Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 IV 94



89 IV 94

19. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Mai 1963 i.S. Schmid
gegen Erbengemeinschaft Fischer und Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
Regeste

    Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1 StGB, BG über den Schutz der Gewässer gegen
Verunreinigung.

    § 37 des luzernischen EG StGB, der die Verunreinigung fremden
Eigentums mit Übertretungsstrafe bedroht, verstösst nicht gegen Bundesrecht
(Erw. 4). Die Bestimmung ist auch auf Handlungen anwendbar, die zugleich
den Tatbestand der Verunreinigung eines Gewässers oder dessen Umgebung
nach Art. 4 und 15 GSchG erfüllen (Erw. 6).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Schmid bewirtschaftete bis anfangs September 1961 eine Liegenschaft
in Kriens, die an den Rand des Streuibachtobels grenzt. Ein Teil dieses
Tobels gehört zu einem Grundstück der Erben Fischer. Beim Wegzug von
der Liegenschaft beförderte Schmid verschiedene wertlose Gegenstände,
deren er sich entledigen wollte, so Bretter, leere Fässer, Kanister,
Blechdosen usw., in das Tobel auf das Grundstück der Erben Fischer. Diese
stellten daher gegen Schmid Strafantrag wegen Verunreinigung des Tobels.

    B.- Am 19. März 1963 erklärte das Obergericht des Kantons Luzern Schmid
der vorsätzlichen Verunreinigung von Gewässern (Art. 4 Abs. 1 und 2 BG
über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung vom 16. März 1955)
und der vorsätzlichen Verunreinigung von fremdem Eigentum (§ 37 luz. EG
StGB) schuldig und verurteilte ihn zu Fr. 300.-- Busse.

    C.- Schmid führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei
freizusprechen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe nicht wegen
Verunreinigung fremden Eigentums im Sinne des § 37 luz. EG StGB verurteilt
werden dürfen, weil der Kanton diese vom Strafgesetzbuch nicht erfasste
Tat nicht unter Strafe stellen dürfe.

    a) Art. 335 Ziff. 1 StGB behält den Kantonen die Gesetzgebung
über das Übertretungsstrafrecht soweit vor, als es nicht Gegenstand
der Bundesgesetzgebung ist (Abs. 1), und erlaubt ihnen ausserdem, die
Übertretung kantonaler Verwaltungs- und Prozessvorschriften mit Strafe
zu bedrohen (Abs. 2).

    Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes (BGE 68 IV 41, 110, 70
IV 85, 132, 71 IV 47, 81 IV 126, 165) dürfen die Kantone nicht schon dann
eine Handlung zur Übertretung erheben, wenn sie nicht vom eidgenössischen
Gesetz mit Strafe bedroht ist. Die Nichtaufnahme eines Tatbestandes in das
Strafgesetzbuch kann bedeuten, dass er überhaupt straflos zu bleiben habe.
Das trifft dann zu, wenn das Strafgesetzbuch die Angriffe auf ein Rechtsgut
durch ein geschlossenes System von Normen regelt. Behandelt es dagegen
ein bestimmtes strafrechtliches Gebiet überhaupt nicht, oder stellt es
nur einen Teil der Tatbestände daraus unter Strafe, um den von Kanton
zu Kanton wechselnden Ansichten über die Strafwürdigkeit einer Handlung
Rechnung zu tragen, so bleibt Raum für kantonales Übertretungsstrafrecht.

    b) Nach § 37 luz. EG StGB ist mit Haft oder Busse zu bestrafen, wer
aus Bosheit oder Mutwillen öffentliche Denkmäler, öffentliche Gebäude und
anderes öffentliches Eigentum oder fremdes Privateigentum verunreinigt,
sofern nicht Sachbeschädigung vorliegt. Die Bestimmung richtet sich,
wie auch im Randtitel hervorgehoben wird, gegen die Verunreinigung
fremden Eigentums schlechthin. Geschütztes Rechtsgut ist offenbar das
Vermögen, was auch daraus zu schliessen ist, dass die Bestimmung,
wie aus dem ausdrücklichen Hinweis auf ihren subsidiären Charakter
hervorgeht, jene über die Sachbeschädigung (Art. 145 StGB) ergänzen
will. Das solothurnische EG StGB reiht denn auch den mit § 37 luz. EG
StGB wörtlich übereinstimmenden § 8 in den Titel über die "Übertretungen
gegen das Vermögen" ein. Dasselbe gilt auch für das schwyzerische Recht,
das den Tatbestand der Verunreinigung fremden Eigentums in § 14 EG StGB
regelt. Fragen könnte sich höchstens, ob das luzernische EG, das die
einzelnen Übertretungen nicht nach verletzten Rechtsgütern gruppiert,
neben dem Vermögen nicht zugleich noch andere Güter schütze wie z.B die
öffentliche Ordnung (so Art. 51 des st. gallischen EG StGB). Die Frage
kann jedoch offen bleiben, denn auch wenn sie zu bejahen wäre, würde sich
dadurch am Ergebnis nichts ändern.

    c) Ist nämlich davon auszugehen, dass das luzernische Recht in der
Verunreinigung fremden Eigentums jedenfalls auch einen Angriff auf das
Vermögen sieht, so verstösst § 37 EG nicht gegen Bundesrecht. Zwar
enthält das Strafgesetzbuch einen ziemlich umfangreichen Titel über
"strafbare Handlungen gegen das Vermögen" (Art. 137-172). Im Entwurf
des Bundesrates waren auch eine Reihe von Bestimmungen betreffend
"Übertretungen gegen das Vermögen" vorgesehen (Art. 298-312). Mehrere
davon wurden in der Bundesversammlung in den Titel über die "strafbaren
Handlungen gegen das Vermögen" versetzt, zunächst auch die Bestimmung über
"geringfügige Sachbeschädigung" (Art. 301 E; StenBull, Sonderausgabe NatR
505 ff., StR 233 f.), die dann aber später überhaupt unterdrückt wurde,
weil man fand, bei geringem Schaden könne schon auf Grund des Art. 126 E
(Art. 145 StGB) auf Busse erkannt werden (StenBull, Sonderausgabe NatR 692,
StR 321). Andere Bestimmungen betreffend Übertretungen gegen das Vermögen
wurden jedoch in der Bundesversammlung zum vornherein gestrichen mit der
Begründung, sie könnten wegen ihrer geringfügigen Natur besser in den
kantonalen Polizeigesetzen behandelt werden (StenBull, Sonderausgabe NatR
506, StR 235), so die Bestimmungen über Wald- und Holzfrevel (Art. 299 E;
vgl. hiezu BGE 72 IV 53), über Ausbeutung der Leichtgläubigkeit (Art. 304
E) und über die Verletzung von Vorschriften über Aktiengesellschaften und
Genossenschaften (Art. 312 E). Der eidgenössische Gesetzgeber wollte
also die Angriffe auf das Vermögen nicht abschliessend regeln. Unter
diesem Gesichtspunkt steht somit einer kantonalen Übertretungsstrafe
wegen Verunreinigung fremden Eigentums nichts im Wege, obschon dieser
Tatbestand im Entwurf zum StGB nicht erwähnt war.

    Anders verhielte es sich nur, wenn anzunehmen wäre, der Entwurf habe
die Verunreinigung fremden Eigentums als "geringfügige Sachbeschädigung"
(Art. 301 E) erfassen wollen. Diesfalls fiele sie heute unter Art. 145
StGB, der nach der Meinung der eidgenössischen Räte auch die geringfügige
Sachbeschädigung deckt. Dem steht aber entgegen, dass § 37 luz. EG StGB
Fälle von Sachbeschädigung, so geringfügig der an der Sache entstandene
Schaden auch sein mag, ausdrücklich nicht erfassen will, also nur
für Handlungen gilt, auf die Art. 145 StGB nicht anwendbar ist. Der
Bundesgesetzgeber kann den Kantonen diesen zusätzlichen Schutz fremden
Eigentums nicht haben verwehren wollen.

Erwägung 6

    6.- Eine andere Frage ist, ob § 37 luz. EG StGB auf Handlungen
angewendet werden dürfe, die gemäss Art. 4 und 15 GSchG den Tatbestand
einer eidgenössischen Übertretung erfüllen, weil durch sie ein Gewässer
oder dessen Umgebung verunreinigt wird.

    Diese Frage ist zu bejahen, denn das Bundesgesetz vom 16. März 1955
hat es nicht auf den Schutz fremden Vermögens abgesehen, sondern wahrt
die Interessen der Öffentlichkeit an sauberem Wasser und einem gefälligen
Landschaftsbild (Art. 2 GSchG).