Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 II 54



88 II 54

8. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Januar 1962
i.S. Interessengemeinschaft schweizerischer Modell-Mass-Detaillisten
und Ernst Dick A. G. gegen Schweizerischen Arbeitgeberverband für das
Schneidergewerbe und Streitgenossen. Regeste

    Art. 1 Abs.2lit. b UWG. Es ist irreführend, bei der Anpreisung
industriemässig hergestellter Herrenkleider von "Modell-Mass" zu schreiben.

Sachverhalt

    Die der Interessengemeinschaft schweizerischer Modell-Mass-Detaillisten
angehörenden Kleiderhändler nehmen Bestellungen auf Herrenkleider auf. Der
Besteller muss sich kurz das Mass nehmen lassen und hierauf einen seiner
Grösse entsprechenden Modellanzug probieren, wobei an diesem abgesteckt
wird, inwiefern die Gestalt des Bestellers vom Modell abweicht. Die
Abweichungen, der Schnitt, die Sonderwünsche des Bestellers und der
gewählte Stoff werden notiert. Das Kleid wird nach diesen Angaben unter
Verwendung von Schablonen im Taktbandsystem in der Fabrik der Modema AG
hergestellt. Der Besteller probiert es erst anlässlich der Übergabe. Die
Kunden werden durch Inserate und Druckschriften unter Verwendung des
Schlagwortes "Modell-Mass" geworben. Anfänglich erfolgte die Werbung durch
die Ernst Dick AG Später ging sie auf die erwähnte Interessengemeinschaft
über.

    Der Schweizerische Arbeitgeberverband für das Schneidergewerbe und acht
diesem Zweige angehörende Firmen klagten gegen die Interessengemeinschaft
schweizerischer Modell-Mass-Detaillisten und die Ernst Dick AG Sie
beantragten, den Beklagten zu untersagen, die Bezeichnung "Modell-Mass" im
geschäftlichen Verkehr zur Anpreisung und Kennzeichnung von Herrenkleidern
zu verwenden, die konfektionsmässig in einer Kleiderfabrik angefertigt
werden. Das Handelsgericht des Kantons Bern hiess die Klage gut. Die
Beklagten erklärten die Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Kläger und das Handelsgericht werfen den Beklagten vor,
durch ihre von "Modell-Mass" sprechenden Inserate und Druckschriften im
wirtschaftlichen Wettbewerb gegen Treu und Glauben verstossen zu haben,
und zwar im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. b UWG.

    Nach dieser Bestimmung widerspricht es Treu und Glauben, über sich,
die eigenen Waren, Werke, Leistungen oder Geschäftsverhältnisse unrichtige
oder irreführende Angaben zu machen oder in entsprechender Weise Dritte
im Wettbewerb zu begünstigen. Unlauter verhält sich demnach nicht nur, wer
unrichtige, sondern auch schon, wer irreführende Angaben macht, d.h. sich
so äussert, dass im umworbenen Publikum über den Geschäftsinhaber. dessen
Waren usw. falsche Vorstellungen aufkommen können (vgl. BGE 69 II
204). Nicht alle als Kunden in Betracht kommenden Leute brauchen dieser
Gefahr ausgesetzt zu sein. Es genügt, wenn bei durchschnittlicher
Aufmerksamkeit, wie sie im betreffenden Kreise üblich ist, ein nicht
ganz unerheblicher Teil des Publikums irregeführt werden kann. Ob das
zutrifft, hängt nicht davon ab, wie der aufmerksame, misstrauische und
überlegende Leser die Angaben versteht. Geschäftliche Ankündigungen
werden oft nur oberflächlich, leichtgläubig und ohne lange Überlegung
zur Kenntnis genommen. Das Publikum kennt die Hintergründe der Reklame
zu wenig und nimmt Worte leicht als bare Münze. Der Richter muss sich in
die Denkart des umworbenen Kunden einfühlen.

Erwägung 2

    2.- Die Beklagten stehen auf dem Standpunkt, das Wort "Mass" als
Bestandteil einer Bezeichnung für ein Herrenkleid oder für die Art seiner
Anfertigung deute nur darauf hin, dass das Kleid nach den individuellen
Massen des Bestellers zugeschnitten werde. Die im Betriebe der Modema
AG hergestellten und von den Mitgliedern der Interessengemeinschaft
schweizerischer Modell-Mass-Detaillisten vertriebenen Kleider erfüllten
diese Voraussetzung. Daher sei es nicht irreführend, dass die Beklagten in
Verbindung mit der Anpreisung dieser Kleider die Bezeichnung "Modell-Mass"
verwendeten.

    Dem ist nicht beizupflichten. Wie das Handelsgericht verbindlich
feststellt, haben sich Bezeichnungen wie "Mass-Kleid", "Massarbeit",
"nach Mass", "Massanfertigung" für das individuell angemessene und
handwerklich verfertigte Herrenkleid eingebürgert. Sie weisen also
nicht nur auf das Zuschneiden nach den Körpermassen des Bestellers
hin, sondern auch auf die handwerkliche Anfertigung des Kleides. Wer
bei der Anpreisung von Herrenkleidern von "Modell-Mass" schreibt,
betont daher nicht nur den individuellen Zuschnitt, sondern erweckt
beim Durchschnittsleser auch den Eindruck, das Kleid werde handwerklich
angefertigt, wie es die Masschneider zu tun pflegen. Die Kleider, auf die
sich die zu beurteilende Reklame der Beklagten bezog, werden nun aber nach
verbindlicher Feststellung des Handelsgerichtes nicht handwerklich, sondern
unter Verwendung von Schablonen und im Taktbandsystem industriemässig
hergestellt. Insofern unterscheiden sie sich also nicht von jener Ware,
die man als Konfektionsanzüge zu bezeichnen pflegt. Das Handelsgericht
sieht denn auch im Betrieb der Modema AG eine Konfektionsfabrik. Auf den
Versuch der Beklagten, die konfektionsmässige Herstellung der Kleider
zu widerlegen, kann angesichts der erwähnten verbindlichen Feststellung
nicht eingetreten werden. Den Beklagten ist nur insofern beizupflichten,
als die Fabrikation nicht "nach genormten Grössen", sondern auf Grund
der individuellen Angaben über das Körpermass und die Wünsche des
Bestellers erfolgt. Das könnte z.B. durch die Bezeichnung "Mass-Konfektion"
ausgedrückt werden, wie sie denn auch für Kleider, die nach individuellem
Schnitt und Wunsch, aber industriemässig hergestellt werden, üblich
ist. Die Beklagten können auch "Modell-Mass-Konfektion" sagen, wenn sie
mit dem vom Standpunkt des Kunden aus nebensächlichen Umstand, dass die
Grösse und Form seines Körpers mit Hilfe eines Modellanzuges ermittelt
werden, Reklame machen wollen. Zulässig ist auch "Modell-Konfektion",
ein Wort, das die Ernst Dick AG in einem Inserat vom 26. März 1954
verwendet hat (Klagebeilage 30). Die blosse Bezeichnung "Modell-Mass"
dagegen ist irreführend, einmal positiv, weil das Wort "Mass" ohne einen
auf die Fabrikationsart hinweisenden Zusatz den Eindruck handwerklicher
Anfertigung erweckt, und sodann negativ, weil die Weglassung des Wortes
"Konfektion" oder eines ähnlichen Zusatzes die industriemässige Ausführung
der Bestellung verschweigt. Diese Art der Ausführung zu kennen, ist für
den Besteller meistens wesentlich. Es widerspricht Treu und Glauben, bei
ihm den Eindruck zu erwecken, er erhalte ein handwerklich hergestelltes
Kleid. Dass dem einen oder anderen die Herstellungsart gleichgültig sein
mag, ändert nichts.