Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 IV 49



88 IV 49

15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. Mai 1962
i.S. Schwendimann gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau Regeste

    Art. 13 StGB. Die Frage, ob ein psychiatrisches Gutachten im Sinne
dieser Bestimmung noch schlüssig sei, stellt sich regelmässig, wenn seit
der Begutachtung längere Zeit verstrichen ist. Eine neue Begutachtung
ist indessen nur nötig, wenn seit der früheren Umstände eingetreten
oder offenbar geworden sind, die den Richter daran zweifeln lassen, ob
auf das frühere Gutachten noch abgestellt werden dürfe, oder wenn sich
Zweifel darüber so gebieterisch aufdrängen, dass sie schlechterdings
nicht unterdrückt werden können.

Sachverhalt

    Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte am 13. Oktober 1961 den
nach Art. 369 ZGB bevormundeten Schwendimann wegen wiederholten Diebstahls,
begangen im Zustand hochgradig verminderter Zurechnungsfähigkeit, zu
zehn Monaten Gefängnis und liess an die Stelle der Freiheitsstrafe die
Verwahrung nach Art. 42 StGB treten.

    Schwendimann führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, es sei
das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen, damit sie ein neues psychiatrisches Gutachten über seine
Zurechnungsfähigkeit und über die zu treffenden Massnahmen nach Art. 14,
15 oder 42 StGB einhole und den Straffall neu beurteile.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Das Obergericht stützte sich bei der Strafzumessung und der Anordnung
der Verwahrung auf das von Dr. Janner ausgearbeitete und von Prof. Dukor
genehmigte Gutachten der Heil- und Pflegeanstalt Friedmatt vom 28. August
1953 Dieser Begutachtung sind verschiedene andere, auf welche der
Expertenbericht der Friedmatt verweist, vorausgegangen, so 1945 in der
Anstalt Waldau, 1946 in Königsfelden, 1948 in St. Urban. Das Gutachten der
Friedmatt bezeichnet in seinen Schlussfolgerungen den Beschwerdeführer als
schizoid-verschrobenen, hyperthymen und geltungssüchtigen Psychopathen mit
Neigung zu Arbeitsscheu, hochstaplerischer Lebensführung und Lüge in jeder
Form, sowie Querulanz, wobei sich bei allen diesen Abartigkeiten mit der
Zeit eine gewisse Automatisierung (Gewohnheitsmässigkeit), insbesondere mit
Bezug auf die Delinquenz ausgebildet habe und die Delinquenz darüber hinaus
auch gewisse Züge des Rausch- und Suchthaften aufweise, indem sich der
Explorand in sie hineinsteigere, sich an ihr berausche, sodass er, einmal
angefangen, schliesslich um des Stehlens willen stehle. Sein Geisteszustand
habe sich, abgesehen vom Auftreten der Querulanz und der Automatisierung,
gegenüber dem Zustand bei früheren Begutachtungen nicht geändert, jedoch
sei in den bisherigen Gutachten das Abnorme im Wesen des Exploranden
zu gering veranschlagt worden. Die pathologischen Wurzeln seiner
Kriminalität überwögen die normalen ganz erheblich, und er müsse deshalb
für seine Delikte als hochgradig vermindert zurechnungsfähig beurteilt
werden. Was die Prognose betreffe, so sei eine Besserung für absehbare
Zeit nicht zu erwarten. Der Explorand könne seiner Tendenz zu sozialen
Entgleisungen keine Hemmungen entgegenstellen und wolle es infolge seiner
ausgesprochenen Geltungssucht auch gar nicht. Als gewohnheitsmässiger
Dieb und Betrüger müsse er auf unbestimmte Zeit verwahrt werden. Da er in
einer psychiatrischen Anstalt nur schwer zu halten sein würde und eine
erzieherische Beeinflussung, soweit eine solche überhaupt möglich sei,
erfahrungsgemäss besser in einer Verwahrungsanstalt durchgeführt werden
könne, die keinen Krankenhauscharakter trage, erscheine es gegeben,
ihn wie bisher nach Art. 42 StGB zu verwahren, am zweckmässigsten durch
Rückversetzung in eine Verwahrung, andernfalls durch erneute Anordnung
einer solchen.

    Stützt sich somit das Obergericht sowohl in der Beurteilung der
Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers wie in der angeordneten
Massnahme auf das Gutachten der Anstalt Friedmatt, so ist die Vorschrift
des Art. 13 insoweit erfüllt. Auch bleibt das Strafmass von zehn
Monaten Gefängnis, wenn es auch bei einer hochgradigen Verminderung
der Zurechnungsfähigkeit eher hoch erscheint, mit Rücksicht auf das
Zusammentreffen mehrerer Diebstahlstatbestände (Art. 68 Ziff. 1 StGB)
und den Rückfall (Art. 67) im Rahmen des sachlichen Ermessens. Fragen
kann sich nur, ob das Gutachten der Anstalt Friedmatt von 1953 im Jahre
1961, als die Vorinstanz zu urteilen hatte, im Sinne von Art. 13 noch
schlüssig war oder ob nicht, wie der Beschwerdeführer geltend macht,
ein neues Gutachten hätte eingeholt werden sollen.

    Diese Frage stellt sich regelmässig, wenn seit einer frühern
Begutachtung längere Zeit verstrichen ist. Sie ist nach der Vorschrift
des Art. 13 selber zu entscheiden. Eine neue Begutachtung ist darnach nur
nötig, wenn seit der früheren Umstände eingetreten oder offenbar geworden
sind, die den Richter, sei es mit Bezug auf die Zurechnungsfähigkeit,
sei es mit Bezug auf die allenfalls zu treffende Massnahme, daran
zweifeln lassen, ob auf das frühere Gutachten noch abgestellt werden
dürfe, oder wenn sich Zweifel darüber so gebieterisch aufdrängen, dass
sie schlechterdings nicht unterdrückt werden können (s. BGE 78 IV 55 und
weitere Rechtsprechung).

    (Es folgen Ausführungen darüber, dass die älteren Gutachten durch
dasjenige der Anstalt Friedmatt überholt sind, dass sich aus dem
Vorstrafenverzeichnis eindeutig die Unfähigkeit des Beschwerdeführers
ergibt, durch Strafen gebessert zu werden, dass seine Beurteilung
als eines Gewohnheitsdelinquenten mit ungehemmter Tendenz zu sozialen
Entgleisungen heute noch zu Recht besteht, dass sein Bestreben, für die
begangenen Taten Dritte verantwortlich zu machen und die Handlungen als
zwangsmässig auszugeben, schon im genannten Gutachten festgestellt und
eingehend gewürdigt worden ist und dass die Bereitschaft desjenigen,
der auf Diebstahl, und vor allem desjenigen, der auf Gelddiebstahl
ausgeht, möglichst viel an Beute an sich zu nehmen, eine durchaus normale
Erscheinung ist, die in keiner Weise auf völlige Unzurechnungsfähigkeit
hinweist.)

    Was sich seit 1953 bis zum vorinstanzlichen Urteil ereignet hat,
lässt somit nicht darauf schliessen, der Zustand des Beschwerdeführers
habe sich inzwischen in einer Weise verändert, dass sich eine neue
sachverständige Untersuchung aufdrängen würde. Das trifft umsoweniger zu,
als die im Jahre 1953 in der Friedmatt sehr gründlich und sorgfältig
geführte Untersuchung ergab, dass der Beschwerdeführer von jeher der
gewesen sei, der er jetzt sei, oder dass er zum mindesten anlagemässig
alle Voraussetzungen zu seiner künftigen Entwicklung in sich getragen und,
abgesehen vom Auftreten der Querulanz und einer gewissen Automatisierung,
auch seit den früheren Begutachtungen sich nicht geändert habe. Dazu
kommt, dass der Beschwerdeführer sich wieder, wie schon früher, durch
Vermögensdelikte vergangen hat, und zwar durch Diebstähle, also durch
diejenige Art von Strafhandlungen, die bereits 1953 hauptsächlichen Anlass
zur Begutachtung gegeben hatte.

    Aus diesen Gründen verstösst das angefochtene Urteil nicht gegen
Art. 13 StGB, wenn das Obergericht eine neue Begutachtung nicht für
erforderlich erachtet hat.