Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 I 153



89 I 153

24. Urteil vom 10. Juli 1963 i.S. X. gegen X. und Regierungsrat des
Kantons Luzern. Regeste

    Art. 4 BV. Namensänderung, rechtliches Gehör.

    Der Vater, dem bei der Scheidung die elterliche Gewalt entzogen worden
ist, hat grundsätzlich Anspruch darauf, von der Begründung des für seine
Kinder gestellten Namensänderungsgesuches Kenntnis zu erhalten und dazu
im einzelnen Stellung zu nehmen; er ist nicht bloss nach seiner Zustimmung
zu befragen.

Sachverhalt

    A.- Alois X. wurde in einem Prozess, der die Öffentlichkeit stark
beschäftigte, zu viereinhalb Jahren Zuchthaus sowie zu einer Busse
von Fr. 25'000.-- verurteilt und für drei Jahre in der bürgerlichen
Ehrenfähigkeit eingestellt. Zur Zeit verbüsst er die Freiheitsstrafe. Auf
Klage seiner Ehefrau sprach das Bezirksgericht Z. am 24. Juni 1960 die
Scheidung der Eheleute X.-Y. aus. Die aus der Ehe hervorgegangenen Söhne
Alois und Thomas wurden unter die elterliche Gewalt der Mutter gestellt.

    Gestützt auf Art. 30 ZGB unterbreitete Frau Y. gesch. X. am 21. Juli
1962 dem Regierungsrat des Kantons Luzern das Gesuch, es sei den beiden
Söhnen zu gestatten, an Stelle des Namens X. den Namen Y. zu führen. Der
Vater der Kinder widersetzte sich diesem Gesuch und verlangte ein Doppel
oder eine Abschrift, damit er zur Begründung desselben Stellung nehmen
könnte. Am 28. September 1962 teilte indessen der damalige Anwalt der
Gesuchstellerin dem mit der Instruktion der Sache betrauten Gemeinde-
und Sanitätsdepartement des Kantons Luzern mit, dass das Gesuch nicht
aufrecht erhalten werde.

    Am 12. Februar 1963 liess Frau Y. durch Rechtsanwalt Dr. M. beim
Regierungsrat des Kantons Luzern für die beiden Söhne erneut das
Gesuch stellen, es sei ihnen die Änderung des Familiennamens in Y. zu
bewilligen. Unter Hinweis auf BGE 83 I 237 forderte das Gemeinde- und
Sanitätsdepartement Rechtsanwalt Dr. M. auf, eine beglaubigte Erklärung
des Vaters der Kinder beizubringen, dass er mit der nachgesuchten
Namensänderung einverstanden sei. Mit Brief vom 28. Februar 1963 fragte
Rechtsanwalt Dr. M. den Anwalt des Vaters der Kinder, Dr. E., an, ob
sein Klient der Namensänderung zustimme. Dr. E. antwortete Rechtsanwalt
Dr. M. am 7. März 1963, sein Klient habe in einer Besprechung in der
Strafanstalt dieses "Ansinnen" rundweg abgelehnt und sich über die
"Zumutung" derart aufgeregt, dass er, Dr. E., um die Beiziehung des
Gefängnisarztes ersucht habe. Rechtsanwalt Dr. M. leitete diesen Brief
an das Gemeinde- und Sanitätsdepartement weiter.

    Der Regierungsrat hat mit Beschluss vom 16. April 1963 dem Gesuch
entsprochen und den beiden Söhnen X. bewilligt, künftig den Namen Y. zu
tragen.

    B.- Vater Alois X. führt dagegen staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung des Art. 4 BV mit dem Antrag, der Entscheid des Regierungsrates
sei aufzuheben. Der Beschwerdeführer beklagt sich zunächst unter Hinweis
auf BGE 76 II 342 und 83 I 239 über eine Verweigerung des rechtlichen
Gehörs, die er darin erblickt, dass der Regierungsrat ihm keine Gelegenheit
gegeben habe, sich schriftlich oder mündlich zum Gesuch um Namensänderung
zu äussern. Sodann rügte er den materiellen Entscheid als willkürlich.

    C.- Der Regierungsrat und die Söhne des Beschwerdeführers schliessen
auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Wer durch eine Namensänderung verletzt wird, kann sie nach
Art. 30 Abs. 3 ZGB binnen Jahresfrist gerichtlich anfechten. Dieses
Anfechtungsrecht steht nach der Rechtsprechung nur den Trägern des
bewilligten neuen Namens zu, nicht aber demjenigen, der den andern an der
Preisgabe des bisherigen Namens hindern möchte (BGE 76 II 339 Erw. 1).
Der Beschwerdeführer ist nicht Träger des seinen beiden Söhnen bewilligten
neuen Namens Y., so dass er den Rechtsbehelf des Art. 30 Abs. 3 ZGB,
der die staatsrechtliche Beschwerde wegen ihrer subsidiären Natur
ausschliessen würde (BGE 81 I 61/62), nicht ergreifen kann. Auf die
vorliegende Beschwerde ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts hat in BGE 76 II 342
Erw. 2 erkannt, es sei nicht nur ein Recht des Kindes, den Namen des
Vaters zu tragen, sondern auch ein Recht des Vaters, dass seine Kinder
keinen andern Namen als den seinen erhielten; darum sei, wenn für ein
Kind um Namensänderung nachgesucht werde, auch das Interesse des Vaters
zu berücksichtigen und ihm Gelegenheit zu geben, zum Gesuche Stellung
zu nehmen. Die staatsrechtliche Kammer hat sich dieser Auffassung
angeschlossen und wiederholt entschieden, der Vater müsse zu einem
für sein Kind gestellten Namensänderungsgesuch angehört werden (BGE
83 I 239 mit Verweisungen). Ausnahmen von diesem Grundsatz lässt die
Rechtsprechung nur zu, wenn der Aufenthaltsort des Vaters unbekannt
ist und der Gesuchsteller sowie die Behörde ihn trotz aller zumutbaren
Anstrengungen nicht haben ausfindig machen können, oder wenn die Behandlung
des Gesuches besonders dringlich ist (BGE 83 I 239; nicht veröffentlichte
Urteile vom 2. Mai 1956 i.S. Vogel, Erw. 2, und vom 16. März 1960 i.S.
Cavaglieri, Erw. 2). Entgegen der Meinung der Gesuchsteller liegt hier
keiner dieser Ausnahmefälle vor. Die Gesuchsteller und die Behörde wussten,
wo der Beschwerdeführer sich aufhielt; es war ohne weiteres möglich,
ihn anzuhören. Diese Anhörung hätte nicht mehr Zeit beansprucht als die
von der Behörde veranlasste Anfrage des Anwalts der Gesuchsteller an den
Beschwerdeführer, ob er dem Begehren zustimme. Der Beschwerdeführer hatte
somit Anspruch darauf, gehört zu werden.

Erwägung 3

    3.- In den Beschwerdeantworten wird geltend gemacht, diesem Anspruch
sei genügt worden: Der Beschwerdeführer habe durch seinen Anwalt Kenntnis
vom Gesuch um Namensänderung erhalten und er sei um seine Zustimmung
ersucht worden, die er aber rundweg verweigert habe; auch hätte er die
Möglichkeit gehabt, von sich aus an den Regierungsrat zu gelangen und
ihm seine Einwendungen vorzutragen. Dieser Betrachtungsweise kann nicht
beigepflichtet werden.

    Das rechtliche Gehör wird dem Bürger dann gewährt, wenn die Behörde
ihm Gelegenheit gibt, sich in der verfahrensrechtlich vorgesehenen Weise
zu den Punkten auszusprechen, auf die es bei der Entscheidung ankommt. Bei
der Bewilligung der Namensänderung könnte die Behörde sich deshalb nur
dann auf die Einholung der Zustimmung des Vaters beschränken, wenn es
bei der Beurteilung des Gesuches einzig auf diese Zustimmung ankäme. Das
trifft nicht zu. Die Behörde hat eine Namensänderung auch gegen den Willen
des Vaters zu bewilligen, wenn dafür wichtige Gründe im Sinne des Art. 30
Abs. 1 ZGB gegeben sind; fehlen solche Gründe, so hat sie das Gesuch selbst
beim Vorliegen einer Zustimmung des Vaters abzulehnen. Der Anspruch des
Vaters auf Anhörung erschöpft sich daher nicht darin, dass die Behörde
ihn nach seiner Zustimmung befragt.

    Wie dargelegt, ist bei der Bewilligung der Namensänderung auch den
Interessen des Vaters Rechnung zu tragen. Er hat das Recht, dafür zu
sorgen, dass diese Interessen gehörig zur Geltung gebracht werden. Das
aber bedeutet, dass es ihm zu ermöglichen ist, der Behörde gegenüber
seinen Standpunkt zu vertreten und im einzelnen zu den Gründen Stellung
zu nehmen, die für die Namensänderung vorgebracht worden sind. Diese
Gelegenheit wurde dem Beschwerdeführer nicht eingeräumt: Weder wurde ihm
ein Doppel des Gesuches zugestellt noch wurde er sonstwie über dessen
Begründung belehrt. Hatte er jedoch keine Kenntnis von diesen Gründen, so
war er auch nicht in der Lage, im einzelnen dazu Stellung zu beziehen und
seine Gegengründe vorzubringen. Dem kann nicht entgegengehalten werden,
der Beschwerdeführer sei vom Eingang des Gesuches in Kenntnis gesetzt
worden; es habe nunmehr an ihm gelegen, sich an den Regierungsrat zu
wenden und seinen Standpunkt darzulegen. Der Beschwerdeführer konnte
nach der prozessualen Lage davon ausgehen, dass die Behörde ihn zur
Vernehmlassung einladen werde, so dass er einstweilen nichts weiteres
vorzukehren habe. Die erwartete Aufforderung blieb jedoch aus; der
Regierungsrat hat statt dessen sogleich seinen Entscheid gefällt. Darin
liegt eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs.

    Mit Recht wird in den Beschwerdeantworten demgegenüber nicht
eingewendet, der Beschwerdeführer habe im früheren Verfahren zum
Namensänderungsgesuch Stellung nehmen können. Abgesehen davon, dass ihm
die Gründe der Gesuchsteller (entgegen seinem Ersuchen) auch damals nicht
bekannt gegeben worden waren, ist jenes Verfahren infolge Rückzugs des
Gesuches dahingefallen. Das Verfahren, das durch die Einreichung eines
neuen Gesuches eingeleitet wurde, ist nicht einfach die Fortsetzung des
früheren, sondern ein neues selbständiges Verfahren. Der Beschwerdeführer
hat Anspruch darauf, darin wiederum angehört zu werden; er darf dabei
auch Gründe vorbringen, die er im früheren Verfahren nicht geltend gemacht
hatte, und kann sich insbesondere auf Tatsachen berufen, die erst seither
eingetreten sind.

    Ist demnach die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs begründet,
so muss die Beschwerde schon deswegen gutgeheissen werden, ohne dass
geprüft zu werdenbrauchte, ob der Entscheid des Regierungsrates materiell
vor Art. 4 BV standhalte. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nach
feststehender Rechtsprechung formeller Natur. Seine Missachtung hat die
Aufhebung des angefochtenen Entscheides auch dann zur Folge, wenn der
Beschwerdeführer ein materielles Interesse hieran nicht nachzuweisen
vermag, weshalb nichts darauf ankommt, ob irgendwelche Aussicht bestehe,
dass der Regierungsrat nach Anhörung des Beschwerdeführers zu einer
Änderung seines Entscheids gelange (BGE 83 I 240, 85 I 202 Erw. 2 mit
Verweisungen, 87 I 112 Erw. 8).

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen und der
Entscheid des Regierungsrates des Kantons Luzern vom 16. April 1963
wird augehoben.