Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 II 422



88 II 422

60. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Oktober 1962
i.S. Sieber gegen Konkursmasse Haldi und Amtsersparniskasse Burgdorf.
Regeste

    Blankettmissbrauch.

    Der Aussteller eines Blanketts kann dem gutgläubigen Dritten
gegenüber nicht geltend machen, die über die Blanko-Unterschrift gesetzte
Schuldanerkennung sei gefälscht.

Auszug aus den Erwägungen:

    Der Beklagte Sieber ist Eigentümer einer Liegenschaft in Zürich-Höngg.
Durch öffentlich beurkundeten Vertrag vom 20. April 1954 wurde auf dieser
Liegenschaft eine Grundpfandverschreibung für den Betrag von Fr. 70'000.--
zugunsten eines Fritz Pfister errichtet, dem Sieber nach dem Wortlaut
des Pfandbestellungsvertrages aus Darlehen den Betrag von Fr. 70'000.--
schuldete. Bei der Errichtung dieser öffentlichen Urkunde wirkte als
Vertreter des Schuldners und Pfandeigentümers Sieber der Fürsprecher und
Notar Berger, damaliger Mitarbeiter des Notars Haldi in Burgdorf, mit.

    Mit schriftlicher Erklärung vom 11. Februar 1955 trat Pfister die oben
genannte Darlehensforderung von Fr. 70'000.-- mit allen Nebenrechten an
den Notar Haldi ab. Dieser nahm bei der Amtsersparniskasse Burgdorf am 10.
Februar 1955 ein Darlehen von Fr. 42'000.-- auf. Zu dessen Sicherstellung
übergab er der Bank gemäss Faustpfandvertrag vom 16. Februar 1955 die
erwähnte Grundpfandverschreibung.

    Am 20. November 1957 wurde über Notar Haldi der Konkurs
eröffnet. Unter den Aktiven der Konkursmasse figurierte u.a. auch
die durch Grundpfandverschreibung gesicherte Darlehensforderung von
Fr. 70'000.-- gegen Sieber. Die Konkursmasse kündigte dem Pfandeigentümer
Sieber diese Schuld mit der Bemerkung, da die Grundpfandverschreibung
der Amtsersparniskasse Burgdorf verpfändet sei, habe der Schuldner das
Kapital und die rückständigen Zinsen an diese zu entrichten.

    Da Sieber dieser Aufforderung nicht nachkam, leiteten die Konkursmasse
Haldi und die Amtsersparniskasse Burgdorf am 17. April 1959 gemeinsam
gegen ihn Betreibung auf Grundpfandverwertung für die pfandgesicherte
Forderung von Fr. 70'000.-- ein.

    Sieber erhob Rechtsvorschlag, wobei er jedoch das Pfandrecht nicht
bestritt.

    Die Konkursmasse Haldi und die Amtsersparniskasse Burgdorf erhoben
gegen Sieber Klage auf Bezahlung von Fr. 41'615.90 an die Bank und von
rund Fr. 14'500. - an die Konkursmasse.

    Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage. Er machte geltend, eine
Darlehensforderung Pfisters gegen ihn bestehe in Wirklichkeit nicht. Die
Grundpfandbestellung sei ohne sein Wissen und Willen durch Haldi unter
Missbrauch einer Blanko-Unterschrift vorgenommen worden. Bezirksgericht
und Obergericht Zürich schützten die Klage.

    Auf Berufung des Beklagten hin führt das Bundesgericht zu der Klage
der Amtsersparniskasse aus:

Erwägung 1

    1.- Die Klage der Ersparniskasse auf Bezahlung von Fr. 41'615.90
nebst Zins und Zuerkennung des Rechts zur Fortsetzung des
Pfandverwertungsverfahrens für sie stützt sich darauf, dass die Bank von
Haldi am 16. Februar 1955 zur Sicherung eines Darlehens von Fr. 42'000.--
die Grundpfandverschreibung als Faustpfand erhalten habe. Der heutige
Betrag der Darlehensforderung der Bank gegenüber Haldi, ihre Kündigung
usw. sind nicht streitig. Dagegen bildet Prozessgegenstand auch hier die
Frage der Rechtsgültigkeit der Grundpfandverschreibung.

    Die Vorinstanz ist der Auffasung, die Ansprüche der Bank auch
bezüglich des Pfandrechts seien von der Gültigkeit der Schuldanerkennung
und Grundpfandverschreibung vom 20. April 1954 und der Abtretung Pfisters
an Haldi vom 11. Februar 1955 unabhängig; eine allfällige Ungültigkeit
der Grundpfandverschreibung erachtet die Vorinstanz als belanglos, weil
die Bank sich auf den Schutz ihres guten Glaubens berufen könne. Sie
geht davon aus, es sei nach Art. 3 Abs. 1 ZGB zu vermuten, dass die Bank
die streitige Forderung und Grundpfandverschreibung im Vertrauen auf
das schriftliche Schuldbekenntnis des Beklagten zu Pfand erworben habe;
Umstände im Sinne von Art. 3 Abs 2 ZGB, mit Rücksicht auf die sie bei
diesem Erwerb nicht hätte gutgläubig sein dürfen, würden weder behauptet,
noch seien solche aus den Akten ersichtlich. Die Bank sei daher in ihrem
Erwerb gestützt auf Art. 18 Abs. 2 OR und Art. 973 ZGB zu schützen.

Erwägung 2

    2.- a) Der Hinweis der Vorinstanz auf Art. 973 ZGB geht jedoch
fehl, wie der Beklagte mit der Berufung zutreffend geltend macht. Denn
nach feststehender Lehre und Rechtsprechung erstreckt sich bei
der Grundpfandverschreibung der durch Art. 973 ZGB dem Grundbuch
verliehene öffentliche Glaube nur auf das Pfandrecht, während die ihr
zugrunde liegende Forderung (im Gegensatz zu Schuldbrief und Gült)
den Publizitätsschutz nicht geniesst. Der Bestand des Pfandrechts
ist vielmehr wegen seiner akzessorischen Natur von der Gültigkeit der
Forderung abhängig, welche sie sicherstellen soll. Daher kann nicht nur
der Schuldner gegenüber dem persönlichen Anspruch der Schuldklage, sondern
auch der Pfandeigentümer gegenüber dem dinglichen Anspruch alle an sich
zulässigen Einwendungen gegen die persönliche Forderung erheben, und zwar
nicht nur gegenüber dem ursprünglichen Gläubiger, sondern grundsätzlich
auch gegenüber dem gutgläubigen Erwerber der Forderung (BGE 56 II 176
f.; LEEMANN, ZGB Art. 824 N. 3; HOMBERGER, Sachenrecht, ZGB Art. 973
N. 26). Die Grundpfandverschreibung untersteht deshalb, wie der Beklagte
zutreffend ausführt, bezüglich ihrer Übertragung den Vorschriften über
die Forderungsabtretung, insbesondere auch dem Art. 169 OR.

    b) Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lässt sich der Anspruch
der Bank auch nicht unmittelbar aus Art. 18 Abs. 2 OR herleiten, da die
genannte Bestimmung sich ausschliesslich auf den gutgläubigen Erwerb
einer simulierten Forderung bezieht, während im vorliegenden Falle die
Frage dahin geht, ob die Bank sich trotz ihrem guten Glauben bei der
Entgegennahme des Faustpfandes den Einwand entgegenhalten lassen müsse, die
Forderung sei ohne Wissen und Willen des Schuldners und Pfandeigentümers
unter Missbrauch einer Blanko-Unterschrift errichtet worden.

    c) Der Beklagte glaubt, diese Frage sei zu bejahen, weil der Erwerber
einer Forderung in seinem guten Glauben hinsichtlich der Gültigkeit
der Forderung im allgemeinen nicht geschützt sei. Das trifft an sich
zu. Der Erwerber einer Forderung, der sich diese im Vertrauen auf eine
schriftliche Schuldanerkennung hat abtreten lassen, kann sich daher nicht
auf seinen guten Glauben berufen, wenn sich nachher herausstellt, dass das
Schuldbekenntnis in allen Teilen gefälscht war und der angebliche Schuldner
dem darin genannten Gläubiger in Wirklichkeit nichts schuldete. In einem
solchen Falle gilt - ohne Rücksicht auf den guten Glauben des Zessionars
- der Satz, dass niemand mehr Rechte übertragen kann, als er selber hat
(VON TUHR/SIEGWART OR II § 96 Ziff. V. S. 811 f.).

    Der Beklagte übersieht jedoch, dass es sich im vorliegenden Falle
nicht um einen Tatbestand handelt, der sich ohne weiteres der oben
genannten Regel des Abtretungsrechtes unterstellen liesse. Denn der
Beklagte behauptet nicht, dass die streitige Schuldanerkennung in allen
Teilen, einschliesslich der Unterschrift, eine Fälschung darstelle und
er am Zustandekommen der Schuldurkunde in gar keiner Weise beteiligt
gewesen sei. Er anerkennt vielmehr, dass die Unterschrift tatsächlich von
ihm stammt, und macht lediglich geltend, der Notar Haldi habe über die
ihm zu anderen Zwecken zur Verfügung gestellte Blankounterschrift eine
gefälschte Schuldanerkennung gesetzt. Die entscheidende Frage geht somit
dahin, ob der oben dargelegte Grundsatz des Abtretungsrechtes auch für
das unter Missbrauch eines Blanketts erstellte Schuldbekenntnis Geltung
beanspruchen könne.

    d) Rechtslehre und Rechtsprechung nehmen bei der Behandlung
des Abtretungsrechts zu der Frage des Blankettmissbrauchs nirgends
Stellung, sondern sie befassen sich mit ihr lediglich im Zusammenhang
mit der Willenserklärung. So wurde in BGE 35 II 440 Erw. 2 entschieden,
der durch Missbrauch eines Blanketts geschädigte Dritte könne den
Aussteller desselben nicht aus unerlaubter Handlung haftbar machen,
weil das Blankett noch keine vollständige Willenserklärung darstelle;
dass es an sich geeignet sei, von einem Dritten in missbräuchlicher Weise
zu einer Geschäftserklärung gestaltet zu werden, rechtfertige noch nicht,
in der Blankettausstellung die Schaffung eines Zustandes zu erblicken,
welcher erkennbar die Gefahr der Schädigung Anderer in sich berge und
darum nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen den Urheber dieses Zustandes
verpflichte, das zur Abwendung der Gefahr Erforderliche vorzukehren.

    In der Rechtslehre wird demgegenüber die Auffassung vertreten,
die weisungswidrige Ausfüllung des Blanketts durch den befugten
Blankettempfänger begründe zwar eine Einrede zugunsten des Ausstellers,
die jedoch dem gutgläubigen Dritten nicht entgegengehalten werden könne;
dagegen komme möglicherweise eine Anfechtung wegen Irrtums in Frage,
unter Verpflichtung des Anfechtenden zu Schadenersatz nach Art. 26 OR
(BECKER OR 2. Aufl. Art. 1 N. 21).

    Auf dem gleichen Boden steht auch die deutsche Rechtslehre, indem sie
gegenüber einem Blankett, dessen Ausfüllung dem Willen des Ausstellers
nicht entspricht, die Anfechtung wegen Irrtums als zulässig erachtet
(ENNECCERUS/NIPPERDEY, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl.,
1960, Bd. 2 S. 962 lit. c, S. 1034 Ziff. 1). Auch VON TUHR/SIEGWART (OR
II S. 152) bezeichnet dies als die herrschende Meinung. Wie er jedoch
(aaO Note 32) mit Recht bemerkt, beruht die verabredungswidrige Ausfüllung
eines Blanketts nicht auf einem Irrtum des Ausstellers, da er ja von dem
Inhalt der Erklärung, die der Ausfüllende über seine Unterschrift gesetzt
hat, gar keine Vorstellung haben kann. Es liegt vielmehr ein Missbrauch des
Vertrauens des Ausstellers durch den Ausfüllenden vor. Für eine Anfechtung
wegen Irrtums ist daher kein Raum. Zudem hätte bei der Zulassung einer
solchen der gutgläubige Erwerber den Schaden zu tragen, soweit es ihm nicht
gelingt, diesen durch den Nachweis eines Verschuldens nach Art. 26 OR auf
den Aussteller des Blanketts abzuwälzen. Die Billigkeit gebietet jedoch,
in erster Linie den Aussteller das Risiko des Blankettmissbrauchs tragen zu
lassen und ihn auf einen Schadenersatzanspruch gegen den Ausfüllenden zu
verweisen (VON TUHR/SIEGWART OR II S. 152 Note 32). Durch die Ausstellung
des Blanketts hat er die Möglichkeit des Missbrauchs erst geschaffen und
damit den Rechtsschein veranlasst, dass der von seinem Vertrauensmann
weisungswidrig über die Blanko-Unterschrift gesetzte Text der Urkunde
seinem Willen entspreche. Er muss sich daher nach den Grundsätzen
von Treu und Glauben im Verkehr gegenüber einem gutgläubigen Dritten
so behandeln lassen, als ob der so erweckte Rechtsschein der wahren
Sachlage entspreche. An der gegenteiligen Auffassung, die dem BGE 35 II
440 zugrunde liegt, kann daher nicht festgehalten werden. Es verhält sich
hier nicht anders als bei der Vollmacht, wo gemäss Art. 33 Abs. 3 OR der
Vollmachtgeber, der eine Vollmacht einem Dritten mitgeteilt hat, auch
nicht geltend machen kann, die dem Bevollmächtigten erteilte Vollmacht
reiche weniger weit als die dem Dritten kundgegebene.

    Mit Rücksicht auf diese Ähnlichkeit mit der Vollmacht wird denn auch in
der deutschen Rechtslehre die Ansicht vertreten, es lasse sich auf dem Wege
der Rechtsanalogie der allgemeine Grundsatz aufstellen, dass derjenige,
der den Rechtsschein einer Vollmacht oder Ermächtigung veranlasst hat, sich
gegenüber gutgläubigen Dritten nach Treu und Glauben so behandeln lassen
müsse, als ob er tatsächlich eine Vollmacht oder Ermächtigung erteilt habe
(ENNECCERUS/NIPPERDEY, op.cit. S. 1133 lit. c). Ebenso wird anerkannt, dass
im Falle des Blankettmissbrauchs die grundsätzlich zulässige Anfechtung
wegen Irrtums unter Umständen auf Grund des verursachten Rechtsscheins
einer gültigen Erklärung ausgeschlossen sein könne (ENNECCERUS/NIPPERDEY
op.cit. S. 1034 Fussnote 4; RGZ 105 S. 184, 138 S. 269).

    Auch die Vorschriften über die Simulation weisen in der gleichen
Richtung, obwohl sie entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht
unmittelbar auf den Fall des Blankettmissbrauchs zutreffen. Art. 18
Abs. 2 OR versagt dem Schuldner im Verhältnis gegenüber einem gutgläubigen
Dritten die Einrede der Simulation, weil er zu der letzteren Hand geboten
und damit den Rechtsschein einer gültigen Forderung erweckt hat. Da der
Blankettaussteller, wenn auch ohne den Willen dazu zu haben, ebenfalls zur
Erweckung eines solchen Rechtsscheines beiträgt, rechtfertigt es sich,
auch ihn in einer den Regeln über die Simulation entsprechenden Weise
für die Folgen seines Verhaltens einstehen zu lassen.

    Dass die Vorschriften über die Abtretung die Einrede des
Blankettmissbrauchs nicht ausdrücklich ausschliessen, steht dieser durch
den Vertrauensschutz und die Interessen der Verkehrssicherheit gebotenen
Lösung nicht entgegen. Auch der Ausschluss der Einrede der Simulation
wird im Abtretungsrecht nicht besonders erwähnt, sondern er ergibt
sich lediglich aus Art. 18 Abs. 2 OR. Die analoge Anwendung des dieser
Bestimmung zugrunde liegenden Gedankens des Vertrauensschutzes auf den
Fall des Blankettmissbrauchs muss daher ebenfalls zulässig sein.

Erwägung 3

    3.- Für den Anspruch der Bank ist es somit unerheblich, ob der vom
Beklagten behauptete Missbrauch einer Blanko-Unterschrift durch Haldi
tatsächlich vorgelegen habe. Selbst wenn es sich so verhalten sollte,
wäre nach den oben gemachten Darlegungen dem Beklagten die Berufung darauf
gegenüber der Bank mit Rücksicht auf ihren guten Glauben versagt.