. 17 SchKG angefochten werden
kann und bei unbenutztem Ablauf dieser Frist rechtskräftig wird. Vielmehr
bedeutet eine nicht auf dem Arrestbefehl beruhende Beschlagnahme einen
Übergriff in die der Arrestbehörde vorbehaltenen Befugnisse. Eine
derartige ausserhalb des sachlichen Zuständigkeitsbereiches des
Betreibungsamtes liegende Handlung ist als nichtig zu erachten und
jederzeit vom Amte selbst, sobald es seines Missgriffes gewahr wird, zu
widerrufen oder von den ihm vorgesetzten Aufsichtsbehörden auf Beschwerde
hin oder auch von Amtes wegen aufzuheben. Nicht nur die unmittelbar
am Arrestverfahren beteiligten Personen, insbesondere der Schuldner,
sondern auch Dritte, mit andern Worten die Öffentlichkeit, sind daran
interessiert, dass das Betreibungsamt sich keine Befugnisse anmasst und
namentlich nicht in den Zuständigkeitsbereich des Richters oder einer
Arrestbehörde eingreift. Dies sowohl aus dem allgemeinen Gesichtspunkt,
dass der Bürger vor Eingriffen geschützt werden muss, die der handelnden
Behörde oder Amtsstelle schlechterdings nicht zustehen, wie auch wegen
der Rückwirkungen, die eine solche Amtshandlung auf die Rechtsstellung
Dritter haben kann (wie denn eine Arrestierung die provisorische
Teilnahme an einer von anderer Seite erwirkten Pfändung und das Recht
der Kostendeckung nach Art. 281 Abs. 1 und 2 SchKG nach sich zieht und
die Rechte Dritter in entsprechender Weise beschränkt). Es handelt
sich um einen Fall von Nichtigkeit, die von den Aufsichtsbehörden schon
auf Grund von Art. 13 SchKG zu beachten ist und die das Bundesgericht
zur Geltung bringen kann, wenn es sich infolge eines gültigen Rekurses
gegen einen kantonalen Entscheid mit dem betreffenden Betreibungs- oder
Konkurs- (oder auch Arrest-) Verfahren zu befassen hat (vgl. BGE 79 III
9 mit zahlreichen Hinweisen; IMBODEN, Nichtige Betreibungshandlungen,
in Blätter für Schuldbetreibung und Konkurs 1944 S. 135).

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Falle hat der Arrestbefehl die zu arrestierenden
Sachen zwar nicht stückweise, wohl aber durch Angabe der in Frage
kommenden Gattungen von Gegenständen bezeichnet (offenbar gemäss den
Angaben des Arrestbewilligungsgesuches, in dem sich der Gläubiger über
die nach Art. 274 Ziff. 1-4 SchKG wesentlichen Punkte auszusprechen
hatte). Auf diese massgebende Umschreibung der Gegenstände lässt sich die
Arrestierung eines Automobils nicht stützen. Das Automobil ist kein Möbel
im landläufigen Sinn. Unter den Möbeln versteht man das zur Einrichtung
der Wohnung (oder auch von Büro- oder Geschäftsräumen) dienende Mobiliar
(Küchen-, Zimmermobiliar usw.), wie denn als Möbelhändler ein Kaufmann
benannt zu werden pflegt, der solches Mobiliar feilhält, nicht auch ein
Automobilhändler. Vollends gehört das Automobil nicht zu den weitern im
Arrestbefehl aufgeführten Sachen (Wertschriften, Gold- und Silbersachen,
Schmuck).

    Wenn sich keine Gegenstände der im Arrestbefehl bezeichneten Art oder
nur solche vorfanden, die wegen Unpfändbarkeit nach Art. 92/275 SchKG
freigegeben werden mussten, so war der Arrestvollzug als ergebnislos zu
erklären. Der Zugriff auf das Automobil liess sich auch nicht etwa deshalb
rechtfertigen, weil der beim Vollzug anwesende Ehemann der Gläubigerin
es wünschte. Denn selbst angenommen, der Ehemann sei befugt gewesen,
in dieser Angelegenheit im Namen der Ehefrau aufzutreten, so fehlte es
eben an einer bei der allein zuständigen Behörde gemachten Angabe, die
ihren Ausdruck im Arrestbefehl hätte finden müssen. Der Versuch, ohne
diese Rechtsgrundlage auf das Automobil zu greifen, läuft auf unerlaubte
Eigenmacht hinaus, wozu das Betreibungsamt nicht Hand bieten durfte.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen, der Arrest Nr. 4/64 des Betreibungsamtes
Saanen, vollzogen am 26. März 1964, aufgehoben und das Betreibungsamt
angewiesen, der Rekurrentin das arrestierte Automobil VW freizugeben.