Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 I 441



87 I 441

71. Urteil vom 22. November 1961 i.S. Erben Garni gegen Atlantico Ltd. und
Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt. Regeste

    fzArt. 4 BV; Verordnung über die Mietzinskontrolle und die Beschränkung
des Kündigungsrechts.

    Der Mieter, der die Mietsache dauernd untervermietet, hat keinen
Anspruch auf Kündigungsschutz; der Untermieter seinerseits ist dem
Eigentümer gegenüber mietnotrechtlich nicht geschützt.

Sachverhalt

    A.- Der inzwischen verstorbene Victor Garni vermietete 1952 der
Cigarrenhaus zum Barfüsser AG einen Laden und eine Dreizimmerwohnung in der
Altliegenschaft Weilstrasse 80 in Riehen. Der Vertrag lässt die Untermiete
zu. Ende 1959 nahm die Mieterin den Namen Atlantico Ltd. (AG) an. Sie
hat in der Folge die Wohnung und den Laden der Kommanditgesellschaft
Weitnauer & Co. untervermietet. Diese betreibt den Laden; sie hat die
Wohnung an Ernst Hauswirth weitervermietet.

    Am 2. Dezember 1960 haben die Erben des Victor Garni den Mietvertrag
auf Ende März 1961 gekündigt. Die Atlantico Ltd. hat gegen die Kündigung
Einsprache erhoben; sie hat jedoch vorsorglicherweise den Untermietvertrag
auf den selben Zeitpunkt gekündigt. Die Weitnauer & Co. hat gegen diese
Kündigung Einsprache erhoben und den Unter-Untermietvertrag gekündigt,
wogegen Hauswirth seinerseits Einsprache erhoben hat.

    Die Staatliche Schlichtungsstelle für Mietstreitigkeiten des Kantons
Basel-Stadt hat die Einsprachen gutgeheissen und die Kündigungen nicht
zugelassen. Sie hat zur Begründung ihres Entscheids über die Einsprache der
Atlantico Ltd. ausgeführt, die Eigentümer stützten sich zur Rechtfertigung
der Kündigung einzig auf das Urteil des Bundesgerichts vom 1. Juni
1960 i.S. Aulas (BGE 86 I 81 ff.). Jenem Entscheid liege indes ein
wesentlich anderer Sachverhalt zugrunde, da das Bundesgericht nur die
Beziehungen zwischen dem Eigentümer und dem Mieter zu prüfen gehabt habe,
nicht dagegen diejenigen zum Untermieter. Hier stünden demgegenüber
auch die Rechte der Untermieter im Streit, richte sich die Kündigung
des Mietvertrags doch eingestandenermassen gegen den Unter-Untermieter
Hauswirth. Nach Wortlaut und Sinn der Mieterschutzbestimmungen müsse der
Hauptmieter mit seiner Einsprache gegen die Kündigung des Mietvertrags
auch die Interessen des tatsächlichen Benützers die Mietsache geltend
machen können, die dieser durch die Einsprache gegen die Kündigung des
Untermietverhältnisses kundgetan habe. Gegenüber Hauswirth liege aber
kein mietnotrechtlich anerkannter Kündigungsgrund vor.

    Die Eigentümer fochten diesen Entscheid in einer kantonalen Beschwerde
als willkürlich an. Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt hat die
Beschwerde am 8. August 1961 abgewiesen.

    B.- Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung
des Art. 4 BV beantragen die Erben des Victor Garni, der Entscheid des
Regierungsrats sei aufzuheben und die ausgesprochene Kündigung sei zu
bestätigen.

    C.- Der Regierungsrat schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Verordnung über die Mietzinskontrolle und die Beschränkung
des Kündigungsrechts (VMK) vom 28. Dezember 1956, die hier anzuwenden
ist, ermächtigt in Art. 31 Abs. 1 (gleich wie Art. 34 Abs. 1 der VMK vom
11. April 1961) die Mieterschutzbehörden, eine nach Obligationenrecht
gültige Kündigung des Mietvertrags durch den Vermieter auf Begehren
des Mieters unzulässig zu erklären, wenn sie nach den Umständen des
Falles ungerechtfertigt erscheint. Um dies festzustellen, sind das
Interesse des Vermieters an der Aufhebung des Mietverhältnisses und
dasjenige des Mieters an dessen Fortdauer gegeneinander abzuwägen. Die
Interessen Dritter fallen dabei ausser Betracht (MBVR 44 S. 479 Erw. 3;
nicht veröffentlichte Urteile vom 22. Mai 1947 i.S. Hefti, vom 10. Juli
1947 i.S. Mecanis AG; BIRCHMEIER, Die Mietnotrechtserlasse des Bundes
in der Rechtsprechung des Bundesgerichts, S. 16). Das Bundesgericht hat
denn auch im Urteil vom 19. Februar 1948 i.S. Kessler erkannt, dass das
Interesse des Untermieters in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt
werden darf. Es hat an dieser Rechtsprechung festgehalten. Im Urteil
Aulas (BGE 86 I 81 ff.) hat es entschieden, dass der Mieter, der die
Mietsache nicht selbst bewohnt, keinen Anspruch auf Kündigungsschutz
hat. Wenn in den Erwägungen dieses Urteils darauf hingewiesen wurde, dass
die betreffende Mieterin gewerbsmässig möblierte Wohnungen untervermiete,
so geschah das, um darzutun, dass es sich um eine dauernde und nicht bloss
um eine vorübergehende Untervermietung handelte. Dass die Interessen der
Untermieter keine Erwähnung fanden, erklärt sich entgegen der Annahme der
Schlichtungsstelle nicht aus den Besonderheiten des gegebenen Sachverhalts
oder aus dem Fehlen einer Einsprache der Untermieter gegen die Kündigung
der Untermiete; massgebend war vielmehr, dass bei der Interessenabwägung im
Sinne des Art. 31 Abs. 1 VMK allgemein nur die Belange der Vertragsparteien
beachtet werden dürfen, die Untermieter aber zur Eigentümerin in keinen
vertraglichen Beziehungen standen.

    Die Einwendungen der kantonalen Instanzen geben keinen Anlass,
auf diese Stellungnahme zurückzukommen. Nach Art. 30 VMK gelten die
Bestimmungen über die Beschränkung des Kündigungsrechts zwar auch für
Untermietverhältnisse; die Kündigung eines Untermietvertrags kann jedoch
nicht als unzulässig erklärt werden, "wenn sie der Untervermieter auf
den Zeitpunkt der Auflösung seines Mietverhältnisses vornimmt". Zu einer
"Auflösung seines Mietverhältnisses" kommt es auch, wenn der Mieter selber
kündigt oder er gegen die an ihn ergangene Kündigung keine Einsprache
erhebt. Der Mieter hat es damit in der Hand, dem Untermieter jede
Einsprachemöglichkeit zu entziehen, indem er selber auf die Fortsetzung
des Mietverhältnisses verzichtet. Hätte die VMK das Interesse des
Untermieters nicht nur gegenüber dem Untervermieter (vgl. BGE 76 I 4),
sondern auch gegenüber dem Eigentümer schützen wollen, so hätte sie die
Gewährung dieses Schutzes nicht derart von den Entschlüssen des Mieters
und Untervermieters abhängig gemacht. Ist das Interesse des Untermieters
aber gegenüber dem Eigentümer nicht geschützt, dann kann es auch in der
Auseinandersetzung zwischen diesem und dem Mieter nicht zugunsten des
letztgenannten in die Waagschale geworfen werden. Richtig ist, dass diese
Regelung den tatsächlichen Inhaber der Wohnung, der nicht zugleich Mieter
ist, nur bedingt vor der Obdachlosigkeit bewahrt. Die Notrechtssetzung hat
diesen Nachteil in Kauf genommen, um nicht zu tief in die zivilrechtlichen
Verhältnisse eingreifen zu müssen, die durch das Fehlen vertraglicher
Beziehungen zwischen dem Untermieter und dem Eigentümer der Mietsache
gekennzeichnet sind. Über diese Stellungnahme zugunsten des Zivilrechts
und der Parteiautonomie dürfen sich die Mieterschutzbehörden nicht
hinwegsetzen.

    Die kantonalen Instanzen fürchten, diese Ordnung führe dazu, dass
der Eigentümer zwischen sich und den Anwärter auf eine Wohnung einen
ihm gefügigen Dritten als Mieter bzw. Untervermieter einschalte, mit
dem er sich dann frei über eine Kündigung verständigen könne. Solchen
Umgehungsgeschäften kann indes auf Grund des Verbots des Rechtsmissbrauchs
(Art. 2 Abs. 2 ZGB), zumeist ausserdem schon durch den Rückgriff auf den
wahren Willen der Beteiligten, wirksam entgegengetreten werden.

Erwägung 2

    2.- Zusammengefasst ergibt sich, dass der Mieter, der die Mietsache
nicht nur vorübergehend, sondern dauernd untervermietet, keinen
Anspruch auf Kündigungsschutz hat, und dass der Untermieter seinerseits
dem Eigentümer gegenüber mietnotrechtlich nicht geschützt ist. Die
Schlichtungsstelle hat das in Missachtung tragender Gedanken der VMK und
damit willkürlich verkannt. Wenn der Regierungsrat die entsprechende
Rüge zurückgewiesen hat, so ist er selber in Willkür verfallen. Sein
Entscheid ist, weil gegen Art. 4 BV verstossend, aufzuheben.

    Auf den weiteren Antrag der Beschwerdeführerinnen, die ausgesprochene
Kündigung sei zu bestätigen, ist wegen der rein kassatorischen Natur
einer staatsrechtlichen Beschwerde der vorliegenden Art nicht einzutreten
(BGE 83 I 118 Erw. 4, 121 Erw. 1, 168 Erw. 3; 85 I 2 Erw. 1; BIRCHMEIER,
aaO, S.11). Einer solchen Bestätigung bedarf es übrigens nicht, da eine
Kündigung bereits mit der Abweisung der dagegen erhobenen Einsprache
vollziehbar wird.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird dahin gutgeheissen, dass der Entscheid des
Regierungsrats des Kantons Basel-Stadt vom 8. August 1961 aufgehoben wird.