Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 88 III 135



88 III 135

21. Entscheid vom 20. November 1962 i.S. Schröder. Regeste

    Wohnsitz des Schuldners

    -  als Ort der Betreibung (Art. 46 Abs. 1 SchKG);

    - als Ort der Zustellung der Betreibungsurkunden, wofür allenfalls
ausserdem der (dem Betreibungsamt gemeldete) Arbeitsort in Betracht fällt
(Art. 64 Abs. 1 SchKG).

    Der Wohnsitz befindet sich dort, wo die Familie, die der Schuldner
mehrmals im Monat besucht, verblieben ist, nicht am auswärtigen Arbeitsort
(zumal bei blossem Volontariat) und auch nicht dort, wo der Schuldner
seine persönlichen Schriften hinterlegt hat (Erw. 1).

    Unzulässigkeit ergänzender Begehren vor Bundesgericht (Art. 79 Abs. 1
Satz 2 OG) (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Infolge eines Betreibungsbegehrens des Rekurrenten gegen
"Eduard Sutter, Peter Merianstrasse 2, Basel", liess das Betreibungsamt
Basel-Stadt am 13. April 1962 den Zahlungsbefehlin der angegebenen Wohnung
zustellen. Die Zustellung wurde durch Aushändigung der Betreibungsurkunde
an die dort anwesende Ehefrau des Schuldners vollzogen.

    B.- Ein paar Tage später erhielt das Betreibungsamt diesen
Zahlungsbefehl zurück mit dem handgeschriebenen Vermerk "In Basel
abgemeldet". Eine Erkundigung bei der Einwohnerkontrolle von Basel ergab,
dass sich der Schuldner am 6. Februar 1962 nach Genf abgemeldet hatte,
während die Ehefrau und die Kinder als weiterhin in Basel wohnhaft
gemeldet blieben. "Auftrags der Frau Klara Sutter" teilte ein Anwalt
dem Betreibungsamt am 26. April 1962 mit, sie habe die Annahme des
Zahlungsbefehls zuerst abgelehnt und ihn nur auf Drängen des Postboten
schliesslich entgegengenommen; der Schuldner sei "zivil und militärisch"
in Ascona TI angemeldet und habe dort (ohne dass eine nähere Adresse
angegeben wurde) Domizil. In einer schriftlichen Erklärung vom 10. Mai
1962 bestätigte die Ehefrau, der Mann habe "diesen Zahlungsbefehl
nicht zu Gesicht und nicht in seine Hände bekommen". Später gab sie dem
Betreibungsamt auch dessen nähere Wohnadresse in Ascona "Via Ferrara"
bekannt. Ebenso bescheinigte das Polizeiamt der Gemeinde Ascona die dort
am 9. Februar 1962 erfolgte Anmeldung mit Hinterlegung des Heimatscheins
und die Wohnadresse "c/o Stäheli Martha, Via Ferrara".

    C.- Bereits am 4. Mai 1962 hatte das Betreibungsamt auf Grund
der Auskünfte der Ehefrau des Schuldners das Gläubigerdoppel des
Zahlungsbefehls dem Gläubiger mit dem Vermerk "nicht zugestellt"
übermittelt. Der Gläubiger wandte fortdauernden Wohnsitz des Schuldners
in Basel ein und verlangte, dass der Zahlungsbefehl als zugestellt zu
behandeln sei. Gegen die Weigerung des Amtes führte der Gläubiger am
11. Mai 1962 Beschwerde mit dem Antrag, das Betreibungsamt sei anzuweisen,
ihm eine Zahlungsbefehlsausfertigung mit dem Vermerk "zugestellt"
zuzusenden.

    Der Schuldner trug auf Abweisung der Beschwerde an. Er erklärte,
er habe seinen Wohnsitz nach Ascona verlegt, wo er leider noch keine
geeignete Wohnung für seine Familie gefunden habe. Er gedenke im
italienisch-deutschen Transithandel tätig zu werden und absolviere
zu diesem Zweck ein Volontariat in Locarno. Wenn er jeweils nach
Deutschland reise, besuche er seine Familie für kurze Zeit in Basel,
und zwar durchschnittlich viermal im Monat, jedoch meistens nicht über
das Wochenende.

    D.- Mit Entscheid vom 29. Oktober 1962 hat die kantonale
Aufsichtsbehörde die Beschwerde abgewiesen. Sie verneint in erster Linie
die örtliche Zuständigkeit des Betreibungsamtes Basel-Stadt, weil der
Schuldner seinen Wohnsitz schon vor dem Tag der versuchten Zustellung
des Zahlungsbefehls nach Ascona verlegt habe. Die Übergabe der Urkunde
an die Ehefrau sei auch nicht etwa mangels rechtzeitiger Beschwerde von
Schuldnerseite unanfechtbar geworden. Eine solche Ersatzzustellung solle
nach dem gesetzgeberischen Grund des Art. 64 Abs. 1 SchKG nur im "Regelfall
des gemeinsamen Haushaltens von Ehegatten" vorgenommen werden. Im übrigen
sei bestritten und nicht erwiesen, dass der Schuldner den Zahlungsbefehl
auch persönlich erhielt und es versäumte, binnen gesetzlicher Frist
Beschwerde zu führen.

    E.- Mit vorliegendem Rekurse hält der Gläubiger an der Beschwerde fest.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Ob die Ehefrau des Schuldners es unterliess, ihm den Zahlungsbefehl
unverzüglich zu übermitteln, oder ob dieser Betreibungsakt mangels
rechtzeitiger Beschwerdeführung rechtskräftig geworden ist, ist nicht
abgeklärt und kann dahingestellt bleiben. Wie dem auch sei, hätte der
Schuldner die örtliche Zuständigkeit des Betreibungsamtes Basel-Stadt nicht
mit Erfolg bestreiten können, und demgemäss ist nun auch die Beschwerde
des Gläubigers gegen die nachträgliche Verneinung dieser Zuständigkeit
durch das genannte Amt im Gegensatze zum angefochtenen Entscheid der
kantonalen Aufsichtsbehörde zu schützen.

    Der Schuldner hat nach wie vor seine Familie in Basel. Er besucht
sie nach seiner eigenen Darstellung in kürzeren Zeitabständen, etwa
viermal im Monat. Dass dies mit Reisen nach Deutschland verbunden
sein und nicht am Wochenende geschehen soll, ändert nichts daran,
dass der Schuldner in Basel Lebensbeziehungen hat, denen gegenüber
sein Aufenthalt in Ascona als nebensächlich erscheint. Ebenfalls nach
seiner eigenen Darstellung absolviert er "zur Zeit" in Locarno ein
Volontariat, was der Natur der Sache nach eine vorübergehende Tätigkeit
darstellt. Zukunftspläne bestimmter Art, die ein dauerndes Verweilen in
Ascona erforderten, werden nicht genannt. Die Angabe, der Schuldner habe
an diesem Ort eine Familienwohnung gesucht, aber noch keine gefunden,
ist unerheblich. Einmal vermöchte die Absicht, die Familie in Zukunft am
neuen Ort ansässig zu machen, keine bereits erfolgte Wohnsitzverlegung
darzutun. Sodann lässt der Schuldner nichts darüber verlauten, was er in
dieser Hinsicht unternommen hat.

    Für die Entscheidung der Frage, ob und wo jemand Wohnsitz habe,
sind seine gesamten Lebensverhältnisse zu berücksichtigen. Dabei ist
der Mittelpunkt des Lebens auch für den Berufsmann dort zu suchen, wo
seine persönlichen Interessen liegen, namentlich am Ort, wo seine Familie
weilt, die er, soweit es ihm seine berufliche Tätigkeit erlaubt, immer
wieder aufsucht (vgl. EGGER, 2. Auflage, N. 19 und 26 zu Art. 23 ZGB;
TH. HOLENSTEIN, Der privatrechtliche Wohnsitz im schweizerischen Recht,
S. 75 ff.; A. LENZI, Die Betreibungsstände nach dem schweizerischen SchKG,
S. 15/16). Das gilt um so mehr bei einer Betätigung vorübergehender
Art (vgl. BGE 69 I 78, 78 I 316, 79 I 26, 82 II 573/74). Hier hat der
Schuldner nach dem Gesagten einen wirklichen Wohnsitz in Basel behalten,
nicht bloss einen fiktiven im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ZGB, der nach der
Sondervorschrift des Art. 48 SchKG nicht als ordentlicher Betreibungsort
gelten könnte (vgl. BGE 82 III 13 mit Hinweisen). Wo die Ausweisschriften
hinterlegt sind, ist, wie allgemein anerkannt wird, nicht entscheidend
und fällt gegenüber den persönlichen Lebensbeziehungen und Interessen
nicht ins Gewicht (vgl. BGE 41 I 454, 42 I 95; TH. HOLENSTEIN, aaO S. 83).

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 64 SchKG werden die Betreibungsurkunden dem Schuldner
in seiner Wohnung oder an dem Orte, wo er seinen Beruf auszuüben pflegt,
zugestellt. Da Sutter seinen wirklichen Wohnsitz in Basel behalten hatte,
bestand nicht nur der dortige Betreibungsort weiter, sondern es war auch
die Zustellung in der Wohnung zulässig, wo der Schuldner seine Familie
hat und wohin er in kurzen Zeitabständen zurückzukehren pflegt. Für
die Zustellung war also nicht die Vorschrift des Art. 66 Abs. 1 SchKG
massgebend, die bei einem nicht am Orte der Betreibung befindlichen
Wohnsitz gilt (vgl. BGE 68 III 146 ff.). Ob der Schuldner aus Gründen der
Angemessenheit hätte mit einem zuvor an das Betreibungsamt gerichteten
Gesuche verlangen können, dass der zweite in Art. 64 Abs. 1 SchKG
vorgesehene Weg der Zustellung beschritten, nämlich der (auswärtige)
Ort der Arbeitsausübung berücksichtigt werde, kann offen bleiben. Denn
ein solches Gesuch war nicht gestellt worden, und es steht dahin, ob
dem Schuldner überhaupt daran lag, Betreibungsurkunden an der Stätte
seines Volontariates in Locarno zu erhalten, wo er übrigens wegen
seiner vielen Reisen nach Basel und Deutschland oft nicht anzutreffen
gewesen wäre. Somit muss es bei der rechtmässig an die Ehefrau erfolgten
Zustellung sein Bewenden haben, wobei dem Schuldner das Recht vorbehalten
blieb, unter den Voraussetzungen des Art. 77 SchKG einen nachträglichen
Rechtsvorschlag anzubringen.

Erwägung 3

    3.- Der Rekurs ist gemäss dem in kantonaler Instanz gestellten
Beschwerdeantrag dahin gutzuheissen, dass das Gläubigerdoppel des
Zahlungsbefehls den Vermerk "zugestellt" zu tragen hat. Der vor
Bundesgericht beantragte Zusatz "kein Rechtsvorschlag" fällt als
unzulässige Ergänzung des Begehrens (Art. 79 Abs. 1 Satz 2 OG) ausser
Betracht. Das Betreibungsamt wird aber von sich aus im Gläubigerdoppel
anzugeben haben, ob Recht vorgeschlagen wurde oder nicht.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und
das Betreibungsamt Basel-Stadt angewiesen, dem Rekurrenten (Gläubiger) eine
Ausfertigung des Zahlungsbefehls Nr. 75737 mit dem Vermerk "zugestellt"
zuzusenden.