Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 I 358



89 I 358

52. Urteil vom 13. November 1963 i.S. X. gegen Steuerverwaltung des
Kantons Basel-Stadt. Regeste

    Staatsrechtliche Beschwerde. Art. 86 Abs. 2, Art. 87 OG.

    Der Entscheid einer Steuerrekursbehörde, mit dem die Streitfrage
grundsätzlich beurteilt und die Veranlagung aufgehoben, die Sache jedoch
zur Neufestsetzung der Steuer an die Veranlagungsbehördezurückgewiesen
wird, ist ein Zwischenentscheid, gegen den nicht unmittelbar, sondern erst
im Anschluss an die daraufhin ergangene neue Veranlagung staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV erhoben werden kann (wobei
diese Veranlagung nicht nochmals bei der Rekursbehörde angefochten zu
werden braucht).

    Kantonales Steuerrecht. Willkür.

    Die basel-städtische Kapitalgewinnsteuer (§§ 55 ff. des StG vom 22.
Dezember 1949) ist, wie ohne Willkür angenommen werden kann, nicht eine
Gewinnsteuer, sondern eine Mehrwertsteuer und darf auch auf dem bei einer
Schenkung in Erscheinung tretenden Mehrwert erhoben werden.

Sachverhalt

    A.- Das basel-städt. Gesetz vom 22. Dezember 1949 über die direkten
Steuern (StG) enthält im Abschnitt über die "Kapitalgewinnsteuer"
u.a. folgende Bestimmungen:

    "§ 55.  Als Kapitalgewinne steuerbar sind:

    a)  der durch Veräusserung oder Nachlassinventur in Erscheinung
tretende Mehrwert von Vermögensstücken,

    b)  Mehrerlöse aus Liquidationen und Rückzahlungen, soweit sie nicht
der Einkommenssteuer unterworfen sind,

    c)  Lotteriegewinne.

    Kapitalgewinne auf Nutzniessungsvermögen werden dem Eigentümer
zugerechnet.

    Der Veräusserung von Vermögensgegenständen ist deren buchmässige
Übertragung aus dem Privatvermögen in das Geschäftsvermögen gleichgestellt.

    § 56.  Als Kapitalgewinn- oder Verlust gilt die Differenz zwischen dem
Einstandswert und dem Erlös oder Verkehrswert zur Zeit der Handänderung
oder dem Wert im Nachlassinventar.

    ......"

    Der Steuersatz ist progressiv ausgestaltet und beträgt für den Fr.
100'000. - übersteigenden Teil des Kapitalgewinns 20% (§ 59 Abs. 1). Auf
den bei einer Nachlassinventur festgestellten Mehrwerten wird die Steuer
nur zur Hälfte erhoben, wenn der Verstorbene einen Ehegatten, Eltern oder
Nachkommen hinterlässt (§ 59 Abs. 3 in der Fassung vom 9. Januar 1958).

    B.- Die Beschwerdeführerin Frau X. schenkte ihrer Tochter im
Jahre 1960 auf Rechnung künftiger Erbschaft 250 Aktien der C. F.
Bally AG und 23 Aktien der Schweiz. Kreditanstalt. Die Steuerverwaltung
Basel-Stadt behandelte die Fr. 213'900.-- betragende Differenz zwischen
dem Einstandswert (Fr. 195'600) und dem Verkehrswert zur Zeit der
Schenkung (Fr. 409'500) als Kapitalgewinn, was für diesen Gewinn, da
Frau X. daneben noch einen unbestrittenen Kapitalgewinn erzielt hatte,
eine Kapitalgewinnsteuer von Fr. 42'801. - ergab (Veranlagung vom
24. Juli 1961).

    Gegen die Behandlung des Mehrwerts von Fr. 213'900.-- als
steuerbaren Kapitalgewinn erhob Frau X. erfolglos Einsprache bei der
Steuerverwaltung und Rekurs an die kantonale Steuerkommission. Der
hierauf beim Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (als Verwaltungs
gericht) eingereichte Rekurs wurde mit Urteil vom 15. März 1963 (BJM
1963 S. 237 ff.) teilweise gutgeheissen, indem die Veranlagung vom
24. Juli 1961 aufgehoben und die Steuerverwaltung angewiesen wurde,
die Kapitalgewinnsteuer auf dem Mehrwert von Fr. 213'900. - in analoger
Anwendung von § 59 Abs. 3 StG auf die Hälfte zu reduzieren und neu
festzusetzen. Zur Frage, ob der Mehrwert steuerbar sei, wird in den
Erwägungen im wesentlichen ausgeführt: Das Verwaltungsgericht habe
bereits in einem Urteil vom 2. Juli 1954 die Auffassung vertreten,
dass das neue StG in § 55 Abs. 1 lit. a für die Besteuerung von
Kapitalgewinnen das Erfordernis der Realisierung fallen gelassen habe und
dass als "Veräusserung" im Sinne dieser Bestimmung jedes Geschäft gelte,
wodurch ein Recht oder eine Sache aus dem Vermögen des Steuerpflichtigen
ausgeschieden werde, also auch die Schenkung. Gewiss möge es eigenartig
und irgendwie widersprüchlich erscheinen, dass jemand dadurch, dass er
sein Vermögen vermindere, einen Kapitalgewinn erzielen solle. Eine andere
Auslegung lasse das StG aber kaum zu, wenn - was richtig erscheine - § 55
im Zusammenhang mit § 56 betrachtet werde, wonach der "Verkehrswert zur
Zeit der Handänderung" dann zur Berechnung beigezogen werde, wenn wohl
eine "Veräusserung" vorliege, aber kein Gewinn erzielt werde. Wenn das
StG die Kapitalgewinnsteuerpflicht bei der infolge Erbgang eingetretenen
Handänderung entstehen lasse, so sei es folgerichtig, die Steuer auch bei
Schenkungen auf Rechnung zukünftiger Erbschaft zu erheben. Andernfalls
könnte die Steuer auf der Differenz zwischen dem Einstandswert und
dem Verkehrswert im Zeitpunkt der Schenkung umgangen werden, was
zweifellos nicht dem Sinne des Gesetzes entspreche. Die Berufung der
Beschwerdeführerin auf das in ASA 29 S. 460 ff. abgedruckte Urteil des
Bundesgerichts sei unbehelflich, da dieses Urteil eine Spezialbestimmung
des bernischen StG betreffe und sich daraus nichts für den vorliegenden
Fall gewinnen lasse.

    Auf Grund dieses Entscheids setzte die Steuerverwaltung die
Kapitalgewinnsteuer auf dem Mehrwert der von der Beschwerdeführerin der
Tochter geschenkten Wertschriften am 30. August 1963 auf Fr. 21'928.70
fest.

    C.- Gegen diese Veranlagung hat Frau X. am 11. September 1963 gestützt
auf Art. 4 BV staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, sie
als willkürlich aufzuheben. Sie macht geltend, dass die im Urteil des
Verwaltungsgerichts vom 15. März 1963 vertretene Auslegung des StG mit
dessen klarem Wortlaut und Sinn unvereinbar sei. Die nähere Begründung
dieser Rüge ist, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen
ersichtlich.

    D.- Die Steuerverwaltung Basel-Stadt beantragt, auf die Beschwerde
nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen. Sie ist der Auffassung, die
Beschwerde sei verspätet, da sie nicht innert 30 Tagen nach der Eröffnung
des Urteils des Appellationsgerichts vom 15. März 1963 erhoben worden sei.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Rechtzeitigkeit der Beschwerde wird von der Steuerverwaltung
zu Unrecht bestritten. Mit dem Urteil vom 15. März 1963 hat zwar das
Verwaltungsgericht als letzte kantonale Instanz darüber entschieden,
ob der bei der Schenkung der Beschwerdeführerin an ihre Tochter
in Erscheinung getretene Mehrwert von Aktien einen steuerbaren
Kapitalgewinn darstelle. Das Verwaltungsgericht hat indes die geschuldete
Steuer nicht selber festgesetzt, sondern sich darauf beschränkt, die
Veranlagungsverfügung der Steuerverwaltung aufzuheben und die Sache zur
Neufestsetzung der Steuer im Sinne der Erwägungen an die Steuerverwaltung
zurückzuweisen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts stellt also einen
blossen Zwischenentscheid im Steuerverfahren dar, der lediglich eine
Verlängerung dieses Verfahrens und damit für die Beschwerdeführerin keinen
nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 87 OG zur Folge hatte
(BGE 87 I 372 Erw. 2 mit Verweisungen). Die Beschwerdeführerin konnte
deshalb gegen das Urteil (noch) nicht staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung von Art. 4 BV erheben, sondern musste den Endentscheid abwarten,
der nun in der Veranlagung vom 30. August 1963 liegt. Ob es sich dabei um
eine letztinstanzliche Verfügung handelt, wie in der Beschwerdeantwort
behauptet wird, oder ob die Verfügung nochmals durch Einsprache und
Rekurs an das Verwaltungsgericht hätte weitergezogen werden können,
kann dahingestellt bleiben. Da eine solche Weiterziehung angesichts des
Urteils des Verwaltungsgerichts vom 15. März 1963 sich offensichtlich
als leere Formalität erwiese und daher nicht erforderlich wäre, konnte
die Beschwerdeführerin die Beschwerde unmittelbar im Anschluss an die
Veranlagungsverfügung vom 30. August 1963 erheben und damit auch den
Zwischenentscheid des Verwaltungsgerichts vom 15. März 1963 anfechten
(BGE 86 I 39/40).

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin will aus der Verbindung der in §
55 StG verwendeten Ausdrücke "Veräusserung" und "Gewinn" ableiten,
dass nach § 55 Abs. 1 lit. a StG nur ein durch Erzielung eines Erlöses
"realisierter" Mehrwert steuerbar und die Erfassung eines Mehrwertes
bei der unentgeltlichen Abtretung ausgeschlossen sei. Dass diese
Auslegung die einzig mögliche sei und die gegenteilige Auffassung der
basel-städtischen Steuerbehörden und Gerichte dem klaren Wortlaut und
Sinn des Gesetzes widerspreche, unhaltbar und willkürlich sei, kann indes
nicht zugegeben werden. Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch, von dem die
Beschwerdeführerin mit Recht ausgeht, gilt als "Veräusserung" keineswegs
nur die entgeltliche, sondern jede Übertragung von Vermögenswerten
an Dritte. Dass der Begriff "Veräusserung" auch in § 55 Abs. 1 lit
a StG diesen Sinn habe und auch die unentgeltliche Abtretung umfasse,
darf daraus geschlossen werden, dass § 56 Abs. 1 StG als Ausgangspunkte
für die Berechnung des steuerbaren Kapitalgewinns neben dem "Erlös"
und dem "Wert im Nachlassinventar" auch den "Verkehrswert zur Zeit der
Handänderung" nennt. Dazu kommt, dass § 55 Abs. 1 lit a StG im Gegensatz
zu den Regelungen anderer Kantone, die den "realisierten" oder den
"wirklich erzielten" Kapitalgewinn als Steuerobjekt bezeichnen, den "durch
Veräusserung oder Nachlassinventur in Erscheinung tretenden Mehrwert" als
steuerbar erklärt. Alles dies spricht dafür, dass die basel-städtische
Kapitalgewinnsteuer trotz ihrer Bezeichnung in Wirklichkeit keine
Gewinnsteuer, sondern eine (nichtperiodische) Mehrwertsteuer ist
(GUHL, Die Spezialbesteuerung der Grundstückgewinne in der Schweiz,
Diss. Zürich 1953 S. 372; HÖHN, Die Besteuerung der privaten Gewinne,
Diss. Zürich 1955 S. 49 und S. 110/11 Anm. 134; vgl. auch BGE 78 I 423, 83
I 267). Mit ihr wird der auf einem Vermögensstück eingetretene Wertzuwachs
bei bestimmten, im Gesetz umschriebenen Gelegenheiten erfasst, auch wenn
dabei keine Veräusserung stattgefunden hat oder kein Gewinn realisiert
worden ist. So wird die Steuer nach § 55 Abs. 3 StG bei der buchmässigen
Übertragung aus dem Privatvermögen in das Geschäftsvermögen erhoben,
obwohl dabei kein Vermögen veräussert, geschweige denn ein Gewinn erzielt
wird. Ferner wird sie, wie die Beschwerdeführerin mit Recht anerkennt,
beim Erbgang erhoben, obschon auch hier kein Erlös erzielt und kein
Gewinn realisiert wird. Führt aber der unentgeltliche erbrechtliche
Vermögensübergang zur Besteuerung des dabei in Erscheinung tretenden
Mehrwerts, so erscheint es, wie der angefochtene Entscheid ausführt,
als folgerichtig, dies auch für die Schenkung, insbesondere die hier
vorliegende Schenkung auf Rechnung zukünftiger Erbschaft anzunehmen,
stellt sie doch unzweifelhaft eine "Veräusserung" dar. Dass die
basel-städtische Kapitalgewinnsteuer, im Gegensatz zu den Gewinnsteuern
aller übrigen Kantone, auch bei der Schenkung zu erheben ist, wird denn
auch nicht nur von den basel-städtischen Steuerbehörden, sondern auch
in der Rechtslehre angenommen (GRÜNINGER-STUDER, Kommentar zum Basler
Steuergesetz S. 214/15; GUHL aaO S. 372; HÖHN aaO S. 49 Anm. 28 und S. 110
Anm. 134). Diese Auslegung lässt sich auf Grund des Wortlautes und der
Systematik des Gesetzes mit guten Gründen vertreten, ist mit dem Sinn
des Gesetzes vereinbar und kann keinesfalls als unhaltbar, willkürlich
bezeichnet werden.

    Die Berufung der Beschwerdeführerin auf das bundesgerichtliche Urteil
vom 15. Juni 1960 i.S. I. (ASA 29 S. 460) und auf die Bemerkung von I.
BLUMENSTEIN dazu (ASA 30 S. 353) ist, wie der angefochtene Entscheid
mit Recht erklärt, unbehelflich. Das Urteil betrifft die Auslegung
von Bestimmungen des bernischen StG über die Vermögensgewinnsteuer,
insbesondere des Art. 80 Abs. 5, wonach die Steuer auf Grundstückgewinnen
(unter gewissen Voraussetzungen) nicht erhoben wird "bei Abtretungen
auf Rechnung künftiger Erbschaft". Da das basel-städtische StG keine
entsprechende Bestimmung enthält, ist es klar, dass aus dem Urteil,
bei dem es darum ging, ob die streitige Abtretung entgeltlich oder
unentgeltlich war, nichts abzuleiten ist für den vorliegenden Fall. Die
Bemerkung von I. BLUMENSTEIN: "Die Abtretung auf Rechnung künftiger
Erbschaft ist begrifflich ein unentgeltliches Rechtsgeschäft und kann als
solches überhaupt nicht Anlass zu einer Vermögensgewinnbesteuerung geben"
bezieht sich offensichtlich auf die bernische Vermögensgewinnsteuer,
nicht auf die anders ausgestaltete baselstädtische Kapitalgewinnsteuer
und ist daher ebenfalls nicht schlüssig.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.