Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 IV 8



88 IV 8

3. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. Februar 1962
i.S. Mauchle gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen. Regeste

    Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB. Die Frage des besonders leichten Falles
ist auch dann zu prüfen, wenn für das während der Probezeit begangene
Verbrechen oder Vergehen eine Gefängnisstrafe von nur wenigen Tagen
ausgesprochen wurde (Änderung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Der Kassationshof hat seine Rechtsprechung zu Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2
StGB, wonach bei vorsätzlichen Verbrechen oder Vergehen die Frage des
besonders leichten Falles sich überhaupt nur stelle, wenn die neue Tat
bloss mit Haft oder Busse geahndet worden sei (BGE 78 IV 11), in BGE 86
IV 88 ff. einer Überprüfung unterzogen und dabei als möglich anerkannt,
dass es auch unter den Fällen mit sehr kurzen Gefängnisstrafen solche gebe,
die ausnahmsweise als besonders leicht, als Bagatellfall gewürdigt werden
können. Es wurde dort bereits ausgeführt, dass derartige Ausnahmefälle
von der Anwendung des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 nicht zum vorneherein
ausgeschlossen sind, dass Wortlaut und Sinn dieser Bestimmung im Gegenteil
Raum lassen, auch eine mit einer kurzfristigen Gefängnisstrafe gesühnte
Tat daraufhin zu überprüfen, ob sie als besonders leicht zu bewerten sei,
und dass der geringe Unterschied, der zwischen einer längeren Haftstrafe
und einer Strafe von wenigen Tagen Gefängnis bestehe, es nahe lege, von der
bis anhin gehandhabten einfachen und klaren, aber starren Regel, je nach
der ausgesprochenen Strafart die Frage des besonders leichten Falles in
Erwägung zu ziehen oder nicht, abzugehen. Dieser Schritt drängt sich in
der Tat auf, und es kann daher, was in BGE 86 IV 90 Erw. 3 mit Rücksicht
auf den damals zu beurteilenden Fall noch einmal offen gelassen wurde,
aus den erwähnten Gründen an der früheren Rechtsprechung nicht mehr
festgehalten werden.

    Dies bedeutet indessen nicht, dass die Grenze zwischen besonders
leichten und bloss leichten Fällen zugunsten der letztern verschoben
und damit der Begriff des besonders leichten Falles erweitert wird. Mit
der Praxisänderung soll lediglich der Anwendungsbereich des Art. 41
Ziff. 3 Abs. 2 gegenüber der bisherigen starren Abgrenzung beweglicher
gestaltet werden, um zu verhindern, dass in den seltenen Fällen, wo
ein mit Gefängnis bestraftes Verbrechen oder Vergehen nach den gesamten
objektiven und subjektiven Umständen ausnahmsweise als besonders leichter
Fall gewürdigt zu werden verdient, die Möglichkeit der Anordnung einer
Ersatzmassnahme von vorneherein verschlossen bleibt. Die schon in BGE 86
IV 90 Erw. 2 lit. b vertretene Auffassung, dass bei Delikten, für die eine
Gefängnisstrafe von mehr als einer Woche ausgefällt wurde, ein besonders
leichter Fall jedenfalls nur beim Vorliegen aussergewöhnlicher Umstände
in Betracht gezogen werden dürfte, ist nach wie vor begründet.