Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 II 185



88 II 185

30. Urteil der II. Zivilabtellung vom 12. Juli 1962 i.S. Zünd und Meyer
gegen Zünd. Regeste

    Vorkaufsrecht nach Art. 6 EGG. Rechtsausübung: Form und Fristen;
Art. 14 EGG. Preisvergünstigung nach Art. 12 Abs. 1 EGG.

    1.  Bedeutung der "objektiven" Frist des Art. 14 Abs. 2 EGG (Erw. 1).

    2.  Gültigkeit einer bestimmt und vorbehaltlos abgegebenen
Ausübungserklärung, auch wenn der Erklärende die Nebenabsicht hegte,
gegen eine reichliche Abfindung auf den Erwerb zu verzichten (Erw. 2, a).

    3.  Ein Blutsverwandter des Verkäufers in gerader Linie hat nur
dann Anspruch auf die Preisvergünstigung des Art. 12 Abs. 1 EGG, wenn
er zur Selbstbewirtschaftung willens und fähig ist. Bestreiten dies
die Prozessgegner mit Anrufung von Beweisen, so muss die Beweisführung
stattfinden (Art. 8 ZGB) (Erw. 2, b).

Sachverhalt

    A.- Karl Zünd, Vater, verkaufte am 18. März 1960 dem Joachim Meyer
sein Heimwesen Egg 454 in Herisau, enthaltend unter anderem ein Wohnhaus
mit Stadel und 389,27 Aren Land (= etwa 10,8 Jucharten), zum Preise
von Fr. 65'500.--. Am gleichen Tage setzte das Grundbuchamt Herisau
den Sohn des Verkäufers, Walter Zünd, vom Verkauf in Kenntnis. Dieser
erklärte tags darauf mit eingeschriebenem Brief an das Grundbuchamt,
das Vorkaufsrecht gemäss Art. 14 EGG auszuüben. Nach ergebnislosen
Verhandlungen der Parteien und gescheitertem Vermittlungsbegehren reichte
Walter Zünd am 27. Oktober 1960 gegen den Verkäufer und den Käufer (der
schon am 18. März 1960 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen worden war)
beim Bezirksgericht Hinterland Klage ein. Er verlangte damit den Zuspruch
der verkauften Liegenschaft zum Schätzungswert von Fr. 38'000.-- und die
entsprechende Anweisung an das Grundbuchamt, den auf den Käufer lautenden
Eigentumseintrag zu löschen und an dessen Stelle ihn, sei es unmittelbar
oder nach Wiedereintragung des Verkäufers, nach Hinterlegung bzw. gegen
Bezahlung des nach Anrechnung der zu übernehmenden Grundpfandschulden
sich ergebenden Restbetrages von Fr. 5084.--, einzutragen.

    Die Beklagten beantragten die Abweisung der Klage und machten
geltend, der Kläger beabsichtige gar nicht ernstlich, das Heimwesen
selber zu bewirtschaften. Er sei dazu auch nicht fähig. Die Beklagten
schilderten den Lebensgang des Klägers und dessen Einstellung zur
landwirtschaftlichen Betätigung. Zum Beweis ihrer Darstellung riefen sie
eine Reihe von Zeugen an. - Endlich sei die Klage zu spät eingereicht
worden, da Art. 14 Abs. 2 EGG eine Verwirkungsfrist von drei Monaten seit
der Anmeldung des Kaufvertrages beim Grundbuchamt vorsehe.

    B.- Das Bezirksgericht Hinterland hiess die Klage am 8.  Mai 1961
gut, soweit darauf eingetreten werden konnte. Es sprach dem Kläger das
Eigentum an der verkauften Liegenschaft zum Preis von Fr. 38'000.-- zu
und ermächtigte das Grundbuchamt Herisau, den Kläger nach Hinterlegung
der Restsumme von Fr. 5084.-- als Eigentümer der Liegenschaft im Grundbuch
einzutragen.

    C.- Am 29. Januar 1962 wies das Obergericht von Appenzell A.Rh. die
gegen dieses Urteil gerichtete Appellation der beiden Beklagten ab. Aus den
Gründen: Der Kläger hat die Ausübungserklärung rechtzeitig und formrichtig
abgegeben. Eine peremptorische Klagefrist besteht nicht, da Art. 14
Abs. 2 EGG nur vom Erlöschen des Vorkaufsrechts (bei nicht rechtzeitiger
Ausübung) handelt. Dem Kläger steht der Erwerb zum Schätzungswert gemäss
Art. 12 EGG zu. Es genügt in dieser Hinsicht, dass er die Liegenschaft zur
Selbstbewirtschaftung beansprucht. Über das Vorliegen eines dahingehenden
Willensentschlusses ist eine Beweisführung nicht möglich. Die Eignung
des Klägers ist rechtlich ohne Bedeutung.

    D.- Gegen dieses Urteil haben die Beklagten Berufung an das
Bundesgericht eingelegt mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.

    Der Antrag des Klägers geht auf Abweisung der Berufung und Bestätigung
des angefochtenen Urteils.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Dass die Klageeinreichung verspätet gewesen sei, machen die
Beklagten mit Recht nicht mehr geltend. Wie das Obergericht zutreffend
ausführt, ist nicht die Klageerhebung, sondern die Ausübung des
Vorkaufsrechts, also die Ausübungserklärung, an die dreimonatige Frist
des Art. 14 Abs. 2 EGG gebunden. Diese Vorschrift ergänzt diejenige
des vorausgehenden Abs. 1, indem sie für diese Rechtsausübung ausser
der von der grundbuchamtlichen Mitteilung nach Art. 13 EGG an laufenden
Monatsfrist eine zweite, "objektive", ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt
dieser (allenfalls verzögerten) amtlichen Mitteilung schon vom Zeitpunkt
der Anmeldung des Kaufvertrages an laufende Frist von drei Monaten vorsieht
(vgl. JOST, N. 3 zu Art. 14 EGG). Der Kläger hat mit seiner Erklärung
vom 19. März 1960 die eine und die andere dieser Fristen eingehalten.

Erwägung 2

    2.- Die Berufung wird im wesentlichen damit begründet, der
Kläger habe das Vorkaufsrecht binnen der Fristen des Art. 14 EGG nicht
"rechtsgenüglich" ausgeübt. Sodann stehe ihm überhaupt kein Vorkaufsrecht
zum Schätzungswert, wie er es beanspruche, zu, weil er nicht gewillt und
auch nicht fähig zur Selbstbewirtschaftung sei.

    a) Die Beklagten räumen ein, dass die Ausübungserklärung vom 19. März
1960 "bestimmt und vorbehaltlos" laute. Dennoch wollen sie die Erklärung
nicht als "rechtsgenüglich" gelten lassen, weil es dem Kläger gar
nicht um den Erwerb des Heimwesens, sondern nur um eine möglichst hohe
Abfindungssumme zu tun gewesen sei. Seine Einstellung zu diesem Verkauf
ergebe sich namentlich aus den vor und nach der Klageanhebung geführten
Vergleichsverhandlungen. Allein, diese aus Nebenabsichten des Klägers
hergeleiteten Einwendungen vermögen das Vorliegen einer rechtzeitig und
bei der zuständigen Amtsstelle abgegebenen klaren und vorbehaltlosen
Ausübungserklärung nicht aus der Welt zu schaffen. Die Erklärung als
solche entsprach allen gesetzlichen Erfordernissen, war also jedenfalls in
formeller Hinsicht "rechtsgenüglich". Selbst wenn der Kläger von Anfang an
darauf ausgegangen sein sollte, ein hohes Abfindungsangebot zu erhalten,
um alsdann auf den Erwerb des Heimwesens zu verzichten, läge im übrigen
keine blosse Scheinerklärung vor. Der Kläger wahrte sich durch sein
Vorgehen die Möglichkeit, sein Recht durchzusetzen, falls man sich über
eine Abfindung nicht einigen konnte. Also lässt sich die Erklärung auch
nicht aus dem Gesichtspunkt einer Simulation beanstanden.

    b) Beachtlich ist dagegen der Einwand der Beklagten, der Kläger sei
weder willens noch fähig, die Liegenschaft selber zu bewirtschaften,
im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 EGG. An sich steht dem Kläger als einem
Sohn des Verkäufers nach Art. 6 Abs. 1 EGG zweifellos ein Vorkaufsrecht
zu. Er begnügt sich jedoch nicht mit dem gewöhnlichen Vorkaufsrecht
zu den Bedingungen des Kaufvertrages, also zum vereinbarten Kaufpreis,
sondern beansprucht die Preisvergünstigung gemäss Art. 12 Abs. 1 EGG,
also einen Erwerb zum Schätzungswert nach Entschuldungsgesetz, wie er
nach dieser Vorschrift den Blutsverwandten in gerader Linie zusteht,
"sofern sie die Liegenschaft zur Selbstbewirtschaftung beanspruchen". Das
Obergericht hält dafür, diese vom Gesetz aufgestellte Bedingung sei erfüllt
durch die vom Kläger kundgegebene Absicht. Über deren Ernstlichkeit
sei eine Beweisführung nicht möglich; der Einwand der Beklagten, es
fehle daran, müsse daher unberücksichtigt bleiben. Und auf die Eignung
des Übernehmers komme es überhaupt nicht an. Dieser Betrachtungsweise
ist weder im einen noch im andern Punkte beizustimmen. Wie in BGE 81
II 570 näher dargelegt worden ist, muss die Selbstbewirtschaftung als
Grundlage des Vorrechtes gemäss Art. 12 Abs. 1 EGG "ernstlich gewollt
und praktisch möglich" sein. Das Bundesgericht hat sich in jener
Entscheidung auch mit der vom Obergericht erwähnten Ansicht von JOST,
N. 4 zu Art. 9 EGG, auseinandergesetzt und ausgeführt, die kundgegebene
Absicht genüge jedenfalls nur, wenn dahinter ein ernsthafter Wille
erkennbar sei. In der Tat muss nach dem Zweck der Preisvergünstigung -
dem Übernehmer eine bäuerliche Existenz zu ermöglichen (vgl. F. E. JENNY,
Das bäuerliche Vorkaufsrecht, Diss. 1955, S. 127) - ein solcher Wille
wirklich bestehen. Erheben sich nicht von vornherein gewichtige Zweifel,
so wird freilich die vom Anwärter bekundete Absicht zunächst als ernstlich
vorhanden zu betrachten sein, und er selbst wird es sich, bei Bestreitung
durch die Gegenpartei, im Beweisverfahren kaum einfallen lassen, seine
Erklärung zu entkräften. Allein es bleibt der Gegenpartei unbenommen,
Tatsachen zu behaupten und unter Beweis zu stellen, die auf das Fehlen
einer wahren Selbstbewirtschaftungsabsicht des Anwärters schliessen
lassen und somit geeignet sind, dessen Behauptung auf mittelbarem Wege zu
entkräften. Die Beklagten haben solche Gegenbehauptungen aufgestellt und
dafür Beweise angeboten. Indem das Obergericht darüber hinweggegangen ist,
hat es Art. 8 ZGB verletzt, der der beweisbelasteten oder zur Antretung
eines Gegenbeweises veranlassten Partei ein Recht auf Beweisführung gibt
(vgl. BGE 62 II 326, 68 II 139, 82 II 510, 83 II 6; M. KUMMER, N. 74
ff. zu Art. 8 ZGB).

    Gleich verhält es sich mit der Frage der Eignung des Klägers. Auch
in diesem Punkte hat das Obergericht den Beklagten zu Unrecht verwehrt,
ihre Behauptung zu beweisen, dass der Kläger weder nach seinen geistigen
Fähigkeiten noch nach seinen landwirtschaftlichen Kenntnissen imstande sei,
einen Bauernbetrieb von etwa zehn Jucharten selbständig zu bewirtschaften.

    Die Sache wird erst spruchreif sein, wenn die Beweisführung in beiden
Punkten nachgeholt sein wird. Somit ist das angefochtene Urteil aufzuheben
und die Angelegenheit zu neuer Beurteilung auf Grund der vorzunehmenden
ergänzenden Beweismassnahmen an das Obergericht zurückzuweisen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichts
des Kantons Appenzell A.Rh. (1. Abteilung) vom 29. Januar 1962 aufgehoben
und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an das
Obergericht zurückgewiesen wird.