Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 II 304



89 II 304

41. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Juli 1963
i.S. Bizzozzero gegen Sigrist. Regeste

    Bauhandwerkerpfandrecht. Rückweisung der binnen angesetzter Frist
angehobenen Klage wegen eines prozessualen Fehlers. Analoge Anwendung
von Art. 139 OR.

    1.  Die Frist des Art. 839 Abs. 2 ZGB kann nicht verlängert, jedoch
durch vorläufige Eintragung gewahrt werden (Erw. 3).

    2.  Wird hierauf die Klage binnen der vom Richter angesetzten
Frist (Art. 961 Abs. 3 ZGB) angehoben, jedoch wegen eines (im
Vermittlungsverfahren oder bei der nachfolgenden Einreichung der Klage
an das Gericht) unterlaufenen prozessualen Fehlers zurückgewiesen, so
steht dem Kläger eine Nachfrist analog Art. 139 OR zu (Erw. 4-7).

Sachverhalt

    A.- Renato Bizzozzero, wohnhaft in Lugano, liess in Celerina zwei
Ferienhäuser bauen. Die Ausführung der Unterlageböden für Korridore,
Treppen und Zimmer in Parkett und Colovynil war dem Handwerksmeister
Alfred Sigrist übertragen. Es kam zu Meinungsverschiedenheiten über
die ihm zustehende Forderung. Sigrist erlangte auf Anordnung des
Kreisamtes Oberengadin am 21. April 1960 die vorläufige Eintragung eines
Bauhandwerkerpfandrechts (Vormerkung) für eine Forderung von Fr. 13'525.25
bis zehn Tage nach rechtskräftiger Beurteilung der Sache. Zur Anhebung
der Klage setzte das Kreisamt dem Gesuchsteller Sigrist Frist bis zum
15. Juni, später verlängert bis zum 15. Juli 1960, "mit der Wirkung,
dass die Vormerkung erlischt, wenn die Frist nicht eingehalten wird".

    B.- Binnen dieser Frist leitete Sigrist das Vermittlungsverfahren
ein. Am 6. Oktober 1960 erhielt er den Leitschein und hatte nun nach
Art. 96 der kantonalen ZPO "innert der peremptorischen Frist von 20
Tagen" dem Präsidenten des Bezirksgerichts Maloja "den Leitschein und
eine Prozesseingabe einzureichen". Die Klageschrift gab er denn auch
am letzten Tag dieser Frist zur Post. Aus Versehen war ihr aber der
Leitschein nicht beigelegt worden. Dessen Nachsendung, die zwei Tage
später erfolgte, vermochte die Klageanhebung nicht gültig zu machen. Der
Präsident des Bezirksgerichts schrieb die Klage gemäss Art. 97 der ZPO ab,
und eine vom Kläger dagegen geführte Beschwerde hatte keinen Erfolg. Der
Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden wies sie am 16. Januar 1961 ab
und teilte diesen Entscheid den Parteien am 31. Januar 1961 mit.

    C.- Am 17. Februar 1961 leitete der Kläger ein zweites
Vermittlungsverfahren ein und gab dem neuen Leitschein die gesetzliche
Folge, indem er ihn samt der Klageschrift vom 24. Juni 1961 binnen
der vorgeschriebenen Frist einreichte. Mit Urteil vom 1./12. Dezember
1962 erklärte sich das Bezirksgericht Maloja indessen als unzuständig,
weil der Kläger den Pfandrechtsanspruch durch jene fehlerhafte erste
Klageeinreichung verwirkt habe und die allein noch zu beurteilende
Forderung nicht am Orte der gelegenen Sache, sondern am Wohnsitz des
Beklagten, in Lugano, gerichtlich geltend zu machen sei.

    D.- Auf Beschwerde des Klägers hob der Kantonsgerichtsausschuss
von Graubünden dieses Urteil am 23. März 1963 auf und wies die Sache
zu materieller Behandlung und Beurteilung an das Bezirksgericht Maloja
zurück. Der Kantonsgerichtsausschuss betrachtet das dem Kläger im ersten
Verfahren unterlaufene Versehen, das zur uneinlässlichen Ablehnung jener
ersten Klage führte, als verbesserlichen Fehler, so dass dem Kläger die
Nachfrist des Art. 139 OR zur neuen Klageerhebung zugute kommen müsse,
die er denn auch in einwandfreier Weise benutzt habe.

    E.- Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Berufung
des Beklagten.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    1./2. - (Prozessuales).

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 839 Abs. 2 ZGB muss das Pfandrecht der Handwerker und
Unternehmer spätestens drei Monate nach Vollendung ihrer Arbeit eingetragen
sein. Der Kläger hat binnen dieser Frist die Vormerkung einer vorläufigen
Eintragung seines Pfandrechts erlangt. Nach Ansicht der Vorinstanz bewirkte
das Gesuch um Bewilligung der Vormerkung wie auch dessen Gutheissung durch
den Kreispräsidenten "eine Suspension im Sinne einer Verlängerung der
dreimonatigen Frist für die definitive Eintragung bis zehn Tage über die
Erledigung der Streitsache vor dem ordentlichen Zivilrichter hinaus". Mit
Recht lässt der Beklagte dies nicht gelten. Die Dreimonatsfrist des
Art. 839 Abs. 2 ZGB ist eine Verwirkungsfrist, die sich nicht verlängern
lässt. Ihr Zweck besteht im Schutz Dritter (namentlich eines Erwerbers),
um deretwillen drei Monate nach Vollendung der Bauarbeit Gewissheit über
den Stand der Pfandrechte bestehen muss (vgl. BGE 40 II 197, 53 II 218;
LEEMANN, N. 9 ff. zu Art. 839 ZGB). Gerade deshalb gestattet Art. 22
Abs. 4 der Grundbuchverordnung die vorläufige Eintragung in Gestalt einer
Vormerkung, die zur Fristwahrung ebenfalls geeignet ist (vgl. BGE 39 II
139, 66 II 107, 83 III 142). Es geht somit hier nicht mehr um die Wahrung
der Frist des Art. 839 Abs. 2 ZGB, wozu der Kläger das Erforderliche
vorgekehrt hat. Zu entscheiden ist vielmehr, ob die vorläufige Eintragung,
deren Fortbestand der Kreispräsident an die-Bedingung einer binnen
bestimmter Frist anzuhebenden Klage geknüpft hat, gültig geblieben oder,
da die erste Klage von der Hand gewiesen worden ist, als verwirkt gelten
muss, mit der Folge, dass das Bauhandwerkerpfandrecht seinerseits ebenfalls
verwirkt ist.

Erwägung 4

    4.- Da die dem Kläger vom Kreispräsidenten angesetzte Klagefrist
auf Art. 961 Abs. 3 ZGB beruht, ist auch der Begriff der Klageanhebung
im bundesrechtlichen Sinne zu verstehen. Nach ständiger Rechtsprechung
hat sie in gültiger Weise stattgefunden durch Einleitung des
Vermittlungsverfahrens, das nach der kantonalen Prozessordnung mit
dem anschliessenden Verfahren vor dem Gericht organisch verbunden ist
(vgl. BGE 74 II 14, 81 II 538, 82 II 590, 85 II 537).

Erwägung 5

    5.- Hat der Kläger somit beide bundesrechtlichen Fristen (die
gesetzliche des Art. 839 Abs. 2 und die vom Richter bestimmte des
Art. 961 Abs. 3 ZGB) gewahrt, so führte diese erste Klage dennoch nicht zu
einer Sachentscheidung, sondern wurde wegen der fehlerhaften Anbringung
beim Gericht (weil der Leitschein nicht ebenfalls binnen der Frist des
Art. 96 der kantonalen ZPO beigelegt wurde) abgeschrieben, d.h. von der
Hand gewiesen. Ein solches Scheitern der Klage an prozessualen Mängeln
zieht zwar nach der bündnerischen ZPO nicht den Untergang des eingeklagten
materiellen Anspruchs nach sich. Eine neue Klage ist zulässig, ist jedoch,
um vor das Gericht gebracht werden zu können, neuerdings beim Vermittleramt
einzuleiten (vgl. R. JÖRGER, Der Leitschein im bündnerischen Zivilprozess,
Diss. 1960, S. 41). Da aber eine gemäss Art. 961 Abs. 3 ZGB vom Richter
befristete Klage vorliegt, war die längst nach Ablauf dieser Frist durch
Einleitung eines neuen Vermittlungsverfahrens angehobene zweite Klage
nur dann geeignet, den Fortbestand der vorläufigen Eintragung zu sichern,
wenn dem Kläger eine Nachfrist entsprechend Art. 139 OR zugebilligt wird.

Erwägung 6

    6.- Von der frühern Rechtsprechung abweichend, hat das Bundesgericht
in mehreren Entscheidungen diese das Gebiet der Verjährung betreffende
Gesetzesnorm sinngemäss auf Verwirkungsfristen, insbesondere auf die
Frist des Art. 308 ZGB für die Vaterschaftsklage, angewendet. Hat die
klagende Partei diese Frist zwar benutzt, jedoch in unrichtiger Weise,
sei es durch Anrufung eines unzuständigen Richters oder unter Begehung
eines "verbesserlichen" prozessualen Fehlers, und ist die Klage deshalb
zurückgewiesen worden, so steht ihr die Nachfrist des Art. 139 OR zu
neuer, diesmal einwandfreier Klageanhebung zur Verfügung (BGE 61 II 148,
72 II 326, 80 II 288).

    Die Zulässigkeit solch analoger Anwendung des Art. 139 OR auf
Verwirkungsfristen ist freilich umstritten geblieben. Sie wird verneint
von C. VAUTIER (Le "délai supplémentaire" de l'art. 139 CO et les délais
de péremption, SJZ 47/1951 p. 281 et ss.) wie auch von J.-A. WYSS (La
péremption dans le code civil suisse, thèse 1957, p. 131 et ss.), während
andere Autoren der neuen Rechtsprechung beistimmen: so TH. GUHL (ZbJV 72
S. 536 und 83 II S. 478), M. GULDENER (Schweizerisches Zivilprozessrecht,
2. Auflage, S. 221/222), P. NABHOLZ (Verjährung und Verwirkung als
Rechtsuntergangsgründe infolge Zeitablaufs, Diss. 1958, S. 128 ff.).

    Zu der in Frage stehenden sinngemässen Anwendung des Art. 139 OR
bestehen zureichende Gründe. Diese Norm will dem Kläger Gelegenheit
geben, die unbillige Härte zu vermeiden, die darin liegen würde, dass
sein Anspruch der Verjährung anheimfallen müsste, wenn die noch während
deren Lauf angehobene Klage aus einem der vom Gesetz erwähnten Gründe
zurückgewiesen wird und unterdessen die Verjährungsfrist abgelaufen
ist. Es wäre nicht minder unbillig, einen Anspruch als materiell
verwirkt betrachten zu müssen, wenn er binnen der dafür bestehenden
Klagefrist geltend gemacht, die Klage aber nach Ablauf der Frist aus
einem solchen Grunde zurückgewiesen worden ist. Übrigens räumt C. VAUTIER
(aaO S. 274) ein, dass die Gewährung einer Nachfrist dem Charakter
einer Verwirkung nicht von vornherein widerspricht und beim Fehlen einer
genaueren gesetzlichen Regelung der Verwirkungsfolgen das Vorliegen von
Gesetzeslücken angenommen werden darf. Wenn er dennoch eine "allgemeine"
Anwendung des Art. 139 OR für unzulässig hält, so namentlich wegen der
grossen Verschiedenheit der Verwirkungsfälle (aaO S. 275). Die neue
Rechtsprechung bezieht sich nun aber nicht auf Verwirkungsfristen jeder
Art, sondern nur auf Klagefristen, und zwar solche des Bundeszivilrechts,
für die zweifellos zutrifft, dass ihr Ablauf "ein der Verjährung ähnliches
Resultat" bewirkt (vgl. A. VON THUR, Allg. Teil des schweizerischen OR, §
74 I 2). In gleichem Sinne bezeichnet E. BLUMENSTEIN (Verwirkung und Ablauf
der Befristung, S. 86) die Präklusivbefristung von Rechten als Surrogat
der Verjährung. Die analoge Anwendung des Art. 139 OR rechtfertigt sich
nicht nur für die in Art. 308 ZGB befristete Vaterschaftsklage, sondern
grundsätzlich auch bei andern Klagebefristungen des Bundeszivilrechts,
insbesondere auch bei richterlich bestimmten Klagefristen. Dem steht
nicht entgegen, dass Verjährung und Verwirkung wohl zu unterscheiden
und nicht durchwegs den gleichen Grundsätzen zu unterstellen sind. Wie
schon in BGE 61 II 156 Erw. 5 f bemerkt wurde, nimmt Art. 139 OR
unter den Bestimmungen betreffend die Verjährung eine Sonderstellung
ein. Er ist von den nur die Verjährung betreffenden Normen über
Stillstand und Unterbrechung der Frist unabhängig und lässt sich
ohne Widerspruch mit dem Wesen der Verwirkung, speziell mit Sinn und
Zweck der Klagefristen, auf diese übertragen. Dass diese Befristungen
im wesentlichen öffentlichen Interessen zu dienen haben und sich aus
diesem Grunde die analoge Anwendung von Art. 139 OR verbiete, wie J.-A.
WYSS (aaO S. 133) annimmt, kann nicht zugegeben werden. Manche Klagefrist,
so auch die vom Richter nach Art. 961 Abs. 3 ZGB bei Bewilligung der
vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts anzusetzende,
dient in erster Linie dem Interesse des Beklagten, nur während einer
bestimmten Zeitspanne mit der rechtlichen Geltendmachung des betreffenden
Anspruches rechnen zu müssen (vgl. P. NABHOLZ, aaO S. 57). Wenn zudem,
da die Einhaltung der Klagefrist von Amtes wegen nachzuprüfen ist,
ein öffentliches Interesse mit in Betracht fällt, so schliesst dies die
Zuerkennung einer Nachfrist nicht aus. Das Interesse der Öffentlichkeit,
dass eine Klage der betreffenden Art nicht erst später angehoben werde,
ist ebenso wie das übereinstimmende Interesse des Beklagten gewahrt,
wenn es binnen der Frist zur Klageanhebung kommt. Verzögerungen des
Prozessverlaufs, auch wenn sie einer fehlerhaften (aber binnen der Frist
erfolgten) Klageanhebung zuzuschreiben sind, brauchen aus dem Gesichtspunkt
der erwähnten Interessen nicht notwendig die Unwirksamkeit der Klage
nach sich zu ziehen. Wenn WYSS (a.a.O) auf das bei befristeten Klagen
bestehende dringende Bedürfnis nach rascher Streiterledigung hinweist,
so ist darauf zu erwidern, dass die Klagebefristung keine Gewähr für
eine solche Erledigung zu bieten vermag. Das wird in schlagender Weise
durch die lange Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens bei Behandlung der
zweiten Klage des vorliegenden Falles dargetan. Gegenüber den mannigfachen
Gründen, die eine Verzögerung des Prozessverlaufes bewirken können,
fällt die Zubilligung einer Nachfrist, gemäss oder in analoger Anwendung
von Art. 139 OR, nicht ins Gewicht. Übrigens liesse sich ein prozessualer
Fehler, wie er hier dem Kläger unterlaufen ist, nach andern Prozessgesetzen
ohne Abschreibung der Klage, im Rahmen des hängig gewordenen Verfahrens,
binnen einer vom Richter dazu eingeräumten Frist beheben. Kommt es
statt dessen, wie hier gemäss Art. 97 der ZPO von Graubünden, wegen
eines solchen Fehlers zur Abschreibung der Klage, so bietet Art. 139 OR
von Bundesrechts wegen dem Kläger Gelegenheit. die Folgen überspitzt
formalistischer Prozessgrundsätze abzuwenden (vgl. BGE 86 I 10 oben).

    Diese Betrachtungsweise rechtfertigt sich jedenfalls im Bereiche der
Klagebefristungen des Bundeszivilrechtes. Wie es sich mit den befristeten
Klagen des SchKG verhält (insbesondere mit der Arrestprosequierungsklage
des Art. 278 Abs. 2: SchKG, wozu vgl. BGE 75 III 73 und 82 III 45 am
Ende; siehe im übrigen M. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht,
2. Auflage, S. 222 oben), ist hier nicht zu prüfen.

Erwägung 7

    7.- Der Zubilligung einer Nachfrist in analoger Anwendung des
Art. 139 OR steht nicht entgegen, dass die erste Klage an einem Fehler
gescheitert ist, der nicht schon bei Einleitung des Vermittlungsverfahrens,
sondern erst bei Anrufung des Gerichts unterlief. Gewiss hat Art. 139 OR
Fehler zu Beginn des Prozesses im Auge, die zur Rückweisung der Sache
ohne materielle Prüfung führen. Das ergibt sich namentlich aus dem
französischen Randtitel "Délai supplémentaire, lorsque l'action a été
mal introduite". Es liegt jedoch im Sinne dieser Norm, dann, wenn nach
dem kantonalen Prozessrecht der Anbringung der Klage beim Gericht ein
Vermittlungsverfahren (Aussöhnungsversuch) vorauszugehen hat, in gleicher
Weise eine Nachfrist zu gewähren, ob nun der die Rückweisung (Abschreibung)
der Klage nach sich ziehende Fehler im ersten oder im zweiten dieser
einleitenden Prozesstadien unterlaufen ist. Es handelt sich um zwei Stufen
der Klageanhebung. Misslingt die als Vorstufe zu betrachtende amtliche
Vermittlung (gleichgültig ob sie bereits die Rechtshängigkeit der Klage
begründet oder nicht), so stellt sich die Benutzung der dabei erteilten
Klagebewilligung (in Graubünden: des Leitscheines) als zweiter Akt der
Klageanhebung dar, der auch seinerseits (und zwar gewöhnlich noch in
stärkerem Mass als die Einleitung des Vermittlungsverfahrens) bestimmten
Formvorschriften unterworfen ist. In diesem Stadium der Streitanhebung
kommen denn auch häufiger als im vorausgegangenen Vermittlungsverfahren
prozessuale Fehler vor, die je nach den bestehenden Verfahrensvorschriften
zur Rückweisung der Klage ohne materielle Prüfung führen. Eine aus solchen
Gründen zurückgewiesene ("abgeschriebene") Klage soll nach Art. 139
OR nicht endgültig der Verjährung anheimfallen bezw. verwirkt sein,
wenn unterdessen die Verjährungs- bezw. Verwirkungsfrist (Klagefrist)
abgelaufen ist. Und zwar soll es nach dem Sinn und Zweck des Art. 139
OR hiebei keine Rolle spielen, ob ein amtlicher Vermittlungsversuch
vorausging. Auch die Fälle von BGE 61 II 148, 72 II 326 und 80 II 288
betrafen Fehler, die bei Anrufung des Gerichts oder doch nach Einleitung
eines amtlichen Vermittlungsverfahrens unterliefen. OSER/SCHÖNENBERGER
(N. 1 zu Art. 139 OR) umschreibt das Anwendungsgebiet dieser Nachfrist
ebenfalls in solch weitem Sinne, und LEUCH (N. 5 zu Art. 161 und N. 6
zu Art. 163 der bernischen ZPO) bezeichnet den Art. 139 OR als das
Korrektiv einer die Rechtshängigkeit aufhebenden Klagerückweisung (dies
allgemein, also namentlich auch für den Regelfall eines vorausgegangenen
Aussöhnungsversuches). Nichts Abweichendes ergibt sich aus BGE 82
II 587 ff. mit der den Art. 139 OR nicht ausdrücklich vorbehaltenden
Inhaltsangabe. Diese Entscheidung betraf eine Nichtigkeitsbeschwerde,
die sich gegen die Klagerückweisung als solche richtete und nicht die
Frage betraf, ob und unter welchen Voraussetzungen eine neue Klage
nach Art. 139 OR angehoben werden könnte. Wenn die Inhaltsangabe jenes
Entscheides dahin lautet: 1. der Begriff der Klageanhebung sei auch dann
ein bundesrechtlicher, wenn das Bundesrecht es dem Richter anheimgibt, eine
Klagefrist anzusetzen und sie zu bemessen, und 2. in welchen Fristen und
Formen eine gemäss dem Bundesrecht angehobene Klage alsdann zu prosequieren
sei, habe das kantonale Prozessrecht zu bestimmen, so tritt nach dem
Gesagten Art. 139 OR ergänzend hinzu, wonach der Kläger nach Rückweisung
der unzuständigen Ortes oder in fehlerhafter Weise angehobenen Klage in
den Genuss einer Nachfrist zu neuer Klageanhebung kommt. Dies unter der
Voraussetzung, dass er die bundesrechtliche Klagefrist wie auch die nach
misslungener Vermittlung laufende prozessrechtliche Frist nicht einfach
verstreichen liess, sondern - wenn auch nicht in richtiger Weise - benutzt
hat. Gegen Fristversäumnis schlechthin hilft nur Wiederherstellung der
Frist nach Prozessrecht, die an strenge Voraussetzungen gebunden ist.

    Nicht zweifelhaft ist, dass die versehentliche Unterlassung, der
Klageschrift den Leitschein beizulegen, ein "verbesserlicher Fehler"
war. Wie bereits bemerkt, hatte die deshalb erfolgte Abschreibung der Klage
von bündnerischen Prozessrechts wegen nicht den Untergang des eingeklagten
Anspruchs zur Folge, sondern zwang den Kläger bloss, vor erneuter Anrufung
des Gerichtes ein neues Vermittlungsverfahren einzuleiten. Davon geht
auch das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses aus. Bei dieser Sachlage
kann offen bleiben, ob Art. 139 OR überhaupt bei jedem prozessualen
Fehler der Klageanhebung (sofern diese innert der dafür vorgeschriebenen
Frist erfolgt) die Nachfrist geben will, so dass es dem kantonalen Recht
gar nicht offen stünde, "unverbesserliche Fehler" der Klageanhebung
vorzusehen, welche die Anwendung von Art. 139 OR ausschliessen würden
(vgl. CH. E. RATHGEB, L'action en justice et l'interruption de la
prescription, Mélanges François Guisan, p. 269 et ss.).

    Eine Frage für sich ist, ob die analoge Anwendung des Art. 139 OR
notwendig eine Nachfrist von 60 Tagen mit sich bringt, oder ob dann, wenn
die vom Kläger einzuhaltende und von ihm auch tatsächlich, jedoch nicht in
einwandfreier Weise benutzte Klagefrist bezw. Streiteinleitungsfrist nach
misslungenem Vermittlungsversuch kürzer war, die Nachfrist ebenfalls auf
diese kürzere Dauer zu bemessen sei (vgl. GULDENER, aaO). Wie dem auch
sein mag, hat der Kläger das zweite Verfahren rechtzeitig eingeleitet,
nämlich 17 Tage nach Zustellung des die Rückweisung der ersten Klage
betreffenden Beschwerdeentscheids, während die vom prozessualen Formfehler
betroffene Frist 20 Tage betrug.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des
Kantonsgerichtsausschusses von Graubünden vom 23. März 1963 bestätigt.