Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 I 513



89 I 513

73. Auszug aus dem Urteil vom 11. Dezember 1963 i.S. Winet und
Mitbeteiligte gegen Gemeinderat von Lachen und Regierungsrat des Kantons
Schwyz. Regeste

    Art. 4 BV, Art. 88 und 90 OG.

    1.  Beschwerdeführungsbefugnis des Nachbars. Eine Beschränkung der
eigenen Baumöglichkeit, derentwegen dem Nachbar die staatsrechtliche
Beschwerde offen steht, kann sich u.U. auch aus der einem andern
Grundeigentümer erteilten Höherbaubewilligung ergeben (Erw. 2).

    2.  Willkürliche Anwendung einer allgemeinen Bestimmung an Stelle der
einschlägigen Sondervorschrift. Die Förderung des sozialen Wohnungsbaues
bildet keinen Grund, um Abweichungen von zwingenden baupolizeilichen
Vorschriften zu gestatten (Erw. 3).

    3.  Kassatorische Natur der staatsrechtlichen Beschwerde; Ausnahme
bei Beschwerden wegen Verweigerung einer Polizeibewilligung (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Nach Art. 10 der Bauverordnung der Gemeinde Lachen (BVL) vom
26. April 1943 dürfen in der Bauzone II Bauten mit höchstens zwei
Geschossen unter Einhaltung eines Grenzabstandes von seitlich 5 m
und rückwärtig 7,5 m gebaut werden. Der Gemeinderat kann nach Art. 22
"Ausnahmen von den Bestimmungen der Bauverordnung bewilligen, sofern
besondere Verhältnisse privater oder öffentlicher Natur vorliegen". Am
26. April 1959 nahm die Gemeindeversammlung folgende neue Bestimmungen an:

    Ergänzung von Art. 10 BVL.  In den Zonen II und III kann der
Gemeinderat Einzelobjekte oder ganze Quartiere mit mehr als 2 Geschossen
bewilligen, sofern dadurch das Gesamtbild nicht gestört, bestehende
Objekte nicht beeinträchtigt und nachfolgende Mindestgrenzabstände
eingehalten werden:

    seitlich und rückwärtig das 0,6-fache der Gebäudehöhe, jedoch
mindestens die Abstande von Abs. 1.

    Die Gebäudehöhe wird ab bestehendem Terrain bis zur halben Giebelhöhe
gemessen.

    Abänderung von Art. 21 BVL.

    Bei bestehenden Gebäuden, deren Grenzabstände nicht den Vorschriften
des Art. 10 entsprechen, darf der Nachbar die Grenzabstände von
neuen Gebäuden auf die gleichen Masse reduzieren wie beim bestehenden
Gebäude. Diese Abstände dürfen aber nicht weniger als die Hälfte der
Abstände gemäss Art. 10 betragen.

    B.- Die Wohnbaugenossenschaft "Freies Wohnen" möchte auf einem 1192 m2
umfassenden Grundstück im Rotbachquartier, das in der Bauzone II liegt,
ein 37,55 m langes und (einschliesslich der Dachbrüstung) 14,63 m hohes
fünfgeschossiges Flachdachhaus mit zwanzig Wohnungen erstellen. Sie kam
beim Gemeinderat von Lachen um die Baubewilligung ein. Neun Eigentümer
von Grundstücken im Quartier erhoben gegen das Baugesuch Einsprache,
weil in der Bauzone II grundsätzlich nur zweigeschossige Häuser zulässig
seien, die Grenzabstände gemäss Art. 10 BVL nicht gewahrt seien und
die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nicht
vorlägen. Der Gemeinderat wies die Einsprache ab, stellte aber fest,
dass die Baubewilligung erst erteilt werde, "wenn die Bundes-, Kantons-
und Gemeindevorschriften über die Förderung des sozialen Wohnungsbaues
erfüllt sind".

    Die Einsprecher beschwerten sich hierüber beim Regierungsrat des
Kantons Schwyz. Dieser hat die Beschwerde am 27. Mai 1963 abgewiesen. Er
hat dazu ausgeführt:

    Vorschriften über Gebäude- und Grenzabstände oder gegen die Belästigung
der Umgebung durch Lärm, Rauch usw. schützten neben öffentlichen Interessen
auch (oder sogar in erster Linie) die Nachbarn, so dass diese wegen
Verletzung derartiger Bestimmungen Beschwerde führen könnten. Ob diese
Befugnis auch den bloss mittelbaren Nachbarn zustehe, könne offen bleiben,
da mehrere Beschwerdeführer Anstösser seien. Der Gemeinderat von Lachen
habe im angefochtenen Beschluss zwar das Baugesuch noch nicht genehmigt,
jedoch klar zum Ausdruck gebracht, dass er bei Erteilung der Bewilligung
den Einwendungen der Beschwerdeführer keine Folge geben werde. Diese
seien daher durch den getroffenen Entscheid endgültig benachteiligt.

    Ob die Erstellung des Neubaus das ziemlich uneinheitlich wirkende
Rotbachquartier und insbesondere die Nachbargrundstücke beeinträchtigen
würde, sei mindestens zweifelhaft. Nicht bestreiten lasse sich dagegen,
dass der Neubau die in der Novelle zu Art. 10 BVL vorgeschriebenen
Grenzabstände nicht einhalte. Der Gemeinderat habe die Ausnahmebewilligung
indes nicht auf Grund dieser Bestimmung, sondern gestützt auf Art. 22 BVL
zugesichert. Es erwecke zwar Bedenken, dass eine Bauordnung so weitgehende
und unbestimmte Ausnahmen vorsehe. Das kantonale Recht verbiete jedoch
derartige Ermächtigungen nicht. Der neue Art. 10 stehe der Anwendung des
Art. 22 BVL gleichfalls nicht entgegen. Art. 10 BVL umschreibe besondere
Voraussetzungen baulicher Art für die Zulassung weiterer Geschosse in den
Zonen II und III. Das schliesse nicht aus, dass noch weitere Gründe für
eine Ausnahmebewilligung vorliegen könnten, so namentlich Rücksichten auf
die Person des Bauherrn oder den Zweck der projektierten Baute. Art. 22
BVL lasse seinem Wortlaut nach solche weiteren Gründe zu. Der Gemeinderat
habe die Ausnahmebewilligung zugesichert, weil es sich um einen sozialen
Wohnungsbau handle. Er sei damit im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens
geblieben, da die Schwierigkeit, im Gebiet der Gemeinde Lachen Bauland
zu günstigem Preis zu finden, und die Notwendigkeit, den Baugrund zur
Erlangung tragbarer Mieten bestmöglich auszunützen, es als verständlich
erscheinen liessen, von der Einhaltung der Zonenvorschriften abzusehen. Es
lägen insofern "besondere Verhältnisse privater und öffentlicher Natur"
vor, die nach Art. 22 BVL eine Ausnahmebewilligung rechtfertigten.

    C.- Karl Winet, Otto Flattich, die Firma Rothlin & Co.  sowie sechs
weitere Grundeigentümer, die gegen das Baugesuch Einsprache erhoben hatten,
führen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV mit
dem Antrag, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben und dieser
sei anzuhalten, das Baugesuch abzuweisen, allenfalls nach Anweisung des
Bundesgerichts neu über die Baubewilligung zu befinden.

    D.- Der Gemeinderat von Lachen hat auf Vernehmlassung verzichtet. Der
Regierungsrat schliesst, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei. Die Wohnbaugenossenschaft "Freies Wohnen" beantragt,
auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, allenfalls sei sie abzuweisen.

    E.- Gemäss Verfügung vom 14. Oktober 1963 ruhte das Verfahren bis zum
Entscheid der kantonalen Behörde über die Baubewilligung. Der Gemeinderat
von Lachen hat diese am 31. Oktober 1963 unter Vorbehalt der Erledigung
der privatrechtlichen Einsprachen und der vorliegenden Beschwerde erteilt.

    F.- Eine Instruktionskommission des Bundesgerichts hat den Bauplatz in
Augenschein genommen und dabei insbesondere die umstrittenen Grenzabstände
festgestellt.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Nachdem die Baubewilligung erteilt worden ist, steht der
Behandlung der Beschwerde vom Standpunkt des Art. 87 OG aus nichts mehr
entgegen.)

Erwägung 2

    2.- Laut Art. 88 OG kommt das Recht zur Beschwerdeführung Bürgern
und Korporationen "bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie
durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder
Verfügungen erlitten haben". Dem Einzelnen steht dieses Rechtsmittel
demnach lediglich zur Wahrung seiner eigenen rechtlich erheblichen
Interessen offen; zur Wahrung allgemeiner öffentlicher Interessen wie auch
zur Verfolgung bloss tatsächlicher Interessen ist die staatsrechtliche
Beschwerde hingegen nicht gegeben (BGE 86 I 284 mit Verweisungen, 88 I 179;
ZBl 1963 S. 146).

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die Rechtsstellung des
Grundeigentümers nicht beeinträchtigt und er ist demgemäss nicht befugt,
staatsrechtliche Beschwerde zu führen, wenn der kantonale Entscheid
lediglich feststellt, dass dem Bauvorhaben des Nachbars vom polizeilichen
Standpunkt aus kein Hindernis im Wege steht und es die zur Anwendung
kommenden öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften nicht verletzt. Die
Rechtsprechung bringt dabei jedoch einen Vorbehalt an für den Fall, dass
der Grundeigentümer durch die einem Nachbar erteilte Baubewilligung in
den eigenen Baumöglichkeiten eingeschränkt wird. Wie das Bundesgericht in
BGE 88 I 180 erkannt hat, wirkt die Baubewilligung sich namentlich dann
in dieser Weise auf das Nachbargrundstück aus, wenn öffentlich-rechtliche
Bauvorschriften Gebäudeabstände festlegen und der Grenzabstand, der einem
Gesuchsteller in der Baubewilligung vorgeschrieben wird, auch darüber
entscheidet, wie nahe der Nachbar an die Grenze heranbauen darf. Nach dem
Nidwaldner Baugesetz, das in jenem Fall anwendbar war, wirkt sich die
Höhe der Überbauung des einen Grundstücks nicht auf die Überbaubarkeit
des Nachbargrundstückes aus. Das Bundesgericht konnte deswegen "unter
den obwaltenden Umständen" die vom Nachbar erhobene Rüge der Verletzung
der Bestimmungen über die zulässige Bauhöhe nicht hören. Das heisst
nicht, dass es diese Einwendung in allgemeiner Weise hätte ausschliessen
wollen. Im Gegensatz zum Nidwaldner Baugesetz lässt das Recht verschiedener
anderer Kantone und zahlreicher Gemeinden die einzuhaltenden Grenz-
und Gebäudeabstände in dem Sinne von der Gebäudehöhe abhangen, dass für
höhere Bauten grössere Abstände vorgeschrieben sind. Einem Grundeigentümer
darf demzufolge das Höherbauen nur bewilligt werden, wenn er sich an den
entsprechend erweiterten Grenzabstand hält. Wird ihm diese Bedingung
nicht auferlegt und baut er demgemäss näher an die Grenze, als es an
sich den Vorschriften entsprechen würde, so führt das dazu, dass der
Nachbar seinerseits wegen des einzuhaltenden Gebäudeabstandes um mehr
als den gesetzlichen Grenzabstand von der Grenze abrücken muss. Macht
der Nachbar geltend, dass er durch eine verfassungswidrige Anwendung der
Höherbauvorschriften dergestalt in der eigenen Baufreiheit eingeschränkt
werde, dann ist er nach dem Gesagten befugt, staatsrechtliche Beschwerde
zu führen.

    Die Vorschriften der BVL über die Abstände und die Bauhöhe gehören
dem öffentlichen Recht an. Nach Art. 10 Abs. 1 BVL ist in der Zone II,
in der zwei Geschosse zugelassen sind, ein Grenzabstand von seitlich 5 m
und rückwärtig 7,5 m einzuhalten. Laut Ergänzung zu Art. 10 BVL können
in der Zone II Bauten mit mehr als zwei Geschossen bewilligt werden
(wenn das Gesamtbild des Quartiers nicht gestört wird und bestehende
Objekte nicht beeinträchtigt werden), sofern der Grenzabstand seitlich
und rückwärtig das 0,6-fache der Gebäudehöhe ausmacht, mindestens aber
seitlich 5 m und rückwärtig 7,5 m beträgt. Gemäss Art. 10 Abs. 3 BVL
entspricht der Gebäudeabstand der Summe der Grenzabstände. Wird einem
Bauherrn die Erstellung einer Baute bewilligt, ohne dass die in Art. 10
Abs. 1 BVL umschriebenen Grenzabstände gewahrt sind, und wird ihm eine
Vermehrung der Geschosszahl erlaubt, ohne dass die Grenzabstände im Sinne
der Ergänzung zu Art. 10 BVL verlängert werden, so muss der Nachbar,
um den in Art. 10 Abs. 3 BVL festgesetzten Gebäudeabstand einzuhalten,
bei einer Überbauung seines Grundstücks um mehr als den in Art. 10 Abs. 1
BVL vorgesehenen Grenzabstand von der Grenze abrücken; er wird insofern
in seiner Baufreiheit beeinträchtigt.

    Der Kreis derer, die solcherart durch die einem Dritten erteilte
Baubewilligung in ihren eigenen Rechten verletzt sein können, beschränkt
sich auf jene Nachbarn, deren Grundstücke im Bereich der Gebäudeabstände
liegen, in der Regel also auf die Anstösser. Im vorliegenden Falle
grenzen allein die Grundstücke der Beschwerdeführer Flattich und Winet
an den Bauplatz. Während Flattich durch die streitige Baubewilligung
in seiner Baufreiheit beeinträchtigt sein könnte, trifft das auf Winet
(dessen Parzelle lediglich mit einer Ecke an den Bauplatz stösst) von
vornherein nicht zu. Die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Baufreiheit
zeichnet sich dagegen ausserdem für die Beschwerdeführerin Rothlin &
Co. ab. Deren Grundstücke werden zwar durch einen schmalen Streifen der
Parzelle 603 (der Erbengemeinschaft Weber) vom Bauplatz getrennt. Weil
der Streifen (der gemäss Projekt der Beschwerdegegnerin einen privaten
Zubringerweg aufnehmen soll) für eine Überbauung nicht in Frage kommt,
dürften indes die einzuhaltenden Gebäudeabstände zwischen dem geplanten
Neubau und den Gebäuden, die auf den Grundstücken der Beschwerdeführerin
Rothlin & Co. stehen oder erstellt werden, zu messen sein. Ob die
Abstandsvorschriften so gehandhabt werden und ob die Beschwerdeführerin
Rothlin & Co. wie auch der Beschwerdeführer Flattich tatsächlich in
ihrer Baufreiheit beeinträchtig werden, ist nicht eine Zulassungsfrage,
sondern eine Frage der Begründetheit der Beschwerde und daher in jenem
Zusammenhang zu behandeln. Bei der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen
muss es genügen, dass eine solche Rechtsverletzung in hinreichender
Weise behauptet worden ist (BACHOF, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht,
Verfahrensrecht in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
S. 202; ders., Zum Problem des Klagerechts im Anfechtungsprozess, Nachwort,
AöR 88 S. 428 A. 8). Das trifft hier mit Bezug auf die Beschwerdeführer
Flattich und Rothlin & Co. zu.

    Die Beschwerde kann mithin jedenfalls insoweit an Hand genommen
werden, als sie von den genannten Beschwerdeführern erhoben worden
ist und diese eine verfassungswidrige Anwendung der Grenzabstands-
und Höherbauvorschriften sowie in Verbindung damit eine Verweigerung
des rechtlichen Gehörs geltend machen. Hinsichtlich der übrigen Rügen
und soweit das Rechtsmittel von den weiteren Beschwerdeführern erhoben
worden ist, kann nach der Rechtsprechung auf die Beschwerde nicht
eingetreten werden. Auf die Kritik, die an dieser Praxis geübt wird,
braucht hier nicht eingegangen zu werden, da eine Prüfung der übrigen
Beschwerdepunkte und insbesondere der von den weiteren Beschwerdeführern
allein erhobenen Einwendungen sich ohnehin aus Gründen materieller Art
erübrigt (vgl. Erw. 5).

Erwägung 3

    3.- Der streitige Neubau soll in der Bauzone II errichtet werden,
wo grundsätzlich zwei Geschosse zulässig sind und der Grenzabstand
seitlich 5 m und rückwärtig 7,5 m betragen muss. Der Gemeinderat hat
der Beschwerdegegnerin die Ausnahmebewilligung zur Erstellung eines
fünfgeschossigen Hauses erteilt, wobei er sich auf Art. 22 BVL berufen
hat. Der Regierungsrat hat die Abweisung der Einsprachen gegen das
Bauvorhaben unter Hinweis auf die nämliche Bestimmung bestätigt. Die
Beschwerdeführer halten demgegenüber dafür, Art. 22 sei im vorliegenden
Fall nicht anwendbar, weil er als ältere allgemeine Vorschrift vor der
neueren Sonderbestimmung des ergänzten Art. 10 BVL zu weichen habe. Dieser
Einwand ist begründet.

    Die am 26. April 1943 erlassene BVL ermächtigt in Art. 22 den
Gemeinderat in allgemeiner Weise, "Ausnahmen von den Bestimmungen der
Bauverordnung zu bewilligen, sofern besondere Verhältnisse privater
oder öffentlicher Natur vorliegen". Die am 26. April 1959 angenommene
Ergänzung zu Art. 10 BVL dagegen umschreibt im Besondern, unter
welchen Voraussetzungen der Gemeinderat in den Zonen II und III mehr
als zwei Geschosse bewilligen darf, nämlich nur, "sofern dadurch das
Gesamtbild nicht gestört, bestehende Objekte nicht beeinträchtigt" und
Mindestgrenzabstände eingehalten werden, die "seitlich und rückwärtig das
0,6-fache der Gebäudehöhe", wenigstens jedoch seitlich 5 m und rückwärtig
7,5 m betragen. Nach dem Grundsatz, dass die neuere Sonderbestimmung der
älteren allgemeinen Vorschrift vorgeht, hat Art. 22 vor der Ergänzung
zu Art. 10 BVL zurückzutreten: Soweit der ergänzte Art. 10 anwendbar
ist, greift Art. 22 BVL nicht mehr Platz. Dieser Schluss wird durch die
Umstände bestätigt. Die Beschwerdeführer weisen zutreffend darauf hin,
dass der Gemeinderat vor dem Erlass des ergänzten Art. 10 das Höherbauen
gestützt auf Art. 22 BVL gestatten konnte. Diese Möglichkeit musste
mithin nicht erst eröffnet werden. Der Sinn der Revision war vielmehr
ein anderer. Wenn in der Ergänzung zu Art. 10 BVL hervorgehoben wird,
dass der Gemeinderat das Höherbauen bewilligen darf, so war damit
zu rechnen, dass die Behörde vermehrt von dieser ihr schon bisher
zustehenden Befugnis Gebrauch machen werde; um Missbräuchen vorzubeugen,
die sich aus einer Häufung der Ausnahmebewilligung ergeben könnten,
wurden aber gleichzeitig der Zuständigkeit des Gemeinderates bestimmte
Grenzen gesetzt. Wurden die Bedingungen für das Höherbauen zuvor von
der Behörde frei und von Fall zu Fall festgelegt, so sind sie nunmehr in
allgemeiner Weise rechtssatzmässig umschrieben, was die Einheitlichkeit
und Folgerichtigkeit der Bewilligungspraxis verstärkt, die Rechtssicherheit
gefestigt und die Gefahr einer rechtsungleichen Behandlung vermindert hat.
Diese gesetzgeberischen Ziele lassen es nicht zu, dass der Gemeinderat
im Einzelfall mit Rücksicht auf die Person des Bauherrn oder den Zweck
des Bauvorhabens doch wieder von seinem Ermessen Gebrauch macht. Was die
Festlegung der Abstände anbelangt, kann somit Art. 22 neben dem ergänzten
Art. 10 BVL keine Anwendung mehr finden.

    Entgegen der Meinung der kantonalen Instanz gilt das auch für den
sozialen Wohnungsbau. Die BVL stellt hierüber keine besonderen Bestimmungen
auf. Es sind daher die allgemeinen Abstandsvorschriften der BVL anwendbar,
die vornehmlich der öffentlichen Gesundheit und damit gerade auch dem Wohl
der minderbemittelten Bevölkerung dienen. Die angestrebte Verbilligung
des Wohnens darf nicht auf Kosten der Gesundheit der Mieter und ihrer
Nachbarn gehen, wie das bei unzureichenden Gebäudeabständen der Fall wäre.

    Der Gemeinderat hatte seine Verfügung demnach nicht auf Grund des
Art. 22, sondern nach der Ergänzung zu Art. 10 BVL zu treffen. Auf die
Rüge, der Regierungsrat habe die Handhabung des dem Gemeinderat in Art. 22
BVL eingeräumten Ermessens zu Unrecht nur auf Willkür hin überprüft und
damit den Beschwerdeführern das rechtliche Gehör verweigert, ist deshalb
nicht einzugehen. Entscheidend ist, dass der Regierungsrat die Anwendung
der Abstandvorschriften des ergänzten Art. 10 BVL, die dem Ermessen der
Behörde keinen Spielraum lassen, frei zu prüfen hat.

Erwägung 4

    4.- Der Regierungsrat anerkennt im angefochtenen Entscheid,
dass der Neubau die in der Ergänzung zu Art. 10 BVL vorgeschriebenen
Mindestgrenzabstände nicht einhält. Trifft diese Annahme zu, so hat das
nach dem in Erw. 3 Gesagten ohne weiteres die Gutheissung der Beschwerde
zur Folge. Die Beschwerdegegnerin bestreitet indes die Richtigkeit der
Messungen, von denen der Regierungsrat ausgeht. Diese Bestreitung ist
zulässig. Da die Beschwerdegegnerin im kantonalen Verfahren obgesiegt hat
und der Spruch des Regierungsrates sie nicht in ihren Rechten verletzt,
stünde es ihr freilich nicht zu, selber staatsrechtliche Beschwerde
zu erheben. Es kann ihr jedoch nicht versagt sein, sich in dem von
anderer Seite eingeleiteten Beschwerdeverfahren gegen die in ihren Augen
unrichtigen tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz zu wenden
und deren Überprüfung zu verlangen (vgl. BGE 86 I 225).

    Der streitige Neubau soll gemäss den Plänen einschliesslich der 70 cm
hohen Mauerbrüstung auf dem Dache 14,63 m hoch werden. Bei der Bestimmung
der notwendigen Grenzabstände ist die Höhe eines solchen Dachaufbaues der
Gebäudehöhe zuzurechnen, sofern er den Nachbarn in gleicher Weise Sonne
und Aussicht entzieht wie der Baukörper des Hauses. Das trifft hier zu:
Die Brüstung ist auf der für den Schattenwurf besonders wichtigen Nordfront
kompakt und durchgehend. Nach dem ergänzten Art. 10 BVL muss bei einer
Gebäudehöhe von 14,63 m seitlich und rückwärtig ein Grenzabstand von drei
Fünfteln (0,6) der Höhe, also von rund 8,78 m, eingehalten werden. Die
seitlichen Grenzabstände sind zudem laut Art. 11 BVL "bei zusammengebauten
Häusern von mehr als 20 m Baufront" um die Hälfte zu vergrössern. Das
Bauvorhaben der Beschwerdegegnerin betrifft zwar nicht im eigentlichen
Sinne zusammengebaute Häuser; es handelt sich um einen Baukörper von
37,55 m Länge mit vier Wohnungen auf jedem der fünf Geschosse und zwei
Treppenhäusern. Art. 11 BVL muss seinem ganzen Sinn und Zweck nach
indes auch auf eine derartige Baute angewendet werden. Der seitliche
Mindestabstand erhöht sich demgemäss von 8,78 m auf 13,17 m.

    Die am Augenschein vorgenommenen, von den Parteien und den
Behördevertretern anerkannten Messungen haben ergeben, dass das Bauvorhaben
der Beschwerdegegnerin die vorgeschriebenen Grenzabstände weder seitlich
noch rückwärtig einhält. Seitlich beträgt der Grenzabstand im Westen
(gegenüber der Parzelle Nr. 419 des Beschwerdeführers Flattich) 5,44 bis
6,20 m, im Osten (gegenüber der Parzelle Nr. 603 der Erbengemeinschaft
Weber) gar nur 1,50 bis 1,77 m. Wird der Grenzabstand im Osten unter
Einbeziehung des für eine Privatstrasse vorgesehenen, nicht überbaubaren
Landstreifens der Liegenschaft der Erbengemeinschaft Weber bis zur Grenze
der Parzelle Nr. 706 der Beschwerdeführerin Rothlin & Co. gemessen,
so beträgt er 6,50 bis 6,70 m, also immer noch weit weniger als der
erforderliche seitliche Mindestabstand von 13,17 m. Rückwärtig beträgt
der Grenzabstand (gegenüber der Parzelle Nr. 603 der Erbengemeinschaft
Weber) 7,37 m statt, wie vorgeschrieben, 8,78 m (was hier allerdings
nicht berücksichtigt werden kann, da die durch die Abstandsunterschreitung
verletzten Nachbarn nicht Beschwerde erhoben haben).

    Die Beschwerdegegnerin sucht die Abstandsunterschreitung im Osten
und Norden unter Hinweis darauf zu rechtfertigen, dass die frühere
Eigentümerin der Parzelle Nr. 706 und die Erbengemeinschaft Weber am
7. Juni 1955 ein gegenseitiges, im Grundbuch eingetragenes Näherbaurecht
bis auf 2,50 m vereinbart haben, und dass die Erbengemeinschaft Weber
ihrerseits der Beschwerdegegnerin am 14. Juli 1962 ein Näherbaurecht
ohne Angabe eines Mindestabstandes eingeräumt habe. Mit Bezug auf die
Abstandsunterschreitung im Westen beruft sich die Beschwerdegegnerin
darauf, dass der auf dem Grundstück Nr. 419 des Beschwerdeführers Flattich
stehende Wohnblock selber nicht den vorgeschriebenen Grenzabstand wahre,
weshalb ihr eigener Neubau gemäss Art. 21 nur die Hälfte des in Art. 10
BVL vorgeschriebenen Mindestabstandes einhalten müsse.

    Diese Einwendungen vermögen der Beschwerdegegnerin nicht zu
helfen. Nach Art. 13 BVL kann zwar im Einverständnis mit dem Nachbar der
Grenzabstand ausnahmsweise auf 3,50 m herabgesetzt werden. Diese Bestimmung
greift indes bei der Erteilung einer Ausnahmebewilligung im Sinne des
ergänzten Art. 10 BVL nicht Platz. Die darin vorgesehenen Mindestabstände
sind im öffentlichen Interesse vorgeschrieben worden; sie sind auch für
die Behörde verbindlich, die nach dem in Erw. 3 Gesagten keine Ausnahme
davon bewilligen darf. Umso weniger kann es den Beteiligten zustehen,
die Vorschrift durch private Vereinbarung ausser Kraft zu setzen. Denkbar
wäre es höchstens, dass die Nachbarn sich über eine andere Verteilung des
in Art. 10 Abs. 3 BVL umschriebenen Gebäudeabstandes einigen könnten,
indem der eine sich verpflichten würde, sein Haus um soviel mehr von
der gemeinsamen Grenze abzurücken, dass trotz der Unterschreitung des
Grenzabstandes durch den andern der erforderliche Gebäudeabstand gewahrt
bleibt. Eine solche Abmachung liegt hier jedoch nicht vor.

    Ob Art. 21 neben dem ergänzten Art. 10 anwendbar sei, erscheint aus
den Gründen, die auch gegen die Anwendbarkeit des Art. 10 BVL sprechen,
als fraglich, braucht hier aber nicht entschieden zu werden. Art. 21 BVL
erlaubt dem Bauherrn, den Grenzabstand im selben Masse herabzusetzen wie
der Nachbar, dessen bestehendes Gebäude den in Art. 10 vorgeschriebenen
Grenzabstand nicht einhält. Der herabgesetzte Grenzabstand darf
indes "nicht weniger als die Hälfte der Abstände gemäss Art. 10
betragen". Gemäss Art. 10 in Verbindung mit Art. 11 BVL beläuft sich der
Abstand, den der Neubau der Beschwerdegegnerin gegenüber dem Grundstück
des Beschwerdeführers Flattich einhalten muss, auf 13,17 m; die Hälfte
davon beträgt 6,58 m. Der geplante Neubau hält jedoch lediglich einen
Abstand von 5,44 bis 6,20 m ein, was auch bei einer Anwendung des Art. 21
BVL ungenügend ist.

Erwägung 5

    5.- Zusammengefasst ergibt sich, dass das Bauvorhaben der
Beschwerdegegnerin die Mindestgrenzabstände, die für den Fall
der Erteilung der Höherbaubewilligung vorgeschrieben sind, nicht
einhält. Die Baueinsprachen der Beschwerdeführer wären daher, soweit
sie eine Verletzung der Abstandsvorschriften beanstandeten, zu schützen
gewesen. Die gegenteilige Stellungnahme des Gemeinderates und die Abweisung
der dagegen erhobenen Beschwerde durch den Regierungsrat lassen sich mit
keinen sachlichen Gründen rechtfertigen. Der Entscheid der kantonalen
Instanz ist, weil insofern willkürlich, aufzuheben. Auf die weiteren
Rügen der Beschwerdeführer braucht bei dieser Sachlage nicht eingetreten
zu werden.

    Die Beschwerdeführer begnügen sich indes nicht damit, die Aufhebung
des angefochtenen Entscheids über die Baueinsprachen zu verlangen. Sie
beantragen ausserdem, es sei der Regierungsrat anzuweisen, die
Baubewilligung, die der Gemeinderat der Beschwerdegegnerin erteilt hat,
aufzuheben. Sie berufen sich dabei darauf, dass das Bundesgericht dann,
wenn der Verfassungsstreit nicht schon mit der Aufhebung der angefochtenen
Verfügung, sondern erst mit der Setzung einer neuen verfassungsmässigen
Anordnung beendet ist, der kantonalen Behörde verbindliche Anweisungen über
den zu setzenden Akt geben kann (GIACOMETTI, Die Verfassungsgerichtsbarkeit
des Schweizerischen Bundesgerichtes, S. 201 und 245 f.). Das Bundesgericht
kann in diesem Sinne eine kantonale Behörde anweisen, eine zu Unrecht
verweigerte Polizeierlaubnis, insbesondere eine Baubewilligung, zu erteilen
(BGE 87 I 280 Erw. 1 mit Verweisungen). Dieser Fall liegt hier indes nicht
vor. Es hat deshalb bei der Aufhebung des angefochtenen Entscheids über
die Baueinsprachen sein Bewenden.

    Damit wird auch der erteilten Baubewilligung die Grundlage
entzogen. Sache der kantonalen Behörden wird es sein, die sich daraus
ergebenden Folgerungen zu ziehen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist,
und der Beschluss des Regierungsrates des Kantons Schwyz vom 27. Mai 1963
wird aufgehoben.