Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 II 73



88 II 73

13. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. März 1961
i.S. Konkursmasse Gautschi gegen Kobel. Regeste

    Fahrniseigentum; Erwerb ohne Besitz (Art. 717 ZGB). Dass eine Umgehung
der Bestimmungen über das Faustpfand beabsichtigt worden sei, kann nur
angenommen werden, wenn diese Absicht bei beiden Parteien, insbesondere
auch beim Erwerber, bestanden hat. Tat- und Rechtsfrage. Verbindlichkeit
der vorinstanzlichenFeststellungen über den innern Tatbestand. Fälle,
in denen die Umstände auf die Umgehungsabsicht schliessen lassen
(Einschränkung von BGE 78 II 212 Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Der Beklagte Hans Kobel führt in Affoltern i.E. eine kleine
Landwirtschaft; seit etwa zehn Jahren betreibt er daneben noch
eine mechanische Werkstätte, in der er occasionsweise aufgekaufte
Holzbearbeitungsmaschinen instandstellt, um sie dann weiterzuverkaufen. Am
15. Februar 1960 teilte ihm Rudolf Steiner, Bern, der ihm schon
wiederholt solche Geschäfte vermittelt hatte, telephonisch mit, er könne
ihm eine Gelegenheit zum Kauf gebrauchter Holzbearbeitungsmaschinen
nachweisen. Der Beklagte traf sich noch am selben Tage mit Rudolf
Steiner und Robert Gautschi, damals Inhaber einer "Fabrik für mobile,
schalldämmende Wände und Türen" in Bern. Kobel und Gautschi einigten sich
unter Mitwirkung Steiners mündlich dahin, dass Kobel von Gautschi alle
neun in dessen Betrieb in Bern stehenden Holzbearbeitungsmaschinen zum
Preise von Fr. 15'000.-- kaufte, sie aber dem Gautschi noch für einige
Zeit mietweise überliess. Kobel leistete Gautschi auf dessen Verlangen
noch am selben Tag eine Anzahlung von Fr. 4'000.--, nachdem er sich beim
Betreibungsamt Bern erkundigt und die Auskunft erhalten hatte, dass die
Maschinen weder gepfändet noch im Eigentumsvorbehaltsregister eingetragen
seien, und nachdem ihm Gautschi durch Vorlegung einer Löschungsbewilligung
dargetan hatte, dass die Maschinen nicht mehr als Zugehör zur Liegenschaft
im Grundbuch angemerkt waren. Da die Kontrahenten den Abschluss eines
schriftlichen Vertrages vorbehalten hatten, begaben sie sich am nächsten
Tag zu Fürsprecher Rindlisbacher in Bern, der nach ihren Angaben einen
Kauf- und separat einen Mietvertrag über die Maschinen redigierte, beide
datiert vom 15. Februar 1960. Als Mietzins wurden Fr. 3'000.-- pro Jahr
vereinbart, zahlbar mit je Fr. 1'500.-- am 30. Juni und 31. Dezember jedes
Jahres. erstmals am 30. Juni 1960 mit Fr. 1'125.--. Bei Nichteinhaltung der
Zahlungstermine sollte der Vertrag nach unbenützter Fristansetzung von 30
Tagen als aufgelöst gelten, und eine Kündigung sollte nur auf Ende eines
Kalenderjahres, erstmals auf den 31. Dezember 1960, unter Einhaltung einer
Kündigungsfrist von sechs Monaten möglich sein. Ferner wurde im Mietvertrag
vereinbart, dass der Mieter die Maschinen jederzeit ohne Einhaltung einer
Kündigungsfrist für Fr. 15'000.-- käuflich erwerben könne, und dass bei
Kündigung durch den Vermieter oder bei sonstiger Auflösung des Vertrages
der Vermieter, wenn der Mieter die Maschinen nicht kaufen wolle oder
könne, über seine Maschinen frei verfügen dürfe. Pflege, Unterhalt und
Versicherung der Maschinen sollten zu Lasten des Mieters gehen, und es
wurde weiter vereinbart, den Vertrag im Eigentumsvorbehaltsregister in
Bern eintragen zu lassen, was dann allerdings unterblieben ist.

    Am 1. März 1960 wurde über die Einzelfirma Robert Gautschi der Konkurs
eröffnet, wovon Kobel durch Steiner am selben Tag Kenntnis erhielt. Kobel
schrieb daher am 2. März 1960 dem Konkursamt Bern, er werde die Maschinen
innert acht Tagen abholen. Er tat dies schon am folgenden Tage, dem
3. März 1960, und verbrachte die Maschinen nach Affoltern i.E., wo er sie
in seiner Werkstätte instandstellte und dann mit Ausnahme einer Bandsäge
weiterverkaufte.

    B.- Am 2. September 1960 reichte die Konkursmasse Robert Gautschi
beim Appellationshof des Kantons Bern gegen Kobel Klage auf Herausgabe
der neun im Rechtsbegehren einzeln aufgeführten Holzbearbeitungsmaschinen
ein; eventuel beantragte sie, den Beklagten zu verpflichten, ihr als
Schadenersatz einen gerichtlich zu bestimmenden Betrag nebst gerichtlich zu
bestimmendem Zins zu bezahlen. Sie machte geltend, der Eigentumsübergang an
den Beklagten sei den Gläubigern des Gautschi gegenüber gemäss Art. 717 ZGB
unwirksam, da die vertragschliessenden Parteien nicht ein Veräusserungs-,
sondern ein Finanzierungsgeschäft beabsichtigt hätten. Es liege eine
Umgehung der Bestimmung über das Faustpfand vor, eventuell sei die
Benachteiligung Dritter beabsichtigt worden, und subeventuell sei ein
Anfechtungstatbestand gemäss Art. 285 ff. SchKG gegeben. - Der Beklagte
bestritt die Anbringen der Klägerin und beantragte Abweisung der Klage.

    C.- Mit Urteil vom 12. Juli 1961 hat der Appellationshof des Kantons
Bern die Klage abgewiesen. Er stellte dabei massgebend auf die Aussagen
des Beklagten und der Zeugen Steiner und Rindlisbacher ab, wogegen die
Aussagen des Gautschi als wenig verlässlich unbeachtet blieben, und er
hielt daher für erwiesen, dass der Beklagte sich in reiner Kaufabsicht
in das Geschäft mit Gautschi eingelassen habe, woran auch nichts ändere,
dass der Beklagte sich durch Gautschi zum Abschluss eines Mietvertrages
verbunden mit einem Rückkaufsrecht habe bewegen lassen. Die Umstände,

    -  dass der Beklagte schon längere Zeit eine mechanische
Werkstätte betreibe, wo er Holzbearbeitungsmaschinen revidiere, um sie
weiterzuverkaufen,

    - dass er wegen Geldknappheit von Gautschi vorerst nur eine oder zwei
Maschinen habe erwerben wollen,

    - dass er für den Kauf des ganzen Maschinenparks Geld habe aufnehmen
müssen, und

    - dass er den Kaufpreis schliesslich in Raten bezahlt habe,

    sprächen entschieden dagegen, dass es dem Beklagten darum gegangen
wäre, Gautschi gegen Sicherstellung ein Darlehen zu gewähren. Eine Umgehung
der Bestimmung über das Faustpfand liege daher nicht vor. Hinsichtlich des
Kaufpreises teilte der Appellationshof die Auffassung des gerichtlichen
Experten, dass der Betrag von Fr. 15'000.-- angemessen gewesen sei,
und er gelangte daher zum Schluss, dass eine Benachteiligung Dritter
ebenfalls nicht beabsichtigt worden sei. Daraus, wurde weiter ausgeführt,
dass der Beklagte die Maschinen am 3. März 1960 abholte, könne ihm kein
Vorwurf gemacht werden, nachdem der Zeuge Ammann nicht habe ausschliessen
können, dem Beklagten bekanntgegeben zu haben, dass er ihm einen Zins
entrichten müsse, wenn die Maschinen über den 1. März 1960 hinaus in seiner
Liegenschaft an der Murtenstrasse in Bern belassen würden. Weiter stellte
der Appellationshof fest, die Voraussetzungen zur Anwendung von Art. 285
ff. SchKG seien nicht gegeben, da die umstrittenen Rechtsgeschäfte weder
ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung aufwiesen, noch
eine Sicherung bereits bestehender Verbindlichkeiten darstellten.

    D.- Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung erklärt.

Auszug aus den Erwägungen:

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Bleibt eine Sache infolge eines besonderen Rechtsverhältnisses
beim Veräusserer, so ist der Eigentumsübergang gemäss Art. 717 Abs. 1
ZGB Dritten gegenüber unwirksam, wenn damit ihre Benachteilung oder
eine Umgehung der Bestimmung über das Faustpfand beabsichtigt worden
ist. Der Richter entscheidet hierüber gemäss Art. 717 Abs. 2 ZGB nach
seinem Ermessen.

    Die Berufungsklägerin behauptet eine Verletzung des Art. 717 ZGB durch
die Vorinstanz dadurch, dass diese die Absicht der vertragschliessenden
Parteien verneinte, durch ein Besitzeskonstitut die Bestimmung über
das Faustpfand (Art. 884 ZGB) zu umgehen. Der Eigentumsübergang wird
jedoch nach dem Gesetz gegenüber Dritten nur dann unwirksam, wenn die
Absicht der Gesetzesumgehung bei beiden Parteien, insbesondere aber
beim Erwerber vorgelegen hat (vgl. OFTINGER, N. 228 zu Art. 884 ZGB;
SCHERRER, N. 60 zu Art. 717 ZGB). Sie kann, wenn es in dieser Hinsicht
an bestimmten Äusserungen der Vertragschliessenden fehlt, nach Art. 717
Abs. 2 ZGB auch aus den Umständen geschlossen werden (BGE 78 II 211). Dabei
handelt es sich um eine Rechtsfrage, die vom Bundesgericht frei überprüft
werden kann; dieses ist jedoch an die tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz, auf Grund welcher sie auf das Bestehen oder Nichtbestehen
einer Umgehungsabsicht geschlossen hat, gebunden. Eine frei überprüfbare
Rechtsfrage liegt nur insoweit vor, als zu entscheiden ist, ob die
Vorinstanz den Rechtsbegriff der Umgehungsabsicht auf den von ihr
festgestellten Tatbestand richtig angewandt habe, wobei das Bundesgericht
auch an die kantonalen Feststellungen über den sogenannten inneren
Tatbestand gebunden ist (vgl. BGE 85 II 100; 84 II 245 mit Hinweisen;
BIRCHMEIER, Handbuch S. 101 ff.).

    Die Vorinstanz hat in Würdigung der Aussagen des Beklagten im
Parteiverhör und Steiners und Rindlisbachers im Zeugenverhör festgestellt,
dass sich der Beklagte in reiner Kaufsabsicht in das Geschäft mit Gautschi
eingelassen habe, dass es ihm allein um den Erwerb der Maschinen zu tun
gewesen sei und dass er nicht beabsichtigt habe, Gautschi ein Darlehen
zu gewähren und sich zu dessen Sicherung die Maschinen übereignen zu
lassen. Diese den inneren Tatbestand beschlagenden Feststellungen sind für
das Bundesgericht gemäss Art. 63 Abs. 2 OG verbindlich. Es bleibt deshalb
gar kein Raum für Überlegungen, wie sie in BGE 78 II 207 ff. darüber
angestellt worden sind, unter welchen Umständen anzunehmen sei, dass
bei einer ohne Übergabe der Sache vollzogenen Eigentumsübertragung die
Umgehung der Bestimmung über das Faustpfand beabsichtigt worden sei;
denn wenn wie hier dem angefochtenen Urteil zu entnehmen ist, dass
die Vorinstanz den wirklichen Willen der Kontrahenten auf Grund der
Beweiserhebungen festzustellen in der Lage war, so braucht dieser Wille
nicht mehr "aus den Umständen erschlossen" zu werden. Tritt aber die
Unwirksamkeit der ohne Sachübergabe erfolgten Eigentumsübertragung gemäss
Art. 717 ZGB u.a. dann ein, wenn eine Umgehung der Bestimmungen über das
Faustpfand beabsichtig war, was nach dem Gesagten hier mindestens in der
Person des Berufungsbeklagten nicht zutraf, so hat die Vorinstanz mit
der Abweisung der Klage, soweit es sich um die Frage der Umgehung von
Art. 884 ff. ZGB handelte, nicht Bundesrecht verletzt. Schon deswegen
erweist sich die Berufung insoweit als unbegründet. Ob Gautschis
Absicht nur dahin gegangen sei, sich ein Darlehen zu verschaffen und
die Maschinen nur zu Sicherungszwecken zu verkaufen, ist, da in der
Person des Berufungsbeklagten von reiner Kaufsabsicht auszugehen ist,
unerheblich. Zudem hat Gautschi nach den verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz eine solche Absicht, falls sie bei ihm bestanden haben sollte,
weder gegenüber dem Berufungsbeklagten noch gegenüber den Zeugen Steiner
und Rindlisbacher zu erkennen gegeben.

Erwägung 2

    2.- Aber auch von der Verbindlichkeit des von der kantonalen Instanz
festgestellten inneren Tatbestandes ganz abgesehen, erweisen sich die
Argumente der Berufungsklägerin an sich nicht als stichhaltig. Zunächst
scheinen freilich die Ausführungen in BGE 78 II 211 ff. für den Standpunkt
der Berufungsklägerin zu sprechen. Es wurden dort, ohne dass in concreto
einer dieser Fälle vorgelegen hätte, verschiedene Hypothesen angeführt,
bei deren Erfüllung ein Umgehungsgeschäft im Sinne von Art. 717 ZGB
zweifellos anzunehmen sei, so allgemein dann,

    -  wenn die Beteiligten bei Eigentumsübertragung ohne Sachübergabe
den Eigentumsübergang zwar ernstlich gewollt haben, der dabei verfolgte
wirtschaftliche Zweck aber die Sicherstellung einer Forderung des Erwerbers
war, dem Käufer also an der Kaufsache nichts gelegen war, sondern er sie
nur zur Deckung für den als Kaufpreis bezahlten Betrag bis zu einer von den
Parteien in Aussicht genommenen Rückerstattung desselben haben wollte und
der Kauf somit nicht dem ihm eigenen Zweck des Güteraustausches diente,
sondern die wirtschaftliche Wirkung einer Darlehensgewährung gegen
Sicherung durch ein Faustpfand ohne Sachübergabe herbeiführen sollte,

    und insbesondere dann,

    -  wenn die Sache dem Verkäufer auf Grund eines Mietvertrages für
bestimmte Zeit überlassen und zugleich abgemacht wird, dass der Verkäufer
die Kaufsache am Ende der Mietdauer gegen Rückerstattung des Kaufpreises
zurückerwerbe, oder

    - wenn die Miete für unbestimmte Zeit (unter Vereinbarung eines
periodischen Mietzinses) abgeschlossen und dem Verkäufer ebenfalls
zeitlich unbeschränkt das Recht zum Rückkauf und dem Käufer das Recht
zur Rückveräusserung der Sache gegen den dafür bezahlten Preis eingeräumt
wird, oder

    - wenn bei auf unbestimmte Zeit abgeschlossener Miete wenigstens
dem Verkäufer das unbefristete Recht vorbehalten wird, zu verlangen,
dass der Kauf rückgängig gemacht werde, oder

    - wenn Miete und Rückkaufsrecht des Verkäufers zwar nicht unbefristet,
aber für lange Dauer vereinbart wurden.

    Selbst wenn aber eine dieser Hypothesen vollumfänglich erfüllt ist,
darf ein Umgehungsgeschäft im Sinne von Art. 717 ZGB nur angenommen werden,
wenn nicht die gesamten übrigen Umstände dagegen sprechen (Art. 717 Abs. 2
ZGB). (Da letzteres im vorliegenden Falle zutraf, wurde das angefochtene
Urteil bestätigt.)