Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 IV 59



88 IV 59

18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. Mai 1962 i.S. Puleo
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn. Regeste

    Art. 137 Ziff. 2 Abs. 4 StGB. Begriff der besondern Gefährlichkeit
des Täters. Es genügt, wenn mehrere Tatumstände gesamthaft betrachtet
das qualifizierende Merkmal offenbaren.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Puleo entschloss sich am Abend des 14. März 1961, als das Restaurant
Warteck geschlossen und dessen Inhaber mit seiner Serviertochter zum
Abendessen ausgegangen war, zusammen mit Speciali in der Wohnung des
Wirtes einen Gelddiebstahl zu verüben. Während Stavola vor dem Restaurant
Wache stand, kletterten sie von der Gartenseite her auf die Terrasse
des Hauses, drückten die ins Parterre des Treppenhauses führende Türe
ein, was ohne grossen Kraftaufwand gelang, und begaben sich im ersten
Stock durch die Küche auf den Balkon, wo sie ohne besondere Mühe ein
Fenster eindrückten und durch dieses in das Zimmer der Serviertochter
einstiegen. Nachdem sie dort verschiedene Behältnisse durchsucht und eine
Schranktüre leicht eingedrückt hatten, eigneten sie sich aus einer unter
dem Bett befindlichen Schachtel einen Geldbetrag von rund hundert Franken
an. Hierauf drangen sie mit Hilfe des am Türpfosten der Küche aufgehängten
Schlüssels in das Schlafzimmer des Wirtes, öffneten mit dem auf einem
Schrank deponierten Schlüssel einen Wandtresor und stahlen daraus eine
Geldsumme von ca. Fr. 7500.-- nebst einer Pistole samt Munition. Nach
der Tat fuhren sie mit Stavola im Wagen des letztern an die Landesgrenze,
worauf die beiden Haupttäter ins Ausland flüchteten.

    Das Obergericht des Kantons Solothurn verurteilte am 7. November 1961
Puleo wegen qualifizierten Diebstahls im Sinne von Art. 137 Ziff. 2 Abs. 4
StGB zu einer Zuchthausstrafe.

    Der Verurteilte erblickt darin eine Gesetzesverletzung und beantragt
mit der Nichtigkeitsbeschwerde, er sei in Anwendung von Art. 137 Ziff. 1
StGB nur wegen einfachen Diebstahls zu bestrafen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Diebstahl unterliegt der verschärften Strafandrohung des
Art. 137 Ziff. 2 StGB, wenn die Tat die besondere Gefährlichkeit des
Täters offenbart. Unter den Fällen, in denen dieser Qualifikationsgrund
zutrifft, nennt das Gesetz als Beispiele den bandenmässig und den
gewerbsmässig begangenen Diebstahl (Abs. 2 und 3). Alle übrigen Fälle,
in denen das qualifizierende Merkmal der besonderen Gefährlichkeit des
Täters in anderer Weise als durch die in Abs. 2 und 3 beschriebene Art
der Begehung zum Ausdruck kommt, werden durch die allgemeine Bestimmung
des Abs. 4 erfasst. Das Strafgesetzbuch anerkennt im Unterschied zu
den früheren kantonalen Rechten besondere äussere Merkmale der Tat
(Begehung zur Nachtzeit, Einschleichen, Einbrechen, Erbrechen von
Behältnissen, Verwendung besonderer Werkzeuge usw.) nicht generell als
Strafschärfungsgrund, aber sie können im Einzelfall die Anwendung von
Ziff. 2 rechtfertigen (BGE 71 IV 168/9, 72 IV 116), wenn sie den Schluss
erlauben, dass die Gefährlichkeit des Täters einen überdurchschnittlichen,
besondern Grad erreicht hat. Als besonders gefährrlich erscheint der
Dieb, wenn die Art seines Vorgehens, wobei auch der Tat vorausgehende
und nachfolgende Umstände in Betracht fallen (BGE 87 IV 115 Erw. c),
Charaktereigenschaften aufdeckt, die in einem Masse auf eine asoziale
Grundhaltung und sittliche Hemmungslosigkeit schliessen lassen, dass
befürchtet werden muss, er werde auch bei anderen Gelegenheiten vor
gleichen oder ähnlichen Handlungen nicht zurückschrecken. Nicht nötig
ist, dass schon ein einzelner Umstand für sich allein die besondere
Gefährrlichkeit verrate; es genügt, wenn sie sich aus mehreren zusammen
genommen ergibt (BGE 77 IV 159 Erw. 3).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer ist zu Recht wegen qualifizierten
Diebstahls nach Art. 137 Ziff. 2 Abs. 4 StGB verurteilt worden. Er hat
den Gelddiebstahl organisiert und geleitet, die Begehung in eine Zeit
verlegt, während der die Bestohlenen zum Abendessen abwesend waren, und
zu seiner eigenen Sicherung wie auch zur Gewährleistung des Erfolges
besondere Massnahmen getroffen, indem er die Tat gemeinsam mit einem
Helfer ausführte, einen Dritten vor dem Hause Wache stehen liess und am
gleichen Abend im Auto des letztern an die Grenze fuhr, um sich durch
Flucht ins Ausland der Verfolgung zu entziehen. Der Beschwerdeführer
hat zudem, um in die abgeschlossene Wohnung zu gelangen und das
dort vermutete Bargeld stehlen zu können, im Schutze der Dunkelheit
eine Terrasse erklettert, im Parterre eine Türe und im ersten Stock
einen Fensterflügel mit Gewalt eingedrückt und ungeachtet der Gefahr,
durch die heimkehrenden Bewohner überrascht zu werden, verschiedene
Räume und zahlreiche Behältnisse durchsucht. Dass keine besonderen
Werkzeuge verwendet wurden und der Einbruchdiebstahl ohne grösseren
Kraftaufwand und zum Teil mit vorgefundenen Schlüsseln möglich war,
ist nicht entscheidend. Das zielstrebige und verwegene Vorgehen und die
an den Tag gelegte Bereitschaft, Hindernisse mit Gewalt zu beseitigen,
offenbaren - jedenfalls gesamthaft gesehen - die besondere Gefährlichkeit
des Beschwerdeführers. Dies ist umsoweniger zweifelhaft, als der
Beschwerdeführer wegen qualifizierten Diebstahls bereits vorbestraft
ist und er die neue Tat im Bestreben beging, ohne grosse Anstrengung
Geldmittel zu erlangen, die ihm die Befriedigung unverhältnismässig hoher
Lebensansprüche ermöglichen sollten.