Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 III 7



88 III 7

2. Entscheid vom 23. Januar 1962 i.S. Boog. Regeste

    Betreibung gegen einen Bevormundeten. Beschwerde gegen den
Zahlungsbefehl und die Pfändungsankündigung wegen örtlicher Unzuständigkeit
des Betreibungsamtes und wegen Zustellung an den entlassenen Vormund.

    1.  Beschwerdelegitimation. Der Bevormundete kann eine solche
Beschwerde nicht selber führen. Dagegen ist ein von einem Anwalt
eingereichter, vom Vormund genehmigter Rekurs wirksam, selbst wenn diese
Genehmigung erst nach Ablauf der Rekursfrist erfolgt.

    2.  Die örtliche Unzuständigkeit des Betreibungsamtes macht die
Pfändungsankündigung, nicht dagegen den Zahlungsbefehl nichtig.

    3.  Die Zustellung des Zahlungsbefehls an den entlassenen, aber noch
nicht ersetzten Vormund ist wirksam (Art. 444 ZGB).

Sachverhalt

    Am 23. März 1961 übernahm der Gemeinderat von Littau die gemäss
Art. 369 ZGB für Alois Boog errichtete Vormundschaft vom Gemeinderat
Geuensee zur Weiterführung und ernannte Amtsvormund Walter Jenny
zum Vormund. Am 18. Mai 1961 beschloss er, die Vormundschaft werde
zur Weiterführung an die Behörde von Ebikon übertragen, wohin Boog
übergesiedelt war; der Vormund Walter Jenny werde aus seinem Amt
entlassen. Mit Beschluss vom 14. Oktober 1961 übernahm der Gemeinderat von
Ebikon die Vormundschaft und ernannte Amtsvormund A. Birrer zum Vormund.

    In der Zeit zwischen den beiden zuletzt genannten Beschlüssen,
nämlich am 26. September 1961, hatte das Betreibungsamt Littau in der
von A. Kaufmann für eine Forderung von Fr. 1600.-- gegen "Alois Boog,
Mühlegg 15, Ebikon, mit Vormund Herrn Walter Jenny, Obermättlistrasse
15, Reussbühl" angehobenen Betreibung Nr. 8957 den Zahlungsbefehl
diesem letztern zugestellt. Da Jenny nicht Rechtsvorschlag erhob,
erliess das Betreibungsamt Littau am 26. Oktober 1961 auf Begehren des
Gläubigers die Pfändungsankündigung. Hierauf führte Boog am 8. November
1961 Beschwerde mit dem Begehren, die Betreibung Nr. 8957 sei nichtig
zu erklären. Als darauf das Betreibungsamt Ebikon am 15. November 1961
eine neue Pfändungsankündigung erliess, reichte Boog am 27. November
1961 eine weitere Beschwerde ein, mit der er die Aufhebung der Betreibung
einschliesslich dieser Pfändungsankündigung verlangte.

    Die untere Aufsichtsbehörde hob die Pfändungsankündigung des
Betreibungsamtes Littau von Amtes wegen auf und trat im übrigen
auf die Beschwerden nicht ein, weil Boog bevormundet und daher zur
Beschwerdeführung nicht legitimiert sei (Entscheide vom 25. und
30. November 1961).

    Aus dem gleichen Grunde ist die kantonale Aufsichtsbehörde am
16. Dezember 1961 auf den Rekurs Boogs gegen diese Entscheide nicht
eingetreten.

    Mit dem vorliegenden Rekurs an das Bundesgericht, den Rechtsanwalt
Dr. A. Risi am 6. Januar 1962 im Namen von Alois Boog, vertreten
durch Amtsvormund Birrer, eingereicht hat, wird beantragt, der dem
Rekurrenten Boog am 27. Dezember 1961 zugestellte Entscheid der kantonalen
Aufsichtsbehörde vom 16. Dezember 1961 sei aufzuheben und die Betreibung
Nr. 8957 sowie die Zustellung des Zahlungsbefehls in dieser Betreibung
seien als nichtig zu erklären.

    Am 11. Januar 1962 hat Boog persönlich eine weitere Eingabe mit
Beilagen eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Rechtsanwalt Dr. Risi hat in der Rekursschrift erklärt, der Rekurs
werde mit ausdrücklicher Zustimmung des Vormundes erhoben, und bemerkt,
die als Beweis hiefür angerufene Vollmacht werde folgen. Am 15. Januar 1962
hat er eine vom 8. Januar 1962 datierte Vollmacht für dieses Verfahren
mit der Unterschrift des Vormundes eingereicht. Bei dieser Sachlage
ist der Rekurs als wirksam zu betrachten. Dies gälte selbst dann, wenn
der Vormund der Rekurserhebung nicht zum voraus zugestimmt, sondern sie
erst nachträglich, und zwar nach Ablauf der Rekursfrist, genehmigt hätte
(vgl. LEUCH, Die ZPO für den Kanton Bern, 3. Aufl., N. 5 zu Art. 35,
S. 65 oben, und GULD ENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 116
unter d); denn es muss berücksichtigt werden, dass es unter Umständen
nicht möglich ist, innert der kurzen Rekursfrist die Ermächtigung des
gesetzlichen Vertreters beizubringen. Auf den Rekurs ist daher einzutreten.

    Nicht zu beachten ist dagegen die Eingabe, die der Rekurrent (übrigens
erst nach Ablauf der Rekursfrist) persönlich eingereicht hat.

Erwägung 2

    2.- Im kantonalen Verfahren hat der Rekurrent ohne jede
Ermächtigung des Vormunds gehandelt. Er hat mit seinen Beschwerden an
die untere Aufsichtsbehörde und mit der Weiterziehung an die kantonale
Aufsichtsbehörde nicht Rechte ausgeübt, die ihm um seiner Persönlichkeit
willen zustünden (Art. 19 Abs. 2 ZGB). Ebensowenig hat er damit die
Unpfändbarkeit im Sinne von Art. 92 SchKG geltend gemacht, was nach der
Rechtsprechung (BGE 72 III 2, 68 III 116) der Ausübung eines solchen
Rechts gleichzuachten ist. Die Vorinstanzen haben ihm daher zu Recht die
Beschwerdelegitimation abgesprochen.

Erwägung 3

    3.- Von Amtes wegen aufzuheben war die Pfändungsankündigung des
Betreibungsamtes Littau vom 26. Oktober 1961; dies schon deswegen, weil
eine andernorts als am schweizerischen Wohnsitz des Schuldners erfolgte
Fortsetzung der Betreibung auf Pfändung nichtig ist (BGE 68 III 35, 80
III 101) und der Rekurrent am 26. Oktober 1961 seinen Wohnsitz gemäss
Art. 25 Abs. 1 ZGB nicht mehr in Littau, sondern in Ebikon hatte, wo
nunmehr die Vormundschaft über ihn geführt wurde.

    Den Zahlungsbefehl wegen örtlicher Unzuständigkeit des Betreibungsamtes
Littau von Amtes wegen aufzuheben, käme dagegen selbst dann nicht in Frage,
wenn man im Gegensatz zur untern Aufsichtsbehörde annehmen wollte, der
Rekurrent habe zur Zeit der Zustellung des Zahlungsbefehls (26. September
1961), also vor der förmlichen Übernahme der Vormundschaft durch den
Gemeinderat von Ebikon (14. Oktober 1961), bereits in Ebikon Wohnsitz
gehabt, weil der Gemeinderat von Ebikon der vom Gemeinderat von Littau am
18. Mai 1961 beschlossenen Übertragung der Vormundschaft an ihn laut diesem
Beschluss schon zum voraus zugestimmt hatte (vgl. hiezu BGE 86 II 289). Die
örtliche Unzuständigkeit des Betreibungsamtes, das- den Zahlungsbefehl
erlässt, macht diesen nämlich gemäss ständiger Rechtsprechung nicht
schlechthin nichtig, sondern nur anfechtbar (BGE 68 III 35, 82 III 74,
83 II 50), und eine solche Anfechtung ist im vorliegenden Falle innert
der dafür geltenden Frist von Art. 17 Abs. 2 SchKG nicht erfolgt.

    Zu prüfen bleibt also nur, ob Walter Jenny, dem der Zahlungsbefehl
am 26. September 1961 zugestellt wurde, damals nicht mehr gesetzlicher
Vertreter des Rekurrenten gewesen und die an ihn erfolgte Zustellung
aus diesem Grunde als nichtig zu betrachten und darum von Amtes
wegen aufzuheben sei. Dies ist jedoch zu verneinen. Zwar hatte
die Vormundschaftsbehörde von Littau am 18. Mai 1961 beschlossen,
Jenny werde als Vormund entlassen. Der neue Vormund wurde aber erst am
14. Oktober 1961 ernannt. Bis dahin hatte Jenny gemäss Art. 444 ZGB die
notwendigen Geschäfte der Vormundschaft, wozu auch die Entgegennahme eines
Zahlungsbefehls gehörte, weiterzuführen. Der Zahlungsbefehl ist daher zu
Recht ihm zugestellt worden.

    Die Pfändungsankündigung des Betreibungsamtes Ebikon vom 15. November
1961 ist, wie aus dem Entscheide der untern Aufsichtsbehörde vom
30. November 1961 hervorgeht, nicht nur dem Rekurrenten, sondern auch
dem neuen Vormund Birrer zugestellt worden. Sie kann daher nicht wegen
fehlender Zustellung an den gesetzlichen Vertreter als nichtig bezeichnet
werden.

    Das Einschreiten von Amtes wegen hat sich also mit Recht auf die
Aufhebung der Pfändungsankündigung des Betreibungsamtes Littau beschränkt.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.