Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 IV 190



89 IV 190

38. Urteil des Kassationshofes vom 27. September 1963 i.S. Landert gegen
Hofmann. Regeste

    Art. 173 Ziff. 3 StGB. Begründete Veranlassung zu einer ehrverletzenden
Äusserung kann darin liegen, dass der Täter, der um Auskunft über den
Verletzten gebeten wird, dem Fragenden einen Dienst erweisen will.

Sachverhalt

    A.- Frau Hofmann wohnte vom Juli 1951 bis im Oktober 1952 im
gleichen Hause wie Frau Landert. Diese reichte damals gegen sie eine
Ehrverletzungsklage ein, doch wurde der Streit durch einen Vergleich
erledigt. Die beiden Frauen hatten in der Folge nichts mehr miteinander
zu tun.

    Im Herbst 1961 zog Spahn im Auftrage des Zahnarztes Dr. Herzog
Erkundigungen über Frau Hofmann ein, weil er gegen diese ein Honorar
für zahnärztliche Behandlung einklagen wollte oder schon eingeklagt
hatte. Spahn wandte sich auch an Frau Landert. Diese sagt, er habe
sie gefragt, ob sie es für möglich halte, dass Frau Hofmann eine
Zahnarztrechnung des Dr. Herzog nicht zahlen wolle. Frau Landert gab ihm
die Auskunft, Frau Hofmann sei frech und lügnerisch.

    B.- Wegen dieser Äusserung klagte Frau Hofmann Frau Landert der
Verleumdung und üblen Nachrede, eventuell der Beschimpfung an.

    Das Bezirksgericht Zürich und auf Berufung der Angeklagten auch
das Obergericht des Kantons Zürich, dieses mit Urteil vom 2. Mai 1963,
erklärten Frau Landert der üblen Nachrede schuldig und verurteilten sie zu
einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 100.--. Beide Instanzen verwehrten
der Angeklagten den Beweis, dass ihre Äusserung wahr sei oder dass sie
ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten.

    C.- Frau Landert führt Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt, das
Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache an dieses zurückzuweisen,
damit der Wahrheitsbeweis zugelassen werde.

    D.- Frau Hofmann beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschuldigte darf von dem in Art. 173 Ziff. 2 StGB vorgesehenen
Wahrheits- oder Entlastungsbeweis nur ausgeschlossen werden, wenn er
die ehrverletzende Äusserung ohne begründete Veranlassung und ausserdem
vorwiegend in der Absicht, jemandem Übles vorzuwerfen, getan hat;
denn diese beiden Erfordernisse müssen für den Ausschluss des erwähnten
Beweises kumulativ erfüllt sein (BGE 82 IV 96). Nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichts soll auch der mit übler Absicht handelnde Ehrverletzer
sich darauf berufen können, er habe eine begründete Veranlassung gehabt
(aaO S. 99). Wer aus begründeter Veranlassung gehandelt hat, muss
also auch dann zum Beweise zugelassen werden, wenn ihm der Anlass eine
willkommene Gelegenheit war, dem andern Übles vorzuwerfen.

    Von einem Handeln aus begründeter Veranlassung kann aber nicht schon
dann die Rede sein, wenn eine solche objektiv bestand. Sie muss dem Täter
auch Beweggrund zur Äusserung gewesen sein (BGE 82 IV 98). Das kommt in der
deutschen Wendung "ohne begründete Veranlassung" von Art. 173 Ziff. 3 StGB
nicht deutlich zum Ausdruck, lässt sich aber aus dem Worte "motif" bzw.
"motivo" des französischen und des italienischen Wortlautes ableiten und
auch daraus, dass die beiden Erfordernisse durch ein Komma getrennt wurden,
als ob sie beide ungefähr den gleichen Gedanken ausdrückten.

    Der Richter darf die vorwiegende Absicht, Übles vorzuwerfen, nicht
leichthin bejahen, namentlich dann nicht, wenn objektiv eine begründete
Veranlassung zur ehrverletzenden Äusserung bestand. Der Ausschluss des
Wahrheits- oder Entlastungsbeweises schränkt das Verteidigungsrecht so
sehr ein, dass sich diese strenge rechtliche Anforderung an das Vorwiegen
einer üblen Absicht rechtfertigt (BGE 82 IV 98 f.). Daher ist es nach
der angeführten Rechtsprechung auch nicht zulässig, die vorwiegend üble
Absicht ohne weiteres dann zu bejahen, wenn eine begründete Veranlassung
zur Äusserung fehlte. Der Richter hat zu prüfen, ob die Äusserung nicht
tatsächlich auf Beweggründe zurückzuführen war, die zwischen begründeter
Veranlassung und übler Absicht lagen (aaO S. 100). Umsomehr muss er
das tun, wenn Umstände nachgewiesen sind, die die Äusserung objektiv
rechtfertigten.

Erwägung 2

    2.- Mit der Auffassung, die Beschwerdeführerin habe keine begründete
Veranlassung gehabt, ihre abschätzige Äusserung über die Beschwerdegegnerin
zu tun, verkennt das Obergericht den Rechtsbegriff der begründeten
Veranlassung.

    Eine solche fehlt nicht deshalb, weil die Beschwerdeführerin weder
Spahn kannte, noch in näheren Beziehungen zu dessen Auftraggeber Dr. Herzog
stand. Auch wer von einem Unbekannten im Auftrage einer Person, mit der
der Befragte keine Beziehungen unterhält, um Auskunft gebeten wird, kann
begründete Veranlassung haben, sich zu äussern. Er kann dem Fragenden
oder dessen Auftraggeber einen Dienst erweisen wollen. Warum solche
Dienstfertigkeit nur gegenüber Personen gerechtfertigt sein sollte, die
man kennt und denen man nahe steht, ist nicht zu ersehen. Dr. Herzog
hatte ein berechtigtes Interesse, sich über die Beschwerdegegnerin zu
erkundigen, gegen die er ein zahnärztliches Honorar eingeklagt hatte oder
einklagen wollte. Für ihn konnte es von Bedeutung sein, nachzuweisen,
dass die Beschwerdegegnerin es mit der Wahrheit nicht ernst zu nehmen
pflege. Diesem Interesse durfte die Beschwerdeführerin Rechnung tragen,
als sie von Spahn befragt wurde. Dass dieser sie nur "sehr summarisch"
aufklärte, wie das Obergericht sagt, oder "nicht einmal etwas Näheres über
die Honorarstreitigkeit zwischen Dr. Herzog und der Beschwerdegegnerin
wusste", wie dem Urteil des kantonalen Kassationsgerichtes zu entnehmen
ist, ändert nichts. Die summarische Aufklärung bestand nach den
Zeugenaussagen des Spahn darin, dass Dr. Herzog ihre Zähne behandelt
habe. Das genügte, um eine Auskunft, wonach die Beschwerdeführerin Frau
Hofmann als frech und lügnerisch kenne, objektiv zu rechtfertigen. Die
Beschwerdeführerin durfte davon ausgehen, Dr. Herzog verfolge mit der
Einziehung der Auskunft seine Interessen als angeblicher Gläubiger
der Beschwerdegegnerin. Weitere Einzelheiten brauchte sie nicht zu
kennen. Sie brauchte auch nicht in der Lage zu sein, im Zivilprozess
zwischen Dr. Herzog und der Beschwerdegegnerin "zur Sache" aussagen zu
können. In einem Streit um die Frage, ob die Behandlung stattgefunden
habe, konnte auch ein blosser Leumundszeuge von Nutzen sein. Sogar ohne
Prozess hatte die Mitteilung der Beschwerdeführerin für Dr. Herzog einen
Wert, denn sie konnte ihn in der Auffassung bestärken, dass seinerseits
kein Irrtum vorliege. Unerheblich ist auch, dass die Beschwerdeführerin
seit der Erledigung ihres Ehrverletzungsprozesses aus dem Jahre 1951
oder 1952 mit der Beschwerdegegnerin nichts mehr zu tun gehabt hatte;
denn nicht in persönlichen Beziehungen der Parteien, sondern in den
Interessen des Dr. Herzog liegt der Rechtfertigungsgrund, der von einer
objektiv begründeten Veranlassung zu sprechen erlaubt. Das Obergericht
verkennt den Begriff der begründeten Veranlassung auch damit, dass es
sie verneint, weil die Beschwerdeführerin habe befürchten müssen, mit der
Beschwerdegegnerin neuerdings Streit zu bekommen. Würde diese Auffassung
geschützt, so dürfte niemand eine ehrverletzende Wahrheit aussprechen,
wenn er befürchten müsste, sich deswegen mit dem Betroffenen zu überwerfen
oder von neuem zu überwerfen. Auch die Tatsache, dass die Erfahrung um neun
Jahre zurücklag, welche die Beschwerdeführerin mit der Beschwerdegegnerin
gemacht haben will, schliesst die begründete Veranlassung nicht aus. Spahn
war von Dr. Herzog beauftragt, "an früheren Wohnorten von Frau Hofmann
bei Hausleuten Nachfrage zu halten". Er musste sich also bew-usst sein,
dass die Auskunft der Beschwerdeführerin sich auf die Zeit bezog, da die
Beschwerdegegnerin im gleichen Haus gewohnt hatte, und nur auf Beziehungen
beruhte, wie sie unter Bewohnern eines Miethauses zu bestehen pflegen
und mit dem Wegzug des einen üblicherweise enden. Diese Auskunft konnte
zusammen mit andern dennoch dafür sprechen, dass die Beschwerdegegnerin
von der Wahrheit abwich, als sie die Behandlung des Dr. Herzog bestritt.

Erwägung 3

    3.- Mit dem objektiven Vorliegen einer begründeten Veranlassung
ist nicht gesagt, dass auch subjektiv die Äusserung aus begründeter
Veranlassung erfolgte. Die Beschwerdeführerin hat im kantonalen Verfahren
erklärt, sie habe gedacht, Dr. Herzog komme auf Grund ihrer Auskunft eher
zu seinem Geld; sie habe angenommen, seine Rechnung sei ohne weiteres in
Ordnung; sie habe dem Recht zum Durchbruch verhelfen wollen. Sollte diese
Aussage zutreffen, so wäre der Beweggrund des Handelns auf begründete
Veranlassung zu bejahen. Die Beschwerdeführerin brauchte nicht zu wissen,
wie es im einzelnen dazu kommen könnte, dass ihre Aussage dem Dr. Herzog
zu seinem Recht verhelfen würde. Es genügt, wenn sie sich vorstellte,
sie seien ihm in der Auseinandersetzung mit der Beschwerdegegnerin
irgendwie nützlich.

    Das Obergericht nimmt zu der erwähnten Aussage der Beschwerdeführerin
über den Beweggrund nicht ausdrücklich Stellung. Es begnügt sich mit den
Sätzen, ihr Verhalten lasse sich nur so erklären, dass von ihrem früheren
Prozesse her ein gewisses Ressentiment gegen die Beschwerdegegnerin
zurückgeblieben sei; nach neun Jahren habe sie gar nicht wissen können,
wie diese sich in der Zwischenzeit entwickelt habe; ihre Äusserung könne
bei der ganzen Verumständung nur vorwiegend in der Absicht erfolgt sein,
der Klägerin Übles vorzuwerfen. Diese Erwägungen schliessen unmittelbar an
die Ausführungen an, mit denen das Obergericht die begründete Veranlassung
objektiv verneint. Sie beruhen auf einer unzutreffenden Rechtsauffassung,
nämlich auf der Verkennung des Begriffs der begründeten Veranlassung und
folglich auch des Begriffs des Vorwiegens der Absicht, Übles vorzuwerfen.

    Das angefochtene Urteil muss daher aufgehoben und die Sache zu
neuer Entscheidung zurückgewiesen werden. Das Obergericht hat unter
Berücksichtigung des richtigen Begriffs der begründeten Veranlassung zu
entscheiden, ob der von der Beschwerdeführerin angegebene Beweggrund
ihres Handelns bestanden hat. Wenn ja, hat die Beschwerdeführerin
nicht vorwiegend in der Absicht gehandelt, der Beschwerdegegnerin Übles
vorzuwerfen, und muss sie zum Wahrheits- oder Entlastungsbeweis zugelassen
werden.