Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 I 143



89 I 143

22. Auszug aus dem Urteil vom 1. März 1963 i.S. L. gegen
Schweiz. Eidgenossenschaft. Regeste

    Vermögensrechtliche Ansprüche des entlassenen Bundesbeamten.

    1.  Der vor Erreichen der Altersgrenze aus dem Bundesdienst
ausscheidende Beamte kann eine Rente einer Personalversicherungskasse des
Bundes wegen Invalidität nur beanspruchen, wenn das Dienstverhältnis aus
diesem und nicht aus einem anderen Grunde aufgelöst worden ist (Erw. 2).

    2.  Der auf Veranlassung der Verwaltung erklärte Rücktritt des Beamten
ist der Entlassung gleichzustellen (Erw. 3).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    L. ersuchte die Bundesverwaltung, in deren Dienst er stand, um
vorzeitige Pensionierung wegen Invalidität, nachdem gegen ihn wegen
Verdachts von Unregelmässigkeiten eine Untersuchung eröffnet worden
war. Er erklärte dann auf Einladung der Verwaltung den Rücktritt. In der
Folge wurde er wegen Betrugs, Amtsmissbrauchs und Urkundenunterdrückung
zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, worauf ihm die Verwaltung mitteilte,
dass die Auflösung seines Dienstverhältnisses als selbstverschuldet im
Sinne der Statuten der Versicherungskasse für das Personal der allgemeinen
Bundesverwaltung (StVK) gelte.

    Mit der beim Bundesgericht eingereichten Klage beantragt L. Zusprechung
einer Invalidenrente "im Sinne des Art. 21 StVK".

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Art. 21 StVK gibt dem Versicherten, der nach Feststellung
des verwaltungsärztlichen Dienstes invalid geworden ist, Anspruch auf
eine Invalidenrente, "wenn das Dienstverhältnis aus diesem Grund von
der Wahlbehörde aufgelöst wird" (und wenn weitere Voraussetzungen
erfüllt sind). Nach Art. 22 StVK hat der Versicherte Anspruch auf
die Invalidenrente, wenn das Dienstverhältnis nach Vollendung des
19. Beitragsjahres "aus anderen Gründen als Invalidität ohne Verschulden
des Versicherten und nicht auf seine Veranlassung" aufgelöst wird. Ein
Versicherter, der das 65. Altersjahr vollendet hat, kann nach Art. 23
StVK ohne Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand die Auflösung
des Dienstverhältnisses und die Ausrichtung der Invalidenrente
verlangen. Art. 9 Abs. 3 StVK bestimmt, dass "bei Auflösung des
Dienstverhältnisses auf eigenes Begehren vor Erreichen der Altersgrenze
sowie bei Nichtwiederwahl oder Auflösung des Dienstverhältnisses aus
eigenem Verschulden" kein Anspruch auf Kassenleistungen entsteht.

    L. verlangt mit seiner Klage Zusprechung einer Invalidenrente "im
Sinne des Art. 21 StVK". Aber sein Dienstverhältnis ist (vor Erreichen der
Altersgrenze) nicht wegen Invalidität, sondern aus einem anderen Grunde
aufgelöst worden. Er kann daher eine Invalidenrente nach Art. 21 StVK
nicht beanspruchen. Soweit er mit der Klage Anspruch auf statutarische
Kassenleistungen erhebt, kann sich nur fragen, ob ihm eine Rente gestützt
auf Art. 22 StVK zuzusprechen sei.

    Er wendet ein, er hätte richtigerweise wegen seiner festgestellten
Invalidität oder zum mindesten auch aus diesem Grunde entlassen
werden sollen und habe daher gemäss Art. 21 StVK Anspruch auf die
volle Invalidenrente oder wenigstens auf eine Teilrente. Er beruft
sich auf BGE 59 I 93. Zu Unrecht. Allerdings hat das Bundesgericht
in Erw. 2 jenes Urteils, das die Klage eines wegen Unregelmässigkeiten
entlassenen Beamten betrifft, auch geprüft, ob die vom Kläger nachträglich
behauptete Invalidität vorliege und ihm deswegen eine Rente zuzusprechen
sei. Dieser Standpunkt mag der damals massgebenden Ordnung (Statuten
der Versicherungskasse für die eidgenössischen Beamten, Angestellten
und Arbeiter von 1920; Statuten der Pensions- und Hilfskasse für das
Personal der SBB von 1921) entsprochen haben. Aber auf jeden Fall seit
dem Inkrafttreten der Statuten der beiden Personalversicherungskassen des
Bundes von 1942 stellt sich im Kassenprozess die Frage, ob der Versicherte
wegen Invalidität Anspruch auf eine Rente habe, dann gar nicht, wenn
das Dienstverhältnis aus einem anderen Grunde als Invalidität aufgelöst
worden ist. In diesem Sinne hat das Bundesgericht bereits in BGE 69
I 223 entschieden (betreffend die Statuten der Kasse für das Personal
der SBB von 1942). In BGE 80 I 214 (betreffend die neuen Statuten der
Versicherungskasse für das Personal der allgemeinen Bundesverwaltung
von 1950) hat es diese Rechtsprechung bestätigt, allerdings mit einem
Vorbehalt: Es hat (in Erw. 2 am Ende) die Frage aufgeworfen, ob im
Kassenprozess die Einwendung des Versicherten, er sei invalid geworden,
nicht wenigstens dann zu prüfen wäre, wenn er sie noch vor dem Abschluss
des Verfahrens, das zu seiner Entlassung aus eigenem Verschulden geführt
hat, erhoben hat.

    An diesem Vorbehalt kann indessen nicht festgehalten werden. Die
geltenden Kassenstatuten schliessen ihn aus, indem sie ausdrücklich
und ohne Einschränkung bestimmen, dass eine Rente wegen (vorzeitiger)
Invalidität nur dann beansprucht werden kann, wenn das Dienstverhältnis
aus diesem und nicht aus einem anderen Grunde aufgelöst wird, und dass kein
Anspruch auf irgendwelche Kassenleistungen entsteht, wenn der Bedienstete
auf eigenes Begehren vor Erreichen der Altersgrenze oder aus eigenem
Verschulden ausscheidet. Diese Ordnung trägt den Schwierigkeiten Rechnung,
auf welche die Beurteilung der Frage der Invalidität oft stösst. Sie
soll unter anderem verhindern, dass ein Bediensteter, der sich sonst
wahrscheinlich der Invalidierung widersetzt hätte, sich plötzlich
auf Invalidität berufen kann, wenn er Gefahr läuft, infolge eigenen
Verschuldens das Recht auf Kassenleistungen zu verlieren. Er bleibt, das
ist der Sinn der Regelung, den Bestimmungen über die disziplinarische
Verantwortlichkeit und den Vorschriften, welche für den Fall der
Auflösung des Dienstverhältnisses aus einem vom Versicherten selbst
verschuldeten Grunde einen Anspruch auf Kassenleistungen ausschliessen,
solange unterworfen, als das Dienstverhältnis andauert.

    Der Wegfall jenes Vorbehaltes hat nicht zur Folge, dass die
Interessen des Versicherten in ungerechtfertigter Weise beeinträchtigt
werden. Allerdings kann der Versicherte, dessen Dienstverhältnis nicht
wegen Invalidität, sondern aus einem anderen, nach Annahme der Verwaltung
von ihm verschuldeten Grunde aufgelöst wird, unter keinen Umständen
unter Berufung auf Invalidität Kassenleistungen beanspruchen. Aber
er kann Anspruch auf solche Leistungen mit der Begründung erheben,
dass er die Auflösung des Dienstverhältnisses nicht verschuldet habe,
wobei er auch geltend machen kann, ein Verschulden sei in Anbetracht
seines Gesundheitszustandes zu verneinen. Das Bundesgericht prüft im
Kassenprozess die Frage des Verschuldens frei (Art. 60 Abs. 2 BtG; BGE
69 I 224; 80 I 213 Erw. 2). Sodann bleibt der Anspruch des Beamten auf
Entschädigung wegen ungerechtfertigter Auflösung des Dienstverhältnisses
vorbehalten (Art. 55 Abs. 4 BtG).

Erwägung 3

    3.- Art. 56 BtG, wonach Beamten, die aus eigenem Verschulden nicht
wiedergewählt oder entlassen werden, Unterstützungen zu Lasten der
Versicherungskasse gewährt werden können, bestimmt in Abs. 1 (am Ende),
dass der auf Einladung der Wahlbehörde erklärte Rücktritt des Beamten
der Entlassung gleichzustellen ist. Dagegen bestehen keine entsprechenden
Vorschriften hinsichtlich der Ansprüche des Beamten auf Entschädigung wegen
ungerechtfertigter Auflösung des Dienstverhältnisses (Art. 55 Abs. 4 BtG)
und auf statutarische Kassenleistungen. Indessen hat das Bundesgericht
bei der Beurteilung von Ansprüchen auf Kassenleistungen den auf Einladung
der Wahlbehörde erklärten Rücktritt des Beamten der Entlassung ebenfalls
gleichgestellt; es hat angenommen, dass in einem solchen Fall entgegen
der äusseren Form die Auflösung des Dienstverhältnisses nicht durch
den Beamten, sondern durch die Verwaltung veranlasst und daher der
Anspruch auf Kassenleistungen nicht ohne weiteres ausgeschlossen ist
(nicht veröffentlichte Urteile vom 11. Februar 1949 i.S. Brunner, Erw. 1,
und vom 4. Juli 1952 i.S. Rottenmanner, Erw. 3).

    Diese Rechtsprechung ist zu bestätigen. Die Verwaltung kann den
Beamten auch dann zum Rücktritt auffordern, wenn sie eine sonst von ihr
anzuordnende Entlassung, welche vom Beamten nicht verschuldet wäre,
vermeiden will. Leistet der Beamte in diesem Fall der Aufforderung
nicht Folge und wird er von der Verwaltung entlassen, so hat er unter
Umständen Anspruch auf eine Entschädigung nach Art. 55 Abs. 4 BtG oder auf
Kassenleistungen. Die gleichen Ansprüche muss er auch erheben können,
wenn er die Aufforderung befolgt. Er wäre aber von den Ansprüchen
ausgeschlossen, wenn angenommen würde, er habe durch den (von der
Verwaltung herbeigeführten) Rücktritt die Auflösung des Dienstverhältnisses
selbst veranlasst. Das wäre stossend. Die Rücktrittserklärung auf Einladung
der Verwaltung fällt nicht unter die Bestimmung, welche "bei Auflösung des
Dienstverhältnisses auf eigenes Begehren" Kassenleistungen ausschliesst
(Art. 9 Abs. 3 StVK). Das Dienstverhältnis des Versicherten wird in diesem
Falle "nicht auf seine Veranlassung" aufgelöst (Art. 22 StVK). Art. 68
Abs. 2 BO I, wonach die Verwaltung dem Beamten schriftlich mitzuteilen hat,
ob die aus wichtigen Gründen verfügte Auflösung des Dienstverhältnisses im
Sinne der Kassenstatuten als Entlassung aus eigenem Verschulden gelte,
ist daher auch dann anzuwenden, wenn die Verwaltung den Beamten zum
Rücktritt veranlasst hat, um eine sonst von ihr auszusprechende Entlassung
zu vermeiden.

    L. hat den Rücktritt auf Einladung der Verwaltung erklärt. Die
Verwaltung hat ihm den Rücktritt nahegelegt mit der Begründung, dass
so eine von ihr sonst anzuordnende Entlassung "aus wichtigen Gründen"
vermieden werden könne. Das Dienstverhältnis des Klägers ist also
"nicht auf seine Veranlassung" aufgelöst worden. Zu prüfen bleibt,
ob die Auflösung ungerechtfertigt ist (Art. 55 Abs. 4 BtG) und ob sie,
wenn sie sich als gerechtfertigt erweist, vom Kläger verschuldet ist
(Art. 9 Abs. 3, Art. 22 StVK).