Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 II 133



89 II 133

22. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Juni 1963
i.S. Lohse gegen Verlag Bauen und Wohnen GmbH. Regeste

    Ausschliessung aus einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung
(Art. 822 Abs. 3 OR). Der Richter darf einen Gesellschafter auf Begehren
der Gesellschaft aus wichtigen Gründen ausschliessen, auch wenn die
vermögensrechtlichen Folgen dieser Massnahme (Art. 822 Abs. 4 OR) nicht
zum Gegenstand des Prozesses gemacht worden sind.

Sachverhalt

    Das Obergericht des Kantons Zürich schloss den Kläger, der mit
seiner Klage verschiedene Beschlüsse einer Gesellschafterversammlung
angefochten hatte, in Gutheissung der Widerklage der beklagten GmbH aus
dieser Gesellschaft aus. Das Bundesgericht bestätigt dieses Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- (Ausführungen darüber, dass wichtige Gründe zur Ausschliessung
des Klägers vorliegen.)

Erwägung 4

    4.- Der Kläger wirft dem Obergericht vor, es habe ihn aus der
Gesellschaft ausgeschlossen, ohne die ihm zustehende Abfindung und
die Art ihrer Zahlung festzusetzen. Dadurch habe es ihn in nicht zu
rechtfertigender Weise benachteiligt, seine berechtigten Interessen
gefährdet und für beide Parteien eine in finanzieller Hinsicht ungewisse
Lage geschaffen, die einen neuen Prozess erfordere und jahrelang dauern
könne. Das Vorgehen des Obergerichtes verletze Art. 822 Abs. 4 OR,
den Grundsatz, dass Leistung und Gegenleistung Zug um Zug zu erfolgen
hätten, und elementarste Regeln der Billigkeit. Es sei unumgänglich,
die Frage der Ausschliessung nur zusammen mit der Frage der Abfindung
des Auszuschliessenden zu prüfen. Der deutsche Bundesgerichtshof knüpfe
das auf Ausschliessung aus der Gesellschaft mit beschränkter Haftung
lautende Urteil an die Bedingung, dass der betroffene Gesellschafter
binnen angemessener Frist den im Urteil festzusetzenden Gegenwert für
seinen Geschäftsanteil erhalte (BGHZ 9 S. 157 ff.). Es sei indessen
zweckmässiger, zunächst gerichtlich die Abfindung zu bestimmen und
dann der Gesellschaft Frist zu setzen für die Erklärung, ob sie unter
diesen Umständen auf der Ausschliessung beharre, und für den Nachweis,
dass sie die Abfindung ohne Verletzung des Art. 822 Abs. 4 OR leisten
könne. Die Sache müsse daher entsprechend dem Eventualantrag des Klägers
an das Obergericht zurückgewiesen werden, damit es über den Wert des
Geschäftsanteils des Klägers Beweis erhebe.

    a) Dieser Antrag scheitert an der im angefochtenen Urteil kundgegebenen
Auffassung des Obergerichts, dass die vermögensrechtlichen Folgen der
Ausschliessung nicht Gegenstand des Prozesses seien. Das bedeutet, die
prozessualen Voraussetzungen, unter denen über diese Folgen geurteilt
werden könnte, seien nicht erfüllt. Das ist eine Frage des kantonalen
Prozessrechtes, die das Bundesgericht als Berufungsinstanz nicht überprüfen
darf (Art. 43 und 55 Abs. 1 lit. c OG). Es hat nicht zu entscheiden,
ob das Obergericht die vermögensrechtliche Auseinandersetzung als
Gegenstand des Prozesses hätte betrachten sollen, weil die Beklagte in
der dem Bezirksgericht eingereichten Replik zur Widerklage ausführte, das
Gericht werde die Entschädigung, die der Kläger für seine Ausschliessung
beanspruchen dürfe, nach pflichtgemässem Ermessen festsetzen müssen,
oder weil der Kläger in der mündlichen Antwort auf die Berufung der
Beklagten vor dem Obergericht erstmals erklärte, er stelle vorsorglich
das Begehren, gegebenenfalls durch Sachverständige die wirtschaftliche
Bilanz der Beklagten aufzustellen und dem Kläger den entsprechenden
Anteil auszurichten.

    b) Fragen kann sich nur, ob das eidgenössische Recht dem Richter
verbiete, ein Begehren auf Ausschliessung zu schützen, wenn nicht auch die
vermögensrechtlichen Folgen dieser Massnahme, sei es von der Gesellschaft,
sei es vom auszuschliessenden Gesellschafter, zum Gegenstand des Prozesses
gemacht wurden. Wäre das zu bejahen, so müsste die Widerklage abgewiesen
werden.

    Es ist zunächst klar, dass der Gesellschafter durch die Ausschliessung
nicht um den Vermögenswert gebracht werden darf, den sein Anteil allenfalls
hat. Aus Art. 822 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 800 OR ergibt sich, dass
der Anteil des Ausgeschlossenen nach den Vorschriften über den Verzug
bei der Einzahlungspflicht öffentlich versteigert oder mit Zustimmung
aller Gesellschafter, auch des Ausgeschlossenen, auf andere Weise
verwertet werden kann, wobei der Überschuss über den allenfalls noch
nicht einbezahlten Betrag des Nennwertes des Anteils dem Ausgeschlossenen
zukommt. Art. 822 Abs. 4 OR sieht auch die Übernahme des Anteils durch
einen anderen Gesellschafter vor, worunter in sinngemässer Anwendung der
Art. 800 Abs. 1 und 792 Abs. 2 die Übernahme zum "wirklichen Wert" zu
verstehen ist. Ferner erwähnt Art. 822 Abs. 4 OR den Fall der Abfindung
des ausgeschlossenen Gesellschafters. Sie kann entweder aus dem das
Stammkapital der Gesellschaft übersteigenden Vermögen oder nach den
Vorschriften über die Herabsetzung des Stammkapitals erfolgen. Alle diese
Möglichkeiten zeigen, dass das schweizerische Recht die Ausschliessung
nicht entschädigungslos zulässt, wenn der Anteil des Ausgeschlossenen
einen Wert hat.

    Die Pflicht der Gesellschaft, den Anteil zu verwerten oder durch einen
andern Gesellschafter übernehmen zu lassen oder den Ausgeschlossenen
aus dem Gesellschaftsvermögen, nötigenfalls unter Herabsetzung des
Stammkapitals, abzufinden, steht mit der Ausschliessung, d.h. der
richterlichen Entziehung der Mitgliedschaft indessen nicht in einem
synallagmatischen Verhältnis. Die Verpflichtung der Gesellschaft
ist nicht die Gegenleistung für die Ausschliessung, sondern deren
Rechtsfolge. Das Gesetz sieht sie vor, weil der Gesellschafter in der
Form von Mitgliedschaftsrechten am Gesellschaftsvermögen virtuell Anteil
hat und ihm diese Rechte durch die Ausschliessung entzogen werden. Es
verhält sich ähnlich wie bei der richterlichen Ausschliessung eines
Kollektivgesellschafters, die zur Folge hat, dass dem Ausgeschlossenen
sein Anteil am Gesellschaftsvermögen auszurichten ist (Art. 577 OR),
und zwar in der Form eines Geldbetrages, der mangels einer Einigung der
Beteiligten durch den Richter festzusetzen ist (Art. 580 OR). Art. 82 OR
über die Ordnung in der Erfüllung von Leistung und Gegenleistung aus einem
zweiseitigen Vertrage trifft daher auf die Ausschliessung aus einer GmbH
sowenig zu wie auf die Ausschliessung aus einer Kollektivgesellschaft. Das
ist nicht unbillig, jedenfalls nicht bei der Ausschliessung aus einer
Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Der Gesellschafter hat schon vor
dieser Massnahme am Gesellschaftsvermögen nur virtuell Anteil. Durch die
Ausschliessung verliert er nicht ein dingliches Recht, sondern blosse
Mitgliedschaftsrechte. Dafür erwächst ihm im gleichen Zeitpunkt ein
obligatorischer Anspruch gegen die Gesellschaft, dessen Höhe von der
Grösse des Gesellschaftsvermögens und dem Verhältnis abhängt, in dem
der Stammanteil des Ausgeschlossenen zu den Stammanteilen der andern
Gesellschafter steht. Das Verhältnis der Stammanteile zueinander ist dem
Ausgeschlossenen bekannt, und wenn er den Wert des Gesellschaftsvermögens
im Zeitpunkt der Ausschliessung nicht genügend kennt, um seine Rechte
wirksam geltend machen zu können, so ist das nicht die Folge der
Ausschliessung, sondern der Stellung, die er vorher in der Gesellschaft
hatte, besonders seiner Nichtmitwirkung bei der Geschäftsführung.

    Übrigens ergibt sich aus Art. 822 Abs. 4 OR, dass in Fällen, wo wegen
der Ausschliessung eines Gesellschafters das Stammkapital herabgesetzt
werden muss, die Abfindung ohnehin nicht Zug um Zug mit der gerichtlichen
Ausschliessung geltend gemacht werden könnte. Es müssen nämlich vor der
Auszahlung die Vorschriften über die Herabsetzung des Stammkapitals
beachtet werden, wobei die Bestimmungen über die Herabsetzung des
Grundkapitals von Aktiengesellschaften entsprechend anzuwenden sind
(Art. 788 Abs. 2 OR), also die Art. 732-734 OR. Man mag einwenden, das
Herabsetzungsverfahren, wie es in diesen Bestimmungen umschrieben ist,
müsse eben schon vor der richterlichen Ausschliessung des Gesellschafters
durchgeführt werden. Art. 822 Abs. 4 OR steht aber nicht auf diesem
Boden. Er bestimmt nicht, der Richter dürfe den Gesellschafter erst
ausschliessen, nachdem die Vorschriften über die Herabsetzung des
Stammkapitals beobachtet worden seien. Art. 822 umschreibt zunächst in Abs.
1-3 die materiellen und formellen Voraussetzungen des Austrittes und der
Ausschliessung und bestimmt dann unter Abs. 4, Austritt und Ausschliessung
würden nur unter Beobachtung der Vorschriften über die Herabsetzung des
Stammkapitals "wirksam" (La sortie et l'exclusion n'ont d'effet que... Il
recesso e l'esclusione producono effetti solo se...). Das zeigt, dass die
Ausschliessung dem Eintritt ihrer Wirksamkeit, d.h. der Beobachtung der
Vorschriften über die Herabsetzung des Stammkapitals vorausgeht. Das
ist auch vernünftig. Zuerst muss die Gesellschaft wissen, ob der
Richter die wichtigen Gründe bejaht und den betroffenen Gesellschafter
ausschliesst. Erst nachher hat die Herabsetzung des Grundkapitals einen
Sinn. Man liefe sonst Gefahr, dass das umständliche Verfahren, in dem
sie erfolgt und das mit der Eintragung in das Handelsregister endet,
umsonst durchgeführt würde.

    Indem das Obergericht auf Ausschliessung des Klägers erkannte, obwohl
deren Folgen nicht zum Gegenstand des Prozesses gemacht worden waren,
verstiess es somit nicht gegen eidgenössisches Recht.