Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 II 293



88 II 293

40. Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. September 1962 i.S. Merkur
Liegenschaften AG Frauenfeld gegen Merkur Immobilien AG Regeste

    Art. 951 Abs.2'956 Abs.2OR. Voraussetzungen der Klage auf Unterlassung
der weiteren Führung einer Firma; Anforderungen an die Unterscheidungskraft
der Firma einer Aktiengesellschaft.

Sachverhalt

    A.- Die seit 1947 im Handelsregister stehende "Merkur Immobilien AG" in
Zürich bezweckt "die Erwerbung, Überbauung, Verwaltung und Verwertung von
Liegenschaften, die Vermittlung des An- und Verkaufes von Liegenschaften
und die Tätigung aller Geschäfte, die dem Gesellschaftszwecke förderlich
sind und diesen berühren".

    Am 18. Juli 1955 liess sich die "Merkur-Immobilien AG Frauenfeld"
mit Sitz in Frauenfeld in das Handelsregister eintragen. Sie bezweckt "die
Erstellung von Mehrfamilienhäusern und Hochbauten sowie deren Vermietung,
Verwaltung und Verkauf".

    Am 23. Juli 1955 und am 9. Februar 1959 beanstandete die Merkur
Immobilien AG die Firma der andern Gesellschaft. Beide Male wendete
die Merkur-Immobilien AG Frauenfeld ein, ihre geschäftliche Tätigkeit
beschränke sich auf die Erstellung eines einzigen Hauses. Die Merkur
Immobilien AG liess sich dadurch beschwichtigen und erklärte jeweilen, sie
dulde vorläufig die Weiterführung der unveränderten Firma, wenn diese in
den Briefköpfen ungekürzt verwendet werde. In einem Schreiben vom 5. März
1959 fügte sie bei, sie werde auf die Angelegenheit zurückkommen, wenn
der von der Merkur-Immobilien AG Frauenfeld geplante Neubau in Frauenfeld
vollendet sein werde.

    Da die Merkur-Immobilien AG Frauenfeld im Jahre 1960 eine weitere
Liegenschaft zu überbauen begann, forderte die Merkur Immobilien AG
sie am 9. Juni 1961 erneut auf, ihre Firma zu ändern, und liess sie auf
14. Juli 1961 zu einem Vermittlungsvorstand vorladen. Die in Frauenfeld
niedergelassene Gesellschaft änderte hierauf am 31. Juli 1961 ihre Firma in
"Merkur Liegenschaften AG Frauenfeld" ab.

    B.- Nach einem weiteren erfolglosen Vermittlungsvorstand klagte die
Merkur Immobilien AG im September 1961 gegen die Merkur Liegenschaften
AG Frauenfeld mit dem Begehren, es sei der Beklagten zu verbieten, diese
Firma zu führen.

    Die Klägerin unterlag vor dem Bezirksgericht Frauenfeld, zog jedoch
die Sache an das Obergericht des Kantons Thurgau weiter. Dieses hiess am
10. Mai 1962 die Klage gut.

    C.- Die Beklagte hat die Berufung erklärt. Sie beantragt dem
Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Klage
abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Firma der Aktiengesellschaft muss sich von jeder in der Schweiz
bereits eingetragenen Firma deutlich unterscheiden (Art. 951 Abs. 2 OR).
Trifft das nicht zu, so liegt in ihrer Eintragung in das Handelsregister
und in ihrer Verwendung ein "unbefugter Gebrauch" der früher eingetragenen
Firma. Er berechtigt deren Inhaber, auf Unterlassung der weiteren Führung
der Firma zu klagen (Art. 956 Abs. 2 OR), und zwar auf Unterlassung in
der ganzen Schweiz.

    Diese Klage setzt nur den Nachweis des unbefugten Gebrauchs der
Firma voraus. Dass dieser zu Verwechslungen geführt habe, braucht nicht
dargetan zu werden. Es genügt, wenn die Übereinstimmung oder Ähnlichkeit
zweier Firmen die Möglichkeit von Verwechslungen in die Nähe rückt (BGE
74 II 237, 80 II 145, 82 II 154, 88 II 35) oder auch nur die Vermutung
aufkommen lassen kann, die beiden Geschäftsinhaber ständen zueinander in
rechtlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen (BGE 59 II 163).

    Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, beurteilt sich nach der
Aufmerksamkeit, die in jenen Kreisen üblich ist, mit denen die beiden
Inhaber geschäftlich zu verkehren pflegen (BGE 59 II 158, 73 II 113, 74
II 237 f., 77 II 324, 82 II 154). Wenn diese Kreise ganz oder teilweise
die gleichen sind, müssen die beiden Firmen sich deutlicher voneinander
unterscheiden, als wenn die beiden Geschäftsinhaber, sei es in sachlicher,
sei es in örtlicher Hinsicht, einander nicht ins Gehege kommen. Wer
die Firma wählt, hat besonders darauf zu achten, dass sie nicht mit den
Firmen jener Unternehmer verwechselt werden kann, die am gleichen Orte
geschäftlich tätig werden und deren Geschäftsbereich sich ganz oder
teilweise mit dem eigenen deckt (BGE 63 II 25, 73 II 115, 76 II 87 f.,
82 II 154, 88 II 36).

    Zu berücksichtigen ist auch, welche Freiheit ein Geschäftsinhaber bei
der Wahl seiner Firma hat. Aktiengesellschaften können unter Wahrung der
allgemeinen Grundsätze der Firmenbildung ihre Firma frei wählen (Art. 950
Abs. 1 OR). Nichts hindert sie, die Wahl so zu treffen, dass sich ihr
Name von den bereits eingetragenen Firmen deutlich unterscheidet. Daher
sind die Anforderungen an die Unterscheidungskraft der Firma einer
Aktiengesellschaft hoch (BGE 63 II 24, 72 II 185, 82 II 154).

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Falle ist Nachsicht nicht am Platze. Die
Beklagte ist eine Aktiengesellschaft und daher in der Wahl ihrer Firma
frei. Ihre ganze geschäftliche Tätigkeit fällt ihrer Art nach auch in den
statutarischen Geschäftsbereich der Klägerin. Der Einwand, sie habe noch
keine Liegenschaftsgeschäfte ausserhalb der Stadt Frauenfeld getätigt und
werde das auch in Zukunft nicht tun, hilft nicht. Ihr im Handelsregister
bekanntgegebener Zweck kann irgendwo verfolgt werden. Auf die Zusicherung
der Beklagten ist umsoweniger abzustellen, als sie anfangs wiederholt
versprach, sie werde nur ein einziges Haus bauen, während sie, wie im
Prozesse zugegeben, nun schon ein Hochhaus und einen Wohnblock erstellt
hat und demnächst ein weiteres Mehrfamilienhaus bauen wird. Zudem ist
zu bedenken, dass der Geschäftsbereich der Klägerin nicht auf Zürich
beschränkt ist. Nach der Natur der beabsichtigten Geschäfte hat die
Klägerin ein erhebliches Interesse, auch ausserhalb dieser Stadt nicht
mit einer andern Gesellschaft verwechselt zu werden, besonders nicht im
verhältnismässig nah gelegenen Frauenfeld. Sie hat denn auch nachgewiesen,
dass Ingenieure in Baar und Winterthur, die im November 1961 bzw. Januar
1962 mit der Beklagten geschäftliche Beziehungen aufnehmen wollten, sich
versehentlich an die Klägerin wandten. Es ergibt sich daraus, dass die
Verschiedenheit des Sitzes der beiden Gesellschaften Verwechslungen
nicht ausschliesst. Die Behauptung der Beklagten, die erwähnten
Missverständnisse gingen darauf zurück, dass das Stadtbauamt Frauenfeld
ihr jüngstes Bauvorhaben irrtümlich als solches der "Merkur Immobilien
AG Frauenfeld" veröffentlicht habe, ist nicht zu hören; denn sie ist neu
(Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Die vorgekommenen Verwechslungen widerlegen
auch die Auffassung, dass die beteiligten Kreise mit der Aufmerksamkeit,
die sie üblicherweise anwenden, die beiden Firmen genügend zu unterscheiden
vermöchten. Es ändert nichts, dass Handwerker, Architekten, Ingenieure,
Geldgeber, Mieter und andere Personen, mit denen die Parteien vorwiegend
verkehren, nicht dem "breiten Publikum" angehören, wie die Beklagte
sagt. Auch solche Leute pflegen sich einen Firmennamen nicht immer genau
einzuprägen, so dass ihnen die geringste Abweichung unfehlbar sagen würde,
sie hätten es mit einer anderen Gesellschaft zu tun. Die verbreitete
Neigung, Firmen abgekürzt zu gebrauchen oder aus ihnen nur das Wesentliche
festzuhalten, erhöht die Gefahr von Verwechslungen auch in diesen Kreisen.

Erwägung 3

    3.- Das Wort "Merkur" und die Abkürzung "AG" kommen sowohl in der
Firma der Beklagten als auch in jener der Klägerin vor. Ferner stimmt das
Wort "Liegenschaften" wenn auch nicht dem Schriftbilde und dem Klange,
so doch dem Sinne nach vollständig mit "Immobilien" überein. Da es eine
reine Sachbezeichung ist, besteht die Gefahr, dass nicht sein Aussehen
oder Klang, sondern nur sein Sinn im Gedächtnis haften bleibt. Die
Zusammensetzung "Merkur Liegenschaften AG" kann daher sehr leicht mit
"Merkur Immobilien AG" verwechselt werden. Das ist umso eher möglich, als
nicht das Wort "Liegenschaften" bzw. "Immobilien", sondern der Ausdruck
"Merkur" der charakteristische Bestandteil ist. Als Name eines Gottes
im alten Rom und eines Planeten gibt er der Firma Klang und Farbe,
wogegen das Wort "Liegenschaften" bzw. "Immobilien" den Gegenstand
der geschäftlichen Tätigkeit der Parteien benennt und wegen seiner
überaus häufigen Verwendung in Firmen recht farblos und abgegriffen
wirkt. Das Wort "Merkur" wird denn auch von der Beklagten in ihren neusten
Briefköpfen deutlich hervorgehoben. Der Einwand, es sei Allgemeingut,
ändert nichts. Die Firma der Aktiengesellschaft muss sich auch dann,
wenn sie ausschliesslich aus Wörtern aus dem allgemeinen Sprachschatz
besteht, deutlich von jeder schon eingetragenen Firma unterscheiden
(BGE 59 II 159). Ebensowenig nützt der Beklagten Art. 944 OR, wonach
jede Firma Angaben enthalten darf, die auf die Natur des Unternehmens
hinweisen. Solche Angaben dürfen nicht missbraucht werden, um die Firma
eines andern nachzuahmen. Art. 951 Abs. 2 OR geht vor (vgl. BGE 54 II 128,
74 II 237).

    Einen eigenen Weg ist die Beklagte nur dadurch gegangen, dass sie den
Ort ihres Sitzes in die Firma aufgenommen hat, wogegen eine Ortsangabe
in der Firma der Klägerin fehlt. Die unterscheidende Kraft des Wortes
"Frauenfeld" ist jedoch gering. Die Ortsbezeichnung in einer Firma
wird oft nicht als deren Bestandteil, sondern als blosse Angabe des
Geschäftssitzes empfunden und daher im Geschäftsverkehr meistens als
überflüssig weggelassen, zumal man ohnehin dazu neigt, lange Firmen
abzukürzen, besonders im mündlichen und im telephonischen Verkehr. Die
Beklagte selber verwendete noch im Juni 1961 sogar in ihren Briefköpfen
das Wort "Frauenfeld" nicht als Bestandteil ihrer Firma, obschon es
schon damals als solcher im Handelsregister eingetragen war und die
Klägerin sie am 5. August 1955 und am 5. März 1959 aufgefordert hatte,
es beim Gebrauche der Firma nicht zu unterdrücken. Das Bundesgericht
hat wiederholt entschieden, dass ein Zusatz, der im Verkehr häufig
weggelassen wird, bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft einer Firma
unbeachtlich ist (BGE 72 II 185 f., 82 II 157). Dazu kommt, dass der volle
Name der Beklagten zum mindesten den Gedanken an eine rechtliche oder
wirtschaftliche Verbindung mit der Klägerin wachrufen kann. Man könnte
z.B. zur Auffassung gelangen, die "Merkur Liegenschaften AG Frauenfeld"
sei eine im Gebiete von Frauenfeld tätige Tochtergesellschaft der
Klägerin. Das braucht die Klägerin sich nicht gefallen zu lassen. Die
Firma der Beklagten unterscheidet sich somit selbst dann, wenn man
nicht nur das charakteristische Wort "Merkur" oder den hervortretenden
Bestandteil "Merkur Liegenschaften AG" ins Auge fasst, sondern sie als
Ganzes betrachtet, nicht deutlich genug von der Firma der Klägerin.

Erwägung 4

    4.- Die Beklagte leitet daraus, dass die Klägerin in den Jahren
1955 und 1959 erklärte, sie dulde vorläufig die Beibehaltung der alten
Firma der Beklagten, in der Berufung nichts mehr ab. Diese Duldung
ist in der Tat bedeutungslos. Die Klägerin hat in den Briefen vom
5. August 1955 und 5. März 1959 nur vorläufig auf die Durchsetzung ihres
Unterlassungsanspruches verzichtet und sich ausdrücklich vorbehalten,
auf die Sache zurückzukommen. Zudem beruhte ihre Stellungnahme auf
Versprechen der Beklagten, die diese in der Folge nicht restlos erfüllte.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Thurgau vom 10. Mai 1962 bestätigt.