Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 I 515



87 I 515

82. Auszug aus dem Urteil vom 13. Dezember 1961 i.S. Kipfer und
Mitbeteiligte gegen Gemeinde Bremgarten und Regierungsrat des Kantons Bern.
Regeste

    Eigentumsgarantie, Art. 4 BV.

    Wann liegt ein "schönes Landschaftsbild" im Sinne kantonaler Natur-
und Heimatschutzvorschriften vor?

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Das Gesetz über die Bauvorschriften (BVG) des Kantons Bern vom
26. Januar 1958 ermächtigt in Art. 5 Ziff. 5 die Gemeinden, unter Vorbehalt
der Genehmigung durch den Regierungsrat Vorschriften aufzustellen über "die
Verhütung von wesentlichen Beeinträchtigungen schöner oder geschichtlich
wertvoller Landschafts-, Orts- und Strassenbilder ...".

    Unter Berufung auf diese Gesetzesbestimmung und weitere Normen des
kantonalen Rechts hat die Gemeindeversammlung von Bremgarten bei Bern
am 3. Juni 1959 "Schutzvorschriften" angenommen, die das Hanggebiet
vom Hostalenweg über dem Dorfteil Stuckishaus im Westen bis zur Flur
Birchi an der Grenze der Gemeinde Zollikofen im Osten betreffen. Die
"Schutzvorschriften" lassen die Zuteilung des Hanges zu den einzelnen
Zonen des Bauklassenplanes unberührt. Sie schränken die Benutzbarkeit
des Landes indes insofern ein, als sie jede Ausbeutung von Kies und
Sand untersagen und sie auch alle andern Abgrabungen und Ausfüllungen
verbieten, die das Landschaftsbild wesentlich beeinträchtigen würden.
Grössere Baumgruppen, Feldgehölze, Lebhecken und Wälder dürfen nur mit
Zustimmung des Gemeinderats abgeholzt werden. Von diesen Verboten sind
zwei Parzellen ausgenommen, auf denen weiterhin, wenn auch mit gewissen
Einschränkungen, Kies und Sand gewonnen werden darf.

    Der Regierungsrat des Kantons Bern hat am 15. Januar 1960 die
"Schutzvorschriften" in den erwähnten Punkten genehmigt. Eine Anzahl
Grundeigentümer, die über Land im betreffenden Gebiet verfügen, erhoben
gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung
des Art. 4 BV und der Eigentumsgarantie. Das Bundesgericht weist die
Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Die Beschwerdeführer wenden ein, nach Sinn und Zweck des Gesetzes
sei der in Art. 5 Ziff. 5 BVG verwendete Ausdruck "schön" einschränkend
auszulegen, könnte doch andernfalls das ganze Kantonsgebiet unter Schutz
gestellt werden. Das Gesetz wolle vielmehr lediglich die Grundlage
für die Sicherung von Landschaftsbildern mit besonderem Schönheitswert
schaffen. Einen solchen weise das in Frage stehende Hanggebiet nicht
auf. Die "Schutzvorschriften" liessen sich deshalb nicht auf Art. 5
Ziff. 5 BVG stützen.

    Richtig ist, dass der unbestimmte Begriff des "schönen
Landschaftsbildes" erst im Lichte der Zwecksetzung dieser Bestimmung
Umrisse gewinnt. Unter den vielen an sich ansprechenden Landschaftsbildern
können nur jene als "schön" geschützt werden, die infolge ihrer besonderen
Vorzüge diesen Schutz verdienen. Ob das der Fall sei, hängt von Umständen
verschiedener Art ab. Eine Landschaft lässt sich in der Regel nicht ohne
Eingriffe in die Rechte Privater schützen. Dem Interesse der Allgemeinheit
an der Erhaltung eines Landschaftsbildes sind diese privaten Interessen
gegenüberzustellen. An die Schutzwürdigkeit ist daher ein umso strengerer
Massstab anzulegen, je stärker die Schutzvorschriften in die Belange
Privater eingreifen. Zu berücksichtigen ist auch, dass ein Landschaftsbild
nicht so sehr um seiner selber, als um der Betrachter willen geschützt
wird. Ein Schutz drängt sich deshalb umso eher auf, je grösser das
Bedürfnis der Bevölkerung nach Erhaltung der Naturschönheiten ist. Dieses
Bedürfnis aber wächst mit der Verstädterung. So kann in der Umgebung
grosser Siedlungen ein Landschaftsbild als schutzwürdig erscheinen,
das in abgelegenen Gegenden kaum besondere Beachtung fände (vgl. Urteil
vom 1. November 1961 i.S. Messerli, Erw. 3 a). Bei Abwägung dieser
Umstände dürfen die kantonalen Behörden sich nicht auf ihr subjektives
Empfinden verlassen; sie haben ihrer Entscheidung vielmehr objektive und
grundsätzliche Kriterien zugrunde zu legen. Auch so steht ihrem Ermessen
jedoch ein weiter Spielraum zu. Das Bundesgericht greift auf Beschwerde
hin nur ein, wenn die kantonalen Instanzen den Rahmen ihres Ermessens
offensichtlich überschritten haben (vgl. BGE 82 I 108 mit Verweisungen).

    Wie sich aus den bei den Akten befindlichen Aufnahmen ergibt,
entbehrt der unter die "Schutzvorschriften" fallende Hang, für sich allein
betrachtet, jedes besonderen Reizes. Es ist indes nicht zu übersehen,
dass der Hang ein wesentliches Element im Landschaftsbild des Aaretales
bildet. Unterhalb Berns fliesst die Aare in grossen Schlaufen, die sich
um teils bewaldete Halbinseln legen, dem Stausee Wohlen zu. Das tief
eingeschnittene Flusstal wird von verhältnismässig steil abfallenden
Hängen, den "Halen" gesäumt. Mit den Flusswindungen und den Wäldern
geben die "Halen" der Landschaft das Gepräge. Da die Hänge von weither
sichtbar sind, wirken daran vorgenommene Veränderungen besonders stark
auf das Landschaftsbild ein. So erweist sich die bestehende Kiesgrube
unterhalb des Burgachers unbestreitbar als Verunstaltung. Würden
auch auf den Hang-Grundstücken der Beschwerdeführer, die heute noch
landwirtschaftlich genutzt werden, Kies- und Sandgruben eröffnet,
so käme die Siedelung Bremgarten-Stuckishaus auf Jahrzehnte hinaus an
den Fuss kahler Molassewände zu liegen, die das Bild der ganzen Gegend
beherrschen würden. Ein wertvolles Siedelungsgebiet der ständig sich
ausdehnenden Stadt Bern würde dadurch seine Eigenart und seinen heute
noch unzweifelhaft vorhandenen Reiz verlieren.

    Da das Landschaftsbild des Aaretales als Ganzes mit beachtlichen
Gründen als "schön" bezeichnet werden kann, lassen sich die auf
die Erhaltung eines wesentlichen Bestandteils desselben gerichteten
"Schutzvorschriften" ohne Willkür auf Art. 5 Ziff. 5 BVG stützen. Einem
Erlass aber, der auf diese Weise dem Heimatschutz dient, kann auch das
öffentliche Interesse nicht abgesprochen werden.