Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 IV 57



89 IV 57

12. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Mai 1963
i.S. François gegen Züblin. Regeste

    Art. 31 StGB. Der Wille, den Strafantrag zurückzuziehen, muss
unmissverständlich geäussert werden.

Sachverhalt

    A.- Rechtsanwalt Dr. A. Züblin reichte am 20. September 1960 im
Namen des R. Moor gegen J. P. François beim Bezirksgericht Zürich
eine Privatstrafklage ein. François fühlt sich wegen darin enthaltener
Äusserungen in seiner Ehre verletzt. Er stellte deshalb gegen Moor am 21.
Februar 1961 beim Polizeigericht in Genf Strafantrag. Am 23. Februar 1961
führte er für den Fall, dass die Genfer Behörden nicht zuständig sein
sollten, gegen den gleichen Beschuldigten beim Bezirksgericht Zürich
Ehrverletzungsklage. Er erklärte, der Strafantrag gelte auch gegen
allfällige Mitverantwortliche und er behalte sich vor, auch gegen sie
eine Anklageschrift einzureichen.

    Am 21. September 1962 ersuchte François die Anklagekammer des
Bundesgerichts, zur Beurteilung der Klage gegen Moor die Genfer Behörden
zuständig zu erklären. Die Anklagekammer wies dieses Gesuch am 24. November
1962 ab und erklärte die Behörden des Kantons Zürich berechtigt und
verpflichtet, Moor zu verfolgen und zu beurteilen.

    B.- Am 3. August 1962 klagte François beim Bezirksgericht Zürich wegen
der in der Rechtsschrift vom 20. September 1960 enthaltenen Äusserungen
auch Dr. Züblin der Ehrverletzung an. Der Gerichtsvorstand der 5. Abteilung
des Bezirksgerichts verfügte indessen am 11. September 1962, diese Anklage
werde nicht zugelassen.

    François beschwerte sich gegen diese Verfügung. Das Obergericht des
Kantons Zürich wies den Rekurs am 7. März 1963 ab.

    C.- François führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt, diesen
Beschluss aufzuheben und das Obergericht zu verhalten, auf die Anklage
einzutreten.

    D.- Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 3

    3.- Wann inhaltlich ein gültiger Rückzug des Strafantrages vorliegt,
bestimmt das eidgenössische Recht. Vom kantonalen Recht hängt nur ab,
bei welcher Behörde und in welcher Form er erfolgen muss (BGE 79 IV 100).

    a) In BGE 86 IV 149 wurde entschieden, dass der Rückzug nicht einer
ausdrücklichen Willenserklärung bedürfe. Es kann jedoch keine Rede
davon sein, dass schon der innere Wille des Verletzten, den Strafantrag
zurückzuziehen, genüge. Nicht auf den innern Willen kommt es an, sondern
darauf, ob eine auf Rückzug gerichtete Willensäusserung vorliege. Das
Bundesgericht hat denn auch den Rückzug stets als Erklärung bezeichnet (BGE
79 IV 100 f., 86 IV 149) und noch im letzterwähnten Entscheid ausgeführt,
der Wille, den Strafantrag zurückzunehmen, müsse unmissverständlich zum
Ausdruck kommen. Die Feststellung des Obergerichts, der Beschwerdeführer
habe nach der Stellung des Strafantrages gegen Moor den Willen, den
Beschwerdegegner als Mitbeteiligten verfolgen zu lassen, nicht mehr gehabt,
genügt daher zur Bejahung des Rückzuges nicht.

    b) Das Obergericht hält dem Beschwerdeführer vor, er habe den
Strafantrag gegen die "übrigen Beteiligten" dadurch zurückgezogen,
dass er nach der Einreichung der Strafklage gegen Moor ungebührlich
lange zuwartete, ehe er die Privatstrafklage gegen den Beschwerdegegner
anhängig machte.

    Diese Auffassung scheitert schon daran, dass es einen auf die "übrigen
Beteiligten" beschränkten Rückzug des Strafantrages nicht gibt. Zieht
der Verletzte seinen Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück,
so gilt der Rückzug für alle Beschuldigten (Art. 31 Abs. 3 StGB). Das
Verhalten des Beschwerdeführers dürfte daher höchstens dann als eine auf
Rückzug des Strafantrages gerichtete Willensäusserung ausgelegt werden,
wenn angenommen werden müsste, der Beschwerdeführer habe durch das Zuwarten
mit der Privatstrafklage gegen den Beschwerdegegner den Willen bekundet,
von der Verfolgung aller Beteiligten, besonders auch des Moor, Abstand
zu nehmen. Das hält ihm selbst das Obergericht nicht vor. Eine solche
Auslegung widerspräche den Art. 29 und 30 StGB. Denn sie hätte zur Folge,
dass der Verletzte, der gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag
gestellt hat, verhältnismässig bald auch gegen alle andern Beteiligten
vorgehen müsste, um nicht Gefahr zu laufen, dass sein passives Verhalten
als Rückzug des Strafantrages ausgelegt werde. Das Bundesrecht verlangt
aber nur, dass binnen der Dreimonatsfrist des Art. 29 StGB gegen einen an
der Tat Beteiligten Strafantrag gestellt wird; es kann also im blossen
Nichtvorgehen gegen die andern Beteiligten nicht einen Rückzug des
Strafantrages sehen wollen.

    c) Hievon abgesehen kann das blosse Nichteinreichen der vom kantonalen
Recht geforderten Privatstrafklage gegen die "übrigen Beteiligten" nicht
als Willensäusserung auf Rückzug des nach eidgenössischem Recht gültig
gestellten Strafantrages ausgelegt werden.

    Dieses Verhalten mag im Einzelfall auf einem bestimmten Willen beruhen,
ist aber jedenfalls dann keine Willensäusserung, wenn das kantonale Recht,
wie das Obergericht für den Kanton Zürich entschieden hat, die Befugnis zur
Einreichung der Privatstrafklage nicht befristet. Der Verletzte darf, wenn
er an keine Frist gebunden ist, die Privatstrafklage jederzeit anbringen,
solange die Strafverfolgung nicht verjährt ist. Er kann Gründe haben, die
Einreichung der Klage gegen die "übrigen Beteiligten" aufzuschieben, und er
braucht über den Grund seines Zuwartens niemandem Rechenschaft abzulegen,
gleichgültig, ob ihm die "übrigen Beteiligten" schon bekannt sind oder ob
er noch weitere Abklärung abwarten will. Sein Zuwarten entspricht einem
Recht und darf daher nicht zu seinem Nachteil als Rückzug des Strafantrages
ausgelegt werden. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall von
dem vom Beschwerdegegner erwähnten Abstand von der Einreichung einer
endgültigen Anklage wegen Pressehrverletzung. Diese Abstandnahme - ob
in ihr wirklich ein bundesrechtlicher Rückzug des Strafantrages liege,
wurde in BGE 71 IV 229 nicht entschieden - erfolgt durch Nichtbenützung
einer vom Untersuchungsrichter gemäss § 303 zürch. StPO angesetzten
Frist. Im vorliegenden Falle aber wird dem Beschwerdeführer Untätigkeit
ohne vorausgegangene Fristansetzung vorgeworfen.

    Es kann offen bleiben, ob lange Untätigkeit als Rückzug des
Strafantrages gedeutet werden muss, wenn besondere Umstände den Verletzten
zu reden verpflichten, z.B. wenn ihm der Richter mit der Androhung, das
Schweigen würde als Rückzug ausgelegt, Frist zur Äusserung setzt und
der Verletzte darauf nicht antwortet. Die Zürcher Behörden haben den
Beschwerdeführer nicht gefragt, ob er auch gegen den Beschwerdegegner
Privatstrafklage einreichen wolle. Es liegen auch keine andern Umstände
vor, die den Beschwerdeführer verpflichtet hätten, ihnen seinen Entschluss
vor dem 3. August 1962 mitzuteilen. Das Obergericht wirft ihm nur vor,
er wäre schon Ende Januar, spätestens nach dem 7. Juni 1961, als er
von der Beteiligung des Beschwerdegegners sichere Kenntnis erlangt habe,
imstande gewesen, diesen ins Recht zu fassen, und er habe dies nicht getan,
weder in Genf, das er als zuständig betrachtet habe, noch in Zürich,
um zu vermeiden, dass die Behörden der beiden Orte übereinstimmend den
Gerichtsstand Zürich anerkennen würden. Dies mag erklären, weshalb
der Beschwerdeführer nicht sofort auch gegen den Beschwerdegegner
klagte. Die Gründe seines Zuwartens stempeln dieses aber nicht zu
einer Willensäusserung, geschweige denn zu einer solchen gegenüber den
Zürcher Behörden, bei denen der Rückzug des Strafantrages hätte erfolgen
müssen. Der vorliegende Fall unterscheidet sich in dieser Hinsicht
deutlich von dem in BGE 86 IV 145 ff. veröffentlichten, wo der Rückzug
des Strafantrages aus zwei schriftlichen Eingaben des Verletzten an das
Gericht in Verbindung mit seinem Verhalten anlässlich der Zeugeneinvernahme
eines Beteiligten abgeleitet wurde.

    Es könnte übrigens auch nicht gesagt werden, der Beschwerdeführer
habe unmissverständlich ausgedrückt, dass er den Strafantrag gegen den
Beschwerdegegner zurückziehen wolle. Er hatte sich die Einreichung der
Klage gegen die Mitbeteiligten anlässlich der Stellung des Strafantrages
gegen Moor ausdrücklich vorbehalten und damit kundgegeben, dass sein
Zuwarten nicht als Verzicht auf die Klage gegen die Mitbeteiligten
ausgelegt werden dürfe. Dieser Vorbehalt brauchte nicht wiederholt
zu werden, um den Zürcher Behörden kundzutun, dass die Beschränkung
der Klage auf Moor nur vorläufiger Natur sei und nicht zum Nachteil des
Beschwerdeführers ausgelegt werden dürfe. Gerade weil der Beschwerdeführer
den Beschwerdegegner nur aus prozesstaktischen Gründen (Nichtpräjudizierung
des Gerichtsstandes) nicht sofort ins Recht fasste, durfte der Vorbehalt
nicht stillschweigend als fallen gelassen gelten, jedenfalls solange
nicht, als noch dahinstand, ob Moor nicht doch in Zürich statt in Genf
zu verfolgen sei.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der I.
Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 7. März 1963
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückgewiesen.