Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 89 III 47



89 III 47

11. Urteil der H. Zivilabteilung vom 4. Juli 1963 i.S. Metelli gegen
Güdemann. Regeste

    1. Berufung und staatsrechtliche Beschwerde. Art. 57 Abs. 5 OG.

    Ausnahme von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Regel

    2. Anfechtung. Art. 288 SchKG.

    Anfechtung eines nachträglich zur Sicherstellung von
Darlehensforderungen abgeschlossenen Abtretungsvertrages. Erkennbarkeit
der Benachteiligungsabsicht des Gemeinschuldners (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- 1. André Flisch und Valmore Metelli betrieben ab 1954 als Partner
in einer einfachen Gesellschaft den Handel mit Spielautomaten. Im Jahre
1958 wurde die Gesellschaft liquidiert, wobei Metelli gegen Flisch eine
Forderung von Fr. 92'000.-- nebst Zinsen zugesprochen erhielt. Flisch
führte daraufhin das Geschäft allein weiter. Im März 1959 verkaufte er
es an die Firma Max Hauser in Zürich. Am 20. Januar 1960 brach über ihn
der Konkurs aus.

    2. Flisch hatte ab 1954 von seiner Schwiegermutter, Witwe Helena
Güdemann, die mit ihm im selben Hause wohnte, nach beidseitiger
Behauptung für seinen Geschäftsbetrieb unter mehr als 30 Malen kleinere
und grössere Darlehen im Gesamtbetrag von mindestens Fr. 112'340. -
erhalten, jedoch hieran trotz wiederholten Mahnungen seitens der
Darleiherin nichts zurückbezahlt. Frau Güdemann verlangte deshalb von
ihm, als er das Automatengeschäft verkaufte, eine Sicherstellung, worauf
Flisch ihr seine Forderung gegen die Firma Max Hauser bis zum Betrag von
Fr. 112'340. - abtrat. Im Konkurse Flischs machte Frau Güdemann diesen
Zessionsanspruch auf die Forderung gegen Hauser, die den Hauptaktivposten
der Masse darstellte, geltend, wurde damit jedoch nur bis zum Betrage von
Fr. 53'857.55 zugelassen. Die Masse verzichtete auf Anfechtung der Zession
und trat den Anspruch an den mit einer Forderung von Fr. 100'591.10 in
5. Klasse kollozierten Gläubiger Metelli sowie an den Staat Zürich und
die Gemeinde Kilchberg ab.

    B.- Das Bezirksgericht Horgen hiess die von Metelli und den erwähnten
Mitbeteiligten nach Art. 288 SchKG gegen Frau Güdemann eingereichte
Anfechtungsklage gut und erklärte die Zession als ungültig.

    Das Obergericht des Kantons Zürich schützte am 9. November 1962
die dagegen erhobene Berufung und wies die Klage ab. Es nahm zwar mit
der ersten Instanz als erwiesen an, dass bei Flisch die Voraussetzungen
für eine Anfechtung nach Art. 288 SchKG (Absicht der Begünstigung der
Beklagten zum Nachteil anderer Gläubiger) gegeben seien, hielt jedoch für
nicht genügend erstellt, dass die Beklagte diese Absicht erkannt habe oder
bei einer den Umständen angemessenen Aufmerksamkeit hätte erkennen können.

    C.- Metelli hat gegen diesen Entscheid eine staatsrechtliche
Beschwerde wegen willkürlicher Beweiswürdigung und die vorliegende
Berufung eingereicht. Mit dem letzteren Rechtsmittel beantragt er, es
sei das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage gutzuheissen.

    Die Beklagte lässt auf Abweisung der Berufung antragen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Beim Zusammentreffen einer staatsrechtlichen Beschwerde mit einer
zivilrechtlichen Berufung ist in der Regel die Entscheidung über das
letztere Rechtsmittel bis zur Erledigung des ersteren auszusetzen (Art. 57
Abs. 5 OG). Wo aber, wie im vorliegenden Falle, die staatsrechtliche
Beschwerde vorsorglicherweise wegen Willkür in der Beweiswürdigung
eingereicht wurde, die bereits festgestellten Beweisergebnisse jedoch
eine Gutheissung der Berufung als wahrscheinlich erscheinen lassen, mit
der Folge, dass diesfalls die staatsrechtliche Beschwerde gegenstandslos
würde, rechtfertigt es sich, umgekehrt zu verfahren und zuerst die Berufung
zu erledigen.

Erwägung 2

    2.- Die Beklagte hat in Übereinstimmung mit dem Gemeinschuldner Flisch
stets behauptet, sie habe diesem für sein Geschäft in den Jahren 1954 bis
1959 Darlehen im Gesamtbetrag von rund Fr. 112'500.-- gewährt, und zwar
unter 34 Malen in Einzelbeträgen zwischen Fr. 50.- und Fr. 30'000.--. Dem
entsprach auch die in der Abtretungsurkunde genannte und zur Kollokation
angemeldete Forderung von Fr. 112'340.--. Im Kollokationsprozess drang
die Beklagte allerdings nur mit einer Forderung von Fr. 53'851.55 durch,
weil das Gericht die ins Recht gelegten Quittungen als fragwürdig
erachtete und nur auf die glaubhaften Einträge in der Buchhaltung
des Gemeinschuldners abstellte. Das ist aber für die im vorliegenden
Verfahren zu entscheidende Frage, ob die Benachteiligungsabsicht Flischs
bei Abschluss des Abtretungsvertrages für die Beklagte erkennbar war oder
nicht, ohne Belang. Massgebend ist einzig, von was für einem Sachverhalt
diese im betreffenden Zeitpunkt selber ausgegangen ist. Sie muss daher ihre
noch in der Verhandlung vor Bundesgericht aufrechterhaltene obgenannte
Behauptung über die Häufigkeit und die Höhe der Darlehen gegen sich
gelten lassen. Im weiteren steht fest und ist auch unbestritten, dass
Frau Güdemann öfters und dringend Rückzahlung verlangte, aber nie den
geringsten Betrag erhielt, vielmehr von ihrem Schwiegersohn immer wieder
mit der Hoffnung auf eine Besserung seiner Lage usw. vertröstet wurde. Von
der Menge der Betreibungen, mit denen Flisch von seinen Gläubigern bedrängt
wurde, hatte zwar die Beklagte nach den vorinstanzlichen Feststellungen
keine Kenntnis. Sie hat jedoch ein- oder zweimal das Erscheinen des
Betreibungsbeamten festgestellt und auch einmal Fr. 20.- oder Fr. 30.-
gegeben, um eine Betreibung oder eine Konkursandrohung abzustellen.

    Bei dieser Sachlage verbietet sich der von der Vorinstanz gezogene
Schluss, die Beklagte habe die Absicht Flischs, sie mittels der
Sicherungszession zum Nachteil der übrigen Gläubiger zu begünstigen,
auch bei einer nach den Umständen angemessenen Aufmerksamkeit nicht
erkennen können. Wenn ein Geschäftsmann während fünf Jahren - und
dies in einer Zeit der Hochkonjunktur - immer und immer wieder Darlehen
benötigt, um seine laufenden Schulden zu bezahlen und Betreibungen oder
Konkursandrohungen zu begegnen, wenn er auf dringende Mahnungen nie eine
Rückzahlung leistet, sondern stets auf eine erhoffte Besserung seiner
Lage verweist, so kann der Darlehensgeber bei gebotener Aufmerksamkeit
nicht annehmen, er sei der einzige Gläubiger und im übrigen stehe das
Geschäft gut und sei nicht gefährdet. Daran ändert im vorliegenden Fall
auch der Umstand nichts, dass der Kläger als ehemaliger Geschäftspartner
Flischs selber in Abrede stellte, dass das Geschäft unrentabel war, und
erklärte, Flisch habe aus dem Ertrag der Spielautomaten sehr gut gelebt.
Diese Aussage Metellis ist deswegen unbehelflich, weil in keiner Weise
feststeht, dass er über die Herkunft erheblicher Geldmittel Flischs aus
Darlehen der Beklagten im Bilde war. Frau Güdemann dagegen war das bekannt,
und sie musste sich deshalb auch bei nur einiger Überlegung sagen, dass
sie mit ihren Darlehen den Anschein des guten oder doch befriedigenden
Geschäftsganges geschaffen und damit andere Gläubiger zur weiteren
Kreditierung veranlasst haben könnte (s. auch BGE 89 III 18). Dagegen
kann nicht eingewendet werden, die Beklagte sei in geschäftlichen
Angelegenheiten unerfahren und naiv. Der Umstand allein schon, dass
sie bei Verkauf des Geschäftes durch Flisch von diesem mangels einer
Rückzahlung eine Sicherheit verlangte, erweist, dass sie mehr als bloss
laienhafte Kenntnisse des Geschäftsverkehrs hat. War sie aber zu einer
durchschnittlichen Aufmerksamkeit durchaus fähig (s. hiezu JÄGGI, Berner
Kommentar, N. 122 ff. zu Art. 3 ZGB), so war für sie auch erkennbar,
dass es mit der Geschäftslage ihres Schwiegersohnes nicht zum besten
bestellt sein konnte und dass er mit der Sicherstellung ihrer Forderung
die andern Gläubiger benachteiligte. Indem sie sich unbekümmert darum
dessen grösstes und, wie sich in der Folge herausstellte, auch praktisch
einziges Aktivum zur Deckung ihres gesamten Guthabens abtreten liess,
machte sie sich der rechtswidrigen Selbsthilfe schuldig. Darüber
kann entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht mit der Erwägung
hinweggegangen werden, Flisch habe nach seinem eigenen, "freimütigen"
Zugeständnis die Beklagte angelogen und diese habe ihm vertraut und an die
gute Entwicklung seines Geschäftes geglaubt. Auf den damit festgestellten
guten Glauben könnte sich Frau Güdemann nur berufen, wenn sie alles ihr
Zumutbare unternommen hätte, um den sich nach den Umständen aufdrängenden
Verdacht der schlechten finanziellen Lage Flischs zu beheben. Sie hat
indessen weder den Gemeinschuldner selber nach andern Schulden und deren
Höhe befragt, noch Einsicht in die Geschäftsbücher verlangt, noch sich
beim zuständigen Betreibungsamt über jenen erkundigt (Art. 8 Abs. 2
SchKG). Dass es ihr, wie die Vorinstanz annimmt, nicht zuzumuten gewesen
sei, einen Betreibungsauszug über ihren eigenen Schwiegersohn einzuholen,
trifft nicht zu. Vielmehr hatte sie gerade wegen ihrer Zugehörigkeit
zur Familie des Gemeinschuldners, mit dem sie übrigens im gleichen Hause
lebte, eine besondere Erkundigungspflicht, weil gegen sie die natürliche
Vermutung besteht, dass sie über dessen Schulden besser unterrichtet war
als andere Drittpersonen (BGE 40 III 298; JAEGER/DAENIKER, Praxis N. 5
C zu Art. 288 SchKG).

    Abgesehen davon erscheint die Annahme des Obergerichts, dass Frau
Güdemann den unwahren Angaben ihres Schwiegersohnes vertraut und an
die gute Entwicklung seines Geschäfts geglaubt habe, ohnehin höchst
gewagt. Hätte sie dieses Vertrauen tatsächlich gehabt, so wäre nicht zu
verstehen, warum sie, kaum über den Verkauf des Geschäftes unterrichtet,
sogleich und mit Nachdruck die Sicherstellung ihres gesamten Guthabens
verlangte. Sie lebte ja mit Flisch in den besten persönlichen Beziehungen
und musste daher nicht befürchten, dass er, in den Besitz des von Hauser
für das Geschäft zu zahlenden Preises von rund Fr. 112'000.-- gelangt, ihr
böswillig die Darlehensrückzahlung weiterhin verweigern werde, wenn sie ihm
vertraute. Wohl aber lag die Befürchtung nahe, dass nun andere Gläubiger
auf dieses Guthaben aus dem Geschäftsverkauf des Flisch greifen könnten,
zumal der Kläger Metelli ihr gesagt hatte, er wisse, was er zu tun habe,
er sei gedeckt. Frau Güdemann erklärte denn auch selber, sie habe daraufhin
auch gewusst, was sie zu tun habe. Warum diese Aussage unklar sein sollte,
ist nicht erfindlich. Die Beklagte hat durch ihr Handeln, nämlich den
Abschluss des Abtretungsvertrages, deutlich zu erkennen gegeben, wie
ihre Äusserung gemeint war: Sie wollte die Sicherheit haben, dass die
von Hauser zu bezahlende Kaufsumme zur Deckung ihrer Darlehensforderung
an sie gelange, und somit verhüten, dass Flisch das Geld zur Befriedigung
anderer Gläubiger verwenden müsse. Bei dieser Sachlage erscheint es wenig
glaubhaft, dass sie an weitere Gläubiger kaum gedacht oder jedenfalls
die Guthaben derselben für unbedeutend gehalten habe. Doch wie dem auch
sei, hülfe jedenfalls der von der Vorinstanz angenommene gute Glaube der
Beklagten nichts, weil sie es, wie bereits ausgeführt, an der nach den
Umständen gebotenen Aufmerksamkeit hat fehlen lassen. Der Gutgläubige,
der nicht aufmerksam genug war, ist nach Art. 3 Abs. 2 ZGB dem Bösgläubigen
gleichgestellt (JÄGGI, op.cit. N. 106 zu Art. 3 ZGB).

Erwägung 3

    3.- Ist demnach die Rechtsgrundlage für die Anfechtung des
Abtretungsvertrages, nämlich die Erkennbarkeit der Benachteiligungsabsicht
des Gemeinschuldners, schon nach den im angefochtenen Urteil enthaltenen
tatsächlichen Feststellungen gegeben, so ist die Berufung gutzuheissen,
ohne dass die Gegenstand der staatsrechtlichen Beschwerde bildenden Fragen,
ob die Beklagte in eigentlicher Haushaltgemeinschaft mit Flisch gelebt,
dessen Überschuldung tatsächlich gekannt und oft von Betreibungen oder
Konkursandrohungen Kenntnis erhalten habe, zuvor noch beantwortet werden
müssten.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Zürich vom 9. November 1962 wird aufgehoben, und die von André
Flisch am 25. März 1959 an die Berufungsbeklagte vorgenommene Abtretung
einer Forderung gegen Max Hauser bis zur Höhe von Fr. 112'340. - nebst 5%
Zins wird ungültig erklärt.