Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 I 100



88 I 100

16. Entscheid des Präsidenten des Bundesgerichts vom 7. Juli 1962
i.S. Paperconsult AG gegen Cepal und Mitbeteiligte. Regeste

    Bezeichnung von Schiedsrichtern durch den Präsidenten des
Bundesgerichts.

    Internationaler Schiedsvertrag, wonach bei Säumnis einer Partei ein
Schiedsrichter vom Präsidenten des Bundesgerichts zu ernennen ist.

    -  Bestimmung des für das Schiedsverfahren massgebenden Rechts. Genfer
Protokoll über die Schiedsklauseln, vom 24. September 1923 (Erw. 1).

    - Voraussetzungen der Ernennung eines Schiedsrichters durch den
Präsidenten des Bundesgerichts. Bedeutung des Umstands, dass die säumige
Partei die Gültigkeit der Schiedsabrede bestreitet (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Die Gesuchstellerin Paperconsult AG in Zürich, die sich mit der
Projektierung und Planung von industriellen Anlagen der Papierindustrie
befasst, und die Gesuchsgegner Cepal (Central de Papeleras Libres) in
Madrid nebst zwei Beteiligten schlossen am 19. Juli 1960 einen Vertrag,
nach welchem der Paperconsult u.a. die Ausarbeitung bestimmter Vorstudien
und Berechnungen übertragen wurde für die von der Cepal erwogene Errichtung
von zwei Papierfabriken in Spanien. Art. 15 dieses Vertrages hat folgenden
Wortlaut:

    "Règlement de litiges: Les litiges et différends qui pourraient
s'élever au sujet de ce contrat doivent être réglés autant que possible
à l'amiable. En cas d'échec, les litiges seront réglés par un tribunal
arbitral. Chacune des parties désigne un arbitre dans les deux mois
qui suivent la date de la constatation de l'échec des pourparlers
à l'amiable. Les deux arbitres désignent le président dans le délai
d'un mois après la nomination du deuxième arbitre. Si une partie devait
omettre de désigner son arbitre dans le délai prévu ou si les arbitres ne
pouvaient se mettre d'accord sur la personne du président dans le délai
prévu, l'arbitre ou le président manquant serait désigné par le Président
du Tribunal Fédéral Suisse.

    Le tribunal arbitral a son siège à Zurich; il juge d'après le droit
suisse."

    Nachdem die Gesuchstellerin ihre Studienarbeiten abgeliefert
hatte, entstanden wegen der Bezahlung der Rechnungen Differenzen, die
auch in wiederholten Verhandlungen nicht behoben werden konnten. Die
Gesuchstellerin teilte daher am 20. Dezember 1961 den Gesuchsgegnern
mit, dass sie nunmehr die Angelegenheit dem Schiedsgericht unterbreite;
gleichzeitig gab sie den Namen des von ihr bezeichneten Schiedsrichters
bekannt und forderte die Gesuchsgegner auf, innert vertraglicher Frist
ihren Schiedsrichter zu nennen. Die Gesuchsgegner antworteten nicht,
worauf die Gesuchstellerin am 29. Januar 1962 Mitteilung und Aufforderung
wiederholte, aber wiederum ohne Antwort blieb.

    B.- Unter Berufung auf Art. 15 des Vertrages vom 19.  Juli 1960
ersuchte die Paperconsult AG den Präsidenten des Bundesgerichts, an Stelle
der Gesuchsgegner einen Schiedsrichter zu ernennen.

    Dieses Gesuch wurde den Gesuchsgegnern zur Kenntnis gebracht, verbunden
mit der Aufforderung, zu erklären, ob sie die Gültigkeit von Art. 15 des
Vertrages über die Bestellung eines Schiedsgerichts anerkennen oder die
Voraussetzungen für die Anwendung dieser Art. 15 im vorliegenden Falle
bestreiten.

    Mit Vernehmlassung vom 13. April 1962 bestritten die Gesuchsgegner die
Zuständigkeit des Bundesgerichtspräsidenten zur nachgesuchten Bezeichnung
eines Schiedsrichters. Sie machten Folgendes geltend: Der Vertrag vom 19.
Juli 1960 unterstehe dem spanischen Recht; die normalen Vorkehren zur
Einleitung des Schiedsverfahrens seien nicht getroffen worden; zu einem
Schiedsverfahren und zur Bezeichnung der Schiedsrichter bestehe erst
Anlass, wenn eine gütliche Lösung, wie sie in erster Linie vorgesehen
und bisher nicht in die Wege geleitet worden sei, sich als unmöglich
erweise; der Vertrag sei durch Schreiben der Gesuchsgegner vom 31. Januar
1961 aufgelöst worden, daher Art. 15 nicht mehr anwendbar; Art. 15 des
Vertrages sei nach spanischem Recht nichtig, weil er einem Grundsatz der
öffentlichen Ordnung widerspreche und die Erfordernisse des Gesetzes vom
22. Dezember 1953 nicht erfülle.

    C.- Mit Gegeneingabe vom 15. Mai 1962 hielt die Gesuchstellerin an
ihrem Antrag fest und wies die vorerwähnten Einwendungen im einzelnen
zurück. Zum Nachweis für die Zulässigkeit der Schiedsklausel und des
Vorgehens der Gesuchstellerin auch nach spanischem Recht wurde ein
Rechtsgutachten eines spanischen Dozenten vorgelegt. Weiter machte die
Gesuchstellerin geltend, das Schiedsgericht unterstehe nach Art. 15 Abs. 2
des Vertrages dem Zürcher Recht; gemäss § 369 a der Zürcher ZPO entscheide
das Schiedsgericht (unter Vorbehalt des Rekurses an das Obergericht) über
die Gültigkeit einer Schiedsklausel und über seine Kompetenz auch dann,
wenn die Gültigkeit des Schiedsvertrages bestritten wird; deshalb müsse
in einem solchen Falle trotz Bestreitung der Gültigkeit der Schiedsklausel
das Schiedsgericht doch gebildet werden, nötigenfalls im Wege der Ernennung
eines Schiedsrichters oder des Präsidenten durch den staatlichen Richter.

Auszug aus den Erwägungen:

    Hierüber zieht der Präsident des Bundesgerichts in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die von den Parteien in Art. 15 ihres Vertrages vom 19. Juli 1960
vereinbarte Schiedsklausel stellt einen internationalen Schiedsvertrag dar,
da die vertragschliessenden Parteien der Gerichtsbarkeit verschiedener
Staaten unterworfen sind. Für diese Schiedsabrede gilt das Genfer
Protokoll über die Schiedsklauseln vom 24. September 1923 (BS 12 S. 387),
denn die Schweiz und Spanien sind diesem Protokoll beigetreten, Spanien
freilich unter Vorbehalt der Freiheit, die in Art. 1 Abs. 1 des Protokolls
erwähnte Verpflichtung auf Handelssachen zu beschränken. Da der Vertrag
der Parteien vom 19. Juli 1960 von Kaufleuten abgeschlossen wurde und
zudem ein Geschäft des Handelsverkehrs zum Gegenstand hat, sind die
Schweiz und Spanien im Sinne des Genfer Protokolls zur Anerkennung der
streitigen Schiedsklausel verpflichtet.

    Gemäss Art. 2 Abs. 1 des vorerwähnten Genfer Protokolls ist für
das Verfahren in Schiedssachen, einschliesslich der Zusammensetzung des
Schiedsgerichts massgebend der Parteiwille und die Gesetzgebung des Landes,
auf dessen Gebiet das Schiedsverfahren stattfindet. Landesgesetzgebung
im letztern Sinne wäre hier das in der Schweiz geltende Recht, weil
die Parteien in Art. 15 Abs. 2 ihres Vertrages Zürich als Sitz des
Schiedsgerichts vereinbarten, das Schiedsverfahren also in Zürich
stattzufinden hat. Hieraus würde auch folgen, dass in diesem Falle das
Zivilprozessrecht des Kantons Zürich massgebliches Recht ist; denn nach
bundesgerichtlicher Rechtsprechung und herrschender schweizerischer Lehre
ist die Schiedsabrede ein prozessrechtlicher Vertrag und als solcher
wird er vom kantonalen Rechte beherrscht (BGE 41 II 534; 71 II 116, 179;
78 I 358, 361; GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht 2. Aufl. S. 579,
LEUCH, Zivilprozessordnung für den Kanton Bern 3. Aufl. S. 357).

Erwägung 2

    2.- Der in Art. 15 des Vertrages vom 19. Juli 1960 festgehaltene
Parteiwille und das Zürcher Zivilprozessrecht sind nach der ausdrücklichen
Bestimmung von Art. 2 Abs. 1 des Genfer Protokolls nicht nur für
das eigentliche Schiedsverfahren -wegleitend, sondern auch für die
Zusammensetzung, für die Bestellung des Schiedsgerichts. Auch nach der
Zürcher ZPO ist eine über die Bestellung des Schiedsgerichts getroffene
Abrede, wie sie in Art. 15 des Vertrages vorliegt, zulässig,

    Gemäss Art. 15 des Vertrages kann eine Partei, wenn sie ihren
Schiedsrichter bezeichnet hat und die Gegenpartei innert 2 Monaten nach
Konstatierung des Scheiterns von Verständigungsverhandlungen trotz
Aufforderung ihren Schiedsrichter nicht nennt, den Präsidenten des
schweizerischen Bundesgerichts ersuchen, an Stelle der säumigen Partei
einen Schiedsrichter zu ernennen. Ein solches Gesuch hat die Paperconsult
AG am 29. März 1962 gestellt.

    Weder im Gesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG),
noch in der Bundeszivilprozessordnung, noch sonstwo ist vorgesehen, dass
der Präsident des Bundesgerichts oder der Präsident einer Abteilung
des Bundesgerichts auf Verlangen einer Partei einen Schiedsrichter
zu ernennen habe. Es ist aber ständige Praxis, dass der Präsident des
Bundesgerichts, wenn er (in seiner Eigenschaft als Inhaber dieses Amtes)
in der Schiedsklausel als Ernennungsinstanz bezeichnet wurde, einem
Begehren auf Ernennung eines Schiedsrichters entspricht, sofern die
Gegenpartei mit der verlangten Ernennung einverstanden ist. Ob diese
Praxis auf blosser Übung oder auf Gewohnheitsrecht beruht, braucht hier
nicht erörtert zu werden.

    Eine andere Frage ist die, wie es sich verhält, wenn die Gegenpartei
gegen ein solches Gesuch Widerspruch erhebt. Hier ist zu unterscheiden:

    Wird die Gültigkeit des Hauptvertrags bestritten, auf den
die Schiedsabrede Bezug hat, so wird dadurch die Gültigkeit der
Schiedsabrede nicht notwendig betroffen, da ja die Schiedsabrede nach
der Rechtsprechung auch dann eine selbständige Vereinbarung darstellt,
wenn sie im Hauptvertrag enthalten ist; mitbetroffen wird sie nur,
wenn der Ungültigkeitsgrund seiner Natur nach für den Hauptvertrag und
die Schiedsklausel derselbe ist; im Zweifel ist anzunehmen, dass der
Wille der Parteien bei Vereinbarung der Schiedsabrede dahin ging, dass
auch die Frage der Gültigkeit des Hauptvertrages vom Schiedsgericht zu
entscheiden sei (BGE 59 I 177, 62 I 230, 64 I 44, 65 I 22). Bei dieser
Sachlage ist die Ernennung eines Schiedsrichters durch den Präsidenten
des Bundesgerichts möglich; eine Rechtspflicht dazu besteht indessen nicht.

    Wird dagegen, wie im vorliegenden Falle, die Gültigkeit der
Schiedsabrede bestritten, so kann der gestützt auf entsprechende
Schiedsabrede von einer Partei um Ernennung eines Schiedsrichters ersuchte
Dritte, z.B. der Präsident des Bundesgerichts, über die Gültigkeit der
Schiedsabrede nicht befinden, sofern er nicht in gültiger Schiedsabrede
dazu ausdrücklich ermächtigt worden ist. Und selbst im letzteren Fall
besteht, anders als nach kantonalen Prozessordnungen für kantonale
Richter, keine Rechtspflicht des Präsidenten des Bundesgerichts, einen
Schiedsrichter zu ernennen; im vorliegenden Fall fehlt übrigens eine solche
ausdrückliche Ermächtigung. Abgesehen davon, dass eine solche Rechtspflicht
des Präsidenten des Bundesgerichts nicht besteht, müsste sie auch aus
praktischen Erwägungen abgelehnt werden; denn die Abklärung der Frage der
Gültigkeit der Schiedsabrede würde häufig ein kontradiktorisches Verfahren
und Beweiserhebungen erfordern, was ausserhalb der Zuständigkeit des
Präsidenten des Bundesgerichts liegt. Über die Gültigkeit und Tragweite
einer Schiedsabrede und damit über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts
kann endgültig nur der zuständige staatliche Richter entscheiden, nicht
das Schiedsgericht (BGE 7 707, 27 II 515, 38 II 556/7, 40 II 77/9;
LEUCH Art. 385 N. 1; HAMBURGER, Zur Frage der Kompetenz - Kompetenz
der Schiedsgerichte, Internat. Jahrb. für Schiedsgerichtswesen 3
(1931) S. 182, 184; GULDENER ZPR S. 587/8). Dies gilt auch dann,
wenn ausnahmsweise das Schiedsgericht unter Vorbehalt des Rekurses an
ein staatliches Gericht vorläufig über seine Zuständigkeit und über
die Gültigkeit einer Schiedsabrede selber entscheidet, wie dies in §
369 a der Zürcher ZPO vorgesehen ist. Es ist daher ständige Praxis, dass
der Präsident des Bundesgerichts im Falle der Bestreitung der Gültigkeit
der Schiedsabrede die Ernennung eines Schiedsrichters ablehnt (vgl. etwa
BGE 78 I 359, 18 S. 617, 31 I 599; nicht veröffentlichter Entscheid vom
14. Januar 1958 i.S. Moderna Bienne SA gegen Meier).

    Zu prüfen bleibt, ob der Präsident des Bundesgerichts bei bestrittener
Gültigkeit der Schiedsabrede wenigstens vorfrageweise über die Gültigkeit
der Schiedsabrede befinden kann. Diese Frage ist zu verneinen. Einem
Dritten, z.B. einem Richter, dem die Parteien gemäss Schiedsabrede die
Bezeichnung eines Schiedsrichters übertragen haben, kommt nur diese
Befugnis zu, nicht aber die Zuständigkeit zur Beurteilung anderer
Streitpunkte, wie sie dem ordentlichen Richter zusteht. Im Zweifel darf
nicht angenommen werden, dass die Parteien dem für die Ernennung eines
Schiedsrichters vorgesehenen Richter eine weitere Befugnis übertragen
wollten, insbesondere etwa die Befugnis zum Entscheid darüber, ob
die Schiedsabrede gültig sei, wenn sich hierüber unter den Parteien
Meinungsverschiedenheiten ergeben. Die Frage der Gültigkeit muss durch
den ordentlichen Richter entschieden werden.

    Hieran ändert auch die Vorschrift von § 369 a Zürcher ZPO
nichts. Diese Vorschrift bedeutet eine Abschwächung des Grundsatzes,
dass über die Gültigkeit der Schiedsabrede nicht das bestellte
Schiedsgericht entscheidet. Sie überträgt den Entscheid hierüber nicht
sofort dem ordentlichen Richter, sondern weist diesen Entscheid vorerst dem
Schiedsgericht zu, jedoch unter Vorbehalt des endgültigen Entscheides durch
das Obergericht auf Rekurs hin. D:es setzt voraus, dass das Schiedsgericht
gebildet werden kann, bzw. bereits gebildet worden ist und dass es den
Sitz im Kanton Zürich hat, sodass seine Entscheidung mit einem Rekurs an
das Obergericht weitergezogen werden kann. Kann das Schiedsgericht aus
irgend einem Grunde nicht gebildet werden, z.B. weil der damit betraute
Dritte die Ernennung eines Schiedsrichters nicht vornimmt oder nicht
vornehmen kann, so kann das Obergericht auch nicht als Rekursinstanz über
die bestrittene Gültigkeit des Schiedsvertrages, über das Bestehen und
die Zuständigkeit des Schiedsgerichts entscheiden.

    Die Vorschrift von § 369 a Zürcher ZPO ändert nichts an der
Rechtsstellung des Präsidenten des Bundesgerichts in der Frage
der Ernennung eines Schiedsrichters für ein Schiedsgericht, das
seinen Sitz im Kanton Zürich hat. Diese Rechtsstellung ist in keiner
Weise abhängig von einer Besonderheit kantonaler Bestimmungen über
Schiedsgerichte. Das Bundesgericht und sein Präsident unterstehen nicht
der kantonalen Ordnung und seine Befugnisse können nicht je nach dem
Inhalt kantonaler Vorschriften oder gar fremdstaatlicher Bestimmungen
über die Schiedsgerichte ändern.

    Das gestellte Gesuch ist daher abzuweisen.