Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 I 138



89 I 138

21. Urteil vom 15. März 1963 i.S. Alphons Glutz-Blotzheim AG gegen
Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Regeste

    Fabrikgesetz: Unterstellung eines Betriebes, in dem Eisenstäbe für
Bauzwecke (Armierung des Betons) hergerichtet werden (Eisenabschneiderei
und -biegerei).

Sachverhalt

    A.- Die Beschwerdeführerin Alphons Glutz-Blotzheim AG in Solothurn
befasst sich unter anderm mit dem Baumaterialienhandel. Sie lässt in einer
Abteilung ihres Betriebes Eisenstäbe, die sie von Eisenwerken bezieht,
für Bauzwecke (Armierung des Betons) herrichten; die Stäbe werden in der
vom Kunden bestimmten Länge abgeschnitten und die abgeschnittenen Stück
in die von ihm gewünschte Form gebogen.

    Am 13. November 1962 hat das Bundesamt für Industrie, Gewerbe
und Arbeit diese Abteilung, die es als Eisenbiegerei bezeichnet,
dem Fabrikgesetz unterstellt. Die Verfügung wird begründet mit der
Feststellung; "10 männliche Personen, ca. 100 PS El."

    B.- Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird beantragt, die
Unterstellungsverfügung sei aufzuheben.

    Es wird geltend gemacht, die unterstellten Betriebsteile seien nicht
eine industrielle Anstalt im Sinne des Fabrikgesetzes. Das Abschneiden
und Abbiegen des Baueisens nach den Bedürfnissen der Kunden sei nicht
Warenproduktion, sondern blosse Zurüstung für den Verkauf, welche über
den Rahmen eines Handelsgeschäftes nicht hinausgehe. Die Verwaltung
anerkenne denn auch, dass das Abschneiden nicht industriellen Charakter
habe. Für das Abbiegen könne aber nichts anderes gelten. Zudem seien
in der Eisenbiegerei der Beschwerdeführerin regelmässig nur 5 Arbeiter
beschäftigt; schon deshalb könne dieser Betrieb dem Fabrikgesetz nicht
unterstellt werden. Übrigens sei die Praxis des Bundesamtes nicht
einheitlich; im Kreis I des eidg. Fabrikinspektorates seien keine und
im Kreis II nicht alle Eisenbiegereien dem Fabrikgesetz unterstellt worden.

    Die Anwendung dieses Gesetzes auf Eisenbiegereien sei auch
wirtschaftlich nicht gerechtfertigt. Da in dem ihm nicht unterstehenden
Baugewerbe während der günstigen Jahreszeit vielfach länger als 8 Stunden
im Tag gearbeitet werde und der Bedarf an Baueisen dann besonders gross
sei, müsse auch in den Eisenbiegereien die nach Fabrikgesetz zulässige
Arbeitszeit überschritten werden können.

    C.- Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit beantragt Abweisung
der Beschwerde.

    D.- Eine Delegation des Gerichts hat die Eisenabschneiderei und
-biegerei der Beschwerdeführerin besichtigt.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Art. 1 Abs. 2 FG bezeichnet als Fabrik die industrielle
Anstalt, die eine Mehrzahl von Arbeitern ausserhalb ihrer Wohnräume
beschäftigt. Unter einer industriellen Anstalt ist ein Betrieb zu
verstehen, welcher der Warenproduktion dient, zum Unterschied von
Unternehmungen der Landwirtschaft (Urproduktion) und des Handels,
die nicht in den Bereich des Fabrikgesetzes fallen. Unternehmungen
der Warenproduktion werden dem Gesetz unterstellt, wenn sie die in der
Vollziehungsverordnung des Bundesrates näher umschriebenen Voraussetzungen
erfüllen. Die Verordnung stellt im wesentlichen auf die Grösse des
Betriebes ab, die nach dessen Einrichtung und nach der Arbeiterzahl
bestimmt wird (BGE 80 I 394). Hier kommt einzig Art. 1 Abs. 1 lit. a FV
in Betracht, wonach Betriebe unterstellt werden, die Motoren verwenden
und mehr als 5 Arbeiter beschäftigen.

Erwägung 2

    2.- Unternehmungen, in denen Bauteile hergestellt werden, sind Betriebe
der Warenproduktion, industrielle Anstalten im Sinne des Fabrikgesetzes.
Deshalb werden z.B. Betriebe, welche Bausteine produzieren, dem Gesetz
unterstellt (BGE 55 I 203, 360; Urteil vom 20. Dezember 1957 i.S. Fischer,
nicht publiziert); ebenso Zimmereien, Bauschreinereien und Bauspenglereien
(BGE 75 I 86 und dort zitierte Entscheide.)

    Die Beschwerdeführerin macht geltend, in ihrer Eisenabschneiderei und
-biegerei werde nicht, wie etwa in einer Bauspenglerei, aus Rohmaterial
eine neue Ware hergestellt. Vielmehr bleibe das vom Eisenwerk gelieferte
Erzeugnis auch nach der Bearbeitung auf ihrem Werkplatz das, was es schon
beim Einkauf gewesen sei, nämlich Baueisen. Die Ware werde in ihrem Betrieb
lediglich nach den Bedürfnissen der Kunden zugerüstet, für den Verkauf
vorbereitet. Eine solche Zurüstung habe nach der Rechtsprechung (BGE 60 I
404/5) nicht industriellen Charakter, sondern gehöre zum Handel. Das Eisen
werde in Ausführung eines Kaufvertrages geschnitten und gebogen; es handle
sich nicht um einen Werkvertrag, wie ihn z.B. der Bauspengler abschliesse.

    Der Beschwerdeführerin ist zuzugeben, dass zweifelhaft ist, ob das
blosse Abschneiden des Eisens als Warenproduktion angesehen werden kann,
obwohl es mit einer Maschine ausgeführt wird. Die Verwaltung betrachtet
es als zum Handel gehörend und unterstellt daher Betriebe, welche Eisen
nur abschneiden und nicht auch biegen, dem Fabrikgesetz nicht (BBl 1916
II S. 209 f.; BGE 60 I 405).

    Aber auf jeden Fall hat die Eisenbiegerei eindeutig industriellen
Charakter. Die abgeschnittenen Eisenstäbe werden in eine Maschine gespannt,
von dieser erfasst und um eine Walze in die gewünschte Form gebogen. Neben
dem einfachen Abbiegen der Enden werden mannigfache andere Umformungen
vorgenommen (mehrfache Biegungen für Betonpfeiler, Unterzüge usw.). Das
ist nicht bloss eine dem Handelsbetrieb untergeordnete Zurüstung für den
Verkauf, wie sie nach dem Urteil des Bundesgerichts i.S. Magazine zum
Globus AG (BGE 60 I 397 ff.) in gewissen Ateliers von Warenhäusern besorgt
wird. Vielmehr liegt eine eigentliche, selbständige Bearbeitung vor,
durch welche das Material erst für den Gebrauch zu Bauzwecken verwendbar
gemacht wird. Sie wird dem Kunden in einem besonderen Zuschlag in Rechnung
gestellt, der vielfach einen grossen Teil des gesamten Fakturabetrages
ausmacht. Sie gehört zweifellos zur Warenproduktion und nicht zum
Handel, gleich wie die Herstellung von Bauelementen in Betrieben der
Steinindustrie, in Zimmereien, Bauschreinereien und Bauspenglereien. Die
Frage, ob sie auf Grund eines Werk- oder eines Kaufvertrages ausgeführt
wird, ist für die Anwendung des Fabrikgesetzes ohne Bedeutung und braucht
daher nicht geprüft zu werden.

    Die Beschwerdeführerin liefert mitunter Eisenstücke, die sie nur
abgeschnitten und nicht auch gebogen hat; das Biegen ist dann Sache des
Kunden. Sehr oft führt aber die Beschwerdeführerin beide Operationen aus,
und zwar auf Grund einer und derselben Bestellung. In diesem Fall nimmt sie
in zwei Arbeitsgängen eine Bearbeitung vor, die ein Ganzes bildet. Beide
Verrichtungen werden auf dem gleichen Werkplatz ausgeführt. Von der
Schneidemaschine weg werden die abgeschnittenen Stücke direkt zur
Biegemaschine verbracht und dort weiter bearbeitet. Freilich werden die
Schneide- und die Biegemaschinen von verschiedenen Arbeitern bedient. Der
Einwand, die beiden Verrichtungen könnten auch in räumlich getrennten
Abteilungen ausgeführt werden, hilft indessen der Beschwerdeführerin
nicht. Die Zwischenschaltung eines längeren Transportes wäre derart
unwirtschaftlich, dass sie praktisch nicht in Frage kommt. Übrigens
wären die beiden Betriebsteile bei räumlicher Trennung jedenfalls dann
noch als ein Ganzes anzusehen, wenn sie sich in derselben Gemeinde oder
in benachbarten Gemeinden befänden (vgl. Art. 5 und 6 FV). Entscheidend
ist, dass sie nicht nur örtlich, sondern auch betriebstechnisch eine
Einheit bilden.

    Angesichts dieses engen Zusammenhanges ist unerheblich, dass die
Biegerei der Beschwerdeführerin für sich allein die in Art. 1 Abs. 1 lit. a
FV genannte Mindestzahl von Arbeitern (6) nicht erreicht. Da die beiden
Betriebsteile zusammen regelmässig 10-11 Arbeiter beschäftigen und Motoren
verwenden und da mindestens die Biegerei der Warenproduktion angehört,
ist mit Recht die ganze von ihnen gebildete Abteilung des Betriebes der
Beschwerdeführerin dem Fabrikgesetz unterstellt worden.

Erwägung 3

    3.- Es ist nicht bestritten, dass nicht alle Eisen abschneidenden
und biegenden Betriebe, die nach den tatsächlichen Verhältnissen in
den Bereich des Fabrikgesetzes fallen, ihm unterstellt worden sind. Das
ist jedoch kein Grund, die - nach der gesetzlichen Ordnung begründete -
Unterstellung der Werkstätte der Beschwerdeführerin aufzuheben. Vielmehr
werden dem Gesetz auch die noch nicht erfassten Betriebe zu unterstellen
sein, wofür übrigens, wie das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit
erklärt, bereits Vorbereitungen getroffen worden sind.

Erwägung 4

    4.- Wenn der Beschwerdeführerin die Anpassung an die Vorschriften
der Fabrikgesetzgebung über die Arbeitszeit Schwierigkeiten bereitet, so
steht dies der Unterstellung nicht entgegen. Die Fabrikgesetzgebung hat den
Zweck, der Führung der ihr unterworfenen Betriebe diejenigen Beschränkungen
aufzuerlegen, die nach heute bestehender Auffassung zum Schutz der Arbeiter
notwendig erscheinen. Übrigens werden der Beschwerdeführerin aus der
Anwendung der gesetzlichen Vorschriften auf ihren industriellen Betrieb
keine unüberwindlichen Schwierigkeiten entstehen, da das Gesetz für die
Berücksichtigung besonderer Verhältnisse Raum lässt (BGE 55 I 201 Erw. 4).

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.