Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 I 75



89 I 75

13. Auszug aus dem Urteil vom 8. Mai 1963 i.S.
Konservativ-christlichsoziale Volkspartei Grenchen und Pfister gegen
Gemeinderat Grenchen und Regierungsrat des Kantons Solothurn. Regeste

    Unvereinbarkeit: Die Tätigkeit als Lehrer an der Kaufmännischen
Berufsschule Grenchen ist nach geltendem Recht mit der Mitgliedschaft in
der Schulkommission der Einwohnergemeinde Grenchen nicht unvereinbar.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Die nach dem Proporzwahl-System durchzuführenden Kommissionswahlen
der Einwohnergemeinde Grenchen waren vom Einwohnergemeinderat auf
den 23. Juli 1961 angesetzt worden. Die politischen Parteien wurden
eingeladen, ihre Kandidatenlisten einzureichen, worauf die konservativ-
christlichsoziale Volkspartei der Einwohnergemeinde Grenchen Willy Pfister,
Handelslehrer in Grenchen, als Mitglied der Schulkommission vorschlug.

    Da von allen Parteien zusammen nicht mehr Kandidaten vorgeschlagen
wurden, als Mandate zu vergeben waren, und weil von keiner Seite
Einsprache gegen die portierten Kandidaten erhoben wurde, fanden die auf
den 23. Juli 1961 angesetzten Wahlen nicht statt. Der Gemeinderat erklärte
die vorgeschlagenen Kandidaten in seiner Sitzung vom 20. Juli 1961 als
in stiller Wahl gewählt, behielt sich jedoch die "Validierung" der Wahl
von Willy Pfister als Mitglied der Schulkommission vor und beauftragte
das Ammannamt, genau abzuklären, ob ein Lehrer jener Behörde, welcher
die unmittelbare Aufsicht über ihn zusteht, angehören könne.

    Am 20. Februar 1962 beschloss der Gemeinderat der Einwohnergemeinde
Grenchen mit 22 gegen 5 Stimmen, bei 2 Stimmenthaltungen, die Wahl des
Willy Pfister in die Schulkommission nicht zu "validieren".

    B.- Die von der konservativ-christlichsozialen Volkspartei der
Einwohnergemeinde Grenchen und Willy Pfister gegen diesen Beschluss
eingereichte Beschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Solothurn am
15. Januar 1963 ab. Immerhin forderte er den Gemeinderat auf, "Herrn Willy
Pfister nachträglich noch eine Frist anzusetzen zur Abgabe der Erklärung,
ob er auf das Amt eines Handelslehrers oder die Mitgliedschaft in der
Schulkommission verzichte".

    C.- Diesen Entscheid des Regierungsrates vom 15. Januar 1963 fechten
die konservativ-christlichsoziale Volkspartei der Einwohnergemeinde
Grenchen und Willy Pfister mit staatsrechtlicher Beschwerde an. Sie
beantragen, den angefochtenen Entscheid wegen Verletzung von Art. 4 und 43
BV und Art. 8 und 55 der solothurnischen Kantonsverfassung (KV) aufzuheben.

    D.- Der Regierungsrat des Kantons Solothurn beantragt Abweisung
der Beschwerde; die Einwohnergemeinde Grenchen hat auf Vernehmlassung
verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    1./2. - ...

Erwägung 3

    3.- Sodann bestreiten die Beschwerdeführer, dass es unvereinbar sei,
als Lehrer an der Kaufmännischen Berufsschule Grenchen zu wirken und
gleichzeitig der Schulkommission anzugehören. Ausgangspunkt für die
Abklärung dieser Frage bildet Art. 4 KV, welche Bestimmung wie folgt
lautet:

    "Die gesetzgebende, die vollziehende und die richterliche Gewalt sind
als solche getrennt. Das Gesetz bestimmt im Besonderen, welche Beamtungen
nicht zu gleicher Zeit von einer und derselben Person bekleidet und
welche Berufsarten von den Inhabern bestimmter Beamtungen nicht ausgeübt
werden dürfen".

    Mit dem hier umschriebenen Vorbehalt des Gesetzes wird zum Ausdruck
gebracht, dass nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen Unvereinbarkeit
zwischen zwei Beamtungen oder zwischen einer Berufsart und einer bestimmten
Beamtung angenommen werden darf. Im vorliegenden Falle ist deshalb zu
prüfen, ob eine gesetzliche Grundlage bestehe, die zu sagen erlaubt, die
Tätigkeit als Lehrer an der Kaufmännischen Berufsschule sei mit derjenigen
eines Mitgliedes der Schulkommission nicht vereinbar. Da es sich dabei
um Inhalt und Tragweite politischer Rechte handelt, ist das Bundesgericht
bei der Überprüfung dieser Frage frei (BGE 75 I 245, 83 I 176).

    Eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung des Inhaltes, dass ein
Lehrer der Kaufmännischen Berufsschule nicht Mitglied der Schulkommission
sein dürfe, fehlt. Der Regierungsrat stellt dies nicht in Abrede,
macht jedoch zur Begründung seiner Auffassung geltend, in Ansehung eines
allgemeinen Rechtsgrundsatzes, dass ein Funktionär nicht Mitglied seiner
eigenen Aufsichtsbehörde sein könne, ergebe sich die Unvereinbarkeit
Primarlehrer/Mitglied der Schulkommission "sinngemäss" aus § 66
des Primarschulgesetzes vom 27. April 1873 (PSG) und es würde eine
rechtsungleiche Behandlung darstellen, wenn bei den Handelslehrern nicht
die gleiche Regelung wie bei den Primarlehrern angewendet würde. Diese
Argumentation vermag nicht zu überzeugen.

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass ein allgemeiner, in den
schweizerischen Kantonen durchwegs anerkannter Rechtsgrundsatz,
dass ein Funktionär nicht Mitglied seiner eigenen Aufsichtsbehörde
sein kann, nicht besteht. Im Gegenteil erscheint nach GIACOMETTI
(Staatsrecht der schweizerischen Kantone, S. 280) "eine Kumulation von
Ämtern aus verschiedenen Funktionen in grösserem oder kleinerem Umfange
statthaft". Von den 25 Kantonen und Halbkantonen erklären denn auch nur 9
Verwaltungs- und Gesetzgebungsfunktionen als miteinander nicht vereinbar;
12 schliessen vom kantonalen Parlament nur die höheren Verwaltungsbeamten
aus, und in den 4 übrigen Kantonen ist diese Art von Unvereinbarkeit
überhaupt nicht bekannt (FRANK, Die Unvereinbarkeit von Bundesbeamtung
und Nationalratsmandat, S. 93; vgl. auch HASELBACH, Die Unvereinbarkeit
im schweizerischen Staatsrecht, S. 63 ff.). Beispielsweise wird in
diesem Zusammenhange sogar auf einen Fall hingewiesen, in dem ein
kantonaler Angestellter gleichzeitig Mitglied des Regierungsrates war
(ROTEN, Le problème des incompatibilités, ZBl 1957 S. 319). Die gleiche
Vermischung der Gewalten ist auch in vielen Gemeinden anzutreffen (MOHR,
in "Die Durchführung der Gewaltenteilung in der Schweiz", S. 59 f.).

    Im solothurnischen Recht ist eine besonders sorgfältige Trennung
der Gewalten nicht verwirklicht worden. Zwar können nach Art. 23 KV die
kantonalen Verwaltungsbeamten und die Angestellten anderer Staatsorgane
nicht Mitglieder des Grossen Rates sein, doch gilt diese Bestimmung
nur für die Beamten und Angestellten des Kantons. Mit Bezug auf die
Beamten und Angestellten der Gemeinden bestimmt dagegen § 94 Abs. 3
des Gemeindegesetzes vom 27. März 1949 (GG) nur: "Die Gemeindeordnung
kann bestimmen, dass die Beamten, Angestellten und Arbeiter der
Gemeindeverwaltung nicht Mitglieder des Gemeinderates sein können". Die
gleiche Regelung gilt gemäss § 114 Abs. 3 GG auch bei den Wahlen in die
Gemeindekommissionen. Sofern das Recht der Gemeinden nicht etwas anderes
vorsieht, ist es demnach grundsätzlich zulässig, als Beamter, Angestellter
oder Arbeiter der Gemeindeverwaltung tätig zu sein und gleichzeitig dem
Gemeinderat oder einer Gemeindekommission anzugehören.

    Weshalb nach Schulgesetz die Zugehörigkeit von Lehrern zur
Schulkommission ausgeschlossen und damit etwas verboten sein soll, was
die Gemeinden gemäss Gemeindegesetz auf die eine oder andere Art regeln
dürfen, ist nicht ersichtlich. Wenn der Regierungsrat geltend macht,
die Beziehungen zwischen Schulkommission und Lehrer seien "weit enger
als dies sonst zwischen Gemeindefunktionär und Gemeinderat... der Fall"
sei, so ist dem nur in ganz beschränktem Umfange zuzustimmen, denn die
Lehrer geniessen im allgemeinen bei ihrer Lehrtätigkeit eine Freiheit,
wie sie der Mehrzahl der unteren Gemeindefunktionäre nicht zukommt. Die
Tatsache, dass Gemeindefunktionäre prinzipiell dem Gemeinderat angehören
dürfen, obschon diesem die Aufsicht über die gesamte Gemeindeverwaltung
obliegt, versucht der Regierungsrat mit dem Hinweis zu erklären, dass
"sonst in kleineren Gemeinden die Behörden wegen Mangels an geeigneten
Leuten oft nicht ordnungsgemäss bestellt werden könnten". Die nämliche
Überlegung hat jedoch auch im Zusammenhang mit der Schulkommission Platz
zu greifen, da in kleinen Verhältnissen die Bestellung dieser Behörde
wegen der Voraussetzungen, die ihre Mitglieder erfüllen sollten, oft ganz
besondere Schwierigkeiten bereiten kann. "Sinngemäss" lässt sich deshalb
zusammenfassend dem Primarschulgesetz nur entnehmen, dass es mit Bezug
auf die Unvereinbarkeit keine andere als die in den §§ 94 Abs. 3 und
114 Abs. 3 des Gemeindegesetzes umschriebene Lösung enthält und dass
es deshalb der Gemeindegesetzgebung vorbehalten bleibt, die Tätigkeit
als Primarlehrer und die Mitgliedschaft in der Schulkommission als
unvereinbar zu erklären. Die Gemeindeordnung der Einwohnergemeinde der
Stadt Grenchen vom 9. März 1951 enthält keine entsprechende Bestimmung,
sodass eine gesetzliche Grundlage für die Annahme einer Unvereinbarkeit
Handelslehrer/Mitglied der Schulkommission fehlt.

    Zu Unrecht beruft sich der Regierungsrat auf § 98 der
Vollziehungsverordnung vom 26. Mai 1877 zum Primarschulgesetz. Diese vom
Regierungsrat erlassene Vorschrift ist nicht eine Norm der Gesetzesstufe
und würde deshalb nur eine genügende Grundlage bilden, wenn sie auf einer
Gesetzesdelegation beruhen würde. Das ist nicht der Fall. Insbesondere kann
in Art. 38 Ziff. 1 KV, welche Bestimmung den Regierungsrat ermächtigt,
die zum Vollzug der Gesetze erforderlichen Verordnungen zu erlassen,
keine solche Delegation erblickt werden, weil sonst der in Art. 4 KV
umschriebene Vorbehalt des Gesetzes ohne jede Bedeutung wäre.

    Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, dass es an der gemäss
Art. 4 KV erforderlichen gesetzlichen Grundlage für die Annahme einer
Unvereinbarkeit zwischen der Tätigkeit als Lehrer an der Kaufmännischen
Berufsschule Grenchen und derjenigen als Mitglied der Schulkommission
fehlt. Der angefochtene Entscheid, mit welchem diese Unvereinbarkeit in
Übereinstimmung mit der Auffassung des Gemeinderates Grenchen bejaht
worden ist, verletzt somit eine Verfassungsbestimmung und ist deshalb
aufzuheben. Zur Frage, ob auch Handelslehrer nicht der Schulkommission
angehören dürften, wenn Primarlehrer von dieser Behörde ausgeschlossen
wären, braucht unter diesen Umständen nicht Stellung genommen zu werden.

Erwägung 4

    4.- ....

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen.