Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 IV 56



88 IV 56

17. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. Juni 1962 i.S. Steger
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 42 Ziff. 1 StGB.

    Bei der zahlenmässigen Feststellung der verbüssten Vorstrafen
sind Zusatzstrafen den Grundstrafen zuzurechnen und fallen daher nicht
selbständig in Betracht.

    Drei verbüsste Freiheitsstrafen sind nicht zahlreiche im Sinne des
Gesetzes.

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Nach Art. 42 Ziff. 1 StGB kann vom Richter auf unbestimmte Zeit
verwahrt werden, wer wegen Verbrechen oder Vergehen schon zahlreiche
Freiheitsstrafen verbüsst hat, einen Hang zu Verbrechen oder Vergehen,
zur Liederlichkeit oder Arbeitsscheu bekundet und wieder ein mit
Freiheitsstrafe bedrohtes Verbrechen oder Vergehen verübt. Diese letztere
Voraussetzung ist hier unzweifelhaft erfüllt, und es steht auch ausser
Frage, dass die Beschwerdeführerin einen Hang zu Verbrechen, namentlich zu
Abtreibungen nach Art. 119 StGB bekundet. Dass sie daneben auch liederlich
und arbeitsscheu sei, ist nicht erforderlich (BGE 77 IV 78). Dagegen
verlangt das Gesetz, dass der Verurteilte wegen Verbrechen oder Vergehen
schon zahlreiche Freiheitsstrafen verbüsst habe. An dieser Voraussetzung
fehlt es hier. Nach dem in Art. 68 Ziff. 2 StGB für die Strafzumessung
ausgesprochenen Grundsatz sind Zusatzstrafen der Grundstrafe zuzuzählen
und fallen daher nicht selbständig in Betracht. Das muss auch für die
zahlenmässige Feststellung der verbüssten Vorstrafen im Rahmen von
Art. 42 StGB gelten. Zwar könnte sich fragen, ob in diesem Zusammenhang
Zusatzstrafen, die zeitlich getrennt von der Grundstrafe vollzogen
wurden, nicht als selbständige Strafen einzusetzen seien. Denn dass
eine Zusatzstrafe, die verhältnismässig lange Zeit nach der Grundstrafe
verbüsst wird, vom Verurteilten als eine besondere Strafe empfunden wird
und insoweit auch selbständige Wirkungen zeitigen kann, ist nicht zu
bezweifeln. Dagegen dürfte es schwer halten, bei dieser Lösung ein für
alle Fälle zuverlässiges zeitliches Kriterium zu finden. Zudem müssten,
wollte man allein auf die zeitliche Folge der Strafen abstellen, umgekehrt
auch mehrere Grundstrafen, die in einem Zuge verbüsst wurden, nur als
eine Strafe zählen, was jedoch der Kassationshof noch in BGE 84 IV 5
ausdrücklich abgelehnt hat.

    Geht man demnach davon aus, dass Zusatzstrafen den Grundstrafen
zuzuzählen sind, so verbleiben im vorliegenden Falle, was die Vorinstanz
offensichtlich übersehen hat und deshalb von Amtes wegen zu berichtigen ist
(Art. 277 bis Abs. 1 Satz 3 BStP), lediglich drei verbüsste Vorstrafen. Die
am 27. Mai 1945 vom Kriminalgericht ausgefällten vier Monate Zuchthaus
wurden wie die am 5. März 1953 ausgesprochenen 20 Monate Zuchthaus als
Zusatzstrafen bemessen und sind daher mit den entsprechenden Grundstrafen
als Einheit zu zählen.

    Drei verbüsste Freiheitsstrafen aber genügen nach ständiger
Rechtsprechung nicht, um als zahlreiche im Sinne des Gesetzes gelten
zu können (BGE 69 IV 100/101), und der Kassationshof hat selbst vier
verbüsste Vorstrafen nicht in allen Fällen als genügend angesehen
(BGE 75 IV 99 E. 2). An dieser sich auf den Gesetzeswortlaut und die
Entstehungsgeschichte stützenden Praxis ist festzuhalten, auch wenn sie
nicht allen Fällen gerecht zu werden vermag, in denen die Verwahrung eines
wegen seines deliktischen Hangs gefährlichen Gewohnheitsverbrechers vom
Richter sollte angeordnet werden können. Denn das allein berechtigt nicht,
über das vom Gesetz ausdrücklich aufgestellte Erfordernis der Verbüssung
zahlreicher Freiheitsstrafen hinwegzusehen und statt dessen lediglich
auf Art, Dauer und zeitliche Folge der Vorstrafen sowie auf ihre Wirkung
abzustellen. Diese Umstände sind wohl für den Entscheid über die Verwahrung
des Täters von erheblicher, aber nach der gesetzlichen Ordnung nicht von
ausschliesslicher Bedeutung (zur Frage vgl. HAFTER, Allgemeiner Teil, S.
393; WYRSCH, ZStR 59, S. 24 f.; Obergericht Zürich, ZR 43 Nr. 88).