Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 I 81



87 I 81

12. Urteil vom 12. Mai 1961 i.S. H. gegen Eidg. Justiz- und
Polizeidepartement. Regeste

    Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Bundesbeamten; Ermächtigung
zur Strafverfolgung (Art. 15 des Verantwortlichkeitsgesetzes vom 14.
März 1958).

    1.  Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Erw. 1).

    2.  Die Ermächtigung zur Strafverfolgung ist zu verweigern, wenn
offensichtlich ein Straftatbestand nicht erfüllt ist (Erw. 2, 3).

Sachverhalt

    A.- Frau H. liess im Frühjahr 1959 ihren hellbeigen Orlonmantel durch
eine Reinigungsanstalt chemisch reinigen. In der Folge behauptete sie,
der Mantel sei durch unsachgemässe Ausführung des Auftrages verdorben
worden, und verlangte daher von der Reinigungsanstalt Schadenersatz.

    Auf Begehren des Inhabers der Reinigungsanstalt ordnete der zuständige
Bezirksgerichtspräsident eine vorsorgliche Begutachtung an, mit welcher
die Textilprüfungsabteilung der Eidg. Materialprüfungs- und Versuchsanstalt
(EMPA) betraut wurde. Die dort vorgenommene Untersuchung, deren Ergebnis in
einem vom Sachbearbeiter X. und von seinem Vorgesetzten unterzeichneten
Bericht vom 13. Oktober 1959 festgehalten ist, fiel im wesentlichen
zugunsten der Reinigungsanstalt aus.

    Frau H. erhob gegen den Inhaber der Reinigungsanstalt Zivilklage mit
dem Begehren, er sei zum Ersatz des auf Fr. 363.-- bezifferten Wertes
des Mantels zu verurteilen. Sie berief sich auf ein von ihr eingeholtes
Gutachten des Textilinstitutes Dornbirn und ein von der Firma Belrob SA in
Baden erstattetes zweites gerichtliches Gutachten. Der Gerichtspräsident
schützte die Klage im reduzierten Betrage von Fr. 220.--. Die Klägerin
legte beim Kantonsgericht Berufung ein, die noch hängig ist.

    Ausserdem reichte sie gegen X. Strafanzeige wegen Abgabe eines
falschen Gutachtens (Art. 307 StGB) ein. Sie behauptete, er sei ein
"guter Bekannter" des Inhabers der Reinigungsanstalt und habe diesem mit
dem Gutachten einen Gefallen erweisen wollen.

    Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement verweigerte jedoch die
nach Art. 15 des BG über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner
Behördemitglieder und Beamten vom 14. März 1958 (VG) erforderliche
Ermächtigung zur Durchführung des Strafverfahrens gegen X. (Entscheid
vom 31. Januar 1961).

    B.- Gegen diesen Entscheid erhebt Frau H.
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie macht geltend, X. habe dem Zivilrichter
bewusst ein falsches Gutachten abgegeben. Das Aussehen des Orlonmantels sei
der beste Beweis dafür. Der Angeschuldigte werde auch durch die Gutachten
des Instituts Dornbirn und der Firma Belrob belastet, ferner durch den
Umstand, dass er sich geweigert habe, die von der Beschwerdeführerin
gewünschte neue, einwandfreie Expertise zu erstatten. Seine Verfehlung
stehe fest, auch wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass er ein guter
Bekannter des Inhabers der Reinigungsanstalt sei.

    C.- Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement und X.  beantragen,
die Beschwerde sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- X. ist Bundesbeamter. Er hat das Gutachten vom 13. Oktober 1959
in Ausübung seines Amtes erstattet. Seine Strafverfolgung wegen der ihm
von der Beschwerdeführerin vorgeworfenen Abgabe eines falschen Gutachtens
(Art. 307 StGB) bedarf daher nach Art. 15 Abs. 1 VG einer Ermächtigung
des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes. Der angefochtene Entscheid,
mit dem das Departement die Ermächtigung verweigert hat, unterliegt gemäss
Art. 15 Abs. 5 VG der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    Nach dem letzten Satz des gleichen Absatzes steht die Beschwerde
u.a. dem Verletzten zu, der Bestrafung des Beamten verlangt. Frau H. ist
Verletzte im Sinne dieser Bestimmung und daher zur Beschwerde legitimiert.

    Die Beschwerde ist rechtzeitig eingereicht worden. Dagegen enthält die
Beschwerdeschrift weder einen förmlichen Antrag, noch werden darin deutlich
Rügen erhoben, welche nach dem Gesetz in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
vorgebracht werden können. Immerhin kann der Begründung der Beschwerde
entnommen werden, dass die Beschwerdeführerin verlangen will,
der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die darin verweigerte
Ermächtigung sei gemäss Art. 15 Abs. 3 VG zu erteilen, weil entgegen der
Auffassung des Departementes der Straftatbestand des Art. 307 StGB als
gegeben erscheine. Es kann angenommen werden, dass die in Art. 90/107 OG
an den Inhalt der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellten Anforderungen
erfüllt sind.

    Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Art. 15 Abs. 3 VG bestimmt: "Erscheinen ein Straftatbestand und die
gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung als erfüllt, so darf die
Ermächtigung nur in leichten Fällen verweigert werden, und sofern die Tat
nach allen Umständen durch eine disziplinarische Bestrafung des Fehlbaren
als genügend geahndet erscheint." Danach braucht im Vorverfahren, in dem
über die Ermächtigung zu entscheiden ist, nicht schon vollständig abgeklärt
zu werden, ob ein Straftatbestand und die gesetzlichen Voraussetzungen der
Strafverfolgung erfüllt sind oder nicht. Diese Fragen sind im nachfolgenden
Strafverfahren näher zu prüfen, falls die Ermächtigung zur Strafverfolgung
erteilt wird. Im Ermächtigungsverfahren ist lediglich eine Vorprüfung
vorzunehmen. Die Ermächtigung ist zu erteilen, wenn diese Prüfung
Anhaltspunkte dafür ergibt, dass ein Straftatbestand und die gesetzlichen
Voraussetzungen der Strafverfolgung gegeben sein könnten, es wäre denn,
dass ein leichter Fall vorliegt und eine disziplinarische Bestrafung des
Beamten als genügende Sanktion erscheint. Dagegen ist die Ermächtigung
zu verweigern, wenn sich im Vorprüfungsverfahren herausstellt, dass ein
Straftatbestand oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung
offensichtlich nicht erfüllt sind. Dieses Verfahren hat vor allem den
Zweck, die Bundesbeamten vor Belästigung durch völlig ungerechtfertigte
(insbesondere "trölerische") Strafanzeigen zu schützen und dadurch den
reibungslosen Gang der Verwaltung sicherzustellen (vgl. Botschaft des
Bundesrates vom 29. Juni 1956, BBl 1956 I S. 1398).

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 307 StGB wird bestraft, wer in einem gerichtlichen
Verfahren als Sachverständiger ein falsches Gutachten abgibt. Strafbar
ist mangels anderer Anordnung des Gesetzes nur die vorsätzliche,
nicht auch die fahrlässige Verübung dieser Tat (Art. 18 Abs. 1
StGB). Vorsätzlich verübt die Tat, wer sie mit Wissen und Willen ausführt
(Abs. 2 daselbst). X. könnte deshalb nur dann nach Art. 307 StGB bestraft
werden, wenn sein Gutachten objektiv falsch wäre und er ausserdem sich
der Unrichtigkeit seines Befundes bewusst gewesen wäre.

    Die Ausführungen der Beschwerdeführerin betreffen im wesentlichen nur
den objektiven Tatbestand. Insbesondere versucht Frau H., unter Hinweis
auf das jetzige Aussehen des Orlonmantels und auf die Gutachten des
Textilinstitutes Dornbirn und der Firma Belrob die im Untersuchungsbericht
der EMPA geäusserte Auffassung zu widerlegen, dass die Reinigungsanstalt
den Mantel sachgemäss behandelt habe und dass ein wesentlicher Minderwert
des Mantels im derzeitigen Zustand, nach fachgerechter Nachbehandlung, kaum
geltend zu machen sei. Es mag sein, dass die gutachtlichen Äusserungen,
auf welche die Beschwerdeführerin sich beruft, Anlass zu Zweifeln an der
objektiven Richtigkeit des Befundes der EMPA geben können. Auf jeden Fall
aber bieten sie - und erst recht das Aussehen des Mantels - keinerlei
Anhaltspunkte für die Annahme, dass X. bewusst ein falsches Gutachten
erstattet haben könnte.

    Eine solche Annahme wäre schwerlich mit der Tatsache vereinbar, dass
der Untersuchungsbericht der EMPA nicht allein von X., sondern ausserdem
von seinem Vorgesetzten unterzeichnet ist, dessen Integrität auch von
der Beschwerdeführerin nicht bestritten wird.

    Die Beschwerdeführerin sieht ein Indiz für die Schuld des X. darin,
dass er sich geweigert hat, die von ihr "gewünschte" neue Begutachtung
vorzunehmen. Dieser Standpunkt der Beschwerdeführerin ist offensichtlich
abwegig. Er beruht auf einer völligen Verkennung der Pflichten eines
Gerichtsexperten. Nachdem X. zusammen mit seinem Vorgesetzten das vom
Gericht erbetene Gutachten erstattet hatte, konnte er selbstverständlich
jenem von einer Partei an ihn gestellten sonderbaren Ansinnen nicht
Folge geben.

    Von den Vorbringen der Beschwerdeführerin ist für die Schuldfrage
einzig die Behauptung von Bedeutung, X. sei ein "guter Bekannter" des
Inhabers der Reinigungsanstalt und habe diesem mit dem Gutachten eine
Gefälligkeit erweisen wollen. Indessen haben die im Vorprüfungsverfahren
auf Veranlassung der Bundesanwaltschaft durch die Kantonspolizei
vorgenommenen Einvernahmen des X. und des Inhabers der Reinigungsanstalt
ergeben, dass von einer guten Bekanntschaft zwischen diesen beiden
keine Rede sein kann. Entgegen der Vermutung der Beschwerdeführerin hat
X. mit dem Inhaber der Reinigungsanstalt lediglich Beziehungen amtlichen
Charakters unterhalten, so dass er keinen Anlass haben konnte, di-esen
mit einer "Gefälligkeitsexpertise" zu begünstigen.

    Da keinerlei ernsthafte Indizien für die Annahme, dass X. bewusst
ein falsches Gutachten abgegeben haben könnte, ersichtlich sind, ist
die angefochtene Verweigerung der Ermächtigung zu dessen Strafverfolgung
nicht zu beanstanden.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.