Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 I 91



87 I 91

14. Auszug aus dem Urteil vom 1. Februar 1961 i.S. Hofer gegen
Schweizerische Bundesbahnen. Regeste

    Rückforderungsrecht.

    Art. 102 lit. c EntG gewährt dem Enteigneten kein zeitlich
unbeschränktes Rückforderungsrecht. Hat der Enteignete von seinem 5
bzw. 25 Jahre nach der Enteignung entstehenden Rückforderungsrecht
gemäss Art. 102 lit. a oder b keinen Gebrauchgemacht, sondern dieses
Recht verjähren lassen, so ist eine spätere Rückforderung auf Grund von
Art. 102 lit. c ausgeschlossen.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Im Jahre 1909 bauten die SBB die Station Brittnau-Wikon aus. Dabei
wurde die Kreuzung der Strasse mit der Bahnlinie nach Süden verlegt. Da
geplant war, die neue Strasse auf einer Brücke über das Bahngeleise zu
führen, enteigneten die SBB auf Grund des Expropriationsgesetzes vom
1. Mai 1850 (ExprG) neben dem für die Strasse auch das für die Böschungen
nötige Land, darunter einen 1142 m2 haltenden Abschnitt des Grundstücks
Nr. 19 der Erben Alfred Hofer. Indessen erklärten die SBB schon im
Schätzungsverfahren, vorläufig werde die Strasse auf Schienenhöhe über
die Bahn geführt und die geplante Brücke nicht erstellt.

    B.- In den Jahren 1926/27 und 1931/36 ersuchte Hans Hofer die SBB
wiederholt um Rückgabe des für die Überführung enteigneten Landes. Er
erhielt jeweils zur Antwort, dass die Frage der Überführung noch nicht
endgültig entschieden sei und die Rückgabe daher abgelehnt werde.

    Am 22. August 1959 fragte Hofer die SBB an, ob sie nun bereit
seien, ihm das für die nicht erstellte Überführung enteignete Land
zurückzugeben. Als die SBB wiederum ablehnten, stellte Hofer mit Eingabe
vom 12. November 1959 bei der Eidg. Schätzungskommission V das Gesuch um
Rückgabe des im Jahre 1909 enteigneten Landes, soweit es bis jetzt nicht
bestimmungsgemäss verwendet worden sei.

    Mit Entscheid vom 10. Mai 1960 wies die Eidg. Schätzungskommission V
das Rückforderungsbegehren "für dermalen" ab. Zur Begründung führte sie
aus: Soweit der Rückforderungsanspruch sich auf Art. 102 lit. a oder b
EntG stütze, sei er verjährt, und zwar sei die Verjährung in dem für den
Gesuchsteller günstigsten Falle, nämlich bei Anwendung der 25-jährigen
Frist von lit. b und Berechnung derselben vom Inkrafttreten des EntG an,
am 1. Januar 1958 eingetreten. Soweit sich der Anspruch dagegen auf
Art. 102 lit. c EntG stütze, sei er verfrüht, da nicht dargetan sei,
dass die SBB bereits heute eine nicht bestimmungsgemässe Verwendung des
in Frage stehenden Landes beabsichtigten.

    C.- Diesen Entscheid haben beide Parteien an das Bundesgericht
weitergezogen. Hofer hält an seinem Rückforderungsbegehren fest, während
die SBB beantragen, dieses Begehren sei vollumfänglich, nicht bloss
"für dermalen" abzuweisen.

    Das Bundesgericht hat in Abweisung der Beschwerde Hofers und in
Gutheissung derjenigen der SBB festgestellt, dass das Rückforderungsrecht
endgültig verjährt ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    (Es wird zunächst festgestellt, dass es sich um eine vorsorgliche
Enteignung handelte, dass Hofer daher die Rückforderung auf Grund von
Art. 102 lit. b EntG verlangen konnte, dass dieses Rückforderungsrecht
spätestens am 1. Januar 1935 entstand und nach Art. 105 Abs. 1 EntG
zu verjähren begann (vgl. BGE 82 I 58 Erw. 4) und dass die einjährige
Verjährungsfrist am 1. Januar 1936 unbenutzt abgelaufen ist.)

    Die Schätzungskommission hat sich nicht mit der Feststellung begnügt,
dass der Rückforderungsanspruch nach Art. 102 lit. a oder b EntG heute
verjährt ist. Sie hat weiter geprüft, wie es sich mit der Rückforderung
nach Art. 102 lit. c verhalte. Dabei ist sie zum Schlusse gelangt, dass
ein Rückforderungsbegehren auf Grund von lit. c heute verfrüht sei,
aber möglicherweise später in Frage komme. Im Hinblick hierauf hat sie
das vorliegende Begehren nicht schlechthin, sondern nur "für dermalen"
abgewiesen. Da die SBB diese Einschränkung beanstanden und ein Interesse
daran haben, zu wissen, ob sie endgültig Eigentümer des 1909 erworbenen
Landes sind oder immer noch mit einer Rückforderung zu rechnen haben,
ist zu prüfen, ob die Auffassung der Schätzungskommission zutrifft.

    Art. 102 EntG umschreibt die Voraussetzungen der Rückforderung und
zählt in lit. a bis c die Gründe, aus denen die Rückübertragung enteigneter
Rechte verlangt werden kann, abschliessend auf. Die beiden ersten
Gründe (die in den Vorentwürfen wie auch in Art. 98 des bundesrätlichen
Entwurfes in einer einzigen Bestimmung zusammengefasst waren) lassen das
Rückforderungsrecht entstehen, wenn das enteignete Recht zu dem Zwecke,
wozu es enteignet wurde, nicht verwendet wird innert einer vom Erwerb
des Rechtes an berechneten Frist, die in lit. a für den Normalfall auf
5 Jahre (mit der Möglichkeit der Erstreckung) und in lit. b für den
Fall der vorsorglichen Enteignung auf 25 Jahre festgesetzt ist. Wären
nur diese Rückforderungsgründe vorgesehen, so könnte der Enteigner die
Ausübung des Rückforderungsrechts dadurch illusorisch machen, dass er
das enteignete Recht vor Ablauf der Fristen von lit. a oder b veräussert
oder zu einem andern als dem Enteignungszweck verwendet (Botschaft zum
EntG, BBl 1926 II 104). Für diesen Fall ist der Rückforderungsgrund von
lit. c geschaffen worden. Der Umstand, dass lit. c die Rückforderung nicht
befristet, könnte zur Annahme verleiten, dass sie in diesem Falle keiner
zeitlichen Beschränkung unterliege. Damit würde aber der Bestimmung eine
Tragweite gegeben, die ihr nach ihrem Zweck und nach dem Zusammenhang
nicht zukommen kann. Lit. c dient der Ergänzung von lit. a und b und
regelt nicht einen von den andern völlig verschiedenen Tatbestand,
sondern nur einen Spezialfall. Allen drei Rückforderungsgründen ist
gemein, dass das enteignete Recht nicht für den Enteignungszweck
verwendet worden ist und die Enteignung sich als unnötig erwiesen
hat. Während jedoch lit. a und b das Rückforderungsrecht mit dem für
den Enteigneten leicht feststellbaren unbenützten Ablauf einer Frist
entstehen lassen, knüpft lit. c an einen Tatbestand an, von dem der
Enteignete unter Umständen nichts erfährt (Veräusserung) oder nur dann,
wenn er sich ständig darum kümmert (zweckwidrige Verwendung). Um den
sich hieraus ergebenden Unzukömmlichkeiten zu begegnen, auferlegt das
EntG im Falle von lit. c dem Enteigner eine besondere Anzeigepflicht,
deren Missachtung ihn schadenersatzpflichtig macht (Art. 104); ferner
sieht es besondere Verjährungsfristen vor (Art. 105 Abs. 2). Dagegen
verbietet sich die Annahme, das Rückforderungsrecht nach lit. c könne auch
noch nach Ablauf der in lit. a und b vorgesehenen Fristen ohne zeitliche
Beschränkung zur Entstehung gelangen. Das Bundesgericht hat schon für
die entsprechende Bestimmung in Art. 47 ExprG ausgeführt, es könne kaum
angenommen werden, dass der Gesetzgeber ein Rückforderungsrecht für alle
Zukunft habe aufstellen wollen (BGE 5 S. 257 und 366). Dafür, dass dies
bei Erlass des EntG beabsichtigt war, bieten die Gesetzesmaterialien
keinerlei Anhaltspunkte, wenn man von einer Bemerkung des französischen
Berichterstatters im Nationalrat zu lit. c ("Là, pas de délai, bien
entendu"; StenBull 1928 S. 826) absieht. Diese vereinzelte, nicht näher
ausgeführte und begründete Bemerkung, die auch dahin verstanden werden
kann, dass im Falle der Veräusserung oder nicht bestimmungsgemässen
Verwendung des enteigneten Rechtes der Ablauf der Fristen von lit. a
und b nicht abgewartet werden müsse, genügt nicht als Grundlage für die
mit der Rechtssicherheit schwer vereinbare Annahme, lit. c gewähre dem
Enteigneten ein Rückforderungsrecht, das an keine Frist gebunden sei, also
gegebenenfalls noch nach Jahrhunderten geltend gemacht werden könnte. Aus
den Fristen von Art. 102 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 1 und 2 EntG
ist vielmehr zu schliessen, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass der
Übergang des enteigneten Rechts, gleichgültig was mit diesem geschehe,
einmal endgültig sein müsse und nicht mehr in Frage gestellt werden
könne. Gegen ein zeitlich unbeschränktes Rückforderungsrecht spricht
ferner, dass lit c im Anschluss an die frühere Praxis des Bundesgerichts
(BGE 5 S. 257 Erw. 6, 366; 41 I 345, 47 I 541 Erw. 4) die Rückforderung
selbst im Falle der Veräusserung oder der Verwendung zu einem andern
als dem Enteignungszweck dann ausschliesst, wenn das enteignete Recht
zu einem öffentlichen Zwecke verwendet worden ist. Entfällt aber die
Rückforderung nach lit. c, wenn das enteignete Recht auch nur vorübergehend
bestimmungsgemäss verwendet worden ist, so ist nicht einzusehen, warum
sie dann zulässig sein soll, wenn der Enteignete Gelegenheit hatte, sie
nach 5 bzw. 25 Jahren seit der Enteignung zu verlangen, hievon jedoch
keinen Gebrauch machte, sondern sein Recht verjähren liess.

    Im vorliegenden Falle war Hofer, wie oben dargelegt, gemäss
Art. 102 lit. b EntG während des Jahres 1935 berechtigt, das für die
Dammböschungen enteignete Land zurückzuverlangen. Er hat dieses Recht
indes nicht ausgeübt, sondern verjähren lassen. Da dies jede spätere
Rückforderung nach lit. c ausschliesst, hätte die Schätzungskommission sein
Rückforderungsbegehren vorbehaltlos und nicht bloss "für dermalen" abweisen
sollen. Die Beschwerde der SBB ist daher gutzuheissen und festzustellen,
dass das Rückforderungsrecht Hofers endgültig verjährt ist.