Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 IV 201



89 IV 201

40. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Dezember 1963
i.S. K. gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich. Regeste

    Art. 207 StGB. Belästigung durch gewerbsmässige Unzucht.

    Anwohner einer Strasse sind nicht Nachbarn einer Dirne, die dort
nachts Freier anlockt, sie aber zur Ausübung der Unzucht in ein anderes
Quartier führt.

Sachverhalt

    A.- Frau K. fuhr im Frühjahr 1962 häufig, oft sogar mehrmals in
derselben Nacht, mit ihrem Personenwagen vom Rudenzweg in Zürich 9, wo
sie wohnt, nach der als Marktstand von Dirnen bekannten Dienerstrasse
in Zürich 4, um dort einen Freier aufzutreiben, ihn nach Hause zu führen
und sich ihm gegen Bezahlung geschlechtlich hinzugeben.

    Zwei Anwohner der Dienerstrasse fühlten sich durch den Dirnenbetrieb
vor ihrem Hause, insbesondere durch das Gebaren von Frau K. öfters
belästigt und in ihrer Nachtruhe gestört. Sie erstatteten deswegen
Strafanzeige. In ihren Einvernahmen warfen sie der Frau K. vor, sie befinde
sich jede Nacht vor ihrem Hause an der Dienerstrasse auf dem Strichgang;
wenn sie dann mit einem Freier wegfahre, mache sie Lärm, indem sie den
Motor laut anspringen lasse und die Wagentüre zuschlage. Es sei auch schon
vorgekommen, dass sie sich nachts um 01.00 Uhr, wenn der Dirnenbetrieb auf
der Dienerstrasse seinen Höhepunkt erreiche, mit andern Dirnen gestritten
habe. Habe man sie weggewiesen oder sich des Lärms wegen beschwert,
so sei man von ihr ausgelacht, angerempelt oder beschimpft worden.

    B.- Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich und auf Einsprache hin am
9. Juli 1963 auch der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes
Zürich verurteilten Frau K. wegen Anlockens zur Unzucht (Art. 206 StGB)
und Belästigung durch gewerbsmässige Unzucht (Art. 207 StGB) zu Fr. 100.--
Busse.

    C.- Die Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde. Sie macht unter
anderem geltend, der Belästigung durch gewerbsmässige Unzucht habe
sie sich nicht schuldig gemacht, weil sie nicht an der Dienerstrasse
wohne; jedenfalls habe sie die Anwohner dieser Strasse nicht durch die
Ausübung gewerbsmässiger Unzucht, sondern höchstens durch das Anlocken
dazu belästigt.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

    Nach Art. 207 StGB wird auf Antrag mit Haft oder mit Busse bestraft,
wer die Mitbewohner eines Hauses oder die Nachbarschaft durch die Ausübung
gewerbsmässiger Unzucht belästigt.

    Richtet sich Art. 206 gegen gewisse Auswüchse des Dirnenwesens
in der Öffentlichkeit, so will Art. 207 StGB vor allem lästigen
Begleiterscheinungen der Prostitution in Wohnhäusern entgegentreten. Die
Gesetzesmaterialien lassen darüber keine Zweifel offen. In der
1. Expertenkommission vertrat eine Minderheit die Auffassung, die
Mieter sollten sich bei Belästigung an den Vermieter wenden und, falls
dieser nicht Abhilfe schaffe, nach den zivilrechtlichen Bestimmungen
über die Miete vorgehen; eine Bestrafung der Dirne sei folglich nicht
notwendig. Die Mehrheit stellte sich dagegen auf den Standpunkt, dass die
Dirne, "welche durch schamlose Ausübung ihres Gewerbes in ihrer Wohnung
andere" belästige, bestraft werden sollte. Der Tatbestand wurde darauf
beibehalten und neben den Hausbewohnern auch die Nachbarschaft in den
Schutz einbezogen (Prot. 1. Exp. Komm., Bd. 2 S. 318 ff.). Dass Art.
207 im Gegensatz zu Art. 206 StGB nur einen bestimmten Personenkreis und
auch diesen nicht vor irgendwelchen Belästigungen durch Dirnen schützen
will, geht ferner aus den Beratungen der 2. Expertenkommission hervor,
namentlich aus dem Votum Gautier, der zu den entsprechenden Bestimmungen
des Vorentwurfes unter anderem wörtlich folgendes ausführte: "Si l'art. 260
vise les désordres que la débauche provoque dans la rue, l'art. 261 a pour
objet les désordres dont la prostitution est la cause dans l'intérieur
des habitations. Il ne s'agit pas, il est vrai, d'une protection absolue
des voisins, et notamment pas de la protection de la paix domestique, mais
le projet cherche à réprimer au moins les manifestations extérieures par
lesquelles la prostitution importune les voisins et surtout les habitants
des maisons où logent des prostituées... Il s'agit en particulier du
tapage sous toutes ses formes, des cris, des allées et venues bruyantes,
etc." (Prot. 2. Exp. Komm., Bd. 7 S. 79; vgl. ferner Votum Lang, ebenda
S. 95 und HAFTER, Bes. Teil II S. 175).

    Die Auslegung von Art. 207 StGB führt zu keinem andern Ergebnis. Es
gehört zum Tatbestand, dass "die Mitbewohner eines Hauses oder die
Nachbarschaft" belästigt werden. Dass zu den Mitbewohnern nur Personen zu
zählen sind, die im gleichen Hause wie die Dirne wohnen, liegt auf der
Hand. Aber auch der Begriff der Nachbarschaft muss auf den Ort bezogen
werden, wo die Dirne wohnt oder abzusteigen pflegt. Das macht vollends
der französische Gesetzestext deutlich, der die Wendung "les habitants
de la maison ou les voisins" gebraucht. Der italienische Text spricht
von "altri abitanti" und "vicini", also ebenfalls von Mitbewohnern und
Nachbarn. Der Einbezug der Nachbarn war notwendig, weil diese unter
Umständen durch das Gebaren einer Dirne ebenso sehr belästigt werden
können wie Hausbewohner. Man denke nur an aneinandergebaute oder nahe
beieinanderstehende Häuser. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sind jedoch
unter Nachbarn bloss Nebenwohner oder Nahewohnende, nicht aber Personen
zu verstehen, die sich nur gelegentlich oder vorübergehend auf einem
benachbarten Grundstück aufhalten. Anwohner einer Strasse können deshalb
nicht Nachbarn einer Dirne sein, die dort nachts zwecks Kundenfanges
herumschlendert oder hinsteht, jedenfalls dann nicht, wenn sie, wie hier,
ihre Freier zur Ausübung der Unzucht in ein anderes Quartier führt.

    Dies ist umsoweniger anzunehmen, als Art. 207 StGB nur Belästigungen
ahnden will, die mit der Ausübung der gewerbsmässigen Unzucht, also
in der Regel mit dem Absteigequartier, zusammenhängen. Auswüchsen, die
mit dem öffentlichen Zumarktestehen von Dirnen verbunden sind, begegnet
Art. 206 StGB in genügender Weise. Notfalls mögen in solchen Fällen noch
die kantonalen Strafbestimmungen gegen Lärm und nächtliche Ruhestörung
Platz greifen, was zudem den Vorteil hat, dass nicht nur die Dirne,
sondern gegebenenfalls auch der Freier, der sich z.B. mit ihr auf der
Strasse streitet, zur Verantwortung gezogen werden kann, und zwar nach
der gleichen Bestimmung.