Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 I 202



88 I 202

34. Auszug aus dem Urteil vom 26. September 1962 i.S. D. und Erben
W. gegen Regierungsrat des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 4 BV; Art. 218 OR.

    Die Annahme, die Sperrfrist für die Veräusserung landwirtschaftlicher
Grundstücke beginne auch mit dem Eigentumswechsel infolge Erbgangs zu
laufen, ist nicht willkürlich.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    W. erwarb 1923 ein 410,79 a umfassendes landwirtschaftliches Anwesen
in Brittnau. Als er krankheitshalber das Gut nicht mehr bewirtschaften
konnte, entschloss er sich zum Verkauf. Er fand im Chemiker D. einen
Käufer. Bevor der Vertrag zustande kam, starb W. am 31. August 1961. An
seiner Stelle schlossen die Erben am 27. September 1961 mit D. den
vorgesehenen Kaufvertrag.

    Die Landwirtschaftsdirektion und auf Beschwerde hin der Regierungsrat
des Kantons Aargau verweigerten die Genehmigung des Kaufvertrages mit der
Begründung, das Geschäft betreffe landwirtschaftliche Grundstücke. Die
in Art. 218 OR angesetzte Sperrfrist von zehn Jahren werde auch durch
den Eigentumswechsel infolge Erbgangs auslöst. Da diese Frist noch
laufe, sei die Veräusserung unzulässig. Um im Sinne des Art. 218 bis OR
eine vorzeitige Veräusserung bewilligen zu können, müssten bei beiden
Vertragsparteien wichtige Gründe vorhanden sein. Ein solcher Grund sei
wohl auf Seiten der Verkäufer gegeben, nicht jedoch beim Käufer, der
nicht Landwirt sei.

    Die Vertragsparteien fochten den Entscheid des Regierungsrats mit
staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV an. Das
Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen, soweit es darauf eingetreten
ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Nach Art. 218 Abs. 1 OR dürfen landwirtschaftliche Grundstücke
während einer Frist von zehn Jahren, vom Eigentumserwerb an gerechnet,
weder als Ganzes noch in Stücken veräussert werden. Der zwischen den
Beschwerdeführern geschlossene Kaufvertrag betrifft zugegebenermassen
landwirtschaftliche Grundstücke. Streitig ist hingegen, ob unter dem
"Eigentumswechsel" auch derjenige durch Gesamtnachfolge kraft Erbrechts
zu verstehen sei. Das Bundesgericht kann die Auslegung, die dieser
Begriff in der Rechtsprechung des Regierungsrats erfahren hat, nur unter
dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür überprüfen; es kann nur
einschreiten, wenn sich der kantonale Entscheid schlechthin mit keinen
sachlichen Gründen vertreten lässt. Die Beschwerdeführer irren daher,
wenn sie annehmen, mit der Willkürbeschwerde lasse sich eine gleichmässige
Anwendung des Gesetzes erreichen.

    a) Art. 218 Abs. 1 OR spricht von "Eigentumserwerb", ohne denjenigen
durch Gesamtnachfolge kraft Erbrechts als Ausnahme zu nennen. Daraus
darf nicht ohne weiteres auf den Willen geschlossen werden, keine solche
Ausnahme zuzulassen. Der Gesetzgeber konnte sehr wohl der Auffassung sein,
es ergebe sich schon aus dem Wesen des erbrechtlichen Eigentumsübergangs,
dass dieser nicht den Ausgangspunkt einer Sperrfrist bilde, weshalb sich
ein ausdrücklicher Vorbehalt erübrige. In der Tat würde es den Grundsätzen
der Gesamtnachfolge entsprechen, die Jahre, während welcher der Erblasser
Eigentümer des Grundstücks war, der Eigentumsdauer der Erbengemeinschaft
zuzurechnen (KAUFMANN, Sperrfrist und Einspracheverfahren, in: Das neue
landwirtschaftliche Bodenrecht der Schweiz, S. 76), so wie z.B. der
Erbe eine vom Erblasser begonnene Ersitzung fortsetzen und die bereits
abgelaufene Ersitzungszeit zu seiner eigenen hinzuzählen kann (ESCHER,
Komm. 3. Aufl. N. 11 zu Art. 560 ZGB).

    Würde Art. 218 Abs. 1 OR in diesem Sinne einschränkend ausgelegt, so
würde dadurch entgegen der Ansicht des Regierungsrates kein Widerspruch zu
Art. 218 bis OR geschaffen; denn für die darin vorgesehene ausnahmsweise
Bewilligung des vorzeitigen Verkaufs "zum Zwecke einer erbrechtlichen
Auseinandersetzung" bliebe immer noch Platz in den Fällen, da bei der
Erbteilung die Sperrfrist von zehn Jahren auch unter Zurechnung der
Eigentumsdauer des Erblassers noch nicht abgelaufen ist.

    Ebenso wenig lässt sich einwenden, eine derartige Auslegung sei
mit der Zielsetzung des Art. 218 OR unvereinbar. Die Sperrfrist dient
der Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes durch die Unterbindung der
Spekulation mit landwirtschaftlichen Grundstücken. Eine Spekulation
liegt vor,wenn jemand ein Wirtschaftsgut offensichtlich in der Absicht
erwirbt, es bei sich bietender Gelegenheit (möglichst bald) mit Gewinn
wieder zu veräussern (BGE 83 I 313 Erw. 2 mit Verweisungen; 87 I 239
Erw. 4). Die Erben erwerben die Erbschaft unmittelbar kraft Gesetzes,
das ihnen nur die Möglichkeit der Ausschlagung lässt und im übrigen
nicht auf ihren Willen abstellt. Spekulationsabsichten vermögen daher
auf den Erbgang keinen Einfluss zu nehmen (vgl. MBVR 35 S. 362). Solche
Absichten sind allein beim Erblasser, der das Grundstück gekauft hat,
oder allenfalls beim Erben, der es bei der Erbteilung aus der Erbschaft
übernimmt, zu suchen. Bei der letzten Revision hat der Gesetzgeber die
Sperrfrist von sechs auf zehn Jahre verlängert. Wäre er der Auffassung
gewesen, das reiche zur Verhinderung der Spekulation nicht aus, so hätte
er allgemein eine noch längere Frist angesetzt. Erweckt es vom Standpunkt
der Spekulationsbekämpfung aus keine Bedenken, wenn der Erblasser, der
das Grundstück gekauft hat, dieses nach zehn Jahren weiterveräussert,
so ist nicht einzusehen, warum die Erben schlechter gestellt sein sollten.

    b) Die Ansicht der Beschwerdeführer, die Gesamtnachfolge kraft
Erbrechts löse nicht den Lauf der Sperrfrist aus, hat demnach gewichtige
Gründe für sich (vgl. auch KAUFMANN, Das neue ländliche Bodenrecht der
Schweiz, S. 217). Das heisst indes noch nicht, dass die gegenteilige
Meinung des Regierungsrats nicht nur unrichtig, sondern darüber hinaus
geradezu willkürlich sei. Die Auslegung, dass der "Eigentumswechsel"
im Sinne des Art. 218 Abs. 1 OR auch denjenigen durch Gesamtnachfolge
kraft Erbrechts erfasse, vermag sich auf den Wortlaut des Gesetzes zu
stützen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts kann aber
die dem Wortlaut gemässe Auslegung einer Vorschrift nicht als willkürlich
bezeichnet werden, es sei denn, sie widerspreche offensichtlich deren
Sinn und Zweck und führe zu einem vom Gesetzgeber unmöglich gewollten
Ergebnis (BGE 84 I 103 mit Verweisungen; 86 I 20/21). Wenn es nach dem
in lit. a Gesagten auch nicht zutrifft, dass die dem Art. 218 Abs. 1 OR
zugedachte Aufgabe der Bekämpfung der Spekulation dessen Anwendung auf
den erbrechtlichen Eigentumsübergang erfordere, so lässt sich diese
Handhabung doch mit dem weiteren Zweck der neu ins OR aufgenommenen
agrarrechtlichen Bestimmungen, der Erhaltung des landwirtschaftlichen
Grundbesitzes, vereinbaren. Die Betrachtungsweise des aargauischen
Regierungsrats wird denn auch von einer Reihe anderer kantonaler Behörden
sowie vom Eidg. Justiz- und Polizeidepartement geteilt (VEB 10 Nr.
90, 11 Nr. 76; ZBGR 37 S. 61, 42 S. 195, 362; AGVE 1955 S. 281); sie
wird zudem von verschiedenen Autoren vertreten (GLOOR, Beschränkung des
rechtsgeschäftlichen Verkehrs mit landwirtschaftlichen Grundstücken,
S. 76/77; JENNY, Die Sperrfrist im Verkehr mit landwirtschaftlichen
Grundstücken, ZBGR 18 S. 169/70; PIAGET, Mutations d'immeubles agricoles,
Revue de droit administratif et de droit fiscal, 1 S. 115; ZUBLER,
Die gesetzlichen Veräusserungsbeschränkungen bei landwirtschaftlichen
Grundstücken, S. 38/39). Das Bundesgericht hat seinerseits erkannt, es sei
nicht willkürlich, zu den "erworbenen" landwirtschaftlichen Grundstücken,
von denen der Art. 218 OR in der Fassung gemäss Bundesratsbeschluss vom
16. Oktober 1936 handelte, auch diejenigen zu zählen, die dem derzeitigen
Eigentümer durch Erbgang zugefallen sind (nicht veröffentlichtes Urteil
vom 8. Dezember 1941 i.S. Martin, Erw. 2 a).

    Entgegen den Behauptungen der Beschwerde kann zudem ohne Willkür
angenommen werden, die angefochtene Auslegung des Art. 218 Abs. 1 OR
widerspreche den Bestimmungen des ZGB über die Erbteilung nicht. Werden
einem oder mehreren Erben landwirtschaftliche Grundstücke aus der Erbschaft
zugeteilt, so fällt diese Verfügung nicht unter das Veräusserungsverbot
des Art. 218 Abs. 1 OR (VEB 11 Nr. 76; ZBGR 17 S. 260, 18 S. 196 und 247,
19 S. 106, 37 S. 61 und 196, 40 S. 225, 42 S. 195 und 362; MBVR 35 S. 362;
AGVE 1955 S. 281; JENNY, aaO, S. 170 und 176/177; KAUFMANN, Sperrfrist und
Einspracheverfahren, S. 76; ZUBLER, aaO, S. 40). Sollen aber im Zuge einer
erbrechtlichen Auseinandersetzung landwirtschaftliche Grundstücke an einen
Dritten übertragen werden, so kann die zuständige Behörde nach Art. 218
bis OR eine vorzeitige Veräusserung gestatten. Eine solche Bewilligung kann
auch im Falle eines Verkaufs im Sinne des Art. 625 bis ZGB erteilt werden.