Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 III 50



88 III 50

9. Entscheid vom 28. Mai 1962 i.S. Giannetta. Regeste

    Unpfändbarkeit von Berufsgeräten (Art. 92 Ziff. 3 SchKG).

    Tonübertragungs- und -modulationsgeräte des Leiters einer Musikkapelle.
Übt dieser einen Beruf aus, oder betreibt er ein Unternehmen? Ist die
Verwendung der fraglichen Geräte unwirtschaftlich?

Sachverhalt

    Mit Zahlungsbefehl vom 5. Februar 1962 betrieb W. Bestgen, Musikhaus,
Luzern, den für die Dauer der Wintersaison im Dancing "Sarazena" in
Pontresina tätigen italienischen Kapellmeister Giannetta für eine Forderung
gemäss Rechnung vom 24. März 1959 im Betrage von Fr. 1880.-- nebst 5%
Zins seit 24. April 1959 und Fr. 41.50 Spesen (Betreibung Nr. 913 des
Betreibungsamtes Oberengadin). Der Betriebene erhob Rechtsvorschlag. Darauf
erwirkte Bestgen am 14. März 1962 beim Kreisamt Oberengadin für eine
Forderung von Fr. 2600.--, als deren Grund er angab: "Kauf einer
Mikronanlage mit Echo gemäss Faktura vom 24. März 1959, Arrest- und
Betreibungskosten und ausseramtliche Entschädigung", gestützt auf Art. 271
Ziff. 4 SchKG einen Arrestbefehl, der als Arrestgegenstände nannte:

    "1 Polyphon, 1 Mikroanlage mit Echo, 1 Revox mit Fernsteuerung,
1 Verstärker, 2 Lautsprechersäulen, 1 Transistorenpult, verschiedene
Spezialinstrumente, Lohnguthaben, Barschaft, Wertgegenstände und überhaupt
sämtliche pfändbaren Gegenstände, die sich beim Schuldner befinden."

    Das Betreibungsamt Oberengadin lehnte die Arrestierung der
im Arrestbefehl genannten Geräte ab, weil sie als unentbehrliche
Berufswerkzeuge nicht pfändbar seien. Dagegen arrestierte es von der
täglichen Gage des Schuldners, die Fr. 69.- abzüglich AHV und Steuern,
zuzüglich Kost ausmachte, den Betrag von Fr. 25.-.

    Auf Beschwerde des Gläubigers hin hat die kantonale Aufsichtsbehörde
das Betreibungsamt mit Entscheid vom 8. Mai 1962 angewiesen, die im
Arrestbefehl genannten Geräte mit Arrest zu belegen.

    Diesen Entscheid hat der Schuldner an das Bundesgericht weitergezogen
mit dem Antrag, die streitigen Geräte seien als unpfändbar zu erklären. Die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer schützt dieses Begehren.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz stellt fest, den Geräten, die der Gläubiger
arrestieren lassen möchte, komme im heutigen Unterhaltungsmusikbetrieb
eine grosse Bedeutung zu; es sei heute nicht mehr möglich, anspruchsvolle
Unterhaltungslokale ohne die Verwendung solcher Geräte zu bedienen. Sie
ist aber der Meinung, diesen Geräten sei der Charakter unentbehrlicher
Berufswerkzeuge im Sinne von Art. 92 Ziff. 3 SchKG deswegen abzusprechen,
weil die Tätigkeit des Schuldners, der als Kapellmeister unter Einsatz
beträchtlicher technischer Mittel eine Ensemble von 3-4 Mann leite,
nicht als Ausübung eines Berufs im Sinne von Art. 92 Ziff. 3 SchKG,
sondern als Unternehmen anzusehen sei und weil die fraglichen Geräte für
die Ausübung des Musikerberufs nicht nötig seien und der Schuldner keinen
Anspruch darauf habe, diesen Beruf in leitender Stellung ausüben zu können.

    a) Diese letzte Erwägung ist schon deshalb nicht stichhaltig,
weil der Schuldner, der seit Jahren als Kapellmeister tätig ist und
dabei neben den im Arrestbefehl genannten technischen Einrichtungen nur
gelegentlich Hilfsinstrumente wie Schlagzeug oder eine Gitarre bedient,
nicht in der Lage wäre, sein Brot als allein auftretender Musiker oder
als Orchestermusiker zu verdienen.

    b) Es geht aber auch nicht an, aus der Tatsache, dass der Schuldner
ein Ensemble von 3-4 Mann leitet, ohne weiters zu schliessen, seine
Tätigkeit stelle ein Unternehmen dar. Dieser Schluss würde sich wohl dann
rechtfertigen, wenn er das ganze Entgelt für die Tätigkeit der Musikkapelle
einzöge und seine Mitarbeiter daraus entlöhnen würde, m.a.W. wenn diese
seine Angestellten wären (vgl. BGE 49 III 101, 61 III 48, 65 III 15, 82
III 108). So verhält es sich aber nicht. Wie sich aus dem Arrestbefehl
ergibt und vom Vorsteher des Betreibungsamts ausdrücklich bestätigt
worden ist, erhält der Schuldner von der Direktion des Dancings "Sarazena"
nur seine eigene Gage von Fr. 69.- pro Tag ausbezahlt. Er erzielt also,
wenn er auch die Mitarbeiter für sein Ensemble mitgebracht hat, keinerlei
"Unternehmergewinn", sondern hat selber nur die Stellung eines (leitenden)
Angestellten.

    c) Ebensowenig lässt sich das Vorliegen eines Unternehmens aus
dem Umfang der vom Schuldner verwendeten Hilfsmittel ableiten. Nach
den Angaben des Schuldners haben die fraglichen Geräte, die ihm der
Gläubiger im Jahre 1959 verkauft hatte, damals rund Fr. 4400.-- gekostet,
wovon nach den Angaben des Gläubigers in einer Zahlungsaufforderung
vom 13. Juli 1961 und im Zahlungsbefehl vom 5. Februar 1962 noch ein
Kapitalbetrag von Fr. 1880.-- ausstehen soll. Es handelt sich dabei, wie
die Vorinstanz selber festgestellt hat, um Hilfsmittel, die heute bei der
Erzeugung von Unterhaltungsmusik in Lokalen mit anspruchsvoller Kundschaft
allgemein gebräuchlich sind. Der Kapellmeister muss sie selber mitbringen.
Dass er vom Inhaber der Gaststätte verlangen könnte, sie bereitzustellen,
ist nicht behauptet und nicht wahrscheinlich. Der Schuldner muss also
über diese Geräte verfügen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dass der in
der Verwendung dieser Geräte liegende Einsatz materieller Mittel seine
persönliche Arbeitsleistung an Bedeutung übertreffe und damit seiner
Tätigkeit den Charakter eines Berufs nehme und sie zum Unternehmen stemple
(vgl. BGE 85 III 22), trifft nicht zu. Seine tägliche Gage von Fr. 69.-,
der bei Tätigkeit während 7-8 Saisonmonaten ein Jahreseinkommen von
mindestens Fr. 15'000.-- entspricht, ist zweifellos zum weit überwiegenden
Teil nicht das Entgelt für den Einsatz der erwähnten Apparate, sondern
das Entgelt für die persönliche Arbeitsleistung des Schuldners.

Erwägung 2

    2.- Dem Kompetenzanspruch des Schuldners lässt sich bei dieser
Sachlage auch nicht entgegenhalten, die Verwendung der in Frage stehenden
Hilfsmittel sei unwirtschaftlich (vgl. hiezu BGE 84 III 20, 86 III 49 ff.,
87 III 62). Der Schuldner verdient so viel, dass ihm nach der Annahme des
Betreibungsamts ein Lohnbetrag von Fr. 25.- pro Tag oder ca. Fr. 750.-- pro
Saisonmonat gepfändet werden kann. Auch scheint er die streitigen Geräte
zum grössten Teil bereits abbezahlt zu haben. Von einem Missverhältnis
zwischen Aufwand und Ertrag kann daher nicht die Rede sein.

    Die streitigen Geräte sind also gemäss Art. 92 Ziff. 3 SchKG
unpfändbar.