Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 II 108



89 II 108

18. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Januar 1963
i.S. Krebs gegen Gerätebau Ing. Wagner und Roth & Co. AG Regeste

    Erfindungshöhe.

    1.  Am Erfordernis der Erfindungshöhe ist festzuhalten.

    2.  Begriff der Erfindungshöhe.

Sachverhalt

    Ingenieur Krebs ist Inhaber des schweiz. Patents Nr. 300 674, vom 10.
Dezember 1952/15. August 1954, für eine elektrische Spritzpistole, die
er unter der Bezeichnung "Champion super" vertreibt.

    Die Firma Gerätebau Ing. Wagner in Friedrichshafen stellt ebenfalls
eine kompressorlose elektrische Spritzpistole her, die sie unter dem Namen
"Mistral" in den Handel bringt. Die Firma Roth & Co. A.-G. in Luzern ist
Generalvertreterin für die "Mistral"-Pistole in der Schweiz. Auf Klage
der beiden letzteren Firmen hin erklärte das Obergericht des Kantons
Thurgau gestützt auf das Gutachten eines Patentanwaltes, den es als
Sachverständigen beizog, das Patent des Beklagten mangels Erfindungshöhe
als nichtig.

    Das Bundesgericht weist die hiegegen gerichtete Berufung des Beklagten
ab, im wesentlichen auf Grund der folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- In dem von der Vorinstanz erwähnten Bundesgerichtsurteil vom
31. Mai 1955 i.S. Bollhalter gegen Fleischer GmbH wurde die Rechtsprechung
zum Begriff der Erfindungshöhe wie folgt zusammengefasst:

    "Eine Lösung stellt nach der Rechtsprechung eine erfinderische
Leistung dar, besitzt also Erfindungshöhe, wenn sie über demjejenigen
liegt, was für den gut ausgebildeten Fachmann ohne weiteres erreichbar
ist (BGE 74 II 140 Erw. 4 und dort erwähnte Entscheide). Zwischen dem,
was man als vorbekannten Stand der Technik bezeichnet, und dem Bereich
des Erfinderischen liegt somit eine Zwischenzone, nämlich dasjenige,
was der gut ausgebildete Fachmann, vom Stand der Technik ausgehend, mit
seinem Fachwissen und Können weiterentwickeln und noch finden kann. Erst
jenseits dieser Zwischenzone beginnt der Bereich des Erfinderischen,
dessen Erreichung eine derart besondere Leistung bedeutet, dass sie als
Lohn die Gewährung eines 15 Jahre dauernden Monopolrechts verdient.

    Gemessen wird die Erfindungshöhe im Einzelfalle an Hand des gesamten
Standes der Technik im Zeitpunkte der ersten Patentanmeldung. Im
Unterschied zur Frage der Neuheit und der Bereicherung der Technik wird
hier nicht geprüft, ob die streitige Erfindung als solche durch vorbekannte
Patente und Ausführungen vorweggenommen war. Entscheidend ist vielmehr,
ob sie nach all' dem, was an Teillösungen und Einzelbeiträgen, mosaikartig
zusammengefügt, den Stand der Technik in seiner Gesamtheit ausmacht, dem
gut ausgebildeten Fachmann nicht bereits so nahe gebracht war, dass er
vermöge seiner Erfahrung und seines Könnens schon mit geringer geistiger
Anstrengung zur Lehre des Patentes gelangen konnte."

    Dieser Begriff der durch das Vorliegen einer schöpferischen Idee
gekennzeichneten Erfindungshöhe wurde im Kommentar von BLUM/PEDRAZZINI
zum PatG (Bd. I Art. 1 N. 18, S. 105 ff., und N. 20, S. 118
ff.) angefochten. Das Bundesgericht hat sich in BGE 85 II 138 ff. Erw. 4
a mit den erhobenen Einwendungen auseinandergesetzt und ist zum Schlusse
gelangt, es bestehe kein Anlass, auf die Erfordernisse der schöpferischen
Idee und der Erfindungshöhe zu verzichten. Diese Rechtsprechung wurde in
BGE 85 II 513 bestätigt, und es ist auch heute an ihr festzuhalten.

Erwägung 5

    5.- Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass sich der Streit
nicht um die Erfindung der Spritzpistole dreht. Solche waren seit
langem bekannt. Patentschutz wird laut dem massgebenden Patentanspruch
nur für bestimmte Einzelheiten der inneren, maschinellen Gestaltung der
beklagtischen Spritzpistole verlangt, nämlich insofern, als diese dadurch
gekennzeichnet sei,

    "dass die eine Seite des untern Endes eines stabförmigen Schwingankers
sich gegen die untere Stirnseite des Blechpaketes eines im hintern
Teil der Spritzpistole befestigten Elektromagneten anlegt, während die
gegenüberliegende Seite des untern Endes des Schwingankers durch einen
abgefederten Stift gegen Verschieben in seinen Längs- und Querrichtungen
gesichert ist."

    Als massgebendes Erfindungsmerkmal ergibt sich nach Auffassung
des Beklagten aus dem Patentanspruch in Verbindung mit der Figur 1 der
Patentzeichnungen, "dass der untere Teil des Schwingankers sich infolge der
Ausbildung der Feder 5 a vom Magneten deutlich und wirksam abheben kann,
dass also der untere Teil des Schwingankers in klarer Weise nachgiebig
gelagert ist". Damit bestätigt der Beklagte selber die vom Experten
getroffene Feststellung, dass das wesentliche Merkmal der streitigen
Erfindung in einer Einzelheit des Schwingankermotors bestehe.

    Nach den Ausführungen des Experten stellt der Schwingankermotor
einen der wesentlichsten Teile einer Spritzpistole dar, und er erklärt,
mit Rücksicht hierauf müsse der Spritzpistolenfachman sich auch auf
dem Gebiete der Schwingankermotoren auskennen. Er verweist sodann
auf die schweiz. Patente Nr. 244 906, 251 958 und 259 232, welche
Vibrationsmotoren, also Schwingankermotoren, für elektrische Rasierapparate
betreffen. Insbesondere durch das Patent 259 232 sei ein Vibrationsmotor
mit verschiedenen Varianten einer federnden Lagerung des Schwingankers
bekannt geworden. Der Zweck dieser Massnahme sei der gleiche wie bei der
Spritzpistole nach Streitpatent, nämlich Sicherung des Schwingankers
gegen Verschieben und Herabsetzung der Reibung. Die Verwendung dieser
Konstruktion des Schwingankermotors beim Bau von Spritzpistolen habe
daher eine für den Fachmann naheliegende Massnahme dargestellt.

    Die Vorinstanz hat sich dieser Auffassung angeschlossen und darum
der Konstruktion des Beklagten die Erfindungshöhe abgesprochen.

Erwägung 6

    6.- Mit der Berufung wendet sich der Beklagte hauptsächlich gegen die
Auffassung der Vorinstanz, dass ein Fachmann, der auf einem bestimmten
technischen Gebiet (hier im Bau von Spritzpistolen) arbeite, über ein
recht abliegendes anderes technisches Gebiet (hier über die Herstellung von
elektrischen Rasierapparaten) Bescheid wissen müsse. Nach der Auffassung
des Beklagten ist diese Frage zu verneinen, weil der Anwendungszweck der
betreffenden Objekte, die Herstellungsweise, der Kundenkreis, die Art
des Verkaufes und überhaupt alles gänzlich verschieden seien. Mit der
Zumutung an den Spritzpistolenfachmann, sich auch auf dem praktisch so
entfernten Gebiete der elektrischen Rasierapparate auszukennen, habe die
Vorinstanz Art. 16 Ziff. 1 aPatG unrichtig ausgelegt.

    Diese Rüge ist unberechtigt. Zunächst ist es entgegen der Meinung
der Berufung unerheblich, ob das Patent Nr. 259 232 deswegen zu den Akten
gekommen ist, weil der Experte Vertreter des betreffenden Patentbewerbers
war. Denn es kommt nicht auf die Kenntnisse und Fähigkeiten eines
bestimmten Individuums an, sondern allgemein auf den Stand der Technik
und darauf, ob diese durch eine wirkliche Erfindung bereichert worden
ist. Darum gehen auch die Ausführungen der Berufungsschrift darüber,
"ob der Überblick eines Patentanwaltes das Mass dafür geben dürfe,
was ein Fachmann in einem Industriezweig alles in den ihm zugehörenden
Bereich der Technik einzubeziehen habe", über den Unterschied zwischen der
Betrachtungsweise des Theoretikers und des Praktikers usw. an der Sache
vorbei. Die Frage, auf die es ankommt, ist nämlich nicht, ob ein Fachmann
auf dem Gebiete der Spritzpistolen auch ein solcher auf dem Gebiete
der elektrischen Rasierapparate sein müsse. Massgebend ist vielmehr, ob
von einem Spritzpistolenkonstrukteur, der einen Vibrationsmotor in eine
Spritzpistole einbauen will, die Kenntnis des Gebiets der Vibrationsmotoren
verlangt werden dürfe. Die richtige Fragestellung lautet daher, ob der
Konstrukteur der Spritzpistole, der einen Vibrationsmotor in diese
einbaut, dafür Patentschutz verlangen könne, obschon die verwendete
(oder eine aequivalente) Gestaltung dieses Motors bereits geoffenbart,
d.h. bekannt war. Die Frage ist unzweifelhaft zu verneinen. Sie könnte
vor allem nicht mit der Begründung bejaht werden, in Spritzpistolen sei
ein solcher Motor bisher noch nicht eingebaut worden. Ist der betreffende
Motor gebührend veröffentlicht, so kommt es auch nicht darauf an, ob der
ihn (gleich oder aequivalent) verwendende Konstrukteur die Publikation
gelesen habe oder nicht.