Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 I 141



88 I 141

23. Auszug aus dem Urteil vom 24. Oktober 1962 i.S. Oscar Weber AG gegen
Mahler und Mitbeteiligte sowie Direktion der Justiz des Kantons Zürich.
Regeste

    Art. 4 BV; Art. 35 lit. c VMK.

    Die Kündigung einer für einen Arbeitnehmer benötigten Wohnung ist
gerechtfertigt, wenn die Betriebsführung erheblich erschwert würde,
falls der Arbeitnehmer nicht in der betreffenden Wohnung untergebracht
werden könnte.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Die Oscar Weber AG kaufte ein Dreifamilienhaus, um darin Angestellte
ihres Warenhausbetriebes unterzubringen. Sie kündigte die bestehenden
Mietverträge wegen Eigenbedarfs für Arbeitnehmer. Auf die Einsprachen
der Mieter hin erklärte das Mietamt der Stadt Zürich die Kündigungen
unzulässig.

    Die Direktion der Justiz des Kantons Zürich hat diese Verfügung
bestätigt. Sie hat dazu ausgeführt, Art. 35 lit. c VKW greife nur im
Falle der Betriebsnotwendigkeit Platz, das heisst wenn nachgewiesen sei,
dass die ordnungsgemässe Führung des dem Vermieter gehörenden Betriebes
ohne Einmietung des Arbeitnehmers in die gekündigte Wohnung nicht möglich
oder doch erheblich erschwert sei. Diese Voraussetzung liege hier nicht
vor. Die Angestellten eines Warenhauses könnten, von einzelnen Ausnahmen
abgesehen, ihre Aufgabe auch dann erfüllen, wenn sie nicht an einem
bestimmten Orte wohnten.

    Die Oscar Weber AG erhob dagegen staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung des Art. 4 BV. Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen,
soweit es darauf eingetreten ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Gemäss Art. 35 lit. c VMK ist die Kündigung gerechtfertigt,
wenn der Eigentümer nachweist, dass er, ohne den Bedarf selbst
spekulativ verursacht zu haben, in seinem Hause für sich oder nächste
Verwandte oder für einen seiner Arbeitnehmer eine Wohnung benötigt. Die
Justizdirektion erachtet diesen Rechtfertigungsgrund als gegeben, wenn
die Unterbringung eines Arbeitnehmers in der gekündigten Wohnung eine
"Betriebsnotwendigkeit" darstellt. Das Bundesgericht hat seinerseits
wiederholt erkannt, dass die Mieterschutzbehörden, um dem Vorwurf der
Willkür zu entgehen, eine Kündigung zu schützen haben, wenn auch nur ein
"betriebsbedingtes Interesse" nachgewiesen ist (vgl. Urteil vom 18. Januar
1956 i.S. Ziegler zu Art. 31 lit. b VMK in der Fassung vom 30. Dezember
1953; BGE 88 I 139). Trotz der verschiedenen Ausdrucksweise stimmt die
Stellungnahme der Zürcher Justizdirektion im Ergebnis zur Hauptsache mit
derjenigen des Bundesgerichts überein. Die kantonale Instanz anerkennt,
dass eine Kündigung nicht nur gerechtfertigt ist, wenn es nicht möglich
ist, den Betrieb ordnungsgemäss zu führen, ohne dass dem Arbeitnehmer
die einem Dritten gekündigte Wohnung zur Verfügung gestellt wird,
sondern dass es genügt, dass der Ausfall der betreffenden Wohnung die
Betriebsführung "erheblich erschweren" würde. Wenn der Staatsgerichtshof
von einem "betriebsbedingten Interesse" spricht, hat er gerade den
letztgenannten Fall im Auge. Es kann deshalb keine Rede davon sein,
dass die Mieterschutzbehörden schlechthin jeden Zusammenhang zwischen dem
Wohnungsbedarf des Arbeitnehmers und dem Geschäftsbetrieb des Vermieters
als Rechtfertigungsgrund für die Kündigung hinzunehmen hätten. Einer
solchen Betrachtungsweise stände schon die Gleichsetzung des Eigenbedarfs
für Arbeitnehmer mit demjenigen für "nächste" Verwandte entgegen, die
einer einschränkenden Handhabung des Art. 35 lit. c VKM ruft.

    In der Beschwerde wird geltend gemacht, vielfach hätten Bewerber eine
Anstellung bei der Beschwerdeführerin ausgeschlagen, weil sie in Zürich
keine Wohnung gefunden hätten; die Beschwerdeführerin habe sich deswegen
und um der Wohlfahrt des Personals willen entschlossen, sich mit eigenen
Mitteln für die Unterkunft der Belegschaft einzusetzen. Die Ernsthaftigkeit
dieser Beweggründe steht nicht in Frage, doch ist nicht dargetan, dass
der Umstand, dass die Beschwerdeführerin die gekündigten Wohnungen nicht
ihren eigenen Angestellten vermieten kann, den Betrieb des Warenhauses so
erheblich erschweren wird, dass die Kündigungen im Sinne des Art. 35 lit. c
VMK gerechtfertigt wären. Dass ein Unternehmen seine Stellung auf dem
Arbeitsmarkt durch das Angebot günstiger Wohngelegenheiten zu verbessern
trachtet, ist verständlich, und die betriebliche Wohnungsfürsorge
ist an sich zu begrüssen, solange sie nicht auf Kosten jener Personen
geht, welche die VKM schützen will. Würde dem Arbeitgeber zugestanden,
dass er aus den erwähnten Beweggründen Dritten die Wohnung kündigen
dürfe, so würde der öffentlichrechtliche Kündigungsschutz weitgehend
um seine Wirkung gebracht, befinden sich doch viele Altliegenschaften
in der Hand von Unternehmen, die zahlreiches Personal beschäftigen und
einen entsprechend grossen Eigenbedarf an Wohnungen anmelden könnten.
Die Mieterschutzbehörden können demnach ohne Willkür folgern, dass die
Kündigung in derartigen Fällen nicht Art. 35 lit. c VKM für sich hat.
Besonders gelagerten Verhältnissen aber kann bei der Interessenabwägung
im Rahmen der Art. 34 Abs. 1 und 35 lit. f VMK Rechnung getragen werden
(vgl. Urteile vom 15. Januar 1945 i.S. Munari und vom 18. Januar 1956
i.S. Ziegler; BIRCHMEIER, Die Mietnotrechtserlasse des Bundes, S. 30/31).