Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 IV 77



89 IV 77

16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. März 1963 i.S. Iten
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zug. Regeste

    Art. 164 StGB. Pfändungsbetrug.

    1.  Die Bestimmung setzt voraus, dass der gegen den Täter ausgestellte
Verlustschein nach den Vorschriften des Schuldbetreibungsrechtes gültig
ist. Ob das zutrifft, hat der Strafrichter notfalls selber vorfrageweise
zu prüfen (Erw. I 1).

    2.  Die Nichtigkeit der Betreibung hat die Nichtigkeit des darin
ausgestellten Verlustscheines zur Folge (Erw. I 2).

    3.  Eine Betreibung als Ganzes oder eine einzelne Betreibungshandlung
gilt dann als nichtig, wenn sie gegen eine zwingendeVorschrift
verstösst oder öffentliche Interessen oder Interessen Dritter verletzt;
Anwendungsfälle (Erw. I 3 und 4).

    4.  Ausführungshandlungen des Pfändungsbetruges können auch ausserhalb
einer Betreibung auf Pfändung, namentlich in einem Arrestverfahren begangen
werden; erforderlich ist nur, dass sie in einer Betreibung auf Pfändung
zum Nachteil eines Gläubigers ausschlagen (Erw. II).

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    I.1.- Die Bestrafung wegen Pfändungsbetruges setzt voraus, dass gegen
den Täter ein Verlustschein ausgestellt worden sei (Art. 164 Ziff. 1 Abs. 4
StGB). Diese objektive Strafbarkeitsbedingung ist nur erfüllt, wenn der
Verlustschein nach den Vorschriften des Schuldbetreibungsrechtes gültig
ist. Seine Nichtigkeit steht der Bestrafung nicht nur im Wege, wenn das
zuständige Betreibungsamt oder die ihm übergeordnete Aufsichtsbehörde die
Nichtigkeit festgestellt hat. Der Strafrichter darf und muss mangels eines
solchen Entscheides vorfrageweise selber prüfen, ob der Verlustschein
nichtig sei (BGE 84 IV 15). Dagegen steht ihm nicht zu, einen solchen
als bloss anfechtbar aufzuheben oder blosse Anfechtungsgründe, die nicht
mit Erfolg in einem Beschwerdeverfahren bei den Aufsichtsbehörden für
Schuldbetreibung und Konkurs geltend gemacht wurden, wenigstens mit
Wirkung für das Strafverfahren zu berücksichtigen (vgl. BGE 80 III 144 f.).

Erwägung 2

    I.2.- In BGE 70 IV 76 hat der Kassationshof in Anlehnung an BGE 44
III 196 die Auffassung vertreten, die Nichtigkeit einer Betreibung hindere
nicht, dass der in ihr ausgestellte Verlustschein zu Recht bestehe, weil
eine einmal abgeschlossene Betreibung von den Aufsichtsbehörden nicht mehr
aufgehoben werden könne. Diese Rechtsprechung ist durch einen späteren
Entscheid überholt, in dem die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
einen Verlustschein nichtig erklärte, weil sie die Betreibung, in der er
ausgestellt worden war, für nichtig hielt (BGE 72 III 42 ff.; vgl. auch
BGE 73 III 25, 77 III 78). Auch die II. Zivilabteilung hat in einem
neueren Urteil aus der Nichtigkeit einer Betreibung auf Nichtigkeit des
Verlustscheines geschlossen (BGE 80 III 147 f.). Für den Strafrichter
besteht kein Anlass, anders zu entscheiden, wenn er vorfrageweise prüft,
ob ein Verlustschein gültig und daher die Strafbarkeitsbedingung der
Art. 164 Ziff. 1 Abs. 4, 165 Ziff. 1, 166 oder 167 StGB erfüllt sei.

Erwägung 3

    I.3.- Eine Betreibung als Ganzes oder eine einzelne Betreibungshandlung
gilt dann als nichtig, wenn sie gegen eine Vorschrift verstösst,
die zwingend ist oder deren Missachtung öffentliche Interessen oder
Interessen dritter, am Verfahren nicht beteiligter Personen verletzt
(BGE 79 III 6 oben, 9, 81 III 5, 87 III 99). Die Betreibung oder einzelne
Betreibungshandlungen sind z.B. nichtig, wenn der Gläubiger nicht besteht
(BGE 73 III 61), wenn er nicht genau bezeichnet ist (BGE 62 III 135, 80
III 10), wenn der Schuldner nicht besteht oder nicht betreibungsfähig
ist (BGE 72 III 43), wenn im Betreibungsbegehren die Forderung nicht
bestimmt und vorschriftsgemäss beziffert wurde (BGE 81 III 50 f.),
ferner wenn eine Betreibung überhaupt nicht zulässig ist (BGE 40 III 8,
42 III 352, 44 III 114, 63 III 140 ff., 77 III 55, 80 III 147, 84 III 4),
wenn der Schuldner statt auf Konkurs auf Pfändung betrieben wird oder
umgekehrt (BGE 54 III 224, 67 III 41, 70 IV 76, 79 III 16 f.), wenn die
Betreibung in Missachtung eines Rechtsvorschlages (BGE 85 III 17), trotz
Rückzuges des Betreibungsbegehrens (BGE 77 III 76) oder trotz Verspätung
des Fortsetzungsbegehrens durchgeführt wurde (BGE 77 III 58, 84 III 101
f.). Nichtig ist z.B. auch eine Verfügung der Aufsichtsbehörde, wonach die
auf einer bloss provisorischen Pfändung beruhende leere Pfändungsurkunde
als provisorischer Verlustschein zu gelten habe (BGE 76 III 3 f.). Nicht
als nichtig gelten dagegen z.B. der von einem unzuständigen Betreibungsamt
erlassene Zahlungsbefehl (BGE 56 III 232, 68 III 35, 76 I 49, 79 III 15,
82 III 74), die dem Gesetz widersprechende Mitteilung des Zahlungsbefehls
durch öffentliche Bekanntmachung (BGE 75 III 83) und die Zulassung eines
verspäteten Anschlusses an eine Pfändung (BGE 73 III 137, 85 III 79).

Erwägung 4

    I.4.- Die Anbringen, aus denen der Beschwerdeführer die Nichtigkeit
der Betreibungen Nr. 621, 789 und 865 und der bezüglichen Verlustscheine
ableitet, erweisen sich im Lichte dieser Rechtsprechung als unerheblich.

    a) Der Beschwerdeführer macht geltend, in allen drei Betreibungen
sei ihm die Pfändung nicht angekündigt worden, wie Art. 90 SchKG es
vorschreibt. Eine nicht gehörig angekündigte Pfändung ist nach der
Rechtsprechung auf Beschwerde des Schuldners aufzuheben, wenn dieser
nicht in der Lage war, ihr beizuwohnen odler sich dabei gültig vertreten
zu lassen (BGE 35 I 239 f., 43 III 268 f., 77 III 106 f.). Dagegen macht
der Umstand, dass die Pfändung dem Schuldner nicht angekündigt wurde,
sie nicht ungültig oder bloss anfechtbar, wenn der Schuldner, wie hier,
ihr tatsächlich beiwohnte und dabei seine Rechte wahren konnte (BGE 79
III 152).

    b) Der Einwand, die Pfändungsversuche seien auf dem Betreibungsamt
statt beim Beschwerdeführer vorgenommen worden, ist unbeachtlich. Der
Betreibungsbeamte darf sich zwar nicht auf die Angaben des Schuldners
verlassen, sondern hat nachzuforschen, welche pfändbaren Vermögensstücke
vorhanden sind. Er hat zu diesem Zwecke die Räume und Möbel des Schuldners
zu besichtigen oder besichtigen zu lassen (Art. 91 Abs. 2 SchKG). Verletzt
er diese Pflicht, so ist die Pfändung auf Beschwerde hin aufzuheben und
zu einer neuen Pfändung zu schreiten (BGE 83 III 64 f.). Aber es kann
nicht davon die Rede sein, dass wegen eines solchen Fehlers die Pfändung
und alle nachfolgenden Betreibungshandlungen samt der Ausstellung eines
Verlustscheines nichtig seien. Durch den Verstoss werden weder öffentliche
Interessen noch die Interessen am Verfahren nicht beteiligter Personen
verletzt.

    g) Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, es seien ihm entgegen
Art. 113 SchKG keine Abschriften der Pfändungsurkunden zugestellt
worden. Wenn kein pfändbares Vermögen vorhanden ist, bildet die
Pfändungsurkunde den Verlustschein (Art. 115 Abs. 1 SchKG). Ob Art. 113
SchKG auch für diesen Fall gelte, kann dahingestellt bleiben, denn
keinesfalls würde die Nichtzustellung der Abschrift an den Schuldner
öffentliche Interessen oder Interessen Dritter verletzen und zur Folge
haben, dass die Unterlassung die Betreibung und den Verlustschein
nichtig mache. Die Unterlassung gäbe dem Schuldner nur das Recht, beim
Betreibungsamt oder auf dem Beschwerdeweg die nachträgliche Zustellung
einer Abschrift der Pfändungsurkunde zu verlangen.

Erwägung 1

    II.1.- Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, dass nur der der
Betreibung auf Pfändung unterliegende Schuldner einen Pfändungsbetrug
verüben kann (Art. 164 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Das heisst indes nicht,
dass Ausführungshandlungen dieses Verbrechens nicht auch ausserhalb
einer Betreibung auf Pfändung begangen werden können. Der Schuldner
kann namentlich in einem Arrestverfahren versucht sein, Vermögensstücke
beiseitezuschaffen oder zu verheimlichen, sei es, dass er mit einer
nachfolgenden Betreibung rechnet, sei es, dass der Arrestgläubiger
bereits eine solche angehoben hat. Dass die Betreibung auf Pfändung, in
der sein Verhalten zum Nachteil eines Gläubigers ausschlägt, schon vor
dem Erlass des Arrestbefehls eingeleitet worden sei oder gemäss Art. 278
SchKG binnen zehn Tagen nach der Zustellung der Arresturkunde angehoben
und auch im übrigen im Sinne dieser Bestimmung rechtzeitig prosequiert
werde, ist nicht erforderlich. Das Beiseiteschaffen oder Verheimlichen von
Vermögenswerten in einem Arrestverfahren kann Ausführungshandlung eines
Pfändungsbetruges auch sein, wenn die Betreibung erst später angehoben
wird und mit dem Arrestverfahren nicht zusammenhängt, ja selbst dann,
wenn sie eine andere als die Arrestforderung betrifft oder von einem
anderen als dem Arrestgläubiger angehoben wird.

    Freilich wird in einem solchen Falle oft der ursächliche Zusammenhang
zwischen dem Beiseiteschaffen oder Verheimlichen einerseits und
der Benachteiligung des Gläubigers im Pfändungsverfahren anderseits
fehlen. Aber Ausnahmen sind möglich, z.B. wenn der Schuldner beim Vollzug
des Arrestes die mit Arrest zu belegenden Vermögenswerte verheimlicht,
damit der Betreibungsbeamte ein für allemal irregeführt sei. Der
Schuldner kann begreiflicherweise im Arrestverfahren den Bestand der
Vermögenswerte nicht zugeben, wenn er zum vorneherein beabsichtigt, eine
nachfolgende Pfändung fruchtlos zu machen. Verheimlicht er sie auch beim
Pfändungsversuch wieder, so kann er den Tatbestand des Pfändungsbetruges
schon durch dieses Verhalten erfüllen, so dass Art. 164 StGB anwendbar
ist, ohne dass der Richter die Ereignisse des Arrestverfahrens zu
berücksichtigen braucht. Es ist aber denkbar, dass der Schuldner,
der beim Arrestvollzug persönlich falsche Angaben machte, sich beim
Pfändungsvollzug vertreten lässt, wobei der Vertreter gutgläubig.auf den
negativen Ausgang des Arrestverfahrens verweist. In einem solchen Falle
muss das für den erfolglosen Pfändungsversuch kausale Lügen des Schuldners
im Arrestverfahren als Ausführungshandlung des Pfändungsbetruges gewürdigt
werden. Es kann und soll aber im gleichen Sinne auch dann in die Waagschale
geworfen werden, wenn der Schuldner persönlich beim Pfändungsversuch
nochmals lügt. Der Schuldner hat diesfalls im Hinblick auf einen und
denselben Enderfolg den Betreibungsbeamten zweimal irregeführt. Das darf
bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Dass der Schuldner in einem
solchen Falle "wegen der gleichen Handlung gegenüber dem gleichen Gläubiger
zweimal verurteilt" werde, wie der Beschwerdeführer geltend macht, trifft
nicht zu. Davon könnte nur die Rede sein, wenn der Richter entschiede,
das Verbrechen des Pfändungsbetruges sei zweimal vollendet worden, es
liege also Realkonkurrenz vor. Das dürfte er nicht tun, weil nur die
Ausführungshandlung (Verheimlichen) im Hinblick auf ein und denselben
Enderfolg wiederholt worden, der Erfolg (Benachteiligung des Gläubigers
in einem Pfändungsverfahren) aber bloss einmal eingetreten ist.

Erwägung 2

    II.2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe beim Arrestvollzug
vom 10. Juni 1959 über die im Arrestbefehl vom gleichen Tage genannten
Vermögenswerte, nämlich über sein "Erbbetreffnis" an den Erbschaften seiner
Eltern wahrheitsgemäss Auskunft gegeben, sie also nicht verheimlicht.

    Der Arrest wird nach den in Art. 91-109 SchKG über die Pfändung
aufgestellten Vorschriften vollzogen (Art. 275 SchKG). Der Arrestschuldner
hat daher sinngemäss nach Art. 91 SchKG seine Vermögensgegenstände
anzugeben, soweit es zum Vollzug des Arrestes nötig ist. Dieser
Auskunftspflicht hat der Beschwerdeführer nicht genügt. Befohlen war ein
Arrest auf das "Erbbetreffnis des Schuldners ... an den Erbschaften ...".
Diese Wendung hatte einen weiteren Sinn als der Ausdruck "Erbanteil" oder
"Anteil am Vermögen der Erbengemeinschaft". Unter dem Erbbetreffnis war
der ganze Vermögenszuwachs zu verstehen, von dem der Beschwerdeführer
wegen der Berufung als Erbe "betroffen" worden war. Alles was diesem
bei der Teilung der Erbschaften seiner Eltern zukommen würde oder schon
zugekommen war oder was sich als Ersatzgegenstand (Surrogat) für verteilte
Vermögenswerte in seinem Vermögen befinden werde oder schon befinde,
sollte dem Arrest unterliegen. Der Beschwerdeführer war deshalb am 10. Juni
1959 verpflichtet, sowohl über die Höhe des bei der Erbteilung erhaltenen
Geldbetrages als auch über die Vermögenswerte, die er damit erworben hatte,
wahrheitsgetreu Auskunft zu geben. Indem er Angaben hierüber verweigerte,
verheimlichte er im Sinne des Art. 164 StGB Vermögensstücke.

    Dass dem Beschwerdeführer in angeblicher Verletzung des Art. 276
SchKG keine Abschrift der Arresturkunde zugestellt worden sein soll,
ändert nichts. Diese Unterlassung hatte nicht die Ungültigkeit
des Arrestverfahrens zur Folge, wie der Beschwerdeführer glaubt; die
Zustellung konnte auf Beschwerde hin oder von Amtes wegen jederzeit
nachgeholt werden. Es bleibt dabei, dass der Beschwerdeführer am 10. Juni
1959 beim Versuch des Betreibungsbeamten, den Arrestbefehl zu vollziehen,
über die mit Arrest zu belegenden Gegenstände die Auskunft verweigert
hat. Dieses tatsächliche Verhalten wäre selbst dann als "Verheimlichen"
im Sinne des Art. 164 StGB zu würdigen, wenn das Arrestverfahren aus
irgendeinem Grund betreibungsrechtlich nichtig wäre.

Erwägung 3

    II.3.- Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die Verheimlichung
der unter den Arrestbefehl fallenden Vermögenswerte durch seine Haltung
vom 10. Juni 1959 ursächlich zusammenhange mit dem Nachteil, den die
Gläubiger in den Betreibungen auf Pfändung erlitten. Er stellt in der
Beschwerde auch nicht in Abrede, dass er diese Vermögenswerte bewusst und
gewollt verheimlichte und dass sein Vorsatz den sich für die Gläubiger
daraus ergebenden Nachteil miterfasste. Das Verhalten des Beschwerdeführers
vom 10. Juni 1959 war daher nach Art. 164 StGB strafbar.

    Ob die kantonalen Instanzen das Verbrechen des Pfändungsbetruges
schon allein im Verhalten des Beschwerdeführers vom 10. Juni 1959
sehen, geht aus ihren Urteilen nicht hervor. Darauf kommt aber nichts
an. Sie haben den Beschwerdeführer nicht wegen wiederholten, sondern
wegen fortgesetzten Pfändungsbetruges, also wegen eines alle Handlungen
umfassenden einheitlichen Verbrechens bestraft. Im Rahmen desselben war
die schon im Arrestverfahren begangene Verheimlichung von Vermögenswerten
bei der Strafzumessung mitzuberücksichtigen, obwohl durch sie allein der
Pfändungsbetrug noch nicht vollendet worden war.