Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 90 III 18



90 III 18

5. Entscheid vom 20. Januar 1964 i.S. Finanz & Kredit AG Regeste

    Konkurs; Feststellung und Sicherung der Konkursmasse (Art. 221
ff. SchKG). Unter welchen Voraussetzungen darf das Konkursamt
Sachen im Gewahrsam Dritter mit polizeilicher Hilfe in amtliche
Verwahrung nehmen? Die Beschlagnahme einer dem Gemeinschuldner unter
Eigentumsvorbehalt verkauften und vom Verkäufer "zwecks Sicherstellung"
zurückgenommenen Sache ist unzulässig. Art. 232 Ziff. 4 SchKG ist in einem
solchen Falle nicht entsprechend anwendbar. Tragweite des Kreisschreibens
Nr. 29 vom 31. März 1911.

Sachverhalt

    A.- Die Agence Américaine in Zürich verkaufte am 29.  September
1960 der Progress Treuhand AG einen Personenwagen Chevrolet auf
Abzahlung. Der Restkaufpreis von Fr. 16'416.-- (d.h. der um die Anzahlung
von Fr.7000. - verminderte Barzahlungspreis von Fr. 20'500. -, zuzüglich
Teilzahlungszuschlag von Fr. 2916. -) war in 36 monatlichen Raten von Fr.
456.--, deren erste am 15. November 1960 verfiel, zu bezahlen. Der
im Kaufvertrag vorgesehene Eigentumsvorbehalt wurde beim zuständigen
Betreibungsamt eingetragen. Mit dem Vertragsabschluss trat die Verkäuferin
alle ihre Rechte aus dem Vertrag an die Finanz & Kredit AG Aarau ab.

    B.- In der Folge geriet die Käuferin mit den Ratenzahlungen in
Verzug. Nach mehreren Mahnungen und Betreibungen liess die Zessionarin
den Wagen am 27. Mai 1963 durch Edgar Böhler bei der Käuferin abholen und
in Verwahrung nehmen. Drei Tage später fiel die Käuferin in Konkurs. Am
4. Juni 1963 nahm das Konkursamt Riesbach-Zürich den Wagen, für den die
Käuferin noch etwas mehr als Fr. 4000. - schuldete, mit polizeilicher
Hilfe in amtliche Verwahrung.

    C.- Gegen diese Massnahme führte die Zessionarin Beschwerde mit den
Begehren, das Konkursamt sei anzuweisen, ihr den Wagen unverzüglich
zurückzugeben; dem Konkursbeamten sei eine Rüge zu erteilen, und
er sei für allen Schaden, der ihr aus der Beschlagnahme erwachse,
als ersatzpflichtig zu erklären. Die untere Aufsichtsbehörde wies die
Beschwerde am 12. November 1963 ab. Die obere kantonale Aufsichtsbehörde
hat am 17. Dezember 1963 im gleichen Sinn entschieden.

    D.- Mit ihrem Rekurs an das Bundesgericht erneuert die Zessionarin
ihre Beschwerdebegehren.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 221 SchKG schreitet das Konkursamt sofort nach
Empfang des Konkurserkenntnisses zur Aufnahme des Inventars über das zur
Konkursmasse gehörende Vermögen und trifft die zur Sicherung desselben
erforderlichen Massnahmen.

    Zur Konkursmasse gehört nach Art. 197 ff. SchKG mit Ausnahme der
Kompetenzstücke sämtliches Vermögen, das dem Gemeinschuldner zur Zeit der
Konkurseröffnung angehört oder vor Schluss des Konkursverfahrens anfällt,
wo immer es sich befindet, einschliesslich der verpfändeten und gepfändeten
Vermögensstücke und allfälliger Anfechtungsansprüche. Da zur Zeit der
Aufnahme des Inventars noch nicht endgültig feststeht, was hienach zur
Konkursmasse gehört, sind ins Inventar, dessen Erstellung eine rein interne
Massnahme der Konkursverwaltung ohne Wirkung gegen Dritte darstellt,
alle Vermögensstücke (Sachen und Rechte) aufzunehmen, die vermutlich
dem Gemeinschuldner zustehen, also (vgl. Art. 930 ZGB) insbesondere
alle in seinem Gewahrsam befindlichen Gegenstände einschliesslich der
Kompetenzstücke. Aufzunehmen sind aber auch die nicht im Gewahrsam
des Gemeinschuldners stehenden Gegenstände, die nach seinen Angaben
oder nach der Auffassung des Konkursamtes ihm gehören. Drittansprachen
an aufgezeichneten Vermögensstücken sind vorzumerken (vgl. zu alledem
JAEGER N. 3 zu Art. 221 SchKG; Art. 224, 225 SchKG; BGE 36 I 104 f. =
Sep.ausg. 13 S. 22 f., BGE 54 III 18 Erw. 2).

    Als Sicherungsmassnahmen im Sinne von Art. 221 SchKG kommen in erster
Linie die in Art. 223 SchKG vorgesehenen Massnahmen in Betracht. Nach
Art. 223 Abs. 4 SchKG sorgt das Konkursamt für die Aufbewahrung der
Gegenstände, die sich ausserhalb der vom Gemeinschuldner benutzten
Räumlichkeiten befinden. Dies kann je nach der Lage des Falles dadurch
geschehen, dass das Amt die betreffenden Gegenstände in seine Verwahrung
nimmt. Aus dem Zusammenhang zwischen Art. 223 und 221 SchKG ergibt sich
jedoch, dass das Amt ausserhalb der Räumlichkeiten des Gemeinschuldners
befindliche Gegenstände von vornherein nur dann beschlagnahmen darf,
wenn es sie als Eigentum des Gemeinschuldners und damit als Bestandteil
der Konkursmasse betrachtet, nicht auch dann, wenn die Masse darauf
nur einen obligatorischen Anspruch geltend macht. Es darf aber auch
Gegenstände, die nach seiner Auffassung dem Gemeinschuldner gehören (und
daher nach dem Gesagten ins Inventar aufzunehmen sind), nicht unter allen
Umständen beschlagnahmen. Handelt es sich um bewegliche Sachen, die sich
im Besitz eines Dritten befinden, der daran das Eigentum beansprucht,
so ist nach Art. 930 ZGB zu vermuten, dass dieser ihr Eigentümer sei. In
einem solchen Falle darf das Konkursamt die betreffenden Gegenstände dem
Dritten weder wegnehmen (bzw. wegnehmen lassen) noch den Dritten durch
ein von ihm erlassenes Verbot an der Verfügung darüber hindern, solange
nicht gerichtlich festgestellt ist, dass sie zur Konkursmasse gehören
(BGE 50 III 3, 52 III 10, 73 III 80, 85 III 143 ff., 86 III 29/30).
Die zwangsweise Wegnahme ist nur dann ohne weiteres zulässig, wenn der
Drittbesitzer das Eigentum des Gemeinschuldners anerkennt und nicht ein
auch von der Konkursverwaltung zu beachtendes Recht auf den Besitz der
Sache geltend macht (vgl. JAEGER N. 9 zu Art. 223 SchKG). Insbesondere kann
das Konkursamt mit polizeilicher Hilfe die Herausgabe von Gegenständen
erzwingen, die der Dritte nur als Pfandgläubiger im Sinne von Art. 232
Ziff. 4 SchKG besitzt, d.h. an denen er nur ein Pfandrecht beansprucht
(BGE 51 III 135 ff., 86 III 29).

Erwägung 2

    2.- Der streitige Wagen befand sich im Gewahrsam der Rekurrentin,
die daran das Eigentum beansprucht. Ihr Eigentum war auf Grund ihres
Besitzes zu vermuten. Der Eigentumsvorbehalt zu ihren Gunsten wird im
übrigen vom Konkursamt nicht angefochten. Nach dem in Erwägung 1 Gesagten
war das Konkursamt also nicht befugt, der Rekurrentin den Wagen mit Hilfe
der Polizei wegzunehmen.

    Hieran ändert nichts, dass nach der Vorschrift von Art. 226 h Abs. 2
OR, die gemäss Art. 3 Abs. 1 der Schlussbestimmungen des Bundesgesetzes
über den Abzahlungs- und den Vorauszahlungsvertrag vom 23. März 1962
auch für die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (1. Januar 1963)
abgeschlossenen Verträge gilt, der Verkäufer bei Verzug des Käufers mit
Teilzahlungen "entweder die fälligen Teilzahlungen oder den Restkaufpreis
in einer einmaligen Zahlung fordern oder vom Vertrag zurücktreten" kann,
so dass mindestens zweifelhaft ist, ob die Rekurrentin im Mai 1963 noch
befugt war, den in Ziff. 11 a des Kaufvertrags vorgesehenen dritten Weg
zu beschreiten, nämlich "die Kaufgegenstände zwecks Sicherstellung bis
zur vollständigen Erfüllung der vertraglichen Pflichten in Verwahrung
zu nehmen." Auch wenn man annehmen will, sie habe diese vertraglich
ausbedungene Befugnis nach dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 23. März
1962 nicht mehr besessen und daher die Herausgabe des Wagens nicht mehr
erzwingen können, bestand doch kein Hindernis für eine freiwillige
Herausgabe des Wagens durch die Käuferin. Die Rekurrentin und die
Käuferin konnten sich, solange der Konkurs nicht ausgebrochen war, auf die
Herausgabe des Wagens an die Rekurrentin einigen, so gut wie sie (unter
Vorbehalt der Anfechtung nach Art. 285 ff. SchKG) die Aufhebung des ganzen
Vertrags unter Rückgewähr der beidseitigen Leistungen hätten vereinbaren
können. Da nicht behauptet wird, die Rekurrentin bzw. ihr Vertreter
habe der Käuferin den Wagen eigenmächtig weggenommen, muss angenommen
werden, diese habe in die Wegnahme, der sie sich nach den vorliegenden
Briefen zunächst widersetzt hatte, schliesslich eingewilligt. Wie dem
aber auch sei, so ist die Konkursmasse auf jeden Fall nicht befugt,
gegenüber der Rekurrentin, die den Wagen heute besitzt, zur Selbsthilfe zu
schreiten. Vielmehr muss sie Klage einleiten, wenn sie geltend machen will,
die Rekurrentin habe den Wagen zu Unrecht in Verwahrung. Der Masse stehen
in dieser Hinsicht nicht mehr Rechte zu, als sie vor der Konkurseröffnung
der Gemeinschuldnerin zustanden.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz leitet die Befugnis des Konkursamtes, den streitigen
Wagen in Verwahrung zu nehmen, daraus ab, dass der Eigentumsvorbehalt nach
dem Kreisschreiben Nr. 29 der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 31.
März 1911 wirtschaftlich nichts anderes als ein Pfandrecht des Verkäufers
sei und dass es sich darum rechtfertige, die Vorschrift von Art. 232
Ziff. 4 SchKG, wonach die Pfandgläubiger Sachen des Gemeinschuldners ohne
Nachteil für ihr Vorzugsrecht dem Konkursamt zur Verfügung zu stellen
haben, auf einen Fall wie den vorliegenden entsprechend anzuwenden. Auf
diese Bestimmung hat sich auch das Konkursamt in seiner Vernehmlassung
zur Beschwerde berufen.

    Das erwähnte Kreisschreiben stellt jedoch den Eigentumsvorbehalt
nur für den Bereich der Zwangsvollstreckung auf dem Wege der Pfändung
in gewisser Hinsicht einem Pfandrecht gleich. Diese Lösung erklärt
sich daraus, dass die Pfändung des dem Käufer zustehenden Rechts,
gegen Bezahlung der Kaufpreisrestanz das Eigentum zu erwerben,
Schwierigkeiten bereiten würde. Um diese Schwierigkeiten zu umgehen,
wird die unter Eigentumsvorbehalt stehende Sache selber gepfändet,
aber bei ihrer Versteigerung in entsprechender Anwendung von Art. 126
SchKG (Deckungsprinzip) der Zuschlag nur erteilt, wenn das Angebot die
Kaufpreisrestanz übersteigt. Im übrigen bleibt dem Verkäufer, wie im
Kreisschreiben Nr. 14 des Bundesgerichts vom 11. Mai 1922 festgestellt,
trotz der Pfändung das Recht gewahrt, das vorbehaltene Eigentum geltend
zu machen (vgl. BGE 80 III 27). Die Gleichstellung des Eigentumsvorbehalts
mit einem Pfandrecht hat also nur eine beschränkte Tragweite.

    Fällt der Käufer in Konkurs, so kann schon deshalb nicht nach
dem Kreisschreiben vom 31. März 1911 vorgegangen werden, weil
dem Konkursverfahren das Deckungsprinzip fremd ist (BGE 38 I 260 =
Sep.ausg. 15 S. 77; BGE 73 III 170). Dazu kommt, dass im Konkursverfahren
der Vermögenswert, der im Recht des Käufers auf Erwerb des Eigentums
gegen Zahlung des Restkaufpreises steckt, zugunsten der Gläubiger in
Geld umgesetzt werden kann, ohne dass der Eigentumsvorbehalt einem
Pfandrecht gleichgestellt wird. Wie in den eben angeführten Entscheiden
dargelegt, ist die Konkursverwaltung befugt, in den Vertrag einzutreten,
die Kaufpreisrestanz zu bezahlen, auf diese Weise das Eigentum am
Kaufgegenstand zu erwerben und diesen hierauf zugunsten der Masse zu
verwerten. Der Verkäufer hat abzuwarten, ob sich die Konkursverwaltung
hiefür entscheidet, sofern er nicht schon vor der Konkurseröffnung
vom Vertrag zurückgetreten ist. Dies gilt auch dann, wenn er sich, wie
hier geschehen, den Kaufgegenstand von dem in Verzug geratenen Käufer
zurückgeben liess, ohne zugleich vom Vertrage zurückzutreten. (Den
Rücktritt hat die Rekurrentin entgegen der von ihr in der Rekursschrift
vertretenen Auffassung nicht erklärt.) Die Gründe, die dazu führten,
den Eigentumsvorbehalt im Pfändungsverfahren unter bestimmten Umständen
wie ein Pfandrecht zu behandeln, treffen also im Falle des Konkurses
nicht zu. Den Verkäufer, der den unter Eigentumsvorbehalt verkauften
Gegenstand vor der Konkurseröffnung wieder in Verwahrung genommen hat,
unter dem Gesichtspunkte von Art. 232 Ziff. 4 SchKG als Pfandgläubiger zu
betrachten, lässt sich aber auch nicht etwa mit dem Hinweis auf die Gefahr
rechtfertigen, dass der Verkäufer den Kaufgegenstand vor der Entscheidung
der Konkursverwaltung über den Vertragseintritt an einen Dritten veräussern
könnte. Die Konkursverwaltung ist so wenig wie vor der Konkurseröffnung
der Käufer befugt, zur Sicherung des rein schuldrechtlichen Anspruchs
auf Erwerb des Eigentums, der ihr bezüglich des Kaufgegenstandes
einzig zusteht, gegen den diesen Gegenstand besitzenden und zu Eigentum
beanspruchenden Verkäufer aus eigener Machtvollkommenheit Zwangsmassnahmen
zu ergreifen. Sie hat vielmehr wie ausserhalb des Konkursverfahrens
der Käufer selber nur die Möglichkeit, beim Richter nach Massgabe des
kantonalen Prozessrechts allenfalls eine vorsorgliche Massnahme zu
erwirken, wenn der Anspruch der Masse auf Erwerb des Eigentums gegen
Zahlung des Restkaufpreises als gefährdet erscheint. Ausserdem kann sie
den Verkäufer, der diesen Anspruch durch Weiterveräusserung der Kaufsache
vereitelt, auf Schadenersatz belangen.

    Dass der Anspruch der Rekurrentin auf eine Sicherheit für die
Kaufpreisrestanz auch bei entsprechender Anwendung von Art. 232 Ziff. 4
SchKG gewahrt bliebe, wie das Konkursamt und die Vorinstanz dies annehmen,
mag zutreffen. Hierauf kommt jedoch nichts an. Entscheidend ist vielmehr,
dass die Rekurrentin nicht bloss Pfandgläubigerin ist, sondern an dem in
ihrem Besitz befindlichen Wagen das Eigentum beansprucht, und dass das
Gesetz die Anwendung von Zwang gegen einen Dritten, der die Vermutung
des Eigentums für sich hat, ohne vorausgehendes Gerichtsverfahren nicht
gestattet.

    Das Hauptbegehren der Rekurrentin ist demgemäss zu schützen.

Erwägung 4

    4.- Auf die Begehren, dem Konkursbeamten sei eine Rüge zu erteilen und
er sei als schadenersatzpflichtig zu erklären, ist nicht einzutreten, weil
dem Bundesgericht gegenüber den kantonalen Betreibungs- und Konkursbeamten
keine Disziplinarbefugnisse zustehen (BGE 79 III 154 Erw. 3, 81 III 72)
und weil Schadenersatzansprüche gegen diese Beamten gemäss Art. 5 SchKG
vor dem ordentlichen Richter geltend zu machen sind.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass das
Konkursamt Riesbach-Zürich angewiesen wird, den am 6. Juni 1963 in
amtliche Verwahrung genommenen Personenwagen Chevrolet der Rekurrentin
zurückzugeben.

    Im übrigen wird auf den Rekurs nicht eingetreten.