Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 II 16



89 II 16

4. Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. Januar 1963 i.S. Schwab und
Mitbeteiligte gegen Blatter und Mitbeteiligte. Regeste

    Bäuerliches Erbrecht. Art. 620 ZGB.

    1.  Begriff des landwirtschaftlichen Gewerbes. Grundstücke, die vom
Erblasser nicht selber bearbeitet, sondern parzellenweise verpachtet
wurden. Wohn- und Ökonomiegebäude als geeignetes Betriebszentrum, auch
wenn sie reparaturbedürftig sind und durch weitere Anlagen ergänzt werden
müssen (Erw. 1a und b).

    2.  Wirtschaftliche Einheit und ausreichende landwirtschaftliche
Existenz. Berechnung des landwirtschaftlichen Einkommens auf Grund
jährlicher Durchschnittswerte (Erw. 1a und 2).

Sachverhalt

    A.- Die Prozessparteien sind die Erben des am 11.  Dezember 1958 in
Rümligen verstorbenen Ernst Messerli, in dessen Nachlass sich unter anderem
14 Grundstücke im Halte von total 725,62 Aren mit den Bauernhäusern Oele
und Spergeren und einem Wohnstock bei der Oele befinden. Messerli selber
war nicht Landwirt, sondern Vertreter und Bienenzüchter. Er wohnte
im Wohnstock bei der Oele und verpachtete bis 1952 die Liegenschaften
jeweils gesamthaft. Der Pächter wohnte im Bauernhaus Oele, die Wohnungen im
Bauernhaus Spergeren waren anderweitig vermietet. Von 1952 an verpachtete
Messerli seine Parzellen einzeln an verschiedene Landwirte der Umgebung
und vermietete auch die Wohnung in der Oele.

    B.- Die Erbengruppe Blatter (8 Erben) klagte am 30.  Oktober 1959
beim Appellationshof des Kantons Bern gegen die Erbengruppe Schwab (7
Erben) auf gerichtliche Teilung dieses Nachlasses und insbesondere auf
Zuweisung von elf Grundstücken zum Ertragswert von Fr. 36'120.-- an die
Klägerin Gertrud Blatter. Die Beklagten beantragten Abweisung der Klage
und erhoben Widerklage mit dem Begehren auf öffentliche Versteigerung
aller Erbschaftssachen und Teilung des Erlöses, eventuell auf Zuweisung
sämtlicher Grundstücke an den Widerkläger Hans Messerli zum Ertragswert.

    C.- Am 14. Mai 1962 erkannte der Appellationshof des Kantons Bern
unter anderem auf ungeteilte Zuweisung von acht Grundstücken des Erblassers
Messerli zum Ertragswert von Fr. 35'520.-- an die Klägerin Gertrud Blatter.

    D.- Die Beklagten haben die Berufung erklärt. Sie beantragen,
das Urteil des Appellationshofes sei mit Bezug auf die Zuweisung
einzelner Parzellen an Frau Blatter aufzuheben und es seien die gesamten
Liegenschaften des Erblassers auf öffentliche Versteigerung zu bringen.

    E.- Die Kläger beantragen Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Eine ungeteilte Zuweisung im Sinne von Art. 620 ZGB kann nur
erfolgen, wenn einerseits in der Erbschaft ein landwirtschaftliches
Gewerbe vorhanden ist und dieses anderseits eine wirtschaftliche
Einheit bildet. Die Beklagten bestreiten zunächst, dass im vorliegenden
Falle diese beiden Voraussetzungen erfüllt seien. Der Erblasser habe
keinen landwirtschaftlichen Beruf ausgeübt, und die Gebäude hätten
nicht landwirtschaftlichen Zwecken gedient. Man könne deshalb nicht
sagen, es habe beim Tode des Ernst Messerli ein landwirtschaftliches
Gewerbe vorgelegen. Ausserdem seien die Grundstücke seit zehn Jahren
parzellenweise an verschiedene Landwirte verpachtet gewesen, so dass
es auch an der wirtschaftlichen Einheit fehle, die nicht im Wege der
Erbteilung geschaffen werden dürfe, indem man bisher einzeln verpachtete
oder vermietete Liegenschaften zu einer Einheit zusammenfasse. Schliesslich
mangle es auch an zureichenden Wohn- und Oekonomiegebäuden; das Bauernhaus
Spergeren sei baufällig und könne nur mit hohen Kosten so weit in Stand
gestellt werden, dass es einer Bauernfamilie samt lebendem und totem
Inventar Unterkunft gewähre.

    a) Für die Entscheidung der Frage, ob ein landwirtschaftliches
Gewerbe vorliege oder nicht, kommt nichts darauf an, ob der Erblasser
den Beruf eines Landwirts ausgeübt hat oder nicht. Denn unter dem
Begriff des Gewerbes, wie er in Art. 620 ZGB verwendet wird, ist nicht
eine Berufstätigkeit zu verstehen; vielmehr meint das Gesetz damit
die materielle Grundlage für die Ausübung einer solchen Tätigkeit, das
Unternehmen im objektiven Sinne als Inbegriff aller Betriebseinrichtungen
(ESCHER, Kommentar, N. 5, TUOR, Kommentar, N. 3 zu Art. 620 ZGB; vgl. auch
HUBER, Erläuterungen, 2. Auflage, I. S. 466). Massgebend ist deshalb
einzig, ob - wie Art. 1 Abs. 2 der Verordnung über die Entschuldung
landwirtschaftlicher Heimwesen vom 16. November 1945 (BS 9, S. 112) sich
ausdrückt - eine Gesamtheit von Land und Gebäuden vorhanden ist, die der
Gewinnung und Verwertung organischer Stoffe des Bodens dienen und einen
Betrieb ... bilden. Im vorliegenden Falle steht ausser Zweifel, dass es
sich bei den umstrittenen Grundstücken um einen Komplex landwirtschaftlich
genutzten Bodens handelt; jede einzelne der Parzellen wurde bis anhin
landwirtschaftlich bearbeitet, und es liegt nichts dafür vor, dass sich
hieran in absehbarer Zeit etwas ändern sollte (s. BGE 83 II 113). Zudem
reicht die Gesamtheit der Parzellen nicht bloss als Grundlage für eine
Nebenbeschäftigung (z.B. Gemüsebau usw.) aus, sondern sie erlaubt ihrem
Inhaber, in vollem Umfang den Beruf eines Landwirts auszuüben. Damit
ist zugleich das vom Gesetz geforderte Merkmal der wirtschaftlichen
Einheit erstellt. Denn es ist auch in diesem Zusammenhang ohne Belang,
ob der Erblasser zu Lebzeiten sein Gut als Landwirt bearbeitet hat
(vgl. auch ESCHER, Kommentar, N. 19 zu Art. 617 ZGB). Die Frage nach der
wirtschaftlichen Einheit entscheidet sich nach objektiven Gesichtspunkten,
nämlich danach, ob das Land von einem gemeinsamen Zentrum aus durch die
gleichen Arbeitskräfte zweckmässig bebaut werden kann. Das trifft hier
unzweifelhaft zu, und es kann deshalb keine Rede davon sein, dass die
wirtschaftliche Einheit erst durch die Erbteilung künstlich geschaffen
werde, wie die Beklagten behaupten. Die Integralzuweisung setzt vielmehr
diese Einheit voraus. Übrigens wurden die fraglichen Liegenschaften
bis 1952 einheitlich bewirtschaftet und vom Erblasser erst nach diesem
Zeitpunkt aus hier unbeachtlichen Gründen parzellenweise verpachtet. Wollte
man auf diesen zufälligen Umstand abstellen, die ungeteilte Zuweisung
deswegen ablehnen und damit die Zerstückelung des landwirtschaftlichen
Heimwesens zulassen, so begäbe man sich in einen Widerspruch zu den
Zweckgedanken des bäuerlichen Erbrechtes und des bäuerlichen Bodenrechts
überhaupt, die auf die Erhaltung eines lebensfähigen Bauernstandes und,
wie aus Art. 1 EGG folgt, sogar auf die Schaffung landwirtschaftlicher
Betriebe gerichtet sind.

    b) Zu andern Schlüssen vermag sodann auch der Einwand nicht zu
führen, dass das Bauernhaus Spergeren als Wohn- und Ökonomiegebäude
baufällig sei. Zwar ist richtig, dass beim Fehlen von angemessenen Wohn-
und Wirtschaftsgebäuden von einem landwirtschaftlichen Gewerbe nicht
gesprochen werden kann (BGE 82 II 8). Nach den verbindlichen Feststellungen
der Vorinstanz ist jedoch im Bauernhaus Spergeren genügend Wohnraum für
eine Bauernfamilie vorhanden, und es bestehen auch zureichende Stall- und
Lagerräume für die Bewirtschaftung des Gutes. Die vorhandenen Gebäude sind
somit grundsätzlich geeignet, als Wohn- und Betriebszentrum zu dienen. Dass
sie reparaturbedürftig sind und ihnen weitere Anlagen, wie ein Hühnerhaus,
ein Schweinestall mit zwei Buchten und eine Jauchegrube angegliedert
werden müssen, ändert am Gesagten nichts. Die Reparaturbedürftigkeit des
Baus vermag dessen grundsätzliche Eignung als Wohn- und Ökonomiegebäude
nicht in Frage zu stellen, und was die fehlenden Anlagen betrifft, so
handelt es sich dabei um Betriebseinrichtungen von sekundärer Bedeutung
(vgl. BOREL/NEUKOMM, Das bäuerliche Erbrecht, S. 31). Von Belang wären
diese Mängel bzw. die dem Übernehmer aus ihrer Behebung entstehenden
Lasten lediglich unter dem Gesichtspunkt der ausreichenden Existenz oder
der persönlichen Eignung des Ansprechers, zu der auch die finanzielle
Leistungsfähigkeit gehört (s. BGE 83 II 118 unten).

Erwägung 2

    2.- Die Beklagten bestreiten ferner "die Existenzfähigkeit eines
landwirtschaftlichen Gewerbes auf den vorhandenen Erbgrundstücken", mit
andern Worten, die vom Gesetz für die Integralzuweisung geforderte weitere
Voraussetzung, dass das Gewerbe eine ausreichende landwirtschaftliche
Existenz biete. Sie bringen indessen nichts vor, was gemäss Art. 55 Abs. 1
lit. c OG zur Begründung ihres Standpunktes beachtlich wäre. Damit, dass
sie in der Berufungsschrift bemerken, sie zögen die Existenzfähigkeit
in Zweifel, und im übrigen auf die fortschreitende Bautätigkeit in der
Gegend der "Spergeren" hinweisen, ist es nicht getan. Eine ausreichende
landwirtschaftliche Existenz ist nach der bundesgerichtlichen Praxis
gegeben, wenn der Übernehmer des Gewerbes mit seiner Familie aus
den Erträgnissen der landwirtschaftlichen Nutzung des Heimwesens
leben kann, wobei als untere Grenze des Bedarfs auf das bäuerliche
Existenzminimum für ein Ehepaar mit zwei schulpflichtigen Kindern
abzustellen und für die Berechnung des landwirtschaftlichen Einkommens
von jährlichen Durchschnittswerten auszugehen ist (BGE 81 II 106 ff.,
83 II 117). In der Berufungsschrift hätte daher dargetan werden sollen,
inwiefern die Vorinstanz diese Grundsätze verkannt und mit der Annahme
eines Existenziminimums von Fr. 4'900.-- und eines landwirtschaftlichen
Einkommens von Fr. 6'030.-- Bundesrecht verletzt habe. Das ist entgegen
der Vorschrift von Art. 55 Abs. 1 lit. c OG nicht geschehen.

    Diese Unterlassung hat jedoch auf den Ausgang der Sache keinen
Einfluss, weil der Einwand der Beklagten ohnehin sachlich unbegründet ist.

    Das landwirtschaftliche Einkommen ergibt sich aus dem Rohertrag
abzüglich Sachaufwand (inkl. Löhne für fremde Arbeitskräfte) und
Schuldzinse oder durch Zusammenzählen des Arbeitsverdienstes und der
Vermögensrente (= Netto-Reinertrag), wobei, wie schon bemerkt, stets von
jährlichen Durchschnittswerten, also auch von einer durchschittlichen
Verschuldung auszugehen ist. Nach dem von der Vorinstanz als schlüssig
bezeichneten Gutachten beträgt der jährliche Rohertrag Fr. 16'450.--
und der Sachaufwand Fr. 7'250.--, so dass ein jährlicher Netto-Rohertrag
von Fr. 9'200.-- verbleibt. Davon hat der Gutachter die Zinse für total
Fr. 61'120.-- Fremdkapital (Ertragswert Fr. 36'120.-- [recte: 35'520. -],
bauliche Veränderungen Fr. 20'000.--, Inventar Fr. 5'000.--) in Höhe
von Fr. 2'470. - und die Löhne für Fremdarbeit im Betrage von Fr. 700. -
in Abzug gebracht, was das obgenannte landwirtschaftliche Einkommen
von Fr. 6'030. - ergab. Da jedoch der Experte hiebei in Widerspruch zur
bundesgerichtlichen Praxis nicht von einer mittleren, sondern, wie er in
seinem Ergänzungsgutachten selber bemerkt, von einer hohen Verschuldung
ausgegangen ist, ist entsprechend auch der Abzug vom Netto-Rohertrag
zu hoch ausgefallen und in diesem Masse das Arbeitseinkommen vermindert
worden. Richtigerweise wäre also von einem höheren landwirtschaftlichen
Einkommen auszugehen, als die Vorinstanz mit dem Gutachter angenommen
hat. Indessen sichert auch das ihrem Entscheide zugrunde gelegte Einkommen
eine ausreichende landwirtschaftliche Existenz, überschreitet es doch
den für die Gegend von Rümligen verbindlich festgestellten Mindestbedarf
einer Bewirtschafterfamilie von Fr. 4'900. - (s. BGE 81 II 110 lit. f).

Erwägung 3

    3.- Dass die Vorinstanz sechs weitere zum Nachlass Messerli gehörende
Parzellen von der ungeteilten Zuweisung nach Art. 620 ZGB ausgenommen hat,
ist nicht zu beanstanden. Nach dem Gutachten des Sachverständigen handelt
es sich dabei um Grundstücke mit überwiegend nicht landwirtschaftlichem
Anteil. Da sie infolge ihrer Grösse und Bedeutung nicht als blosse
Nebensache zum landwirtschaftlichen Gewerbe betrachtet werden können,
war ihre Abtrennung gegeben. Das entspricht übrigens auch der Praxis
des Bundesgerichtes, das eine solche Aussonderung beispielsweise bei
zukünftigem Bauland gutgeheissen (BGE 50 II 330) und bei Wohnhäusern
angeordnet hat (BGE 83 II 120).

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des
Kantons Bern vom 14. Mai 1962 insoweit bestätigt, als es angefochten ist.